Es geht in diesem Beitrag um die Erklärung der Entwicklung des deutschen Parteiensystems während der letzten Jahre. Ein diesbezüglich viel diskutiertes Phänomen ist der Aufstieg der AfD. Es soll hier auf politisch-systemischer Ebene nach den Ursachen gefragt werden.
Auf dieser Analyseebene kann von den unterschiedlichen Parteien, insbesondere von ihrer Programmatik, ihrem Personal und ihrer jeweiligen Wählerschaft abstrahiert werden. Ein politischer Erklärungsansatz kann auf dieser Ebene in Analogie zur ökonomietheoretischen Kartelltheorie begründet werden. (1)
Kartelle – im weiten Sinne – sind zeitweilige oder dauerhafte Zusammenschlüsse von ökonomischen Konkurrenten oder sonstigen Rivalen, und zwar in der Erwartung, daß die Beschränkung von ökonomischer Konkurrenz oder sonstiger Rivalität für die Kartellmitglieder Vorteile bietet. Ökonomietheoretisch gelten Kartelle als ernsthafte Störungen der Preiskonkurrenz, die deshalb vom Ordo-Liberalismus bekämpft worden sind (Kartellrecht). Auch in nicht-ökonomischen Kontexten können sich Kartellbildungen jedoch als schädlich erweisen, wie hier beispielhaft gezeigt werden soll.
Solche Kartellbildungen können in ihrer institutionellen Ausprägung formell und mehr oder minder strikt geregelt sein, oder sie können auch mehr oder minder strikt auf informelle Art und Weise zusammengehalten werden. Akzeptierte Ideologien können einem solchen informellen Kartell Kohärenz verleihen.
Die These ist nun die, daß sich in der Bundesrepublik Deutschland spätestens mit der Großen Koalition eine solche politische Kartellstruktur gebildet hat, die einerseits von einer Orientierung an den Verwertungsinteressen des Kapitals (Export-Basis Konzept und Austeritätspolitik) und die andererseits vom Feminismus-Genderismus und seiner Ideologie geleitet ist; diese parteiübergreifende politisch-strukturelle Verbindung auf personeller Ebene kann als neoliberales Feminat bezeichnet werden.
Das Auftauchen der AfD vollzog sich anfänglich im währungspolitischen Zusammenhang mit den problematischen Auswirkungen der Einführung einer europäischen Währung (EURO). Diese Neugründung übernahm damit die Rolle eines Außenseiters und einer – hier politischen – Konkurrenz, und sie irritiert die Parteien von der Linken bis zur CSU seither ganz erheblich.
Das ist nicht verwunderlich, denn es entspricht Ihrer Interessenlage, den seit Jahren gefundenen politischen Kartellkompromiß, der allen diesen Parteien und ebenso ihren Repräsentanten mehr oder weniger nützlich ist, beizubehalten, nicht nur auf europapolitischer Ebene.
Aus ökonomietheoretischer Sicht hatte sich dieses Parteienkartell, das gleichwohl innere Widersprüche enthält, so, wie das bei jedem Kartell der Fall ist, sich insgesamt in der höchst komfortablen Lage des politischen Monopolisten eingerichtet, völlig ungefährdet durch irgendwelche demokratische Wahlen. Seit sich mit der Großen Koalition diese politische Konstellation gebildet hatte, seit es also auch keine den Namen verdienende parlamentarische Opposition mehr gab, seitdem besteht ein nachvollziehbares Interesse daran, diesen herrschaftspolitisch bequemen Zustand, der nur von jenem der gänzlich legitimatsbefreiten EU-Nomenklatura noch übertroffen wird, aufrechtzuerhalten. Das ist leicht möglich, solange die inneren Widersprüche des Kartells dieses nicht zerreißen und solange, außerhalb des Kartells, kein neuer Akteur auftritt.
Taucht dann aber, ökononomietheoretisch gesprochen, ein Außenseiter auf, der das Kartell zu sprengen droht, dann beginnt das Kartell sich sehr rasch mit allen verfügbaren oder einsetzbaren Mitteln zur Wehr zu setzen. Diese Abwehr kann derzeit täglich beobachtet werden. Ein beliebtes Mittel besteht darin, den Außenseiter schlecht zu reden und zu dämonisieren, nämlich als angeblich moralisch verwerflichen Rechtspopulisten; als ob damit inhaltlich irgendetwas gesagt worden wäre. Es wird dabei die Frage verdrängt, warum denn dieser Außenseiter überhaupt hat entstehen können. Das ist verständlich, denn es gibt darauf, von außen betrachtet, eine unbequeme Antwort.
Sie kann in einer sehr einfachen Formel dargestellt werden:
Fehler 1 (LINKE) + Fehler 2 (GRÜNE) + Fehler 3 (SPD) + Fehler 4 (CDU) + Fehler 5 (FDP) + Fehler 6 (CSU) = AfD
Die AfD ist entstanden und bisher erfolgreich, weil sie diese Fehler etablierter Parteien, die, einer nach dem anderen, unschwer konkret benannt werden können, aufgegriffen hat, und völlig unabhängig davon, was von der Programmatik oder vom dem Personal der AfD zu halten sein mag, und selbst dann, wenn an den Vorwürfen gegenüber dem Rechtspopulismus etwas Richtiges wäre, liegt darin etwas Gutes, weil sich hier die Demokratie als Prinzip und Grundlage unserer Verfassung durch die Wähler wieder zu Wort meldet. Das unter der Großen Koalition bedeutungslos gewordene Wählerverhalten erhält plötzlich wieder Bedeutung und Gewicht. Der Souverän ist wieder da. Es ist demokratiepolitisch eine schädliche Anomalie, wenn durch die Herausbildung eines solchen politischen Kartells die parlamentarische Opposition faktisch ausgeschaltet wird. Das führt nicht sofort, aber doch tendenziell zum Versagen aller Kontrollmechanismen, zum Einebnen der Gewaltenteilung, und es führt zu einem faktisch fast kontrollfreien Regierungshandeln.
Ähnlich ist es ja auch ökonomietheoretisch: das ökonomische Kartell ist zum wirtschaftlichen Vorteil der Mitglieder, hebelt aber die Wirksamkeit des konkurrenziellen Preiswettbewerbs derart aus, daß es zu allgemeinen Wohlstandsverlusten kommt. Um dieses Marktversagen, das zur Weltwirtschaftskrise 1929 ff. tatsächlich erheblich beigetragen hatte, künftig zu vermeiden, wurde nach dem Kriege das Kartellgesetz erlassen. Die theoretische Begründung dafür stammte von der Gruppe der Ordoliberalen der 50er Jahre, also von Müller-Armack, Eucken, Rüstow, bis hin zu Erhardt, denen es damals um eine Rekonstruktion der kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Ökonomie einschließlich dauerhaft funktionsfähiger Preiswett-bewerbsprozesse ging. Dieses ökonomische Grundproblem aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sollte durch staatlich-kartellrechtliche Steuerung vorbeugend gelöst werden, und zugleich sollte, mittels des Sozialstaats, ein gewisses gesellschaftliches Gleichgewicht ermöglicht werden. Die Kombination dieser beiden Aspekte wurde und wird durch den Begriff der Sozialen Marktwirtschaft dargestellt.
Anmerkungen:(1) Holm Arno Leonhardt (2009): Zum Bedeutungswandel des Kartellbegriffs und zu seiner Anwendbarkeit auf nichtwirtschaftliche Kooperationsformen, vgl.
https://www.uni-hildesheim.de/media/fb1/geschichte/beitraege_diskussionspapiere/2009-10-05_Kartellbegriff.pdf
Prof. Dr. Güter Buchholz, Jahrgang 1946, hat in Bremen und Wuppertal Wirtschaftswissenschaften studiert, Promotion in Wuppertal 1983 zum Dr. rer. oec., Berufstätigkeit als Senior Consultant, Prof. für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Consulting an der FH Hannover, Fakultät IV: Wirtschaft und Informatik, Abteilung Betriebswirtschaft. Seit 2011 emeritiert.