Bekanntlich hat die Männerrechtsbewegung ihren Ursprung in den USA. Und noch immer hat man mitunter den Eindruck, dass uns Europäern die Vereinigten Staaten auf diesem Gebiet um einiges voraus sind. Zuletzt musste ich diese Erfahrung machen, als ich über die Seiten des „Good Men Project“ stolperte und dabei unter anderem auf die Ergebisse einer Umfrage stieß, die es so in Deutschland noch nicht gibt: Man ließ einfach mal die Männer selbst darüber abstimmen, was in ihren Augen die dringendsten männerpolitischen Anliegen waren. Die Frage ist ebenso naheliegend wie bedeutsam. Es ist doch wichtig zu wissen, was die Leute wirklich beschäftigt – der hohe Anteil der Männer unter den Obdachlosen, den Selbstmördern und den Opfern der Todesstrafe? Oder doch die von den Medien vielfach thematisierte Jungenkrise? Oder etwas ganz anderes?
Und so sehen die Top Ten der wichtigsten Anliegen von Männern aus, die auf diese Weise ermittelt wurden:
Platz 10: Die männliche Geschlechtsrolle (4 Prozent)
Menschen, die diesen Punkt als wichtigstes Problemfeld nannten, waren offenkundig besonders unzufrieden damit, dass von Männern gefordert wurde, die Versorgerfunktion auszufüllen, keine Schwäche zeigen zu dürfen, dafür immer mehr Leistung, Leistung, Leistung, ja nicht zu jammern, auch nicht über eigene Diskriminierungserfahrungen – dieses Rollengefängnis führt zu üblen Krankheiten und einem frühen Tod. Vermutlich könnten sich hier auch die grünen Männer mit ihrem Manifest „Nicht länger Macho sein wollen“ einordnen. Diejenigen Maskulisten, die die klassische Männerrolle bewahren wollen, hätten mit dieser Haltung eher Probleme – aber auch all jene, die Männerrechtler als „Flenner“ beschimpfen oder ihnen eine „Opferideologie“ vorwerfen.
Platz 9: Die negative Darstellung von Männern in den Medien (5 Prozent)
Muss ich dazu überhaupt noch etwas sagen? Dieses Problem war eines der Hauptthemen mehrerer Bücher von mir: Frauen sind die besseren Menschen in praktisch allem und jedem, Männer sind Monster, Versager oder Hindernisse beim beruflichen Aufstieg. Sie sind dauergeil und schwanzgesteuert, unterhaltsflüchtige Väter – und wenn sie sich selbstbewusst für ihre Rechte einsetzen, werden sie zwischen Nationalsozialisten und Massenmördern platziert.
Platz 8: Die „Jungenkrise“ (5 Prozent)
Klar, die „Jungenkrise“ ist in Wahrheit die Krise unseres Bildungssystems, fair und angemessen mit Jungen umzugehen. Im März 2009 beklagte der Aktionsrat Bildung, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern überschreite hier inzwischen die „Grenzen des rechtlich und moralisch Hinnehmbaren“. Geschehen ist seitdem so gut wie nichts.
Platz 7: Sexistische Regierungsprogramme (6,2 Prozent)
Nicht nur die US-Amerikaner können ein Lied davon singen. Hierzulande liegt exakt dasselbe Problem vor, wenn etwa ein milliardenschweres Gender-Mainstreaming als verdeckte Frauenförderung so totalitär durchgesetzt wird, dass sich auch die kleinste Behörde bis in den letzten Winkeln seinen Vorgaben unterwerfen muss. Dass Gender Mainstreaming auch Männern nutzen könne, wird immer wieder gerne betont – konkrete Fälle gibt es keine. Auch die Regierungshilfe, ob in Deutschland oder EU-weit, die im Bereich der häuslichen Gewalt alleine Frauen zuteil wird, gehört in dieses Feld. Und wenn es hierzulande einen staatlichen Frauengesundheitsbericht gibt, ein Männergesundheitsbericht allerdings erst zehn Jahre später von privater Seite erstellt werden kann, schreit diese Ungleichheit zum Himmel.
Platz 6: Falschbeschuldigungen (7 Prozent)
Als ich vergangenes Jahr einen Beitrag über die hohe Zahl von Falschbeschuldigungen bei Vergewaltigungen und die dadurch verursachten massiven Traumatisierungen veröffentlicht hatte, war das mein wohl am stärksten nachgefragter Artikel seit langem. Feministinnen wie Ilse Lenz brachte das indes derart auf die Palme, dass sie diesen Artikel in der Berliner „taz“ massiv verzerrt darstellen musste, um dagegen anzupolemisieren. Und übrigens: Auch bei häuslicher Gewalt scheint die Rate der Falschbeschuldigungen ausgesprochen hoch zu sein.
Platz 5: Reproduktionsrechte (7 Prozent)
Wenn eine Frau von einem Mann schwanger wird, ist es ihre Entscheidung, ob sie das Kind austrägt oder tötet. Wenn ein Mann von der Tötung seines Nachwuchses traumatisiert sein sollte, muss er sehen, wie er damit zurechtkommt. Möchte ein Vater hingegen auf seine Vaterschaft verzichten, darf er feststellen, dass er diese Freiheit nicht hat, sondern beispielsweise ins Armenhaus geklagt werden kann, was Unterhaltszahlungen angeht. Für immerhin sieben Prozent der Männer ist dies die größte Ungerechtigkeit im Geschlechterkonflikt.
„Alle Männer sind Vergewaltiger, und das ist alles, was sie sind.“ Das schrieb Marilyn French im Jahr 1977. In meinem Buch „Sind Frauen bessere Menschen?“ habe ich über eine Seite mit feminsitischen Statements zusammengestellt, die in dieselbe Richtung gehen. Im Bereich sexueller Missbrauch erfuhr diese Verhetzung mit Slogans wie „Väter sind Täter“ und Lügen wie „jedes dritte Mädchen“ eine Neuauflage. Einige der Folgen: Väter auf Spielplätzen werden immer noch misstrauisch angestarrt, und die Zahl von Männern im Erziehungsereich bleibt klein – was wiederum zu einer Benachteiligung von Jungen führt. Immerhin wehren sich inzwischen zahlreiche Männer dagegen, für eine geringe Zahl von Kranken und Verbrechern in Sippenhaft genommen zu werden. Sobald jemand jeden Migranten zum Messerstecher erklärt, nur weil es auf einige von ihnen zutrifft, ist der öffentliche Protest schließlich auch groß – und zwar zu Recht. Warum fehlt uns dieselbe Sensibilität, solange es um Männer geht?
Platz 3: Männerfeindliche Doppelmoral (10 Prozent)
Warum ist ein Junge, der sich prügelt, ein „Gewalttäter“ und ein Mädchen, das dasselbe tut, ein „selbstbewusstes Power-Mädchen“? Warum ist ein Lehrer, der etwas mit einer Schülerin anfängt, ein perverser Triebtäter und eine Lehrerin, die das tut, „führt den jungen Mann in die Geheimnisse der Liebe ein“? Warum ist Sextourismus bei Männern widerwärtig und bei Frauen ein Akt der Befreiung und ein Zeichen für ihre ungestillte Sehnsucht nach Zärtlichkeit? Und warum zeichnen unsere Medien Frauenrechtlerinnen als mutige Vorkämpfer von Emanzipation und Moral, aber Männer, die für ihre Rechte eintreten, als Heulsusen oder potentielle Terroristen? Warum werden Frauen für dasselbe Verbrechen wesentlich leichter als Männer bestraft? „Der Feminismus nimmt es mit der Gleichberechtigung nicht zu ernst, sondern nicht ernst genug!“ – so lautet die Parole, deren Anhänger den dritten Platz eroberten.
Platz 2: Feminismus (11 Prozent)
Ein einziges Wort fasst in den Augen vieler Männer einen gewaltigen Problembereich zusammen. Wundert es da jemand, dass auch den Schweizer Antifeministen schlagartig Scharen von Unterstützern zuliefen? Der Feminismus mag als Kampf für die Gleichberechtigung begonnen haben, aber wenn man viele Männer heute danach fragt, werden sie einem antworten, dass sich diese Ideologie vor allem durch Totalitarismus und Terror auszeichnet. Bei den größten Problemen für Männer liegt der Feminismus deshalb auf Platz 2.
Platz 1: Väterrechte (20 Prozent)
Der traurige „Gewinner“ dieser Hitparade zieht der Konkurrenz mit Riesenschritten davon. Und auch das ist keine Mörderüberraschung: Dass Väterrechte mit Füßen getreten werden, war hierzulande das erste Problem, das dazu führte, dass Männer sich überhaupt zusammenschlossen, um dagegen aufzubegehren – der „Väteraufbruch für Kinder“ feiert bald sein 25jähriges Bestehen. Und das Leiden „entsorgter“ Väter war noch vor der Jungendiskriminierung jenes Anliegen der Männerrechtler, das auch die Mainstreammedien irgendwann nicht mehr übergehen konnten. Jenseits des Atlantiks sieht das Leiden oft nicht anders aus.
An dieser Stelle muss ich Sie ein wenig erschrecken: Alles, was Sie bisher gelesen haben, war nur die Einleitung des vorliegenden Artikels.
Was mich noch mehr als diese Hitparade an Männeranliegen interessiert, ist die Website, auf der ich sie entdeckt habe: „The Good Men Project“. Dort findet sich nämlich eine Vielzahl für Männerrechtler ähnlich lesenswerter Artikel: etwa über das ansonsten vielfach tabuisierte Thema der Frauen, die Jungen vergewaltigen, über die Frage, warum unsere Kultur Männer dämonisiert, die ehrlich zu ihren sexuellen Bedürfnissen stehen und ob die Propaganda vom frauenunterdrückenden Patriarchat nicht ein riesiger Blödsinn ist. In einem weiteren Artikel reagiert Kyle Lovett auf diejenigen Leute, die, sobald man über die Anliegen von Männern zu sprechen beginnt, reflexartig mit Sätzen reagieren wie „Aber was ist mit den Frauen?“ oder gar „Warum hassen Sie Frauen?“ Und in einer Sammlung über „Männer und Heldentum“ schließlich finden sich zum Beispiel ein Beitrag darüber, warum Männer gerne Superhelden-Comics lesen. In der deutschen Geschlechtedebatte wäre so letzeres unvorstellbar, ohne dass es in Spott umschlagen würde.
Natürlich fragt man sich an dieser Stelle, wie wohl die Reaktion der feministischen und der Mainstream-Medien auf die hier vorgestellte Website ausfällt. Mit Sicherheit wettern hier doch auch US-Feministen, dass sich mit solchen Ketzern gegen die heilige Glaubenslehre jeder Dialog verbiete? Und bestimmt sitzt die Redaktion der MS. (das amerikanische Vorbild der EMMA) auch schon an einem üblen Dossier über die dort vertretenen Autoren?
Tatsächlich hatte die „amerikanische EMMA“ zu dieser Website folgendes zu sagen:
Glücklicherweise ist diese Woche The Good Men Project Magazine online gegangen – gerade rechtzeitig zum Vatertag – und es bietet alternative Perspektiven auf wirklich moderne Väter und andere Männer. (…) Ohne direkt auf den Feminismus Bezug zu nehmen, beziehen die Herausgeber Stellung gegen eine patriarchale, autoritäre, heterosexistische, rassistische Männlichkeit und konzentrieren sich auf die Geschichten von Männern, die Intimität in ihren engen Beziehungen suchen und Authentizität in ihren sozialen Rollen. (…) Das Good Men Project Magazine wird euch die Vorstellung eines Männermagazins neu bewerten lassen. Empfehlt es den coolen Vätern auf euren Listen oder jedem, der Geschichten über Menschen lesen möchte, die auf den Trichter kommen, wie aufgeklärte Männlichkeit im 21. Jahrhundert aussehen könnte.
Zugegeben, einige dieser Formulierungen klingen genauso gaga und tendenziell männerfeindlich, wie man es von einer „amerikanischen EMMA“ erwartet – aber wie zur Hölle kommt es, dass ein feministisches Magazin überhaupt eine männerfreundliche und in weiten Teilen feminismuskritische Website lobt, statt sofort die Unmöglichkeit eines Dialogs wegen skandalös abweichender Meinung des Gesprächspartners auszurufen? Nicht dass es das höchste Ziel einer Bewegung sein sollte, von ihrem politischen Gegner gelobt zu werden. Aber die positive Wahrnehmung, die die gegenüber Männern höchst ungnädig ausgerichtete Ms. da äußerte, dürfte es noch viel stärker beim nicht ideolgisierten Normalbürger geben. Das Good Men Project behandelt unsere Themen, ohne auch nur halbwegs so fanatisch und verbohrt zu wirken wie ein Teil der deutschsprachigen Männerszene im Internet.
Tatsächlich wirkt diese US-Website so bunt, so vielfältig, so spannend und so multiperspektivisch, wie sie in der deutschen Geschlechterdebatte bislang unvorstellbar ist. Gäbe es dasselbe im deutschsprachigen Internet würde man es so entgeistert anstarren wie eine neon leuchtende Kuh, die über der Fußgängerzone schwebt. Neben den feminismuskritischen und männerrechtlerischen Beiträgen findet man dort beispielsweise einen Artikel über die besten Schwule-Lesben-Transgender-Bücher aller Zeiten. Ich kenne Maskulisten, die sich vor Wut in ihren Teppich verbeißen würden, wenn sie solch einen Artikel auf einer Männerrechtler-Seite fänden. Es gibt Beiträge, die gleichzeitig gegen Frauen- UND Männerhass argumentieren. Der Artikel, der gegen den feministischen Patriarchatsquatsch Stellung bezieht, wurde von einer „bisexuellen, leicht genderqueeren, geschiedenen dreifachen Mutter“ verfasst. Und in einem weiteren Beitrag interviewt eine Feministin freundlich den männlichen Pornostar James Deen, der bei jungen Amerikanerinnen extrem beliebt ist – und seiner Interviewpartnerin erklärt, weshalb er den Feminismus hasst. (Ihm geht es wie etlichen Männerrechtlern: „In seiner ursprünglichen Form hat mich der Feminismus angesteckt, aber der Feminismus hat sich vom Kampf um gleiche Rechte – woran ich wirklich glaube – dazu entwickelt, mir zu sagen, wie furchtbar ich sei, weil ich einen Schwanz habe. Dieser Dreck macht mich wahnsinnig.“)
Ehrlich, kann man sich das hierzulande vorstellen? Dass beispielsweise Alice Schwarzer einem Pornostar, von dem zig Frauen begeistert sind, ein Podium bietet und er ihr zum Schluss erklärt, warum er ihre Ideologie widerlich findet? Das wäre irre. Und genauso würden hierzulande etliche Forenmaskulisten zu toben beginnen, wenn eine Seite zu Männerthemen Feministinnen bei sich veröffentlichen ließe. In unseren Foren wird ja selbst der AGENS-Vorsitzende Eckhard Kuhla als halb zum lila Pudel mutiert beschrieben, weil er doch tatsächlich in seinem Telepolis-Interview feststellte, dass die Frauenbewegung ursprünglich notwendig und sinnvoll gewesen ist. (Kleiner Schock zwischendurch: Professor Gerhard Amendt schreibt im AGENS-Buch „Schlagseite“ dasselbe, es ist auch meine eigene Auffassung und Godfather of Masculism Warren Farrell lässt sogar gelegentlich durchblicken, dass er von einem feministischen Podium aus ebenso gut argumentieren könne wie von einem maskulistischen. Ich kenne in der deutschen Männerbewegung – außer vielleicht Michail Savvakis – keinen einzigen bekannten Namen, der die Frauenbewegung von Anfang an als Irrläufer verwirft, lediglich eine Handvoll anonymer Internetnicks.)
In der deutschsprachigen Geschlechterdebatte versuchen die Radikalen mit aller Macht, eine extreme Lagerbildung herbeizuzwingen. Auf der einen Seite stehen Barbara Stiegler, Barbara Unmüßig, Ilse Lenz, Andreas Kemper, Thomas Gesterkamp, Hinrich Rosenbrock, Henning von Bargen & Co. und auf der anderen die erwähnten lustigen Internetnicks zwischen „Hurenbock“ und „Fotzenknecht“. Niveau, Fanatismus und Dogmatismus sind bei vielen dieser Kontrahenten beider Lager identisch, auch wenn die Genderkader mehr Fremdwörter und gedrechseltere Formulierungen verwenden als viele Forenschreiber. Als derzeitiges Ergebnis haben sich die beiden Lager inzwischen derart verkeilt und verbissen, dass es kein Wunder wäre, wenn sich in der Debatte bald überhaupt nichts mehr bewegt. Die einen fordern, dass der Feminismus erbarmungslos ausradiert gehört und nach den darauf folgenden Siegerprozessen sämtliche Frauenrechtlerinnen aufgehängt werden sollten. Daraufhin verkündet die Gegenseite – Riesenüberraschung – dass man mit Leuten, die so auftreten, kaum vernünftig diskutieren könne, nutzt das als günstige Gelegenheit, auch über alle seriösen Männerrechtler ein Gesprächstabu zu verhängen und verbunkert sich in einem Kölner Rathaus um dort über die „gemeingefährlichen“ Männerrechtler eine Pseudodiskussion zu führen.
Wer wissen will, wie das „Good Men Project“ von deutschsprachigen Maskulisten beurteilt würde, braucht wiederum nur ein Schweizer Blog zu besuchen, um dort zu erfahren, dass das „Good Men Project“ angeblich „anglophone Männerrechtler attackiert, die grassierenden Auswüchse des Feminismus verharmlost und auf eine auf Frauen ausgerichtete Nützlichkeit des männlichen Geschlechts pocht“. Das ist genauso übergeschnappt und undifferenziert wie die Verlautbarungen Hinrich Rosenbrocks, nur diesmal von der anderen Seite. Eine Vielfalt an Meinungen, vielleicht sogar differenziert und mit Abstufungen statt Entweder-Oder ist nicht mehr gefragt – es geht um die glorreiche Schlacht hin zum maskulistischen Endsieg, und dahinter warten auf die tapferen Internetrecken die goldenen Säle Walhallas. Wo die echte souveräne Männlichkeit in Trümmern liegt, phantasiert sich jeder anonyme Internetschreiber zum unbeugsamen Kriegshelden.
Sicher, an einem kommt man schlecht vorbei. Vieles, was Männerrechtlern aktuell von feministischer Seite begegnet, ist einfach nur bösartig. Ich habe dazu zahlreiche Artikel veröffentlicht, und es wird noch so mancher folgen. Aber ich habe auch manchmal Sorge, dass die Dauerflunsch und der beständige Ingrimm, mit dem viele Feministinnen herumlaufen, sich eins zu eins auf die Männerbewegung überträgt. Auch in unseren Reihen findet man inzwischen Radikalismus und Fundamentalismus, die Selbstgewissheit, schon sämtliche Antworten auf alle Geschlechterfragen zu kennen, weshalb man Vertretern der Gegenposition gar nicht erst aufmerksam zuzuhören brauche, ein fast religiöser Eifer bei der Verkündung, latente Gewaltbereitschaft, die Unfähigkeit, Kritik anzunehmen, und was immer sonst wir beim Feminismus immer schon gehasst haben.
Ob ich mir auf radikalefeministischen Websites Bilder anschaue, auf denen Frauen zu sehen sind, die Männern mit einem Vorschlaghammer den Schädel einschlagen, oder radikalmaskulistische Websites, die einen Mann zeigen, der das abgeschlagene Haupt der Medusa in die Höhe reckt, wobei die Medusa stellvertretend für alle Feministinnen steht – die Ikonographie der Gewaltgeilheit ist dieselbe. Für die überzeugte Feministin ist alles schlimm im Frauen verachtenden Patriarchat, für den überzeugten Maskulisten ist alles elend in der Männer verknechtenden Femokratie. Vertreter beider Gruppen führen sich auf, als würden wir in einer mörderischen Diktatur wie Birma oder Äquatorial-Neuguinea leben. Und noch eine bizarre Schleife weiter dreht sich das Ganze mit dem Aufmarsch der Anti-Anti-Feministen, in deren Augen praktisch die gesamte Männerbewegung eine gemeingefährliche Horde von Rechtsextremisten darstellt: Auch hier ist das Feindbild nur als absolute und totale Übersteigerung vorstellbar.
Wer die Männerbewegung über so manche Foren und Websites kennenlernt, muss fast unweigerlich den Eindruck haben, dass das dortige Alles-ist-ja-so-unerträglich-Lamento eine Parodie auf die extremen Ränder der Frauenbewegung sein soll. Wie eine Parodie auf mein Buch „Sind Frauen bessere Menschen?“ liest sich an manchen Stellen allerdings auch Ilse Lenz‘ und Hinrich Rosenbrocks Kampfschrift gegen die Männerbewegung: Wo ich noch das Entlegenste zusammengetragen hatte, mit dem man Feministinnen ans Zeug flicken kann („1976 geschah auf einer Lesbenkonferenz in Baltimore folgendes …“), sammeln Lenz und Rosenbrock ebenso manisch alles Erdenkliche, das geeignet erscheint, Männerrechtler in ein fieses Licht zu rücken. So erfahren wir bei ihnen an zwei verschiedenen Stellen, wer wen in welchem Forum einen „stalinistischen Rotzlöffel“ nannte. Sowohl bei Rosenbrocks als auch bei meiner Begeisterung für noch das kleinste Detail kann man zu Recht fragen: Wann genau kommt eigentlich der Bus mit den Leuten, die ein derartiges Hickhack auch nur annähernd interessiert? Merkt einer der Beteiligten überhaupt noch, wie absurd das Ganze inzwischen geworden ist? Lenz und Rosenbrock sicher nicht. Die vermerken mit staatsmännischem Ernst – man will das Ausmisten von Internetforen ja schließlich wie hohe Wissenschaft wirken lassen – dass ich „in der Zeitschrift ‚eigentümlich frei‘ bemerkenswerterweise als Gleichstellungsbeauftragter verzeichnet“ sei, ohne offenbar auch nur im Ansatz zu verstehen, wie hochironisch diese Bezeichnung von Chefredakteur André Lichtschlag gemeint war. Ich musste beim Lesen von Rosenbrocks Schrift immer wieder laut loslachen, weil sich mir bei mehreren Passagen der Eindruck aufdrängte, wie sie wohl wirken würden, wenn sie Loriot vorgelesen hätte. Der albernste Unfug wird in dieser „Expertise“ so bitterernst vorgetragen, als hinge das Wohl und Wehe des deutschen Establishments davon ab.
Ein anderes Beispiel aus diesem Zusammenhang: In dem Blog Neues aus dem Genderuniversum, das mit Ironie und Spott nicht gerade spart, war an einer Stelle über einem Foto Rosenbrocks ein Foto von Adolf Hitler platziert. Darunter finden sich die satirischen Worte: „Rosenbrock? Klängt verdächtig jödisch! Ich werde ihm persönlich die Kehle aufschlitzen!“ Für jeden Klarsichtigen ist offenkundig, dass das eine Persiflage auf Rosenbrocks Neigung ist, Menschen, die für gleiche Rechte für Männer eintreten, mit Nationalsozialisten und Massenmördern in einem Atemzug zu nennen. Was macht der von Kommunikationsformen wie Ironie vollkommen überforderte Rosenbrock? Er tingelt durch diverse Radiosendungen und verkündet stolz: „Morddrohungen habe ich auch schon bekommen.“ Die Aussage die damit verbunden ist: „Seht her wie wichtig ich bin. Und folgt daraus, dass ich von den Bösen derart bedrängt werde, nicht, was für ein edler, tapferer Ritter ich bin, ein Kämpfer für das Gute, für die geknechtete Frau, bedroht von den kriegerischen Barbaren, denen sich dieses schwache Wesen selbst nicht erwehren kann, weshalb sie einen edlen Paladin wie mich braucht, der sich dem Bösen mutig stellen wird?“ Hätte auch nur ein Radiomoderator einmal nachgefragt: Morddrohungen, von wem denn?“, hätte Rosenbrock antworten müssen „Von Adolf Hitler!“, und der ganze Schwachsinn wäre in sich zusammengesunken wie der pralle Luftballon, der er ist. Ja, wie viele kleine Kinder versteht Rosenbrock keine Ironie, aber das wiederum weiß er propagandastisch zu nutzen: „Sie sind hinter mir her! Dauert nicht lange, und ich muss in den Untergrund. Ich sagte ja schon, dass man mit denen nicht diskutieren kann. Wo geht es zum Hinterausgang hier?“
Nicht dass unsere Fraktion den Humor und die Leichtigkeit gepachtet hätte. „Es gibt keine Scherze mehr in den Foren, nur noch verbissenen Sarkasmus“ mailte mir letztes Jahr einer der vielen früheren Stammschreiber dieser Szene, die ihr inzwischen den Rücken gekehrt haben. Und er hat Recht. Selbst ich mag die Foren unserer Bewegung nicht mehr gerne aufsuchen, weil dieses unaufhörliche Aufeinandertürmen von entweder Aggression oder Depression kein gesunder Mensch lange aushält. Es ist ja schön, dass auch Männer gelernt haben, ihren Schmerz zum Ausdruck zu bringen, statt tapfer die Zähne zusammenzubeißen, aber muss das gleich ins Extrem umschlagen, eine endlose Orgie von Selbstmitleid? Bei vielen Kommentatoren hat man den Eindruck, dass ihnen allein der Gedanke, dass es für Männer im unterdrückerischen Feminat noch etwas zu lachen geben könnte, als ketzerisch erscheint. Sie erinnern an religiöse Fundamentalisten, die Dinge sagen wie: „Wie kannst du nur Spaß haben, wenn Jesus Christus für dich am Kreuz gestorben ist? Glaubst du, ER hat SPASS dabei gehabt?“ Wobei an die Stelle von Jesus Christus für manchen Männerrechtler Monika Ebeling getreten ist.
Was allerdings wiederum ein wenig beruhigt: Auch in anderen politischen Strömungen, von der Umwelt- bis zur Friedensbewegung, waren vor sich her getragene Hoffnungslosigkeit und Weltuntergangsstimmung keine bloße Randerscheinung. Das hielt diese Bewegungen nicht davon ab, mehrheitsfähig zu werden.
Problematisch bleibt es trotzdem, wenn es der radikale Teil der Männerbewegung inzwischen sogar zu genießen scheint, sich als geschlossene Gesellschaft zu präsentieren. Wer neu hinzukommt und sich nicht sofort als hundertprozentig Überzeugter outet, hat es schwer. Wer auch nur schüchtern anmerkt „Meint ihr nicht, dass ihr ein bisschen übertreibt?“ wird augenblicklich als „Pudel“, „linke Bazille“ oder „verkappter Feminist“ rundgemacht. Und jede, wirklich jede Frau, die an irgendeiner Stelle eine feministische Position vertritt, ist sowieso des Teufels. Da wird so manche Lady für die Bösartigkeiten einer Ilse Lenz, Heide Oestreich oder Ines Fritz in Sippenhaft genommen.
Mitunter wird die in unserer Gesellschaft herrschende argumentative Doppelmoral gegen Männer auch schlicht umgedreht. Dann heißt es also etwa: Wenn Männer auch deshalb schwerer erkranken, weil sie ungesund leben und seltener zum Arzt gingen, müsse man die Ursachen immer in den gesellschaftlichen Zwängen der Männerrolle sehen. Lassen sich aber tausende von Frauen ihre Vagina verstümmeln, weil ihnen in Pornos gezeigte vermeintliche Ideale als Normzustand vorgegaukelt werden, „ist das ja wohl deren freie Entscheidung“. Während es für Männerrechtler ganz selbstverständlich geworden ist, nur für das eigene Geschlecht einzutreten, solle eine Frau in der Geschlechterdebatte gefälligst immer beide Seiten berücksichtigen, sonst sei das ein Merkmal für ausgeprägten Sexismus. Worauf man sich dann ernsthaft wundert, dass viele Frauen auf dieses Spiel nicht so richtig einsteigen wollen.
Allerdings darf man sich auch in einer Hinsicht nichts vormachen: Feministinnen, die einen echten Dialog über die Fronten des Geschlechterkampfes hinweg suchen, sind wirklich schwer zu finden. Gibt es sie überhaupt? Einmal schrieb mir eine Frauenrechtlerin in einer Mail: „Viele Feministinnen suchen das Gespräch. Auch ich habe mit einem Männerbewegten ein langes Gespräch geführt und wir waren uns in vielen Punkten sehr einig. Schon das Wort Männerbewegter finde ich toll. Aufgeschlossene Männerbewegte und Feministinnen könnten viel zusammen erreichen.“
Der Schönheitsfehler bei der Sache: Bei dieser ach so konstruktiv gersprächsbereit erscheinenden Feministin handelte es sich um niemand anderen als Isolde Aigner – die wenig später, als sie sich mit anderen Feministinnen unter sich glaubte, nicht nur gegen mich, sondern gegen die Männerrechtsbewegung insgesamt dermaßen absurd vom Leder zog, dass ich diesen Auftritt nur noch in einer Satire angemessen schildern konnte. Derartige Polarisierungen führen derzeit zu einem Punktsieg für die Hardliner: Kaum ein Männerrechtler ist noch bereit, sich auf Gesprächsangebote einzulassen, weil er befürchtet, vor den Haudraufs hinterher als naiver Depp dazustehen. So bleiben beide Seiten durch eine selbsterfüllende Prophezeiung unfähig, zu einem Dialog miteinander zu gelangen. Stattdessen böllern auf der einen Seite die Maskulisten mit ihren Haubitzen und auf der anderen sitzen die Feministinnen in ihrem Bunker.
Das zumindest ist mein momentaner Eindruck. Aber selbstverständlich kann auch ich mich irren. Wenn Sie von sich sagen „Hey, ich bin eine Feministin und durchaus an einem vernünftigen Gespräch interessiert“ – schreiben Sie mir eine Mail. Ich bin gespannt, ob sich etwas entwickelt. Darauf wetten würde ich allerdings nicht.