Verkehrte Welt: Wie die Linken ihre Ideale über Bord werfen

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Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, ob man zu eigenen Idealen steht oder nicht. Die Linken tun es nicht. Sie verkehren sogar ihre Ideale in ihr Gegenteil. Vier aktuelle Beispiele demonstrieren diese Umwandlung.

Früher kämpften die Linken gegen repressive Maßnahmen des Staates und des kapitalistischen Systems. Sie standen an vorderster Front gegen solche Maßnahmen, oft waren sie die Einzigen, die gegen sie kämpften. Fast schon reflexartig reagierten sie gegen alles, was individuelle Freiheit und Selbstverwirklichung einschränken könnte.

Heutzutage verhindern Linke Demonstrationen gegen repressive Maßnahmen, z.B. Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. Die Demonstranten werden in die rechte Ecke gestellt und als „Rechtsextreme“, „Antisemiten“, „Verschwörungstheoretiker“ und „Nazis“ bezeichnet.

Eine Ausnahme bildet hier der Beitrag eines anonymen Kommentators zu dem Schweigemarsch 22.11.2010 in Berlin, der unter dem Titel „Corona-Demo: Wenn die Antifa die Putztruppe für autoritäre Dekretregierer macht und alles niederbrüllt, was nach Kritik riecht, sei es auch noch so notwendig und angemessen“ auf Freitag.de erschienen ist. Der Kommentator kritisiert hier den brachialen Auftritt linker Gruppen und erinnert die Linken an ihr altes Ideal des Kampfes gegen repressive Maßnahmen des Staates.

Früher waren die Linken die größten Kritiker und Gegner der öffentlich-rechtlichen Medien. Sie wurden von ihnen als ein Sprachrohr des kapitalistischen Systems, als Systemmedien bezeichnet.

Als ich in den 80er Jahren in Hamburg in einem Studentenwohnheim wohnte, wurde der einzige Fernseher des Wohnheims von linksgerichteten Heimbewohnern aus dem Aufenthaltsraum rausgeschmissen. Das demonstrierte deutlich die Haltung der damaligen bundesdeutschen Linken zu öffentlich-rechtlichen Medien: Sie wollten diese Medien einfach abschaffen.

Heute sieht man von dieser ablehnenden Haltung gar nichts mehr. Im Gegenteil: Die Öffentlich-Rechtlichen werden von den Linken vehement verteidigt. Das wurde in der Debatte zur Erhöhung des GEZ-Beitrags deutlich. Linke Politiker versuchten, mit allen Mitteln die Erhöhung des GEZ-Beitrags zu erzwingen. Gegner der Beitragserhöhung wurden als „Afd-nah“, „Afd-hörig“, „antidemokratisch“ und „rechtsextrem“ bezeichnet.

Der GEZ-Beitrag stellt für Menschen aus der Unterschicht – insbesondere in der Corona-Krise – eine finanzielle Belastung dar. Eigentlich müssten sich die Linken gegen die Erhöhung dieses Beitrags, ja für seine Senkung oder gar Abschaffung einsetzen, um sozial Schwache zu entlasten. Daran sieht man auch, dass die Linken ein anderes ihrer alten Ideale, nämlich das des Einsatzes für sozial Schwache, ins Gegenteil verkehrt haben.

Früher waren die Linken religionskritisch. Sie haben den modernen Atheismus nicht nur erfunden, sondern ihn auch praktisch umgesetzt. Dass unsere Gesellschaft so atheistisch geworden ist, ist ein Verdienst der Linken. Religionskritik gehört zum festen Bestandteil der linken Weltanschauung. Nach Karl Marx ist die Kritik der Religion die Voraussetzung aller Kritik. Religion wird von ihm als falsches Bewusstsein und ein Machtinstrument der herrschenden Klasse aufgefasst. Religion gehört abgeschafft.

Nicht nur Religionskritik, sondern aktiver Kampf gegen Religion gehört zum linken Selbstverständnis. Die Kommunisten in Osteuropa versuchten, die Religion gänzlich auszumerzen. Die westlichen Linken kämpften gegen das Christentum, indem sie die sexuelle Revolution in Gang setzten, sich für die Abtreibung und für die Ersetzung des Religionsunterrichts durch den Ethikunterricht engagierten.

Heutzutage merkt man von dieser antireligiösen Haltung nichts mehr. Die Linken zeigen hingegen Verständnis und oft Solidarität mit dem Islam, also mit einer Religion, die wesentlich mehr als das Christentum ihren Vorstellungen und Lebensformen widerspricht. Islamkritiker werden von ihnen als „islamophob“, „rassistisch“ und „rechtspopulistisch“ diffamiert und nicht selten schikaniert. Davon kann die Frankfurter Islamwissenschaftlerin und Mitbegründerin der „Initiative säkularer Islam“ Susanne Schröter ein Lied singen. Linke Gruppen versuchten, eine von ihr 2019 an der Frankfurter Universität organisierte Konferenz über das Kopftuch im Islam zu verhindern.

Früher waren die Linken die größten Gegner der Europäischen Union. Die EU wurde von ihnen als ein „erzkonservatives“, „reaktionäres“ Projekt betrachtet. In diesem Zusammenhang wurden immer wieder die zwei Väter der EU Konrad Adenauer und Charles de Gaulle genannt. Konrad Adenauer war der Feind der Linken. Er galt nicht nur als ein erzkonservativer und reaktionärer, sondern auch als ein „revanchistischer“ Politiker, d.h. als ein Politiker, der die von den Siegesmächten des Zweiten Weltkrieges festgelegten Grenzen Deutschlands ändern wollte.

In der EU sahen die Linken ein Instrument des deutschen Expansionismus, vor allem des Wirtschaftsexpansionismus. Erich Fromm, einer der Hauptvertreter der „Frankfurter Schule“ und eine Galionsfigur der Neuen Linken (der 68er) schreibt in seinem Buch „Jenseits der Illusionen“:

„Die Kräfte hinter dem deutschen Expansionismus sind noch immer die gleichen wie 1914 und 1939, und sie besitzen heute eine noch stärkere emotionale Dynamik, nämlich als Ruf nach der Rückgabe der ´geraubten` Gebiete. Die deutschen Führer haben dazugelernt; diesmal schlossen sie gleich zu Anfang ein Bündnis mit den Vereinigten Staaten, anstatt die stärkste Macht des Westens als potentiellen Feind zu haben. Diesmal haben sie sich mit ganz Westeuropa zusammengetan und haben alle Aussicht, als führende Macht des neuen Vereinten Europa daraus hervorzugehen, nachdem sie auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet bereits die stärkste Macht sind. Das von Deutschland angeführte Neue Europa wird ebenso expansionistisch sein wie das Alte Deutschland war, und in seinem Bestreben, die früheren deutschen Gebiete zurückzubekommen, wird es eine noch größere Gefahr für den Frieden sein. Hiermit möchte ich nicht behaupten, dass Deutschland den Krieg will, und ganz gewiss nicht, dass es einen Atomkrieg will. Ich möchte nur sagen, dass das neue Deutschland seine Ziele ohne Krieg zu erreichen hofft und zwar aufgrund der Drohung, die von einer überwältigenden Streitmacht ausgeht, nachdem diese erst einmal aufgestellt ist.“

Nebenbei bemerkt: Erich Fromm hatte vollkommen recht. Die EU-Osterweiterung diente dem Ziel, den Expansionsraum der deutschen Wirtschaft um Osteuropa und Südosteuropa zu erweitern. Ein Besuch in Polen zeigt, wie viele und wie stark deutsche Firmen dort den Markt erobert haben. Man braucht heute keinen Krieg, um Länder zu erobern.

Von der Anti-EU-Haltung der Linken ist heute nichts mehr zu merken. Nicht Ablehnung, sondern die uneingeschränkte Akzeptanz der EU bestimmt heute ihre Haltung. Die Existenz der EU wird von ihnen nicht in Frage gestellt, die Politik der EU als alternativlos betrachtet. Kritiker und Gegner der EU werden als „nationalistisch“, „faschistisch“ und „rechtspopulistisch“ bezeichnet. Staaten wie Ungarn und Polen, die sich dem Diktat der Deutsch-EU widersetzen, werden angegriffen und massiv unter Druck gesetzt. Offensichtlich ist den deutschen Linken dabei gar nicht bewusst, dass sie sich zu Handlangern des deutschen Expansionismus machen, gegen den sie doch früher gekämpft haben.

Literatur: Alexander Ulfig, Wege aus der Beliebigkeit, Baden-Baden 2016.

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Ich studierte Philosophie, Soziologie und Sprachwissenschaften.
Meine Doktorarbeit schrieb ich über den Begriff der Lebenswelt.

Ich stehe in der Tradition des Humanismus und der Philosophie der Aufklärung. Ich beschäftige mich vorwiegend mit den Themen "Menschenrechte", "Gerechtigkeit", "Gleichberechtigung" und "Demokratie".

In meinen Büchern lege ich besonderen Wert auf Klarheit und Verständlichkeit der Darstellung. Dabei folge ich dem folgenden Motto des Philosophen Karl Raimund Popper: „Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann“.