Die Kunst der richtigen Meinungsbildung

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In diesen unruhigen Zeiten stelle ich die Unruhe vor allem an und in mir selbst fest. Eine Meinung, die mir gestern noch richtig und wichtig vorkam, ist heute von Zweifeln besetzt. Nichts scheint mehr klar zu sein, alles verschwindet hinter einem Nebel von Informationen. Artikel, Berichte, Beiträge, Nachrichten, YouTube, Facebook, Twitter, X-fach strömt es auf mich ein und schwirrt kaleidoskopisch in meinem Kopf herum. Wie nur kann ich diese Informationen bündeln und mir mein eigenes Bild daraus machen?

Konrad Lorenz beschreibt es so:

„Der Vergleich zwischen einer inneren, in irgendeiner Weise im Organismus entstandenen Regelhaftigkeit mit einer zweiten, die in der Außenwelt obwaltet, ist wahrscheinlich die wichtigste Methode überhaupt, mittels derer ein lebender Organismus zu Erkenntnissen erlangt.”

Klar, die Erkenntnisfindung funktioniert nach einem immer gleichen Muster. Ich habe eine innere Idee oder Frage und suche nun Belege, die mir die inneren Fragen beantworten oder auch die innere Idee unterstützen und verargumentieren kann.

Wenn ich mir anhand dieser Struktur eine Meinung gebildet habe, steht dieses Bild erst einmal fest und lässt sich nicht so gerne wieder vertreiben, um einer neuen Einstellung Platz zu machen. Ich habe mir dieses Bild erarbeitet und mir liegt nun daran, diese Arbeit wertzuschätzen.

Da wir aber quasi in Lichtgeschwindigkeit von Infos überhäuft werden, sind eben erst gebildete Meinungen schnell ad absurdum geführt. Und genau hier fangen meine Kopfschmerzen an. Ich habe mir Mühe gemacht mit der Meinungsfindung und ich verspüre Ärger in mir, wenn ich diese Meinung wieder aufgeben soll. Ich möchte mit meiner Erkenntnisfindung an ein Ende kommen und nicht in alle Ewigkeit ein Forscher in dieser Sache bleiben.

Was ich aber vertrete, möchte ich mit stichhaltigen Argumenten tun können, aber die Belege, aus denen ich meine Argumente ziehe, sind teilweise nach einer Woche widerlegt. Wie kann man da mithalten? Vor allem dann, wenn die eigene Tätigkeit nicht daraus besteht medial immer up to date zu sein?

Erschwerend kommt hinzu, dass wir uns in Zeiten der Cancel Culture befinden und die falsche Meinung leicht dazu führen kann, dass man unter einem Shitstrom vergraben wird oder wenigstens bedenken bei der Äußerung einer Meinung haben muss, die von der vorherrschenden Meinung abweicht. Da muss man gut argumentieren können, um nicht als “Schwurbler” gebrandmarkt zu werden.

Am einfachsten ist es also die Meinung anzunehmen, die dem Zeitgeist folgt und von den entsprechenden Medien vertreten wird, denn meinungslos sind diese bereits seit längerem nicht mehr. Unter dem Deckmantel der Objektivität verfasst, werden in Beiträgen Faktenlage und Kommentar vermischt. Mal wird aufbauschend, mal bagatellisierend argumentiert und somit werden die eigentlichen Nachrichten zu einer Art Nanny-Journalismus, in welchem, so scheint es, der Leser auf sanfte Art zur “richtigen” Meinung erzogen werden soll [1]. Mit einer solchen Vormeinung wird der Rezipient sich selbst überlassen und tut in gewisser Weise wohl daran, diese Meinung zu übernehmen. Es mag sein, dass der ein oder andere gar nicht gemerkt hat, dass er hier eine Meinung vorgegeben bekommen hat und denkt sich auch nichts dabei, diese für sich zu adaptieren.

Jener Leser aber, der sich mit dieser vorgefertigten Meinung nicht zufriedengibt (ich zähle mich beispielsweise zu dieser Art Leser), bleibt mit einem schalen Gefühl zurück und bemerkt, dass er die erwünschte Objektivität nicht vorgefunden hat und er sich nun weiter auf die Suche begeben muss, um sich durch wirklich Objektivität eine Meinung zu bilden. In zweiter Hinsicht bedeutet das auch, dass sich die Meinungsbildung, die für mich zum Alltag dazu gehört, nur noch zeitlich verzögert stattfinden kann und ich erneut Zeit aufwenden muss, um zu meiner Meinung zu gelangen. Dazu kommt auch der Umstand, dass ich diese Meinungsbildung in meiner freien Zeit vornehme und nicht unbegrenzt Zeit dafür aufwenden kann und möchte. Ich bin also automatisch gehetzt, da ich die Informationen, die ich mir wünsche nur über Umwege finden kann und dazu vermehrt Zeit aufwenden muss. Es gibt Hilfsmedien wie die Online Plattform Buzzard, die ich sehr dafür schätze, dass sie aus unterschiedlichen Medien die Aussagen zu einem Thema filtert und in Kurzform aufbereiten, so dass ich mir den Überblick davon ansehen kann. Für alle Themen werde ich aber auch hier nicht fündig, auch bleibt es nicht aus andere Medien zu konsumieren, die einem über Social Media, Funk und Fernsehen präsentiert werden.

Ich denke, dass ich nicht die Einzige bin, die unter dieser Vielfalt an Informationen leidet und dass der Wunsch nach einer Struktur, etwas fest Vorgegebenen, an das man sich halten kann und nicht nur 3-7 Tage, sehr groß ist. Aber worin kann man finden wonach man sich sehnt?

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Es bleibt einem sich der vorherrschenden Meinung anzuschließen oder ein anderes Medium/andere Instanz zu finden, welche einem diese feste Struktur vorgeben kann. Ist es da so verwunderlich, dass sich vermehrt Menschen an Ideologien der Verschwörungen oder an Gruppierungen anhängen, die den Eindruck vermitteln, sie wüssten worum es in aller Unklarheit geht? (Wie Verschwörungstheorien funktionieren hat der BR bereits trefflich formuliert [2])

Denn hier erhält man die Erklärung für das Unwohlsein, welches einem bereits seit langem Inne ist und damit scheint auch die Lösung für das Problem, dass die massenhafte Informationsflut mit sich bringt, gegeben zu sein. Plötzlich macht alles einen Sinn, der Bürger soll verunsichert werden, er soll verwirrt werden, da alles einem höheren Ziel dient. Und dieses Ziel ist gerne der Untergang der bestehenden Gesellschaft. Und ganz ehrlich, welche andere Antwort würde einen befriedigen, wenn alles, was in einem besteht, von Angst und Zweifel gefärbt ist?

Gustav Le Bon, der Begründer der Massenpsychologie sagte es so:

„Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet . Von den Tatsachen, die ihnen missfallen, wenden sie sich ab und ziehen es vor den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen vermag. 

Wer sie zu täuschen vermag, wird leicht ihr Herr, wer sie aufzuklären versucht, stets ihr Opfer.“

Diese Einschätzung wird bei den meisten Lesern ein Bild von einem Menschen abgeben, auf den dieses Zitat haargenau zutrifft. Auf ein Schlafschaaf, wie es in einschlägigen Foren gerne betitelt wird. Für den einen ist in dieser Beschreibung das Abbild eines Anhängers für Verschwörungsideologien zu sehen, für den anderen wird hier jemand beschrieben, der sich unreflektiert dem Meinungstrend der Gesellschaft verschreibt. Wer hat nun recht?

Im Zweifel haben beide Recht, denn das Le Bonsche Axiom hinter dieser Aussage ist, dass man sich auf eine „Wahrheit“ einlässt, die nicht die eigene ist. Wie aber kann die eigene Wahrheit gefunden werden, wenn man nicht die eines anderen übernehmen kann/darf?

Wahrheit ist streng genommen ein Konstrukt, welches es nicht gibt, denn es gibt keinen Grundsatz, der nicht widerlegbar ist. Nach Karl Popper kann sich eine Theorie nur bewähren, wodurch sie aber nicht wahrscheinlich oder wahr gemacht werden kann. Somit sei festgehalten, dass es die eine Wahrheit niemals geben kann. Alles unterliegt dem Umstand, dass es unter ziemlicher Sicherheit den ein oder anderen Tag widerlegt werden wird. Man könnte es mit Nietzsche sagen: “Lieber nichts wissen, als vieles halb wissen! Lieber ein Narr sein auf eigene Faust, als ein Weiser nach fremdem Gutdünken” [3]

Um es aber weniger pessimistisch zu sagen, man kann und man sollte in meinen Augen niemals müde werden, sich seine eigene Meinung zu bilden, auch wenn das einem sehr viel abverlangen kann. Denn jede Meinung die sich bildet, ist nichts anderes als eine Arbeitshypothese, und diesen liegt es inne, dass sie nicht bestehen um zu bleiben, sondern immer nur solange eine Daseinsberechtigung haben, solange sie nicht widerlegt werden.

Um es anders zu sagen, das Schubladendenken, was wohl den meisten zu eigen ist, ist richtig und wichtig um seinen Verstand klar zu halten. Aber man sollte immer dazu bereit sein eine Schublade wieder zu öffnen, um deren Inhalt neu zu ordnen, bevor man dem Schild darauf wieder vertrauen kann. Außerdem kann es hilfreich sein, sich selbst gegenüber nicht so streng zu sein. Es ist kein Verbrechen sich zu irren, im Gegenteil. Wer bereit ist sich einen Fehler einzugestehen ist damit weiser als jene, die sich ihr eines Tages gebildetes Weltbild auf Ewigkeiten bewahren und damit mehr Unruhen in die Welt bringen, als jene die sich in Schweigen hüllen.

Gestern las ich in dem Buch von Konrad Lorenz, welches 1976 den Nobelpreis erhalten hatte, über Indoktrinierbarkeit, welche in seinen Augen eine der 8 Todsünden der Menschheit ist. Er schreibt

„Der Vergleich zwischen einer inneren, in irgendeiner Weise im Organismus entstandenen Regelhaftigkeit mit einer zweiten, die in der Außenwelt obwaltet, ist wahrscheinlich die wichtigste Methode überhaupt, mittels derer ein lebender Organismus zu Erkenntnissen erlangt.”

1 https://danieldaffke.wordpress.com/2016/01/11/nanny-journalismus-im-spiegel/

2 https://www.br.de/nachricht/wie-funktionieren-verschwoerungstheorien-100.html

3 Friedrich Nietzsche “Wie man wird was man ist” S. 236

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