Burkhard Oelemann: „Die Lynchaufrufe sind ein logisches Produkt jahrzehntelanger Dämonisierung“

Das folgende Interview mit dem Anti-Gewalt-Berater und -Pädagogen Burkhard Oelemann hatte ich bereits geführt, bevor das Thema häusliche Gewalt durch seine skandalöse Behandlung durch die Zeitschrift Chrismon noch einmal besonders aktuell wurde. Deshalb habe ich Burkhard Oelemann nicht eigens dazu befragt (er fand meine Analyse der Chrismon-Artikel allerdings „sehr, sehr gut“, was nahelegt, dass er sich ihr inhaltlich anschließt). Stattdessen dreht sich das folgende Interview allgemeiner um die Dämonisierung von Männern, die Verleugnung der Gewalt von Täterinnen und andere damit zusammenhängende Themen.

Zu den zahlreichen von Burkhard Oelemann in den letzten Jahren angestoßenen Projekten gehören beispielsweise die Webjungs, das von MANNdat und AGENS unterstützte Netzwerk Jungenpädagogik, eine niedrigschwellige Gewalthotline für Täterinnen und Täter sowie zwei Infoseiten über Täterarbeit im Bereich häuslicher Gewalt und über Täterinnen.

Arne Hoffmann: Herr Oelemann, wie ist Ihr Engagement für die Anliegen der Männerrechtsbewegung entstanden?

Burkhard Oelemann: Mit der Männer- und Jungenarbeit unter dem Fokus der körperlichen Gewalt beschäftige ich mich seit Ende der 1980er Jahre. Ich habe zu dieser Zeit in Hamburg in einem Projekt mit auffälligen und tendenziell gewaltbereiten männlichen Jugendlichen die pädagogisch- therapeutische Arbeit mit Jungen und Männern unter dem Fokus auf das Thema körperliche Gewalt begonnen und bin in dieser Zeit zuerst im Trägerverein und danach in den 1990er Jahren auch in der Beratungsstelle „Männer gegen Männer-Gewalt“ in Hamburg tätig gewesen. Zeitgleich hatte ich damals als freier Rundfunk- und Fernsehjournalist gearbeitet und für das Magazin Panorama einen längeren Beitrag sowie gemeinsam mit Jürgen Drossart vom NDR anschließend ein Feature über das Thema Jungen als Opfer sexualisierter Gewalt erstellt. Zu Beginn der 90er Jahre habe ich zusammen mit einer Therapeutin mit Jungen gearbeitet, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. Das Thema „Jungen als Opfer“ war zum damaligen Zeitpunkt noch unbekannter als heute. Männer und Jungen galten doch damals sogar noch mehr als heute beinahe ausschließlich als „böse Täter“.

In der Beratungsstelle haben wir niederschwellig mit Männern und Jungen gearbeitet, die körperlich gewalttätig wurden. Und hier ist der Zugang zur Beratung wie die Beratung selbst sehr wesentlich. Niemand kommt oder bleibt freiwillig in einem Beratungskontext, der sich davon keinerlei persönlich spürbarem Erfolg verspricht oder der ihn an eigenem Leib erlebt. Im gegenteiligen Fall hätten die Jungs und Männer es ja auch gleich mit Nichtstun oder Kaugummikauen gegen Gewalt versuchen können …

Der Zugang in die Beratung und die Haltung der Berater sind also für mich von geradezu existenzieller Bedeutung. Und dieser Zugang war durch das Belassen der Verantwortung des eigenen Handelns bei den Ratsuchenden geprägt. Das bedeutet im Klartext, dass wir weder Bescheinigungen für Gerichte ausstellten, noch irgendeine Kontrollfunktion auf die Klienten ausübten. Nur so ist ja nach meiner Ansicht gewährleistet, dass sich Klienten ernst genommen fühlen und dass sie merken können, dass z.B. ein Berater parteilich mit dem Klienten arbeitet. Parteilichkeit mit der Person ist für mich die zentrale Voraussetzung für jede gelingende Beratung – und Parteilichkeit heißt für mich nicht, dass ich mit allem einverstanden bin oder es gar gutheiße, was ein Klient tut.

Mit zunehmender Bekanntheit wurden wir zunächst von der damaligen Frauen-Politik geradezu hofiert, und wir bekamen sehr viel mediale Aufmerksamkeit. Doch dies änderte sich schnell, als wir in der Öffentlichkeit deutlich darauf bestanden, dass die Gewalt von Männern und Jungen in keiner Weise deren Dämonisierung rechtfertigen würde. Wir wiesen zum Beispiel immer wieder darauf hin, dass der größte Teil aller Gewaltopfer männlich ist. Zudem machten wir deutlich, dass der gesamte soziale Bereich außer uns niemals niedrigschwellige Angebote für Männer oder Jungen gemacht hatte – aber dennoch selbstsicher konstatierte, dass gerade gewalttätige Männer oder Jungen von sich aus niemals Beratung aufsuchen würden. Obwohl wir allein in Hamburg als Mini-Beratungsstelle mit nur sehr wenig Öffentlichkeitsarbeit ca 500 Klientenanfragen pro Jahr bekamen und gegen diese Hypothese alltäglich den Gegenbeweis antraten, wurden unsere Erfahrungen nicht zur Kenntnis genommen oder gar gewürdigt.

Die staatlichen Stellen – hier beonders die Familien- und Rechtspolitik – hatten nämlich sofort gegenteilige Entwürfe und Ansichten: Sie alle bevorzugten das heftig umstrittene DAIP-Modell aus den USA, das Männer unter Verdacht bereits in extremer Weise dämönisiert.

Während dieser Jahre waren wir zwar bekannt, unserer Erfahrungen mit der Arbeit mit Männern gegen ihr Gewalthandeln wurden aber politisch nicht ernst genommen. Ich hatte mich stets als Praktiker gesehen, war nie angestellt, sondern immer als freischaffender Berater auf Honorarbasis und als Fortbildner in dem von uns entwickelten Arbeitsmodell unterwegs. Zum Forschen hatte ich kaum Zeit, und auch mir lagen nur die so genannten Hellfeldzahlen aus der Forschung vor. Von daher ging ich bis etwa zur Jahrtausendwende auch davon aus, dass der weitaus überwiegende Teil aller häuslicher Gewalt von Männern verübt wurde. Die Erfahrungen aus der Arbeit mit den Klienten sprachen auch mehrheitlich dafür, denn bis auf ganz wenige Ausnahmen hatten uns Männer aufgesucht, die initiativ ihre Partnerinnen oder Partner oder Kinder geschlagen hatten. Heute weiß ich: Es lag an unserer Werbung, mit der wir genau diese Zielgruppe angesprochen hatten.

Anfang dieses Jahrtausends fielen mir nun die einzelnen Forschungsergebnisse aus den USA und anderen, nicht europäischen Ländern in die Hände. Ich las die biografischen Äußerungen von verschiedenen Forschern und Forscherinnen, die um ihr Leben fürchten mussten, wenn sie die wahre Verteilung im Täterverhalten bei häuslicher Gewalt veröffentlichen wollten. Ich recherchierte weiter, machte in meinen Seminaren kurze Umfragen bei den Teilnehmern und bekam auch von einigen Frauen die Information, dass entweder sie selbst oder aber andere Frauen, die sie kannten, zu Hause gewalttätig wurden.

Als ich nun mit Kollegen und Kolleginnen begann, die Fortbildungen für die Arbeit mit gewalttätigen Frauen zu entwickeln und diese auch auszuschreiben, erhielt ich unterschiedliche Resonanz darauf. Heute werden die von mir ursprünglich nur für die Arbeit mit Männern und Jungen entwickelten Fortbildungen auch für die Arbeit mit Täterinnen angeboten. Die Gewaltkreisläufe, in denen männliche oder weibliche Täter ihr Handeln unbewusst immer weiter fortsetzen, unterscheiden sich erheblich, wie meine Zusammenarbeit mit Sabine Wieczokowski und Edna Hansen von Forum Intervention ergab.

„Die Täterinnen sind froh darüber, endlich ein Beratungsangebot zu bekommen“

Arne Hoffmann: Können Sie uns ein bisschen mehr über die Reaktionen berichten, die Sie erhalten haben, sobald Sie begannen, über männliche Opfer und weibliche Täter zu sprechen?

Burkhard Oelemann: Die Reaktionen waren unterschiedlich. Einige Frauen und einige Männer, die mit dem Thema Gewalt beruflich und seriös (es gibt auch beruflich unseriös) zu tun hatten, waren erleichtert darüber, zeigten sich aufgeschlossen und interessiert. Andere Frauen und Männer – leider die Mehrheit meiner beruflichen Kontakte – reagierten zwar mit Verständnis für Jungen als Opfer von Gewalt … solange sie sich den dazu gehörenden Täter als Mann vorstellen konnten.

Sprach ich jedoch von Frauen als Tätern wurde sofort relativiert, verleugnet und einige Frauen reagierten sehr wütend, ja beinahe cholerisch. Ich wurde beschimpft, und mir wurde vorgehalten, ich solle mich als Mann gefälligst um Männer und Jungen als Täter kümmern – obwohl ich mit zu den ersten gehörte, die genau dies in Deutschland getan hatten. Ich habe daraufhin meine Strategie bei Vorträgen und in machen Seminaren geändert. Danach ging es besser. Ich kündigte an, über häusliche Gewalt zu referieren, und stellte meist zu Anfang dem Publikum die Frage, wer als Kind zu Hause Gewalt erfahren hat. Die meisten – also stets mehr als die Hälfte aller Erwachsenen – meldete sich. Danach stellte ich die Frage, von wem sie geschlagen worden waren. Hier wurde deutlich, dass in der Regel die Mütter und Väter jeweils hälftig schlugen. Dann stellte ich noch die Frage, ob manche Mütter vielleicht den Vätern den Auftrag zu schlagen gaben, und heraus kam, dass dies sogar ziemlich häufig der Fall war. Anschließend konnte ich zumindest mit weniger Widerstand rechnen, wenn ich über die Täterschaft von Frauen gegen Kinder redete. Beim Thema Gewalt von Frauen gegen Männer ist der Widerstand allerdings noch immer sehr hoch. Die extremste Reaktion erlebte ich um die Jahrtausendwende herum auf einem Kongress in Düsseldorf, auf dem auch Professor Michael Bock über die Einseitigkeit des Gewaltschutzgesetzes sprach. Er wurde ausgepfiffen und niedergeschrien von allen „Expertinnen“ jedweder politischer oder sozialer Coleur, die auf dem Podium saßen oder als Gäste geladen waren.

Mir wurde klar, dass ein solches Verhalten von Erwachsenen sich nur erklären lässt, wenn man psychologische Diagnosen oder das Wissen über Gruppendynamiken zu Rate zieht.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Mehrheit der Frauen und Männer, die politisch oder professionell im sozialen Bereich mit diesem Thema konfrontiert werden, noch heute eher negierend bis dämonisierend reagiert, und nur die Minderheit – sicher nicht mehr als 20 bis 30 Prozent – dem Thema gegenüber offen ist. Besonders offen sind übrigens die Täterinnen selbst. Von ihnen hören meine Kolleginnen und Kollegen eigentlich durchweg, dass sie sehr froh darüber sind, endlich ein konkretes Beratungsangebot zu bekommen.

„Spätestens durch die aktive Verleugnung weiblichen Gewalthandelns ist der Mainstream-Feminismus gleichsam selbst zur Täterin geworden.“

Arne Hoffmann: Es gibt also eine starke Nachfrage von Täterinnen, die von der bisherigen Geschlechterpolitik vernachlässigt wurden, weil das dem Kampf gegen den „bösen Mann“ gestört hätte? Können Sie dazu ein paar Worte mehr sagen?

Burkhard Oelemann: In der Tat führt die Ausblendung der Täterschaft von Frauen dazu, dass Frauen, die schlagen, sich in herkömmlichen Beratungen nicht ernst genommen fühlen. Viele der Frauen, die uns aufsuchen, berichten übereinstimmend, dass sie vorher zum Teil mehrere Anläufe unternommen hatten, sich professionell wegen ihrer eigenen Gewalttätigkeit beraten zu lassen. Doch sie begegneten in der Regel Beraterinnen, die sie als Opfer sahen – nicht aber als Täterin. Eine Frau sprach neulich davon, dass man ihr in einer Familien- und Eheberatungsstelle aktiv einreden wollte, sie würde gleichsam in Notwehr ihren Partner schlagen. Als sie dann mehrfach widersprach, weil sie eben allein initiativ in Krisen oder Konfliktsituationen ihren Partner schlägt, erntete sie nur Kopfschütteln und Unverständnis bis hin zur Wut, ob sie denn nicht endlich verstehen würde oder könnte, dass natürlich der Partner auch für ihr Schlagen verantwortlich sei…

Das ist sicher ein extremer Fall, jedoch spiegelt auch dieses Beispiel wider, dass beinahe niemand im psychosozialen Bereich durch herkömmliche Studiengänge oder Ausbildungen für die Arbeit mit Menschen qualifiziert ist, die gewalttätig sind. Soziale Arbeit oder Therapien werden ja allgemein für Menschen angeboten, die im weitesten Sinne von schwierigen Umständen als „Opfer“ betroffen sind. Darauf sind dann alle Methoden, Sichtweisen und Handlungsabläufe abgestimmt und ausgerichtet. Es erschließt sich also beinahe von selbst, dass man nicht auf dieselbe Weise mit männlichen wie mit weiblichen Tätern arbeiten kann. Das ist allgemein auch der Grund dafür, dass es außer wenigen Ausnahmen keine niedrigschwelligen Angebote für Menschen gibt, die häuslich gewalttätig sind. Im häuslichen Bereich wird aber sehr viel Gewalt verübt. Deshalb ist es auch politisch skandalös, dass es keine staatlich geförderten niederschwelligen Angebote gibt, die ihr Klientel weder pathologisieren noch dämonisieren oder bestrafen.

Doch zurück zum Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Tätern. Beinahe alle Männer und Jungen, mit denen ich es im Laufe meines Berufslebens zu tun hatte, haben sich nach kurzer Zeit zu ihrer Täterschaft bekannt – eben weil ihnen klar wurde, dass man ein Verhalten nur verändern kann, wenn man erkennt, dass man selbst der Handelnde ist. Die Verantwortungsübernahme geschieht hier deshalb schnell. Jungen und Männern fällt es relativ leicht, sich als Täter zu begreifen. Bei den Täterinnen ist der Widerstand sicher genauso hoch wie bei Männern, zu dem zu stehen, was sie angerichtet haben. Doch viele Frauen sprechen davon, dass ihnen weder Bekannte, noch Freundinnen, noch psychosoziale Profis Glauben schenken, wenn sie erzählen, dass sie schlagen. Ihre Umwelt ist sofort dabei, das Verhalten kleinzureden oder in ein Opfer-Sein umzudeuten. Diesen Widerstand nennen wir „vorauseilende gesellschaftliche Absolution“. Er stellt einen wesentlichen Bestandteil im weiblichen Gewaltkreislauf dar – und einen klaren Unterschied zum männlichen Gewaltkreislauf, wo es diesen Widerstand schlicht nicht gibt.

Beinahe niemand glaubt einer Täterin ihr Tatverhalten. Frauen haben Opfer zu sein, Punkt. Wenn wir weiterhin über die weibliche Täterschaft bei häuslicher Gewalt schweigen und die politisch Verantwortlichen weiterhin keine niedrigschwelligen Angebote für Frauen präsentieren, die misshandeln, sondern weiterhin deren Gewalt leugnen, wird sie eskalieren. Mit Gesetzen und Strafandrohungen allein kommen wir hier ebenso wenig weiter wie bei männlichen Tätern.

Spätestens durch die aktive Verleugnung weiblichen Gewalthandelns ist der Mainstream- Feminismus gleichsam selbst zur Täterin geworden. Denn eines ist beinahe allen gewalttätigen Menschen gemeinsam: Sie erkennen selbst nicht, dass ihr Handeln jede Kommunikation beendet, Vertrauen zerstört und damit Beziehungen womöglich ruiniert. Sie sind mit ihrer Aufmerksamkeit beim Gegenüber, fühlen sich hilflos und provoziert. Wenn sie die Zusammenhänge erkennen, ist der erste Schritt in Richtung Eigenverantwortung getan. Doch wenn Menschen, die schlagen, danach nicht ernst genommen werden, fährt der Zug zwangsläufig in Richtung Eskalation.

Arne Hoffmann: Wenn männliche Gewalt gegen Frauen thematisiert wird, gibt es zahlreiche Männer, die diesen Misstand beklagen und bekämpfen. Versucht man aber, über weibliche Täterschaft zu sprechen, reagieren, wie Sie geschildert haben, viele „Expertinnen“, Journalistinnen und andere Frauen mit heftiger Wut. Woher kommt diese massive Abwehr?

Burkhard Oelemann: Diese Frage hat mich in den letzten Jahren viel beschäftigt, denn ich habe gerade hier im Laufe der Jahre viel Widersprüchliches und manches Abenteuerliche erfahren. Es gab und gibt einige Frauen im psychosozialen Bereich, die sich schlicht professionell verhalten und Gewaltopfer als solche sehen, völlig unabhängig von deren Geschlechtszugehörigkeit. Einige Psychologinnen und Pädagoginnen arbeiten ja seit vielen Jahren mit Jungen als Gewaltopfer, und sie gehörten zu denen, die in unserer Republik zuerst über Jungen als Opfer sexualisierter Gewalt veröffentlichten.

Andere Frauen und Männer – nach meiner Erfahrung sind dies leider die meisten – zeigen sich jedoch völlig erkenntnisresistent, argumentieren zynisch und hasserfüllt, sobald auch nur das Gespräch auf Jungen als Opfer kommt. Bei erwachsenen männlichen Opfern ist der Anteil der Frauen aus der psychosozialen Szene, die sich für dieses Thema überhaupt interessieren, nach meiner Einschätzung noch geringer als bei den Jungen. Ich vermute, das liegt daran, dass Jungen zumindest zum Teil noch Kinder sind.

Die Dynamik solchen Verhaltens lässt sich gut in einem Buch von Arist von Schlippe, Haim Omer und Nahi Alon nachlesen. Sein Titel – „Feindbilder – Psychologie der Dämonisierung“ – sagt schon beinahe alles. Offensichtlich brauchen bestimmte Gruppen von Menschen Feindbilder, wenn sie sich selbst als Opfer sehen – und zugleich auf dem Opferstatus beharren wollen. Menschen, die wirklich Opfer geworden sind, haben verständlicherweise Angst. Diese Angst kann aber auch sehr neurotisch werden und damit hochgradig pathologische Ausformungen annehmen. Genau das passiert seit vielen Jahren in der politischen und sozialen Szene beim Thema häusliche Gewalt. Frauen werden als Täter ja mehrheitlich ignoriert und verleugnet – und dies geschieht sehr einfach, indem im Gegenzug Männer als „Masse“ zuerst depersonalisiert und anschließend dämonisiert werden. Dies geschieht, indem man Männern nur Schlechtes unterstellt – und wenn sich einige von ihnen dagegen wehren wollen, werden sie eben als Lügner bezeichnet oder als Weicheier nicht ernst genommen und diffamiert.

Die Autoren beschreiben sehr anschaulich, wie durch die Dämonisierung eines anderen Menschen oder einer Gruppe eine heftige Dynamik entzündet wird, in der alles, was von den Dämonisierten kommt, in einem zunehmend negativ gefärbten Licht wahrgenommen wird, bis im Falle der häuslichen Gewalt Männer regelrecht zu „Monstern“ gemacht werden, die mit allen Mitteln zu bekämpfen sind, da man sich mit aller Macht gegen sie wehren muss. Dämonisierung beginnt zuerst mit dem Säen von Zweifeln und setzt sich mit Verdächtigungen fort, bis dass sie eben in der scheinbaren Gewissheit über die grundlegende Schlechtigkeit der anderen – eben der Männer – endet.

Daraus resultieren dann nicht selten sehr entschlossene feindselige und militante Aktionen, oder massivste Vorverurteilungen durch staatliche Behörden, wie es gerade einem 17jährigen Berufsschüler widerfährt, der nur eine gewöhnliche Kleidung trägt und zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort wohnt und öffentlich unter Nennung des Namens verdächtigt wird, ein Mädchen getötet zu haben. Die Aufregung über die vielen Aufrufe bei Facebook, diesen Jungen zu foltern und zu lynchen, ist zwar verständlich, doch sind solche Absonderlichkeiten eben auch ein logisches Produkt von jahrzehntelangem Männer- und Jungen-Bashing durch Politiker und die so genannte „Fachöffentlichkeit“.

Ich bin aufgrund einer Schwerbehinderung jetzt zwar schon über sieben Jahre aus dem aktiven Tagesgeschäft ausgeschieden, doch ich weiß, dass meine Kollegen heute zum Teil noch in gleicher Weise wie ich früher dämonisiert werden, denn auch wir, die wir mit Tätern arbeiten und uns gegen eine Dämonisierung dieser Menschen stellen, müssen zwangsläufig gleich mit verdächtig und dämonisiert werden..

„Ich interpretiere solches Verhalten als Ausdruck einer beinahe reaktionären Männlichkeit“

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Arne Hoffmann: Eine massive Dämonisierung exakt nach dem Muster, das Sie eben skizziert haben, findet derzeit auch gegenüber der Männerrechtsbewegung statt, die gezielt beispielsweise mit Neonazis und Massenmördern in Verbindung gebracht wird. Dabei kann man leicht zu dem Eindruck gelangen, dass manche der Männer, die sich an dieser Dämonisierung beteiligen (Andreas Kemper, Thomas Gesterkamp, Hinrich Rosenbrock, Jörg Rupp und Henning von Bargen sind wohl die bekanntesten Namen), das auch tun, weil sie damit ihrer eigenen Dämonisierung als Mann zu entgehen hoffen. Wie sollten Männerrechtler auf die Dämonisierung ihrer Bewegung sinnvoll reagieren?

Burkhard Oelemann: Ihre Analyse über die Gründe, weshalb diese Männer – übrigens fast ausnahmslos Akademiker – Männerrechtler in der beschriebenen Art und Weise dämonisieren, um sich selbst als „besseren Mann“ oder als „Beschützer der gepeinigten Frauen“ zu installieren, teile ich.

Ich interpretiere solches Verhalten übrigens als Ausdruck einer sehr traditionellen und beinahe reaktionären Männlichkeit, die darin besteht, hauptsächlich auf Unterschiede zwischen Männern fixiert zu sein, anstelle mit anderen Männern nach Gemeinsamkeiten zu suchen und diese zu finden. Männliche Sozialisation ist ja allzu häufig eine reine Abgrenzungssozialisation: Das heißt, Jungen lernen ohne leibhaftiges Vorbild oder Leitbild durch eine Halt und Orientierung gebende lebendige männliche Person eben nur, „anders“ als andere zu sein. Anders als Frauen und anders als böse Männer. Jungen erlangen manchmal ihre wackelige Identität nur über Abgrenzung, und manche entwickelten vielleicht ein lebenslanges Dauerprogramm. Das ist die eine Seite dieses kuriosen, absurden und gefährlichen Verhaltens.

Ein weiterer Aspekt in der aktuellen Diskussion ist die bereits eskalierte Schärfe, in der die benannten Herren ihre Dämonisierungen betreiben. Mit welch abenteuerlichen Mitteln oder Beispielen und „Argumenten“ hier Rufschädigungen durch Erfundenes oder Erdachtes produziert werden, zeigt ja schon, dass die Eskalation bereits auf einem sehr hohen Level angekommen ist.

Ich halte es für wichtig, zuerst den direkten persönlichen Kontakt durch Briefe oder Anrufe an diese Spekulanten zu suchen. Sollte dies verweigert werden oder schlicht ohne Antwort bleiben, würde ich, wie Sie oder andere es ja bereits tun, mit eigenen Veröffentlichungen gegensteuern. Auf dem aktuell hohen Level der Dämonisierung würde ich aber über rechtliche Schritte nachdenken, schon um der Rufschädigung vorzubeugen oder Einhalt zu gebieten.

In dem Zusammenhang fällt mir übrigens auf, wie sehr diese Männer in ihrem Verhalten und den Strukturen ihrer Eskalationen denen gewalttätiger Männern ähneln, die sie ja für die bösen Monster halten …

Der Nachteil am rechtlichen Vorgehen ist nur, dass es in der Regel aufwändig und bisweilen für den Einzelnen auch teuer werden kann. In der jüngeren Vergangenheit wird jedoch deutlich, dass immer ein bestimmter Personenkreis durch diese Herren angegriffen wird (Sie, AGENS, MANNdat, um hier nur einige zu nennen). So empfehlen sich vielleicht ja bald Sammelklagen, die sicher effektiver und auch für den einzelnen billiger wird. Ich bin jedoch kein Jurist und habe hier zu wenig Ahnung.

In jedem Fall empfehle ich aber eine deutliche und persönlich transparente Reaktion, denn ohne Grenzziehung gehen die Eskalationen immer weiter. Das ist wohl oder übel systemimmanent.

Im Zeitalter des Web 2.0 gebe ich den genannten Herren jedoch kaum Chancen, noch längerfristig immer infameren Unsinn zu verbreiten, ohne sich dauerhaft selbst zu demontieren und zu blamieren.

Wer andere dämonisiert, wird dauerhaft genau jenes Verhalten zeigen, das er seinen Gegnern oder Feinden unterstellt. Im Bekämpfen der eigenen, imaginierten inneren Feindbilder muss man aufpassen, dass man diesen Projektionen im Verhalten nicht immer ähnlicher wird.

Arne Hoffmann: Parallel zur Dämonisierung findet derzeit eine Psychopathologisierung der Männerrechtsbewegung statt. Das zeigt sich in einigen Unterstellungen Rosenbrocks, aber auch wenn ein „Gender-Berater“ des Establishments wie Henning von Bargen argumentiert, wer entgegen der feministischen Vorgaben auch von männlichen Opfer und weiblichen Tätern spreche, sei von „tiefen Verletzungen (Gewalterfahrungen, Trennung, Scheidung)“ geprägt. Sein Urteil über die Kritiker des herrschenden Systems lautet: „Der kleine Junge arbeitet sich an seiner Mutter ab“. Von Bargen erklärt des weiteren im Anschluss an Thomas Gesterkamp: „Die Dialog-Strategie führt nicht weiter unter Männern bzw. ist sie gar nicht möglich wegen Dialogunfähigkeit.“ Was sagen Sie als jemand, der selbst psychologische Vorbildung hat, zu diesem Standpunkt?

Burkhard Oelemann: Als Antwort auf Ihre Frage fällt mir eigentlich nur ein Witz ein, der den Prozess der sogenannten „projektiven Identifikation“ beschreibt. Dieser Witz ist, glaube ich, von Birger Dulz, einem renommierten Psychiater, der sich lange und intensiv mit Forschung und der Therapie von Borderline-Patienten befasst hat.

Ein Mann sitzt im Zug und schläft. Er hat einen arbeitsreichen Tag hinter sich, er trägt einen Anzug, die Krawatte ist gelöst und er lehnt seinen Kopf an die Wand des Abteils. Der Zug hält. Ein anderer Mann, ein Jeansträger, betritt das Abteil, setzt sich leise dem Schlafenden gegenüber. Der Zug fährt wieder an. Der Jeansträger sitzt mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, in ihm beginnt es zu rumoren, da er diese Art zu fahren nicht verträgt. Ihm wird schlecht und er übergibt sich auf den Anzug des vor ihm sitzenden Anzugträgers. Nachdem das vorverdaute Mittagessen perfekt gezielt auf dem Anzug gelandet ist, wacht der Anzugträger erschrocken auf und schaut den Jeansträger verdutzt an, als dieser ihn fragt: „Na, geht´s Ihnen jetzt endlich besser?“

Die Nummer, Männerrechtlern den Vorwurf zu machen, dialogunfähig zu sein, und ihnen zu unterstellen, das Mutterthema noch nicht genügend abgearbeitet zu haben, ohne je mit ihnen in Kontakt zu treten, ist nicht nur in höchstem Maß manipulativ, sondern wäre wie oben beschrieben beinahe komisch, wenn es im Output nicht so ekelhaft wäre.

Arne Hoffmann: Nun gibt es ja in der Internet-Männerszene einige Protagonisten, die zwar nicht so weit gehen wie es in der Blütephase des Feminismus mit Bomben und Terrorismus geschah, die jedoch auf verbaler Ebene hochaggressiv und polemisierend auftreten. Wie sollte die seriöse Mehrheit der Männerrechtsbewegung damit umgehen?

Burkhard Oelemann: Ich rate hier zu dem, was Sie Seriösität nennen. Bei diesem ideologischen und eskalierten Konflikt macht es nach meiner Überzeugung keinen Sinn, noch weiter zu eskalieren, auch wenn ich gut nachvollziehen kann, wie wütend einen die Ideologien, die Kämpfe und die Ignoranz des Mainstream-Feminismus machen können. Der Konflikt zwischen den „superprofeministischen Experten“ und den Männerrechtlern ist doch schon völlig eskaliert.

Ich halte Wahrheit und Wahrhaftigkeit für die stärksten Waffen in einem Konflikt. Und zur Wahrhaftigkeit braucht es einfach mehr Platz und die Möglichkeit für die Differenzierung und Herleitung der einzelnen Positionen. Das geschieht ja mehr und mehr, wie man bei AGENS und MANNdat, auf Cuncti und in anderen Veröffentlichungen sehen kann.

Weiteres Rumschreien, weitere agierte Wut oder agierter Hass sind so verständlich wie garantiert nicht hilfreich, um die Ziele der Männerrechtsbewegung zu erreichen.

Die Vernetzung einzelner Personen, die Herleitung und die Nachvollziehbarkeit von Positionen und Meinungen sind sinnvollere und passgenauere Entgegnungen auf den herrschenden Gender- und Quotierungs-Wahnsinn als die Aufrufe zur Gewalt und die Vermischung mit dem rechtsnationalen Quatsch Einzelner.

Argumentieren hilft, und nachvollziehbare Argumente halte ich für die wesentliche Voraussetzung, um die Überzeugung anderer Menschen wachsen zu lassen. Das ist zumindest meine Devise.

Arne Hoffmann: Herzlichen Dank für dieses Gespräch. Gute Nacht und viel Glück!

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