In der momentanen Propagandaschlacht gegen die Männerrechtsbewegung werden aus strategischem Interesse die verschiedensten Falschbehauptungen gestreut. Eine besonders beliebte: Die Männerrechtsbewegung sei sehr winzig und umfasse lediglich wenige hundert Mann, weshalb sie eigentlich völlig unwichtig sei und es sich gar nicht lohne, sie in ständig neuen „Expertisen“, Büchern und EMMA-Artikeln zum Thema zu machen. Wenn in etlichen Onlineforen Argumente und Fakten der Männerbewegung angeführt werden, seien dies immer dieselben Leute. Und wenn Gruppen wie der Väteraufbruch, die IGAF, MANNdat und AGENS inzwischen über eine hohe Zahl an Mitgliedern berichten, von autonomen Unterstützern ganz zu schweigen, sind dies offenbar ebenfalls immer dieselben Leute, die irgendwie eine Methode entwickelt haben, zigfach Klone von sich herstellen zu lassen.
Der Grundgedanke hinter dieser Propaganda ist klar. Es ist ein beliebter Manipulationstrick, Menschen glauben zu machen, man könne am besten einschätzen, ob eine bestimmte Auffassung richtig oder falsch ist, wenn man sich anschaut, wieviele Leute sie unterstützten. Man muss sich nicht extra das Deutschland der dreißiger Jahre ansehen, um zu erkennen, wie falsch diese Auffassung ist.
Harald Martenstein hat sich über dieses Thema in seinem Essay Der Sog der Masse Gedanken gemacht. Darin schildert er verschiedene Experimente der Sozialpsychologie, die zeigen, wie sehr sich Menschen vom Einfluss der Mehrheit selbst gegen ihr besseres Wissen überzeugen lassen. Eines, das ich selbst noch nicht kannte, liest sich besonders hübsch:
Vor Kurzem wurde es mit Vierjährigen ausprobiert. Die Kinder bekamen Bilderbücher und sollten sagen, was sie auf den Bildern sehen. Die Kinder dachten, dass sie alle das gleiche Buch in der Hand halten, sie konnten aber in die Bücher der anderen nicht hineinschauen. Eines der Kinder, nur eines, hatte ein anderes Buch bekommen. Auf einer Seite des Buches war ein Bild seiner Mama oder seines Papas zu sehen. Bei den anderen Kindern zeigte diese Seite ein Tier, vielleicht einen Goldhamster. In 18 von 24 Versuchen passten sich die Kinder, die es besser hätten wissen müssen, der Mehrheit an. Sie sahen ein Bild ihrer Mutter und sagten, wie alle anderen: „Ich sehe einen Goldhamster.“ Wenn ich so etwas höre, bekomme ich Angst.
Viele Männerrechtler können Martensteins Angst gut nachvollziehen. Sie wissen: Männer stellen beispielsweise geschätzte 90 Prozent der Obdachlosen, 93 Prozent aller Berufsunfälle mit Todesfolge, 90 Prozent der Haftinsassen und 75 Prozent der Selbstmörder. Großartig thematisiert wird all das in den Medien nicht. Stattdessen hämmern diese Medien ihren Lesern und Zuschauern ein, dass Frauen hierzulande ganz übel unterdrückt würden, weil im obersten Promille der Gesellschaft wesentlich mehr Managementsposten in männlicher statt in weiblicher Hand sind. Manchmal glaubt man, die Bevölkerung solle bewusst dazu angehalten werden „Ich sehe einen Goldhamster!“ zu rufen, wenn sie in Wirklichkeit ein Foto ihrer Mutter oder ihres Vaters vor sich haben.
Martenstein weist aber auch darauf hin, dass sich die Dinge mitunter ganz erstaunlich ändern können:
Die Außenseiter, die Verweigerer des Mainstreams, haben nämlich oft recht behalten. Galileo Galilei wurde eingesperrt, weil er die Ansicht vertrat, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Die ersten Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht waren in den Augen der Mehrheit Spinnerinnen. 1980 waren die Grünen eine Randgruppe. Das heißt, der Mainstream des Jahres 2100 wird heute vielleicht von drei oder vier Exoten am Rande der Gesellschaft vertreten.
Vor zehn Jahren waren wir Männerrechtler tatsächlich selbst nur „drei oder vier Exoten am Rande der Gesellschaft“. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, wegen uns paar Hanseln in monatelanger Kleinarbeit verleumderische „Expertisen“ und diffamierende Bücher zu verfassen, um den Rest der Bevölkerung vor uns zu warnen. Aber diese Propaganda wird im Sande verlaufen. Ich glaube, ich bin einer von denjenigen Leuten, die am meisten über die Männerbewegung wissen, und selbst ich hätte keine Ahnung, wie man sie derzeit noch aufhalten könnte. Sicherlich gibt es massive Barrieren: an erster Stelle das mächtige Gender-Establishment, das mehr oder weniger vorgibt, wie über Geschlechterverhältnisse gedacht und gesprochen werden darf und dessen Macht die Medien weitgehend beherrscht.
Aber die derzeitige Übermacht des Establishments beginnt jetzt schon an allen Ecken und Enden zu bröckeln. Dies geschieht zunächst mal im akademischen Bereich. Ich will hier keine Namen nennen, was Deutschland angeht, weil viele dieser Leute momentan noch sehr vorsichtig und diplomatisch agieren müssen, aber sagen wir mal so: Es ist kein Zufall, dass die Panik bei der feministischen Fraktion hierzulande stark zugenommen hat, seitdem AGENS wissenschaftliche Veranstaltungen etwa im WZB und dem Max-Planck-Institut durchgeführt hat. Aber auch wenn man ins Ausland schaut, ergreifen dort zunehmend renommierte Autoren die Fürsprache der Männer, die nicht aus unserer Bewegung selbst stammen. Der weltweit bekannte Sozialpsychologe Roy Baumeister ist ein gutes Beispiel für die USA.
Ein gutes Beispiel für Großbritannien ist Swayne O’Pie. Er brachte dort vergangenes Jahr das Buch Why Britain Hates Men. Exposing Feminism“ heraus. Was mag dieser Swayne O’Pie wohl für ein Mensch sein, fragt man sich, wenn man davon hört. Das ahnen wir doch schon, winken die „Experten“ der Heinrich-Böll-Stiftung müde ab. Bestimmt ein gestörter Penner, der nacht ins seiner Nazi-Uniform durch die Gegend irrt, kleine Mädchen vergewaltigt und ab und zu einer Frau die Zähne ausschlägt. Nun, so hundertprozentig stimmt das nicht. Swayne O’Pie ist ein ehemaliger Sozialist mit zwei Bachelor-Abschlüssen, der 1995/96 seinen Master-Titel in Genderwissenschaften und Sozialpolitik machte, wenig später für einen zweiten Master in Gender und Erziehung weiterstudierte und in den Jahren 2004 und 2005 zum studentischen Gleichstellungsbeamten gewählt wurde. Unwillkürlich muss man an Warren Farrell denken, der vor seiner Karriere als Männerrechtler im New Yorker Vorstand der Frauenrechtsorganisation NOW saß. Oder an Professor Gerhard Amendt, der sich hierzulande vor Jahrzehnten, als es noch uncool war, für Frauenhäuser engagierte, inzwischen noch klüger geworden ist und entgegen allen Versuchen, ihn dafür zu verteufeln, Gewaltschutzhäuser für beide Geschlechter fordert.
Aber der akademische Betrieb ist ja nur ein Bereich, wo es bröckelt. Noch faszinierender finde ich, in wie vielen Ländern sich die Männerrechtsbewegung derzeit zu Wort meldet. Einige Beispiele:
In Tschechien gründete sich im Jahr 2004 der Tschechische Männerverein („Cesky svaz muzu“) als Gegengewicht zu feministischen Gruppen und „um die Interessen heterosexueller Männer zu verteidigen“. Im Januar 2008 blockierten Scheidungsväter, denen der Kontakt zu ihren Kindern verweigert wurde, das Büro des Prager Ministers für Arbeit und Soziales, Petr Necas. Anfang 2012 protestierten tschechische Väterrechtler gegen „Apartheid-ähnliche Regelungen“ der tschechischen Bahn.
In Israel nehmen sich Väterrechtler die britischen „Fathers 4 Justice“ zum Vorbild und treten auf Veranstaltungen z. B. im Batman-Kostüm auf. Ein erster Erfolg: Seit Oktober 2007 untersucht ein Komittee der Knesset Diskriminierungen von Vätern.
In Australien fordern Männerrechtsgruppen eine obligatorische Vaterschaftsfeststellung bei der Geburt. Die Website „Men’s Health Australia“ prangerte unter anderem an, dass Männer zwar wesentlich häufiger Gewaltopfer werden als Frauen, es aber nur einen nationalen Tag gegen Gewalt an Frauen gebe und männliche Gewaltopfer vernachlässigt bleiben.
In Neuseeland belagerten aufgebrachte Väterrechtler im September 2008 das Haus eines Richters.
In Botswana engagiert sich die 2002 gegründete Gruppe Men Sector gegen Gesetze, die Männer beim Sorgerecht diskriminieren.
Die kenianische Männerrechtsgruppe Maendeleo ya Wanaume thematisiert 1,5 Millionen männliche Opfer von häuslicher Gewalt. Anfang 2012 rief sie deshalb zu einem Hungerstreik auf.
In Tunesien gibt es inzwischen immerhin eine erste Selbsthilfegruppe für geprügelte Männer.
In Indien protestieren Anhänger der 2005 gegründeten Save Indian Family Foundation gegen einen so radikalen Feminismus, dass Männer dadurch zu den neuen Benachteiligten geworden seien. Sexistische Gewaltschutz- und Mitgiftgesetze, unfaire Scheidungsverfahren, unterbundener Kontakt von Vätern zu ihren Kindern und die hohen Selbstmordraten von Männern gehören zu den Hauptanliegen der indischen Männerrechtler. Auch größere berufliche Sicherheit und ein eigenes Ministerium für Männer werden von einer indischen Männerbewegung gefordert, die sich auf inzwischen über 60 Websites präsentiert. Männerrechtler, die im Juni 2008 von einem Regierungstreffen in Neu-Delhi ausgegrenzt worden waren, mussten sich den Zutritt erst erkämpfen.
In Thailand problematisieren Blogger wie Stephen Cleary die Diskriminierung von Männern in Medien, vor dem Gesetz und in der Datingkultur.
Diese weltweite Entwicklung wirft so einige Fragen auf. Zum Beispiel: Ist es nicht ganz erstaunlich, dass die internationale Männerrechtsbewegung in genau demselben Jahrzehnt schlagartig erstarkt, in dem sich erheblich mehr Menschen weltweit über das Internet und seine sozialen Medien frei austauschen können, statt dass sich die etablierten Medien und politischen Institutionen als Filter dazwischenschieben? (Deutsche Medien wie Spiegel-Online schreiben, wie man an einem der obigen Links sieht, gerne über Männerrechtler in Kenia, aber auf keinen Fall über Männerrechtler in Deutschland.) Für wie groß halten Sie die Chancen, eine politische Bewegung zu stoppen, die sich beispielsweise in Deutschland, den USA, Großbritannien, Tschechien, Israel, Indien und Botswana zugleich zu Wort meldet? Könnte man sich wohl irgendeinen Grund denken, warum radikale Feminstinnen so immens daran interessiert sind, diese internationale Bewegung zu einer „Szene“ von ein paar hundert Leuten kleinzureden?
Natürlich sind viele von uns extrem ungeduldig. Wenn es nach uns ginge, könnte sich diese Entwicklung deutlich schneller vollziehen. Zeitweise habe auch ich das Gefühl, dass die Kontinentalverschiebung rasanter abläuft als der wachsende Einfluss von uns Männerrechtlern. Aber auch im deutschsprachigen Raum nimmt das Tempo exponentiell zu. 1989: Väteraufbruch für Kinder. 2003: MANNdat. 2006: Diverse Männerparteien in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 2010: Die Interessensgemeinschaft Antifeminismus (IGAF). Ebenfalls 2010: AGENS. 2012: Der linke Flügel der Männerrechtsbewegung formiert sich um die Plattform Inklusion, Cuncti und Genderama, zeitgleich mit ersten Schritten für einen übergreifenden Dachverband der verschiedensten Männer- und Väterrechtler (vermutlich nicht von Anfang an mit Botswana im Boot). Glaubt irgendejmand im Ernst, dass diese wachsende Beschleunigung und die damit verbundene wachsende Wucht plötzlich zum Stoppen kommt? Und glaubt irgendeiner wirklich, diese Massenbewegung wäre nur deshalb weniger stark, weil sich die Massen nicht wie noch 1968 auf den Straßen wiederfinden, sondern – so wie bei etlichen anderen Protestbewegungen auch – vor allem im Internet?
Man wird der internationalen Männerbewegung noch so einige Knüppel zwischen die Beine zu werfen versuchen. Sie ist jetzt schon so groß, dass sie es sich leisten kann, verschiedene Fraktionen und Flügelkämpfe zu haben. Gestoppt werden kann sie durch all das nicht mehr. Die Lawine ist unterwegs. Wie jeder echte Kavalier haben wir den Frauen den Vortritt gelassen – um fast volle vierzig Jahre. Aber jetzt treten wir Männer durch dieselbe Tür. Damit wir zum Schluss eine Geschlechterpolitik bekommen, die keine Sieger und keine Verlierer mehr kennt, sondern mit der beide Geschlechter zufrieden sein können.