Der Mütterkreuzzug

Mutter Sohn 07526

An einem Text der erfolgreichen Bloggerin Christine Finke lässt sich zeigen, auf welche Weise Barrikaden gegen die vorsichtigen Änderungen des veralteten deutschen Kindschaftsrechts aufgebaut werden.

 

Seitdem sich die rechtliche Situation von Vätern in Deutschland sehr, sehr langsam, aber erkennbar verbessert, formieren sich natürlich auch Widerstände dagegen. Das hat grundsätzlich nichts mit Frauen und Männern, Müttern und Vätern, Feministinnen oder Väterrechtlern zu tun: Dass Veränderungen Widerstände bei denen provozieren, die um ihre Privilegien fürchten, ist geschlechterunabhängig ganz normal. Schön ist es deswegen allerdings noch nicht.

Gerade hat Christine Finke, die das Blog „Mama arbeitet“ betreibt, einen wütenden Text gegen das „Wechselmodell“ als Standard veröffentlicht – im Blog Alles Evolution haben auch Männer diesen Text schon eingehend kommentiert. Im Wechselmodell leben Kinder von Trennungseltern gleichmäßig bei beiden Elternteilen und nicht mehr, wie nun noch weitgehend üblich, vorwiegend bei der Mutter.

Finke ist eine sehr erfolgreiche Bloggerin, schon die Süddeutsche Zeitung hat über sie berichtet, Manuela Schwesig hat als Familienministerin den Kontakt mit ihr gesucht und sich persönlich für ihr Engagement bedankt. Das ist wichtig zu wissen: Es ist kein Artikel einer verwirrten, aber deshalb auch isolierten Bloggerin, sondern einer Frau, die mit dem, was sie tut, Einfluss und Kontakte gewinnt.

Wie die FDP von Splittergruppen unterwandert wird, die von Väterrechtlern unterwandert werden

Wie es sich für einen Text gehört, in dem Veränderungen bekämpft werden, arbeitet auch Finke mit dramatischen Warnungen, unbegründeten Schreckensszenarien sowie, selbstverständlich, der Unterstellung von Verschwörungen und Unterwanderungen. Würden Veränderungen nicht auf die Machenschaften obskurer Gruppen zurück geführt werden, könnte ja jemand auf die Idee kommen, sie seien einfach an der Zeit, und es gäbe gute Gründe für sie.

Das Wechselmodell, so Finke,

„ist, was von Väterrechtlern unterwanderte Aktivisten gerade in einer Splittergruppe der FDP fordern, und sie haben es sogar so weit gebracht, dass die Position ‚Wechselmodell als Standard auch bei zerstrittenen Eltern‘ es bis ins offizielle Parteiprogramm geschafft hat, wenn auch nach einer Kampfabstimmung, die äußerst knapp ausging. Diese Leute diskutieren mit aggressiver Verve auf Facebook und twitter, und wenn ich die FDP wäre, wäre mir das sehr peinlich – aber bei dem niedrigen Frauenanteil, die die FDP hat, ist die Frage, ob das nun peinlich ist oder nicht, wahrscheinlich müßig und für die Liberalen irrelevant. Hauptsache, es bringt Wählerstimmen. Hat ja funktioniert.“

Eiskaltes wahltaktisches Kalkül auf der Seite einer Parteiführung, das dann Einflussmöglichkeiten für eine Splittergruppe schafft, die ihrerseits von Väterrechtlern unterwandert wird, oder so. Und typisch: raus kommt dabei dann eine Unterstützung für ein Wechselmodell, die aus irgendwelchen Gründen ganz gewiss für Frauen schädlich ist. Wäre ich Frau Finke, wäre mir diese Konstruktion sehr peinlich, zumal sich die Bloggerin nicht einmal fünf Minuten Zeit genommen hat, um die Hintergründe der FDP-Entscheidung nachzuvollziehen.

Jemand, der bei dem FDP-Parteitag dabei war, hat es mir so erzählt: Wichtig sei bei der Durchsetzung der Unterstützung für das Wechselmodell die klare Fürsprache Katja Sudings gewesen. Dass das eine Undercover-Väterrechtlerin ist, die sich seit Jahren geschickt um die Unterwanderung der FDP kümmert, ist zwar theoretisch irgendwie möglich – aber wahrscheinlich ist es wohl nur in den Augen von Menschen, die auch an Chemtrails glauben oder daran, dass es Bielefeld überhaupt nicht gibt. Alle anderen können getrost davon ausgehen, dass Frau Suding sich einfach durch die eindeutigen Forschungen zum Wechselmodell und durch Argumente hat überzeugen lassen.

Entscheidend aber, so mein Informant, sei auf dem Parteitag der Beitrag einer älteren Dame gewesen, die davon berichtet habe, dass sie ihre Enkelkinder nicht mehr sehen könne. Es seien nämlich die Kinder eines Sohnes, und der habe schon lange Schwierigkeiten, bei seinen Kindern zu sein, weil die Mutter das verhindere.

Doch für solche Subtilitäten ist im Denken Finkes natürlich kein Platz – ebenso wenig, wie sie es sich vorstellen kann, dass irgendjemand in der FDP tatsächlich für die Menschenrechte von Männern eintritt, weil es nun einmal Menschenrechte sind.

Wie Kinder psychisch kranken Vätern ausgeliefert werden. In etlichen Fällen.

Stattdessen erzählt sie lieber von

„etlichen Fällen, wo Frauen das Sorgerecht für ihr Kind verlieren, weil ihnen Bindungsintoleranz und Enfremdung des Kindes vom Vater vorgeworfen wird – Frauen, die ihr Kind vom psychisch kranken Vater schützen wollen, aber keine ausreichende Belege für dessen Zustand haben.“

Da werden also von einem skrupellosen System in „etlichen Fällen“ Kinder schutzlos psychisch kranken Vätern ausgeliefert – den Müttern, die das als Einzige zu verhindern versuchen, wird eben deshalb das Sorgerecht genommen – und das alles spricht dann irgendwie gegen ein Wechselmodell, wieso auch immer. Dass Finke keinen einzigen diese Fälle nennen kann, liegt sicher nur daran, dass das System die Spuren seiner Verbrechen so skrupellos sauber vertuscht.

Natürlich aber wäre solch eine Schilderung, wenn sie denn wahr wäre, deutlich eher ein Argument gegen das Residenzmodell, bei dem Kinder ganz oder weitgehend nur bei einem Elternteil aufwachsen: Denn Finkes Drohung, Kinder wären einem psychisch kranken Elternteil schutzlos ausgeliefert, bekommt ihre Schärfe ja gerade durch die vollständige Ausgrenzung des anderen Elternteils. Hier kenne ich übrigens tatsächlich persönlich einige Fälle, in denen ein Vater einer psychisch auffälligen Mutter Kinder ganz überlassen musste und selbst aus der Beziehung zu seinen Kindern herausbefördert wurde.

Wie das deutsche Recht Mütter zu sexuellen Dienstleistungen zwingt

Für Finke aber kann eine Bedrohung wie selbstverständlich allein vom Mann ausgehen.

„Welche Frau, die daran denkt, sich von einem Mann zu trennen, der Zuhause nur noch schlechte Stimmung verbreitet, sexuelle Dienste einfordert und sich kaum um Haushalt oder Kind kümmert, wird sich zukünftig noch trauen, eine Scheidung einzureichen?“

Worin eigentlich besteht hier die Drohung? Sie traut sich nicht, eine Scheidung einzureichen, weil sie dann hinterher möglicherweise zu gleichen Teilen wie der Vater für die Kinder da sein muss? Auch hier wird eher umgekehrt ein Argument daraus. Wie sehr stehen denn unter den Bedingungen eines auf die mütterliche Sorge fixierten Residenzmodells Väter unter Druck, auch furchtbare, gewaltsame Beziehungen aufrecht zu erhalten, weil sie davon ausgehen müssen, nach einer Trennung den Kontakt zu ihren Kindern ganz oder weitgehend zu verlieren? Denn Frauen üben schließlich nicht nur ebenfalls häusliche Gewalt aus – Gewalt gegen Kinder wird sogar, zumindest nach US-Statistiken, deutlich häufiger von Müttern als von Vätern verübt.

Wie das Gender Pay Gap Frauen in die Mutterschaft zwingt

Vermutlich ist die Drohung für die Mütter, die Finke hier so ganz selbstverständlich in den Raum stellt, einfach finanzieller Natur. In einem Wechselmodell wäre die Mutter eben auch für den finanziellen Unterhalt der Kinder zuständig und könnte an den Vater keine finanziellen Ansprüche stellen. Für Finke aber ist, warum auch immer, ausgerechnet das Gender Pay Gap ein Argument gegen das Wechselmodell.

„Meist ist es, auch wegen des Gender Pay Gaps, die Frau, die in den Jahren nach der Geburt beruflich kürzer tritt.“

Wenn die Rede vom „Gender Pay Gap“ überhaupt eine Sinn ergibt, dann ist es umgekehrt: Gerade weil Frauen die Erwerbsarbeit dem Mann überlassen und sich über Jahre aus dem Beruf herausziehen, erleben sie dann später finanzielle Einbußen. Die Perspektive auf ein Wechselmodell als Standard wäre für Frauen in dieser Hinsicht also hilfreich, nicht schädlich.

Eben am Modell der einseitigen Erwerbsarbeit hält Finke aber fest, wenn sie auf das „Kontinuitätsprinzip“ setzt, nach dem die Kinder einfach bei dem bleiben sollten, „der/die sich hauptsächlich um sie gekümmert hat.“ Die gendergerechte Formulierung täuscht: Im Rest des Textes geht es bei der Ablehnung des Wechselmodells konsequent um eine Ablehnung größerer väterlicher Anteile an der Erziehung.

Die finanzielle Sorge für die Familie sieht Finke dann auch gleich zwei Sätze später nicht etwa als Sorge der Väter für Frau und Kinder an, sondern als spaßige, egoistische Selbstverwirklichung.

„Der Mann kann sich quasi aufs Berufsleben und Geldscheffeln konzentrieren, während die Frau immer abhängiger von ihm wird.“

Wer sich versorgen lässt, begibt sich in Abhängigkeiten: Dieser simple Zusammenhang kann Finke ebenso entgehen wie die einfache Tatsache, dass der Mann, quasi und tatsächlich, nicht für sich allein und nicht gänzlich aus Jux und Dollerei arbeitet.

Wie Väter immer mehr Rechte und immer weniger Pflichten bekommen

„Das wirklich gemeine an der Entwicklung ist, dass Väter nicht gezwungen werden können, sich nach einer Trennung ums gemeinsame Kind zu kümmern.“

Gemein: Die Mutter kann GEZWUNGEN werden, es zu akzeptieren, wenn der Vater sich um das Kind kümmern will – der Vater aber kann nicht gezwungen werden, sich um das Kind zu kümmern. Das gilt zwar umgekehrt genauso, aber auch hier geht Finke ganz selbstverständlich davon aus, dass die Kindessorge grundsätzlich Angelegenheit der Mutter ist. Sie bemerkt deshalb nicht einmal, dass die von ihr beklagte Asymmetrie gar nicht asymmetrisch ist.

Ich habe ohnehin niemals verstanden, wie Menschen die kognitiven Dissonanzen moderieren, die unweigerlich entstehen müssen, wenn jemand Vätern die Möglichkeit zur Sorge für ihre Kinder nimmt und sich dann gleichzeitig darüber empört, dass diese Väter ihre Verantwortung für die Kindessorge nicht wahrnehmen.

Die Lösung für Finkes Problem wäre also: Gleiche Erziehungsverantwortungen und -rechte für alle Väter und Mütter nach der Geburt, damit Vätern gar nicht erst – wie heute bei der Antragslösung – vermittelt wird, es sei ganz ihrer Entscheidung, ob sie sich um das Kind kümmern oder nicht.

Für renitente Eltern beiderlei Geschlechts wiederum, die sich ihrer Verantwortung entziehen, sollte es verpflichtende Beratungen geben: zur Aufklärung über die Folgen für das Kind, aber vielleicht auch zur Klärung der Ursachen, z.B. möglicher Versagensängste.

Mehr Einbindung von Vätern, nicht mehr Ausgrenzung würde Finkes Gemeinheit entschärfen.

Wie die Verweigerung von Kommunikation dem Kindeswohl dient

Die berichtet schließlich über „Freundinnen in Skandinavien, die dieses Modell ganz selbstverständlich leben.“ Dass das Wechselmodell in Skandinavien eben deshalb selbstverständlich ist, weil es z.B. in Schweden schon lange als beste Lösung für Trennungsfamilien gilt – das erwähnt Frau Finke praktischerweise nicht. Stattdessen behauptet sie,

„für alle anderen, insbesondere für diejenigen,die sich so sehr zerstritten haben, dass sie vors Familiengericht ziehen, ist das Wechselmodell schädlich.“

Das ist eben die Logik, die eine ernsthafte Sorge um das Kindeswohl seit Jahrzehnten torpediert: Wenn die Eltern zerstritten sind, gibt es keine gemeinsame Sorge und keine Doppelresidenz – wenn es gemeinsam nicht geht, macht es die Mutter allein – und so hat die Mutter gegebenenfalls ein großes Interesse daran, Kommunikation und Kooperation zu verweigern.

Wie Mütterlobbys von Tabakkonzernen lernen

Warum, findet Finke, sollte das auch schlecht für Kinder sein, denn:

„Wenn argumentiert wird, Kinder, die im Wechselmodell lebten, seien psychisch weniger auffällig und hätten niedrigere Stresslevel, dann muss jedes Mal genau hingeschaut werden, wer da genau als Studienobjekt hinzugezogen wurde.“

Die Ergebnisse sind zwar eindeutig, aber so genau weiß man das nicht, und genauer hinzuschauen hat noch nie geschadet: Finke argumentiert hier wie die Tabakindustrie in den Zeiten, in denen die Gefährlichkeit des Rauchens gerade nachgewiesen worden war. Sie hat keine Gegenargumente, kann aber den Eindruck erwecken, dass die eindeutigen Ergebnisse internationaler Studien zum Thema vielleicht ja doch nicht ganz so eindeutig wären.

Hildegard Sünderhauf, im deutschsprachigen Raum die führende Expertin für die Forschung zur Doppelresidenz, fasst diese Ergebnisse so zusammen,

„dass sich erstens Kinder im Wechselmodell gleich gut oder besser psychisch entwickeln als Kinder im Residenzmodell (insbesondere in Hinblick auf ihre Beziehung zum Vater); dass zweitens Eltern nicht besonderes kooperativ sein müssen, um ein Wechselmodell kindeswohlgerecht zu praktizieren; dass drittens junge Erwachsene zurückblickend das Wechselmodell als die beste Betreuungsform für sich erachten – im Gegenteil zu jenen, die als Kind im Residenzmodell lebten –, und dass viertens die USA, wie andere industrialisierte Länder auch, einen Paradigmenwechsel im Recht der elterlichen Sorge, in der öffentlichen Meinung und in individuellen elterlichen Betreuungs-Entscheidungen erleben – einen Paradigmenwechsel zu mehr Betreuung im Wechselmodell.“ (hier, S. 17 der pdf)

Es ist tatsächlich ein Paradigmenwechsel, aber nicht allein zum Wechselmodell – sondern zur Änderung der klassischen, längst kaum noch funktionalen Aufspaltung der Elternschaft in finanzielle Sorge (beim Vater; nach der Trennung: Unterhalt) und direkte Sorge (Mutter).

Der Mütterkreuzzug

Wenn ich schlecht gelaunt bin, dann bezeichne ich Akteure, die sich diesem Paradigmenwechsel entegenstellen, für mich selbst und stillschwiegend als „Mutterkreuz-Faschistinnen“. Das ist natürlich überzogen, aber wenn der Begriff „Faschismus“ gestrichen wird, ist es nicht einmal so falsch. Mutterkreuzlerinnen wie Finke, oder die Störenfriedas, oder die Mütterlobby sind eben einem Modell verhaftet, das im Mutterkult seinen stärksten und furchtbarsten Ausdruck fand.

Denn das wird schon deutlich: Positionen wie die von Finke sind keine rechtsstaatlichen Positionen. Es geht hier nicht um das Miteinander verschiedenere autonomer Akteure, die auf der Basis selbstständiger Entscheidungen Gesetze beschließen und die an den Staat ihre Macht nur verleihen. Es geht um die Vorstellung, dass die Mütter aufopferungsvoll eine wesentliche Arbeit für den Staat leisten und dass der Staat daher die Verpflichtung habe, die Mütter dabei nach Kräften zu unterstützen. Auch dann, wenn es die Rechte anderer verletzt – die aber ohnehin nur selbst Schuld sein können, weil sie ja das so wichtige Mutter-Kind-Verhältnis stören.

So legt der Begriff „Mutterkreuzler“ denn die Assoziation nahe, dass Mütter ein wichtiges Kreuz zu tragen hätten und dies für alle täten. Aber auch den Gedanken, dass einige von ihnen auf einen Kreuzzug gegen Veränderungen gegenwärtiger Verhältnisse ziehen.

Schon vor mehr als einem halben Jahrhundert hat sich mit dem James-Dean-Film „Rebel Without a Cause“ (…denn sie wissen nicht, was sie tun) ein ungeheuer erfolgreicher Beitrag der Pop-Kultur mit der Bedeutung von Vaterfiguren beschäftigt. In einer Szene findet der junge Plato, der am Ende des Films stirbt, einen Brief seines getrennt lebenden Vaters vor – öffnet den Brief freudestrahlend und erwartungsvoll – und ist schließlich ungeheuer enttäuscht, als er darin nur einen Scheck zur Bezahlung des Unterhalts findet. Plato zerknüllt Brief und Scheck und schmeißt beides in eine Ecke.

Es ist unter anderen Akteurinnen wie Finke oder – noch viel wichtiger – Manuela Schwesig zu verdanken, dass solche Strukturen auch mehr als sechzig Jahre später noch bestehen, obwohl ihre tiefe Destruktivität schon in der Mitte des letzten Jahrhunderts bekannt war.

Der Artikel erschien zuerst auf man tau.

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