Jörg Kachelmann: „Sind Menschenrechte nicht unteilbar?“

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19. Oktober 2012, von Arne Hoffmann

Jörg & Miriam Kachelmanns „Recht und Gerechtigkeit“ und das mediale Echo

Ich hatte in meinen Blogs immer wieder über das Gerichtsverfahren gegen Jörg Kachelmann berichtet, aber besonders eilig damit, mir sein Buch darüber zu besorgen, hatte ich es offen gesagt nicht. Das lag an vielen Gründen: Durch die intensive mediale Berichterstattung hatte ich den Eindruck, über diesen Prozess jetzt schon eher überinformiert zu sein. Was konnte man da von einem Buch des Angeklagten mehr erwarten als noch mehr Kleinklein nach dem Motto „Das wurde behauptet, aber in Wirklichkeit war es so …“.

Ich hatte auch den Verdacht, dass jemand, der durch die Mühlen einer zweifelhaften Justiz gedreht wurde und längere Zeit im Gefängnis verbracht hatte, in so einem Buch eher seinen Ärger und sein Trauma verarbeiten würde als dem Leser zu nutzen – ein Verdacht, der durch krawallige, wenig seriös wirkende Kapitelüberschriften wie „Was kommt in der Glotze?“, „Geballter Schwachsinn“, „Gutachterkriegsgeheul“, „Lauter Lügen“ und „Wider die Journaille“ nur bestärkt wurde. Auch von Kachelmanns Frau Miriam als Co-Autorin erwartete ich nicht viel: eine 26jährige Psychologie-Studentin, eine von mehreren Beziehungen, die der Schwerenöter nebeneinander geführt hatte und die ihn trotzdem geheiratet hatte – so jemand konnte wohl kaum besonders helle, noch sonderlich selbstbewusst sein.

Nun habe ich mir meine Skepsis, was dieses Buch angeht, nie anmerken lassen, wenn ich darüber gebloggt habe. Schließlich kenne ich es von meinen eigenen Büchern gut genug, dass sie vor allem diejenigen für völlig missraten halten, die nie auch nur eine Zeile darin gelesen haben. Es gab schlicht viele Bücher, die auf meiner Prioritätenliste deutlich höher standen als das der Kachelmanns. Allerdings drückte es mir auf der Buchmesse einer meiner Lektoren bei Heyne in die Hand, nachdem ich mich nach dem Stand der juristischen Auseinandersetzung mit Kachelmanns Ex erkundigte hatte. So kam ich also doch dazu, das Buch schon kurz nach seiner Veröffentlichung zu lesen und konnte mehrere meiner Vorurteile revidieren. Das Buch mag einige schlechte Seiten haben, aber auch viele gute.

Beginnen wir mit dem, was mir weniger gut gefallen hat. Als Hinführung kann der Leserbrief eines evangelischen Pfarrers dienen, den Jörg Kachelmann dieser Tage auf seiner Facebookseite veröffentlichte. Ein Auszug daraus:

Durch gute Kontakte zur Polizei weiß ich, dass man z.B. im Bundesland Baden-Württemberg davon ausgeht, dass ca. die Hälfte der Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs, bzw. Vergewaltigung auf eine Falschaussage zurückgehen. Für ein Verleumdungsopfer, das ich betreute, ging die ganze Sache noch einmal gut aus. Das ist allerdings den glücklichen Umständen zu verdanken, dass ein ausgesprochen professionelles und faires Ermittlerteam der Polizei die Vorwürfe untersuchte, die zuständige Staatsanwältin ausgesprochen kompetent und der Strafverteidiger ein exzellenter Fachmann waren. Zu einer Gerichtsverhandlung kam es nicht, da die Staatsanwaltschaft den Mann klar und deutlich für unschuldig und die vermeintlichen Zeugen für unglaubwürdig erklärte. Der Strafverteidiger musste dafür noch nicht einmal seine Asse aus dem Ärmel ziehen: fünf eidesstattliche Erklärungen, die die Zeugenaussagen als Lügen aufdeckten. Allerdings nahm die Staatsanwaltschaft Abstand davon, die Lügner wegen Falschausagen strafrechtlich zu verfolgen. Das geschah aus der Angst heraus, wegen eines verworrenen Beziehungsgeflechts einen endlosen Prozess führen zu müssen. Justitia lässt grüßen! Mittlerweile bekommt der Freigesprochene auch die finanziellen Auswirkungen seiner Anklage zu spüren. Sein Arbeitgeber will ihn aufgrund dessen los werden. Dazu werden alle Register gezogen, die es arbeitsrechtlich gibt. Dahinter steht allerdings der unverhohlene Versuch, einen „beschädigten Mann“ möglichst kostengünstig loszuwerden.

Solche Fälle von lebenszerstörenden Falschbeschuldigungen gibt es viele, und entsprechende Literatur darüber existiert zuhauf. Dementsprechend lautet auch die zentrale These von Kachelmanns Buch:

Es ist eine furchtbare Schere: Die Mehrheit der Vergewaltigungen wird nicht angezeigt – die Mehrheit der Anzeigen sind Falschbeschuldigungen.

recht-und-gerechtigkeitFür Menschen, die sich mit diesem Thema noch nicht näher beschäftigt haben und statt der Fachliteratur nur die feministische Indoktrination dazu aus unseren Medien kennen, klingt der zweite Teil dieser These vermutlich steil. (Ich wiederhole hier zur Klarstellung gerne: Die vorliegenden Statistiken sind widersprüchlich, daher wissen wir nicht sicher, ob wirklich die Mehrheit der Anzeigen Falschbeschuldigungen darstellen. Es gibt aber starke Hinweise darauf, dass die Zahl der Falschbeschuldigungen beträchtlich höher ist als lediglich die Zahl der eindeutig nachgewiesenen Falschbeschuldigungen, die im einstelligen Prozentbereich liegt.) Vor diesem Hintergrund empfinde ich es als ausgesprochen unglücklich, wenn ein Buch, welches die Häufigkeit von Falschbeschuldigungen als Grundthese vertritt und wegen eines prominenten Autors mit großem öffentlichen Interesse rechnen darf, auf die Gesamtheit dieser Forschungslage kaum eingeht. Als Beleg dafür, dass Männer wie Jörg Kachelmann und Horst Arnold keine bedauerlichen Einzelfälle sind, werden leider lediglich ein Artikel aus den Niederösterreichischen Nachrichten und die Erkenntnisse eines einzelnen Experten vorgebracht. Das macht es jedem Pressefritzen, der vermutlich nicht einmal im Traum daran denkt, gründlich über dieses Thema zu recherchieren, bevor er drauflosschwadroniert, leicht, dieses gravierende gesellschaftliche Problem einfach abzubügeln. (Der hier verlinkte Jochen Schmid der „Basler Zeitung“ versteigt sich in seiner Polemik gar zu Behauptungen wie „Die beiden negieren, dass reale Vergewaltigungen tausendfach gar nicht erst angezeigt werden“, obwohl Jörg und Miriam Kachelmann das in ihrem Buch explizit deutlich machen. Dieser Haudrauf-Journalismus, garniert mit einer zynischen Überschrift des Artikels und persönlichen Anfeindungen an seinem Ende, wird dem Thema in keiner Weise gerecht. Jochen Schmid zeigt sich von dem behandelten Thema deutlich überfordert, und man kann nur darüber spekulieren, woran es liegt, dass er darauf derart unsachlich reagiert.)

Ironischerweise kann sich mangels der geschilderten Unterfütterung von Kachelmanns Ansichten durch die vorliegende wissenschaftliche Literatur auch eine der Stärken seines Buches als Bumerang erweisen: Es liest sich stellenweise wie ein Krimi von Alfred Hitchcock. Das liegt weniger an Kachelmanns Schreibstil, sondern in der Natur des geschlderten Geschehens – so wie häufig bei Hitchcock gerät ein Einzelner aus scheinbar heiterem Himmel in eine enorm bedrohliche Situation, in der alles und jeder, dem er begegnet, gegen ihn eingestellt zu sein scheint. Dies als Tatsachenbericht über die Zustände in Deutschland zu lesen, wo man sich normalerweise wie in einem Kokoon vor allem echten Unbill geschützt fühlt, ist ein ziemlicher Horror. Vor allem ist es aber ein Horror, wenn man sich als Mann klarmacht, dass einem genau das Geschilderte leicht selbst passieren kann, wenn es eine entsprechend veranlagte Frau auf einen abgesehen hat. Ein Missbrauch unserer Gesetze durch eine Falschbeschuldigerin ist für diese ja vergleichsweise gefahrlos: Sie wird auf keinen Fall dasselbe durchmachen müssen wie der beschuldigte Mann – selbst wenn sich zweifelsfrei herausstellt, dass sie ihn verleumdete, trifft sie vielleicht gerade mal eine Geldstrafe von 800 Euro. Würden Männer aber die Erkenntnis zulassen, dass sie ebenso leicht in derselben Hölle landen können wie ihr prominenter Geschlechtsgenosse, würde das bei ihnen große Angst auslösen – und das wiederum führt psychologisch offenbar zu massiver Abwehr.

Diese Abwehr erfolgt im Falle Kachelmans in einer Weise, die als Gerechte-Welt-Hypothese bekannt ist. Sie beruht auf der Annahme, dass wirklich schlimme Dinge nur Menschen passieren, die sie auf irgendeine Weise „verdient“ haben – und dazu gehören ganz bestimmt nicht wir. Im Falle Kachelmanns wird das besonders deutlich in der medialen Berichterstattung über ihn, aber auch in Verrissen seines Buches auf Amazon. Immer wieder vertreten Menschen geradezu aggressiv die Haltung, jemand, der beispielsweise Beziehungen zu mehreren Frauen gleichzeitig führe, habe nichts anderes als das Schicksal Kachelmanns verdient. (Inwieweit auch Neid in diese Haltung hineinspielt und die Genugtuung, dass Männer, die offenbar viel mehr Sex als der Schreiber selbst haben, dafür wenigstens büßen sollten, lassen wir einmal außen vor.) Unser verzweifeltes Bedürfnis nach Sicherheit scheint bei viele dazu zu führen, selbst nach Kachelmanns Freispruch immer noch „beweisen“ zu müssen, was für ein unsäglicher Schuft dieser Kerl doch sei. Selbst wenn ein ehemaliger Boulevard-Journalist wie Hans-Hermann Tiedje Kachelmann auf unsägliche Weise öffentlich anpöbelt kann er sich dank diesem Mechanismus des Applauses von Teilen des Publikums sicher sein. Boulevard und Justiz müssen ihr Möglichstes tun, um die Öffentlichkeit zu beruhigen und ihr weiszumachen, dass sie sicher sein können: Nur Menschen mit einem schlechten Charakter passiert so etwas wie Jörg Kachelmann.

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Hier sollte man darauf hinweisen, dass dieser Heile-Welt-Glaube in der Vergangenheit und teilweise sicher noch heute häufig den Opfern von Vergewaltigungen zum Schaden gereicht: Sie werden nicht als Opfer eines Gewaltverbrechens wahrgenommen, das nichts für diese Erfahrung konnte, sondern man sagt sich, dass es wohl doch kein Zufall war, dass es ausgerechnet „so eine“ traf: So wie die immer mit den Kerlen flirtete, sich ihnen geradezu anbot. Und wie die immer herumlief. Und wie bescheuert muss man eigentlich sein, um diese Uhrzeit allein in diesem Teil der Stadt unterwegs zu sein? Anständigen Frauen passiert so etwas nicht! Feministinnen haben mit deisem Denken in der Vergangenheit vielfach gehörig aufgeräumt. Allerdings ist es hochgradig bezeichnend, dass dasselbe Denkmuster, solange es nur einen Mann als vermeintlichen Täter trifft, gedankenlos wieder aus der Mottenkiste gehlt wird. Dieselben Feministinnen und ihre männlichen Helfershelfer, die verdeutlichen, dass das sexuelle Vorleben einer Frau bei der Klärung, ob sie vergewaltigt wurde, nichts zu suchen hat, wühlen mit Freude im sexuellen Vorleben eines beschuldigten Mannes. Leider haben Alice Schwarzer und ihre Schwestern es sich gerade nicht zum Ziel gemacht, derartiges Denken insgesamt zu überwinden, sondern es nur noch schärfer anzuwenden, solange es gegen das Feindgeschlecht geht.

Nun könnte man gegen das bis hierhin Gesagte einwenden, dass am Ende des Prozesses gegen Jörg Kachelmann immerhin dessen Freispruch stand, also eine Art Happy End. Als einzigen bleibenden Schaden führt Kachelmann in seinem Buch an, dass er in seinem Leben mit keiner Frau außer seiner eigenen mehr unter vier Augen allein bleiben wird und dass sich die ARD von ihm trennte. („Natürlich kann man sagen“, zitiert Kachelmann in seinem Buch die Worte seines Chefs bei der Tagesschau, „dass der Haftbefehl schon ein Hinweis darauf ist, dass der Vorwurf nicht völlig abwegig ist.“) Wie schnell sich die ARD von Mitarbeitern trennt, sobald diese in eine öffentliche Kontroverse geraten, wurde ja bereits am Fall Eva Hermans deutlich. Dass Kachelmann aber mit einem blauen Auge davonkam, sozusagen nur einen illoyalen Arbeitgeber verlor und eine sehr loyale Frau gewann, ist in erster Linie seiner Finanzkraft zu verdanken. „Was macht ein Angeklagter, der sich eine erstklassige Verteidigung nicht leisten kann?“ fragte zu Recht Marianne Quoirin in der Frankfurter Rundschau. „Kachelmann soll allein mit Reinhard Birkenstock ein Honorar von 250 000 Euro vereinbart haben, während des Prozesses löste der Hamburger Johann Schwenn den Anwalt aus Köln ab.“ Die Antwort auf diese rhetorische Frage ist klar: Ein weniger finanzkräftiger Mann dürfte im Regelfall als Täter in die Statistik eingehen und für längere Zeit im Gefängnis landen.

Nun werde ich mich hinsichtlich der Bewertung von Kachelmanns Kritik an unserem Rechtssystem, das Justizirrtümer, insbesondere wenn es gegen Männer geht, sehr erleichtere, zurückhalten, da ich in diesem Bereich kein Experte bin, wiewohl natürlich auch mir bekannt ist, dass derartige Kritik bereits zuvor etwa von dem renommierten Strafverteidiger Rolf Bossi geleistet wurde. Erinnert haben mich die Erfahrungen Kachelmanns darüber hinaus an jene Bernd Herborts, dessen Buch Bis zur letzten Instanz ich in meinem E-Book „Sind Frauen bessere Menschen?“ wie folgt zusammenfasse:

Welche massiven Folgen solche Unterstellungen für das Leben eines Beschuldigten haben können, zeigt der Fall des Realschullehrers Bernd Herbort, dem von seiner Ex-Frau aus heiterem Himmel der Missbrauch seiner Tochter Anna vorgeworfen wurde. Da Herbort ein reines Gewissen hat, hält er dies zunächst für einen schlechten Scherz und glaubt, dass sich das alles in kürzester Zeit aufklären wird. Doch die vierjährige Anna bestätigt die Missbrauchsvorwürfe. Über ihre Bemerkung, sie habe ihre Aussage mit der Mutter „immer geübt“, wird ebenso hinweggesehen, wie über ihre Beschreibung des väterlichen Spermas als gelb und mit Körnchen durchsetzt. Was für seine Frau eine Sache von Stunden war, runiert Herborts gesamtes weiteres Leben: Er verliert seine Stelle, es ist ihm aufgrund seiner „Vorgeschichte“ auch unmöglich, eine neue Beschäftigung zu finden. Fast alle seine Freundschaften und Beziehungen gehen in die Brüche, die Prozesskosten und die Unterhaltszahlungen an seine Frau treiben ihn an den sozialen Abgrund. Auch seelisch wird er mehr und mehr zu einem vollständig zerstörten Wrack. Acht Jahre und dreizehn Gerichtsprozesse später, nach der Herbeiziehung von zwanzig Richtern, zehn Anwälten, etlichen Staatsanwälten und sechs Gutachtern ist es nur außerordentlichem Glück zu verdanken, dass Herborts Unschuld überhaupt bewiesen werden kann. Kommentar seiner Ex-Frau im letzten Prozess: „Ich hab mir gedacht, ich zeig den mal an.“ Es war nur reinem Zufall zu verdanken, dass Herbort nicht als ein weiterer männlicher Sexualverbrecher in die Statistik einging. Doch trotz seines letztlichen Siegs hat er das für ihn Wichtigste verloren: seine Tochter, die in all den Jahren ungehinderter Indoktrination durch ihre Mutter gelernt hatte, den Vater zu hassen. Nicht ein einziges Mitglied der überengagierten Frauengruppen, die Herborts Ex-Frau bei ihren absurden Anschuldigungen unterstützt hatten, war bereit, sich dafür bei dem zu Unrecht Verfolgten zu entschuldigen. Statt dessen, so wird auch nach dem Prozess noch gemunkelt, müsse Herbot doch irgendetwas getan haben. Sonst „könne eine Frau so etwas doch nicht fertigbringen“.

Aber wie gesagt: Unsere Justiz ist nicht der Schwerpunkt meiner Ausbildung und Arbeit, insofern belasse ich es dabei. Mich als Medienwissenschaftler interessiert vor allem die Auseinandersetzung, die dieses Buch mit dem Zustand des deutschen Journalismus leistet. Dabei bestätigt Kachelmann eine Beobachtung, die in der jüngsten Vergangenheit auch von anderen getätigt wurde, nämlich dass sich die frühere Trennung zwischen seriösem Qualitäts- und zweifelhaftem Boulevardjournalismus zunehmend auflöst. So sei sein angebliches Liebesleben eben nicht nur von Springer und Burda, sondern etwa auch von der Süddeutschen Zeitung „ausgebreitet und ausgeschlachtet“ worden, auch Stern und Tagesspiegel werden von scharfer Kritik Kachelmanns nicht verschont. Gestützt wird Kachelmanns These durch Auszüge von Artikeln beispielsweise auch der „Stuttgarter Nachrichten“ und der „Bild“, die demnach definitiv falsch über verschiedene Aspekte des Gerichtsprozesses berichten, sowie durch eine schier endlose Liste von juristischen Verfügungen gegen irreführende Berichterstattung, die das BILDblog dieser Tage online stellte . Um die Kosten aufzubringen, all diese Persönlichkeitsverletzungen zu verfolgen, berichtet Kachelmann, musste er fast all seine Grundstücke und Häuser verkaufen. Die meisten Presseopfer sind zu so etwas nicht bereit oder finanziell auch nur in der Lage und müssen den Rufmord, den die Medienmeute an ihnen begeht, klaglos hinnehmen.

Bei all dem verwundert es nicht, dass die von Kachelmann in erster Linie angeprangerten Verlage und Presseorgane Springer, Burda, Tagesspiegel und Stern sich nach der Veröffentlichung des Buchs darin überboten, potentielle Leser von der Lektüre abzuhalten und es in Grund und Boden zu verdammen. So spricht Sophie Albers im STERN allen Ernstes von einer Gesellschaft, „die gerade erst damit beginnt, Vergewaltigungsopfer wirklich ernst zu nehmen“, weshalb Kachelmanns Thematisieren von Falschbeschuldigungen großen Schaden anrichten könne. In einem Artikel von Josef Seitz für Burdas FOCUS spricht nicht etwa Kachelmann, es „quakt der Wetterfrosch“. Der Artikel von Seitz Burda-Kollegin Monika Preuk dampft gar derart vor Polemik, dass man kaum weiß, wo man mit dem Aufdröseln all dieses Unsinns beginnen sollte. Im Tagesspiegel tut Jost Müller-Neuhof so, als sei die deutsche Justiz viel zu freundlich mit Jörg Kachelmann umgesprungen und offenbart generell ein merkwürdiges Verständnis unseres Rechtsstaats. („Man wünschte, die Geduld der Richter wäre zu Ende. Wer seine Rechte nutzt, um sie anderen um die Ohren zu hauen, hat sie nicht verdient.“) Und in Springers „Welt“ halluziniert Ralf Dargent gleich in der Überschrift seines Artikels eine „Bloßstellung des Wetterfuzzis Kachelmann“ bei Günter Jauch und tut so, als sei Miraim Kachelmanns Stärke eine Blamage für ihren Mann, weil sie sich schützend vor diesen stellte. Selten durfte man so verdichtet erleben, wie im Hause Springer reaktionäre Geschlechterbilder (Dass sich eine Frau schützend vor ihren Mann stellt – unvorstellbar!) mit dem EMMA-Feminismus (Dass sich eine Frau schützend vor ihren Mann stellt – unvorstellbar!) vereinigt. Aufgeklärte Leser wünschen Ralf Dargent eine hoffentlich irgendwann glückende Ankunft im einundzwanzigsten Jahrhundert. Natürlich aber liegt auch für ihn das einzig richtige Verhalten in der Zensur unliebsamer Meinungen: „Jauch hätte Kachelmann (…) nie einladen dürfen.“

Vom inhaltlichen Offenbarungseid dieser Artikel einmal ganz abgesehen … Sophie Albers, Josef Seitz, Monika Preuk, Jost Müller-Neuhof, Ralf Dargent: Teilt auch nur einer dieser Journalisten seinen Lesern mit, dass sein Beitrag hochparteiisch ist, weil das eigene Haus in Kachelmanns Buch scharf kritisiert wird? Selbstverständlich nicht. Offen verprügelt wird Jörg Kachelmann, aber Opfer dieser Polemik ist nicht zuletzt der manipulierte Leser.

Kachelmann spricht in seinem Buch rückblickend von einer „Gleichschaltung“ der Berichterstattung fast aller Medien – einen Vorwurf, den vor ihm schon andere äußerten, am prominentesten wohl Eva Herman, der man unterstellte, die Verwendung dieses Wortes belege ihre rechte Gesinnung (offenbar weil Eva Herman gegen die Gleichschaltung war und die Nationalsozialisten dafür). Allerdings wird dieser Vorwurf inzwischen längst nicht mehr nur von Personen geäußert, die von den Medien unter massiven Beschuss genommen wurden. „Heute überschlagen sich alle wie die Lemminge“, erkannte beispielsweise auch die ehemalige Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer, „wenn erst einmal der Startschuss für eine Hatz gefallen ist, auf welchen Sündenbock auch immer. Keine Streitkultur, kein Bewerten und Abwägen nirgends – nur monokulturelles Jagdfieber, getarnt als moralische Aufrüstung der Nation.“ Und der bekannte Psychonalytiker Hans-Joachim Maaz befindet in seinem jüngst erschienenen Buch Die narzisstische Gesellschaft zu der Berichterstattung über Eva Herman & Co.: „Als Ostdeutscher erschrecke ich, wenn ich in der demokratischen Gesellschaft eine fast totalitäre Meinungsführerschaft feststellen muss, wenn Abweichler vom Mainstream der gesellschaftlich opportunen Position (…) medial gehetzt und abserviert werden und sehr viele Menschen einfach nur nachplappern, was vorgegeben wird, ohne sich mit den Inhalten Andersdenkender ernsthaft auseinandergesetzt zu haben. Wie groß muss der Bedarf an verfolgungsfähigen Sündenböcken sein, an deren Abwertung man sich narzisstisch aufbauen kann im vermeintlichen Glauben, doch auf der richtigen Seite zu stehen. Dabei verrät die kollektive Abwehrfront, dass etwas angesprochen ist, dessen Wahrheit unangenehm sein könnte und mithin die eigene narzisstische Kompensation infrage stellen würde.“ Zu dieser Narzissmus-Diagnose fügt sich Jörg Kachelmanns Beobachtung, „dass nicht wenige Journalisten im einundzwanzigsten Jahrhundert oft schon damit überfordert sind, irgendwas korrekt zu zitieren, während manche gleichzeitig eine Arroganz und Allmachtsfantasie an den Tag legen, die mir widerwärtig erschien“. In starkem Kontrast dazu sieht Kachelmann „die belächelte Gegenöffentlichkeit der Blogs und Foren, deren Berichterstattung um Lichtjahre vollständiger und durch die Vollständigkeit auch objektiv war“.

Man kann eine angemessene Rezension über „Recht und Gerechtigkeit“ indes nicht schreiben, ohne ein wenig ausführlicher auf dessen Co-Autorin Miriam Kachelmann zu sprechen zu kommen. Dass ich mich in meiner Annahme, bei ihr handele es sich lediglich um ein leicht manipulierbares Betthäschen, gehörig getäuscht hatte, war bereits aus den Interviews, die die Buchvorstellung begleiteten, sowie ihrem Auftritt bei Günter Jauch deutlich geworden. Das Buch selbst legt dieses Vorurteil endgültig in Trümmer. Zunächst einmal hebt sich Miriam von den anderen früheren Liebschaften Kachelmanns dadurch ab, dass sie, anders als diese, nicht vor den Medien und vor Gericht ihr Bestes tat, um ihn als zu allem fähiges Monster zu zeichnen, nachdem sie erfahren hatten, dass sie nicht die einzige Frau in seinem Leben war. Kachelmann wird gegenüber diesen Damen in seinem Buch deutlich:

Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass offenbar einige Frauen fähig und in der Lage sind, auch vor Gericht zu lügen und zu betrügen, um einen/ihren Mann zu schädigen, zu kriminalisieren und aus ihrem Leben oder aus der Familie zu drängen. Es ist eine große Geduldsleistung vieler Männer, trotz ihrer Wehrlosigkeit gegenüber diesem Phänomen nicht auszurasten, sondern einen verzweifelten und zähen Kampf für die Gerechtigkeit zu führen. Die meisten Männer ergeben sich allerdings in ihr Schicksal, denn es ist heute inopportun, ihnen zu helfen – zu dominant ist das Image der Frau als Opfer.

An anderer Stelle führt Kachelmann aus:

Allein, Burda konnte noch so viele Zehntausende, vielleicht Hunderttausende Euro in die Hand nehmen, um Frauen für ihre Storys zu bezahlen, am Ende würde es nicht reichen. Zu schlecht haben jene Frauen in ihren Interviews gelogen, sich in Widersprüche verstrickt und in der Not vor Gericht alles umgebende Beiwerk vergessen, wo sie doch Minuten vorher fast gleichzeitig geschehene belastende Dinge haarklein zu erzählen wussten.

Das Bild, das Jörg Kachelmann von seiner späteren Angetrauten zeichnet, unterscheidet sich von diesen selbsternannten Rachefurien wie der Tag von der Nacht. Kachelmanns Darstellung nach besaß Miriam ausreichend Charakterstärke, um zunächst einmal die Möglichkeit eines klärenden Gespräches mit ihm abzuwarten. Sie vertrat nicht die Auffassung, dass Untreue mit mehreren Jahren Gefängnis geahndet werden sollte, sondern stand Jörg Kachelmann bei der weiteren Planung seiner Verteidigungsstrategie entscheidend beiseite, vor allem als Kachelmanns damaligem Anwalt Birkenstock anscheinend etwas die Luft ausging. Und offenbar gehörte sie auch zu den Personen, die Kachelmann rieten, zu Johann Schwenn als Verteidiger zu wechseln. (Eine andere Person mit diesem guten Rat war Ralf Witte, der wegen einer Falschbeschuldigung fünfeinhalb Jahre im Knast verbrachte.) Dass ein anderer Verteidiger Kachelmanns diesem „tief beeindruckt dringend geraten hatte, sie zu heiraten“ verwundert beim Lesen des Buches nicht.

Jörg Kachelmann selbst schildert Miriam als eine „emanzipierte, selbstbewusste Frau“, und es ist vermutlich kein Zufall, dass sich die patriarchalen Herren der Justiz mit Feministinnen vom Schlage einer Alice Schwarzer sehr leicht verbrüdern können – der feministische Ausruf „Hilfe, ich armes Opfer werde unterdrückt“ fügt sich nun einmal passgenau mit dem altväterlichen Beschützderdenken dieser Herren – während eine tatsächlich selbstbewusst und emanzipiert auftretende Frau bei ihnen starken Widerwillen auslöst. Das wird besonders deutlich, wenn Miriam Kachelmann ihre Erfahrungen im Verhör vor Gericht schildert, wovon ich nur einmal einen Auszug wiedergeben will:

Was um alles in der Welt trägt es zur Wahrheitsfindung in einem Prozess bei, der der Aufklärung eines angeblichen Verbrechens dient, bei dessen angeblichem Stattfinden ich nicht zugegen war, wenn ich erzählen soll, wann Jörg und ich uns wo getroffen haben oder wie viel Sex wir hatten oder was unsere Gesprächsthemen waren oder warum und wann ich nach Konstanz gezogen bin oder welche sexuellen Fantasien ich hege … Was geht das alles die Richter an?

Es gab mal eine Zeit, da hätte man von Feministinnen angenommen, dass sie sich gegen eine solche Form der Befragung empört hätten. Alice Schwarzer empört sich lieber über die Kachelmanns. Und nicht nur sie. Außer Feministinnen und manchen Richtern scheinen vor allem so einige Journalisten mit einer authentisch selbstbewusst auftretenden Frau ihre Probleme haben. Allen voran die BILD verwechselt Souveränität und Kompetenz hier gerne mit Hochnäsigkeit (Niveau sieht von unten betrachtet eben immer wie Arroganz aus) – während die BILD mit einer Alice Schwarzer, von der Soueveränität und Kompetenz eher nicht zu befürchten sein dürften, liebend gerne zusammenarbeitet. Für Sonja Pohlmann, einmal mehr vom Tagesspiegel, handelt Miriam Kachelmann „wie eine Besessene“, die noch dazu frecherweise die Pöbeleien des Ex-BILD-Chefs Tiedje „überheblich weglacht“. Und in einem Artikel der unter anderem im „Berliner Kurier“ erschien, phantasiert eine angebliche Psycho-Expertin per Ferndiagnose Miriam Kachelmann als „rachsüchtige Amazone“.

Ein fairer und angemessener Artikel über Miriam Kachelmann ist in der bisherigen Berichterstattung eher die Ausnahme. Hier senden unsere Medien Frauen die klare Botschaft: Erzähle über einen angeklagten Mann nur das Schlimmste, und du wirst mit enormen Geldsummen dafür belohnt; nimmst du ihn in Schutz, machen wir dich fertig. Bei der jetzigen Lage der Dinge halte ich jede Wette: Miriam Kachelmann wird auch weiterhin von nicht wenigen Journalisten noch gehörig heruntergeschrieben werden – einen Menschen, der sich an Integrität, Kompetenz und Charakterstärke so deutlich über ihren eigenen Standards befindet, ertragen viele narzisstische Medienmacher anders nicht.

Den Medienliebling Alice Schwarzer hingegen unterzieht Miriam Kachelmann nun ihrerseits einer so deutlichen Kritik, wie es viele feige und opportunistische Männer nur selten wagen. Einige treffende Zitate:

Warum setzt eine Alice Schwarzer sich nicht für Frauen- UND Männerrechte ein? In den „Positionen“ auf ihrer Homepage steht unter Punkt 4, dass sie sich für die Menschenrechte einsetze – warum nicht auch für die der Männer? Sind Menschenrechte nicht unteilbar?

Eine böse, aufmerksamkeitshungrige Frau, mehr ist von ihr nicht übrig geblieben. Schade für alle, die einmal an sie geglaubt haben.

Der unverhohlene Sexismus, der aus dem zitierten Artikel von Frau Schwarzer heraustrieft, ist erschreckend, aber selbstverständlich spricht das kaum einer aus. Sie ist ja Frau Schwarzer – der Ikone des Feminismus kann man doch nicht Sexismus vorwerfen!

und schließlich

Alice Schwarzer ist mittlerweile so weit ernfernt von Emanzipation wie die BILD-Zeitung von wahrheitsgemäßer Berichterstattung.

Ich habe in meinen Büchern ebenso wie in meinem Blog Genderama immer wieder darauf hingewiesen, wie sehr gerade viele emanzipierte und selbstbewusste Frauen inzwischen dem sexistisch-narzisstischen Feminismus, für den Alice Schwarzer steht, den Rücken kehren – von der kaum bekannten jungen Bloggerin über die ehemalige EMMA-Autorin bis zur früheren Frontfrau der Frauenbewegung in Österreich. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu grotesk, dass auch und gerade Männer, die sich als Vertreter der Männeranliegen inszenieren möchten, vor Alice Schwarzer in Interviews – und im Falle Thomas Gesterkamps sogar eigenen Artikeln – ihre ehrerbietigen Kratzfüße machen und dabei in aller Regel ihre engagierteren, mutigeren Geschlechtsgenossen an das System Schwarzer verraten. Warum muss man sich in der Geschlechterdebatte ohne Not selbst disqualifizieren, indem man sich von Leuten wie Schwarzer instrumentalisieren lässt? Gibt es keine Grenze der anbiedernden Unterwürfigkeit? Ja, natürlich wird man von Schwarzers Jüngerinnen von der Wikipedia bis zur taz unter Beschuss genommen, sobald man an einem sexistisch-narzisstischen Feminismus Kritik äußert. Und aus lauter Bammel davor sollte man sich ernsthaft den Mund verbieten lassen? Wenn eine 26jährige Studentin hier mehr Eier in der Hose als das gesamte „Bundesforum Männer“ hat, ist das ein ernsthaftes Problem für die Geschlechterdebatte in diesem Land.

Das gefügige Kuschen der Mehrheit vor einer aggressiv auftretenden Minderheit, befinden Jörg und Miriam Kachelmann, schadet letztlich der liberalen Demokratie in diesem Land. Dabei waren das „Basislager“ von Kachelmanns Anklägerin

die wenigen Frauen, die in den Internetforen nibelungentreu allein deshalb zu ihr hielten, weil sie eine Frau ist, und die, getreu dem Motto, dass eine Frau immer das Opfer ist, alles vergaßen, was mit Rechtsstaat zu tun hat. Alice Schwarzer und ihre Vasallinnen stehen schon lange nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, sondern für die Privilegierung eines Geschlechts und die Kriminalisierung des anderen. Zusammen mit Verlagen, die wie Springer und Burda regelmäßig Persönlichkeitsrechte verletzen, entfalten sie eine fatale Öffentlichkeitswirkung. Kommt dann noch, wie in Mannheim, eine völlig losgelöste Polizei und Justiz hinzu, bilden sie eine echte Gefahr für den Rechtsstaat.

Jörg Kachelmann zufolge war ihm ab dem Moment, da er auf einem rosafarbenen Papierbogen den Vorwurf der Vergewaltigung zu lesen bekam, klar, dass sein bisheriges Leben vorüber war. Derartige Schlüsselerfahrungen müssen eine ähnliche Wirkung auf Männer ausüben wie das Einnehmen der roten Pille für den Helden der Kinofilmreihe „Matrix“: Sobald man einmal aus dem Kokon der Illusion, man lebe in einer patriarchalen Gesellschaft der Männerherrschaft, ausgebrochen ist, gibt es kein Zurück in diese behagliche Phantasiewelt mehr. Man würde sich nur wünschen, es würden mehr Männer diese Erfahrug machen, indem sie sich durch entsprechende Bücher darüber informierten, als es durch eigenes Erleiden zu erfahren.

Unserer Gesellschaft insgesamt ist zu wünschen, dass Jörg und Miriam Kachelmann das von der Männerbewegung noch weitgehend unbeackerte Problemfeld der Falschbeschuldigungen mit derselben Ausdauer angehen, wie sie sie bislang in eigener Sache gezeigt haben. Unterstützt werden kann dies durch eine starke aufklärerische Gegenöffentlichkeit im Internet, die der Massenmanipulation durch die vermeintlichen „Qualitätsmedien“ erfolgreich entgegenwirkt. Natürlich ist das sehr mühselig, wenn man etwa dagegen ankommen muss, dass jemand wie Günter Jauch in seiner Polit-Talkshow problemlos ein Millionenpublikum irreführt, wenn es um Jörg Kachelmann und die Häufigkeit der Falschbeschuldigungen bei Vergewaltigungen geht. (Der bekannte Medienkritiker Stefan Niggemeier analysierte Jauchs Massenmanipulation in einem gelungenen Beitrag.) Aber eine sinnvollere Möglichkeit, als wieder und wieder gegen derartige Fehlentwicklungen zu protestieren – und den Schmuddeljournalismus nicht durch den Kauf derartiger Blätter zu unterstützen –, gibt es nicht.

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