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Staatliche Regulierer rechtfertigen ihre Eingriffe in den Markt gerne mit dem geflügelten Wort des Marktversagens. Marktversagen liegt, so könnte man lakonisch feststellen, immer dann vor, wenn ein paternalistisch Inspierierter in einen freien Markt eingreifen will, weil er sich durch die Regulierung des Marktes Vorteile verspricht. Aber selbstverständlich sind staatliche Regulierer nie von egoistischen oder partikularen Interessen getrieben und eben gerade kein Beispiel für den homo oeconomicus, der in all seinen Handlungen nach dem maximalen Nutzen strebt. Nein, Regulierer sind weitgehend allwissende Altruisten, die genau wissen, wo es hapert, was es zu regulieren gilt, wie es das “Was” zu regulieren gilt, und was unser aller Vorteil durch die Regulierung ist.
Zum Marktversagen hat jeder etwas zu sagen. Die EU-Kommission bemängelt die Energieeffizienz von Gebäuden und erkennt darin ein Marktversagen. Knappe Wohnungen und entsprechend hohe Mietpreise und Maklercourtagen sind für Anjes Tjarks, GAL-Wirtschaftsprüfer in Hamburg ein Marktversagen, in der Schweiz tobt derzeit ein Streit darüber, ob die Buchpreisbindung, also das künstliche Hochhalten des Buchpreises, durch ein Marktversagen gerechtfertigt ist, das eintreten würde, gäbe es keine Buchpreisbindung, und der Benzinpreis, die regelmäßigen und fast konzertierten Erhöhungen des Benzinpreises, alles Marktversagen – oder nicht?
Prinzipiell kann man vier Gründe unterscheiden, die von Regulierern vorgebracht werden, wenn sie einen Markteingriff mit Marktversagen begründen wollen:
1. Die auf Märkten vorhandenen Informationen sind asymmetrisch unter den Marktteilnehmern verteilt. Dies ist deshalb ein Problem, weil das neoklassische Modell des Wettbewerbs auf der Idee eines perfekten Wettbewerbs basiert, die wiederum voraussetzt, dass alle marktrelevanten Informationen für alle Marktteilnehmer verfügbar sind. Informationsasymmetrien befördern die Anbieterseite und ermöglichen z.B. das Angebot einer Negativauswahl von Gütern, deren Defekte nur dem Anbieter, nicht jedoch dem Nachfrager bekannt sind (averse selection). Und Informationsasymmetrien ermöglichen versteckte Handlungen, die z.B. einem geschlossenen Vertrag zuwider laufen, z.B. wenn der Abschluss einer Versicherung für einen Wertgegenstand den Besitzer des Gegenstands veranlasst, seine Sorgfalt im Umgang mit dem Gegenstand zu reduzieren (moral hazard)(Schulenburg, 2005, S.294).
2. Die Produktion von Gütern hat zuweilen Effekte auf Dritte, die „unentgeltlich“ in den Genuss des Gutes gelangen bzw. unentgeltlich Kosten, die mit der Produktion des Gutes verbunden sind, zu tragen haben. Weder der „zusätzliche“ Nutzen noch die zusätzlichen Kosten sind im Preis, zu dem das Gut angeboten wird, enthalten (=externe Effekte);(Stephan & Ahlheim, 1996, S.59). Das Problem externer Effekte wird gemeinhin zum Ausgangspunkt umweltpolitischer Interventionen genommen, da – wie bereits Pigou festgestellt hat – „divergencies between private and social net product“ bestehen können (Pigou, 1920, II.IX.16). Das klassische Beispiel, das Pigou selbst angibt, bezieht sich auf die Externalitäten der Dampfeisenbahn, die im Funkenflug und davon ausgelösten Bränden bestehen (Pigou, 1920, II.IX.20). Coase rekurriert in seiner Arbeit auf das Beispiel der Emissionen einer Fabrik und der Prävalenz von Erkrankungen in der Umgebung der entsprechenden Fabrik (Coase, 1960, S.41-42). Ein klassisches Beispiel für externe Effekte ist der Schadstoffeintrag einer Papierfabrik am oberen Flusslauf und der in dessen Folge geringere Fischfang von Fischern, die am unteren Flusslauf fischen (Varian, 2001, S.562). Ein weniger häufig zu findendes Beispiel stellt das Kindergeld dar, mit dem z.B. die deutsche Regierung u.a. zu einer erhöhten Emission von Lärm und CO2 beiträgt.
3. Bestimmte Güter (öffentliche Güter) werden nicht produziert, weil von ihrem Genuss niemand ausgeschlossen werden kann und ihr Konsum nicht rivalisierend ist. Die Problematik, die sich mit öffentlichen Gütern oder Kollektivgütern verbindet, besteht in der Regel darin, dass ihre Produktion daran scheitert, dass den exklusiven Kosten des Produzenten kein exklusiver Nutzen gegenüber steht, da niemand von der Nutzung des kollektiven Guts ausgeschlossen werden kann (Molitor, 2006, S.77-78). Ein Beispiel für ein kollektives Gut, das in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, ist die Grundlagenforschung. Weil die Ergebnisse der Grundlagenforschung für alle Interessenten offen sind, werden sich – nach Meinung der EU-Kommission – private Unternehmen nicht an der Grundlagenforschung beteiligen. Deshalb ist der Staat aufgerufen, Grundlagenforschung zu finanzieren und deshalb drückt die EU-Kommission, die ansonsten die Harmonisierung des gemeinsamen Marktes und den Wettbewerb auf demselben, hoch hält, ein Auge zu, wenn nationale Regierungen nationale Unternehmen mit Subventionen bedenken (EU Commission, 2006).
4. Bestimmte gesellschaftliche Gruppen betreiben rent seeking und verzerren auf diese Weise die Marktpreise (Tullock, 2005, S69-82). Das Problem, das sich mit rent seeking verbindet, haben Baumol und Blinder gut beschrieben: „An army of lawyers, expert witnesses, and business executives crowd our courtrooms and pile up enormous costs. … In general, any source of unusual profit, such as a monopoly, is a temptation for firms to waste economic resources in an effort to obtain control of that source of profits. This process, called ‘rent seeking’ by economists (meaning that the firms hope to obtain earnings without contributing to production), has been judged by some observers to be a major source of inefficiency in our economy” (Baumol & Blinder, 1988, S.646). Gordon Tullock, von dem das Konzept des rent seeking stammt, definiert rent seeking entsprechend als immer dann gegeben, wenn (staatliche) Maßnahmen „[have] a negative social impact“ (Tullock, 2005, S.9).
Prinzipiell kann man jedem der Gründe, die Markteingriffe wegen Marktversagens begründen sollen, mit einem Verweis auf Staatsversagen, das besonders bei Eingriffen wegen Marktversagen endemisch ist, begegnen:
1. Das Problem asymmetrischer Informationen ergibt sich auch oder gerade durch Regulierer, die in ihre Regulationen Anforderungen einbauen können, die es erlauben, eine selektive Gruppe von Wettbewerbern aus dem Markt herauszuhalten. Die kunstvollen Methoden der EU über besonders hohe Gesundheitsstandards den europäischen hochsubventionierten Agrar”markt” vor ausländischer Konkurrenz zu schützen, sind ein Beispiel für Missbrauch wie er durch Informationsvorteile möglich ist.
2. Die Internalisierung externer Kosten durch staatliche Regulationen, wie z.B. durch die Umweltgesetzgebung ist zum einen, wie Ronald Coase bereits 1960 gezeigt hat, nicht notwendig, und endet zum anderen regelmäßig mit Sonderregelungen und der Vergabe von Privilegien z.B. wenn vermeintlich grüne Technologien wie die Photovoltaik subventioniert werden, wohlwissend, dass im Laufe der Produktion von Solarzellen eine große Anzahl hoch giftiger Stoffe und somit externer Effekte produziert wird.
3. Wie abstrus die Idee ist, man können durch staatliche Regulation Innovationen vor allem Grundlagenforschung befördern, zeigt sich an der Innovationspolitik der EU, die allen Ernstes auf der Prämisse basiert, dass staatliche Regulierer die Zukunft vorher sehen können und deshalb in der Lage sind, Grundlagenforschung, die zu durchschlagenden wirtschaftlichen Anwendungen führen wird, von solcher zu unterscheiden, für die das nicht der Fall ist.
4. Rent Seeking ist kein Problem der Wirtschaft, es ist, wie die Forschung im Rahmen der public choice Theorie wieder und wieder gezeigt hat, ein Problem organisierter Gruppen, die sich den Staat zur Beute nehmen und ihre Interesse, z.B. in einer Subventionierung von Landwirtschaft oder einer Subventionierung des Kohlebergbaus durchsetzen. Ersteres führt dazu, dass Verbraucher nicht nur über dem Marktpreis liegende Preise für Agrarprodukte zahlen müssen, sondern die entsprechenden Güter zusätzlich über ihre Steuern ein weiteres Mal bezahlen, Letzteres führt dazu, dass externe Effekte auf die Umwelt, wie sie durch den Kohlebergbau und die Verstromung von Kohle entstehen, produziert werden, quasi als Form eines interventionistischen Staatsversagens.
Die Darstellung zeigt, dass staatliche Interventionen in Märkte dem Versuch gleichen, den Teufel mit dem Beltzebub auszutreiben, wobei sicher ist, dass der Beltzebub als Kur vorgesehen ist und weniger sicher ist, ob es überhaupt einen Teufel gegeben hat. Da sich staatliche Interventionen immer an irgendwelchen Interessen ausrichten und diese Interessen notwendiger Weise partikulare Interessen sein müssen, wäre es höchst verwunderlich, wenn durch einen staatlichen Eingriff, der ein Marktversagen heilen will, etwas produziert würde, was dem Gemeinwohl förderlich ist. Wer das glaubt, der glaubt vermutlich auch an den Weihnachtsmann.
Dass staatliche Regulation auch dann daneben geht, wenn eine Kernaufgabe der Gewährleistung der freien Marktordnung, nämlich die Verhinderung von Preisabsprachen und olipolistischen Strukturen betrifft, zeigt ein Beitrag von Siegfried Berninghaus, Michael Hesch und Andreas Hildenbrand im Wirtschaftsdienst (2012). Wie das Bundeskartellamt festgestellt hat, zeichnet sich der Treibstoffmarkt durch eine zu große Transparenz aus (auch das gibt es). Die “zu große Transparenz” hat zur Folge, dass alle Wettbewerber nicht nur die Preissetzung ihrer Konkurrenten kennen, sondern auch deren Produktionskosten. Folglich bleibt wenig Spielraum für Konkurrenz und das, was man im Bertrand-Modell erwarten würde, nämlich eine Preissetzung entlang der Grenzkosten findet nicht statt. Folgerichtig hat das Bundeskartellamt auch geschlossen, dass die Preise für Benzin höher sind als sie es wären, wäre der Wettbewerb nicht so transparent wie er es ist. Was tun? Regulieren!
Reguliert haben die Österreicher. Preisänderungen an österreichischen Tankstellen müssen von allen Wettbewerbern zur selben Zeit vorgenommen werden, und sie dürfen maximal einmal pro Tag vorgenommen werden. Damit erhoffen sich die österreichischen Behörden ein Mehr an Wettbewerb und einen geringeren Verkaufspreis. Doch die Hoffnung trügt, wie Berninghaus, Hesch und Hiledenbrand zeigen können: Die Preise, die mit der österreichischen Regulationsmethode erreicht werden können, sind noch höher als sie es ohne die Intervention des Staates gewesen sind. Abermals zeigt sich, dass ein staatlicher Eingriff unter dem Vorwand des Marktversagens mehr schadet als er nutzt und daraus kann man nur schließen, dass es besser ist, den Markt weitgehend von staatlichen Eingriffen frei zu halten.
Literatur
- Baumol, William J. & Blinder, Alan S. (1988). Economics. Principles and Policy. San Diego: Harcourt Brace Jovanovich.
- Berninghaus, Siegfried, Hesch, Michael & Hildenbrand, Andreas (2012). Zur Wirkung regulatorischer Preiseingriffe auf dem Tankstellenmarkt. Wirtschaftsdienst 1: 46-50.
- Coase, Ronald H. (1960). The Problem of Social Cost. Journal of Law and Economics 3(October): 1-44.
- EU Commission [Commission of the European Communities] (2006). Community Framework For State Aid For Research And Development and Innovation. Official Journal of the European Union C323/1, 30.12.2006.
- Molitor, Bruno (2006). Wirtschaftspolitik. München: Oldenbourg.
- Pigou, Arthur C., 1920: The Economics of Welfare.
- Schulenburg, Johann-Matthias Graf von der (2005). Versicherungsökonomik: Ein Leitfaden für Studium und Praxis. Karlsruhe: Verlag Versicherungswirtschaft.
- Stephan, Gunter & Ahlheim, Michael (1996). Ökonomische Ökologie. Berlin: Springer.
- Tullock, Gordon (2005). The Rent-seeking Society. Indianapolis: The Liberty Fund.
- Varian, Hal R. (2001). Grundzüge der Mikroökonomik. München: Oldenbourg.