Stefan Sasse: „Die Frauenbewegung ist die Klientelbewegung einer sehr kleinen Schicht“

Für meinen heutigen Beitrag habe ich den bekannten Polit-Blogger Stefan Sasse interviewt, der seit Jahren zur Sympathisantenszene der Männerbewegung gehört.

Arne Hoffmann: Stefan, obwohl du mittlerweile zu den wohl meistgelesenen Bloggern unseres Landes gehörst, wird dich vielleicht nicht jeder Männerrechtler kennen. Könntest du dich und deine Arbeit erst einmal kurz vorstellen?

Stefan Sasse: Ich blogge seit 2006 auf dem Oeffinger Freidenker und seit 2010 auf dem Geschichtsblog. Seit 2011 gehöre ich außerdem der Redaktion des Spiegelfechter an.

Der Oeffinger Freidenker ist ein politisches Blog, auf dem ich Artikel mit Themenschwerpunkten zur amerikanischen Politik, der deutschen Innenpolitik, Wahlkämpfen sowie Strukturanalysen schreibe. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf Strukturen, also der Frage, warum Leute tun, was sie tun. Häufig braucht man dann keine groß angelegte Verschwörungstheorie zur Erklärung bemühen, was ich persönlich sympathisch finde. Auf dem Geschichtsblog geht es, wer hätt’s gedacht, um Geschichte. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Zeitgeschichte, Debattenthemen (jüngst etwa Erika Steinbachs Äußerungen) sowie der amerikanischen Geschichte. Artikel hier haben einen gewissen narrativen Charakter und versuchen, ohne irgendwelche politische Agenda auszukommen, sondern stattdessen geschichtliche Zusammenhänge verständlich darzustellen.

Obwohl ich der Männerbewegung nie als Aktivist angehört habe, habe ich sie seit der Lektüre deines Buchs „Sind Frauen bessere Menschen?“ aufmerksam und mit einer gewissen Sympathie verfolgt und immer wieder zur Thematik der Gleichstellung Artikel verfasst.

Arne Hoffmann: Du hast dankenswerterweise auch regelmäßig den Anstoß für Beiträge auf Genderama gegeben, als es noch ein tägliches Newsblog war. Wie hat unsere Bewegung denn überhaupt dein Interesse geweckt? Auch „Sind Frauen bessere Menschen?“ lag ja nun alles andere als palettenweise im Buchhandel aus.

Stefan Sasse: Ich wurde tatsächlich auf das Thema gestoßen, als ich dein Buch in die Hand bekam. Es war noch in der Schule, wenn ich mich richtig entsinne, gerade so in der Abiturphase, anno 2005 rum müsste das gewesen sein. Ein Kumpel hatte das Buch, hat es gelesen und drückte es mir in die Hand, woraufhin ich es ziemlich begeistert und in einem Rutsch durchgelesen habe. Die Thematik war neu und vorher nicht bekannt. Über deine Homepage bin ich dann auf Genderama und dein Schreibtisch-Blog gestoßen, das letztlich die Inspiration für mein eigenes Blog war – und hier schließt sich der Kreis. Ich bin allerdings nie direkt als Aktivist in die Männerbewegung eingestiegen, sondern eher im – wie du das so schön ausdrückst – Dunstkreis der Sympathisanten geblieben.

Arne Hoffmann: Was müsste denn passieren, damit du aus der Sympathisantenszene zu den Aktivisten wechselst? Gibt es etwas, das dich motivieren würde, dich in diesem Bereich noch stärker zu engagieren?

Stefan Sasse: Nicht wirklich. Ich habe bisher jedes monothematische Engagement vermieden, und gerade bei solchen Außenseiterthemen ist die Gefahr immer schnell, dass man sehr merkwürdige Bettgenossen ins Boot bekommt. Wie die meisten Blogger bin ich ziemlich auf meine Unabhängigkeit bedacht und will mich nur ungern an irgendwelche Organisationen oder Bewegungen ketten. Ich schreibe hin und wieder zum Thema, aber ich möchte mir nichts diktieren lassen. Deswegen bin ich beispielsweise auch in keiner Partei. Ich will mir die Freiheit bewahren, im Zweifel auch die Männerbewegung zu kritisieren, und ich seh im Alltag schon so oft genug, wie schnell man von vorherigen „Verbündeten“ zum Verräter stilisiert wird, wenn man mal in die andere Richtung kritisiert.

Arne Hoffmann: Klar, selbst ich hatte mit den Fundamentalisten unserer Bewegung bereits dieses Vergnügen – Motto: „Der ist nicht so fanatisch wie ich, da kann ich auch gleich die EMMA lesen.“ Inzwischen wird insbesondere der rechte Rand unserer Bewegung von vielen problematisch gesehen. Ich schätze, dieser Aspekt schreckt so einige Leute ab, die eigentlich viele unserer Auffassungen teilen. Was würdest du der Männerbewegung in dieser Frage raten?

Stefan Sasse: Ich will mir nicht anmaßen, hier irgendwelche Strategien auszumalen. Generell ist das bei allen Bewegungen ein Problem; man sieht es bei den Piraten und ihren ehemaligen NPDlern, bei der LINKEn mit ihren Kommunistenspinnern, und auch die Volksparteien sind davor nicht gefeit. Und wenn du dir attac und Heiner Geißler anschaust, siehst du auch, wie schnell jemand sowas übernehmen und dominieren kann. Aber die Leute quasi rauszudrücken und mundtot zu machen kann auch keine Lösung sein, denn das schafft autokratische Strukturen. Letztlich bleibt nur die permanente Auseinandersetzung mit solchen Leuten und der Versuch, sie nicht die Agenda bestimmen zu lassen. Aber das hängt von der Medienberichterstattung ab, und die hat man nur sehr eingeschränkt in der Hand.

Arne Hoffmann: Wo würdest du dich selbst denn im politischen Spektrum verorten, wenn wir es weiter fassen als das Männerrechtsthema allein?

Stefan Sasse: Ich sehe mich in der linksliberalen bzw. sozialliberalen Ecke. Ich habe keine spezielle Parteiaffiliation.

Arne Hoffmann: Welche unserer Themen und Anliegen sind aus deiner Perspektive am wichtigsten?

Stefan Sasse: Ich finde besonders den Kampf gegen die neue Klientelpolitik am wichtigsten. Es ist ja nicht so, als ob die Emanzipationsbewegung keine Grundlage gehabt hätte. Frauen wurden schließlich eine ganze zeitlang tatsächlich benachteiligt. Problematisch ist ja vielmehr die Richtung, die das Ganze später genommen hat, worüber ich ja schon einige Male geschrieben habe.

Arne Hoffmann: Richtig – aus einem deiner Texte dazu würde ich gerne etwas ausführlicher zitieren, weil er so treffend ist:

„Die Ideologie der Frauenbewegung hat längst totalitäre Züge angenommen. Sie lässt keine Kritik mehr zu und ist blind für die Wirklichkeit, die von dem Bild abweicht, das sie selbst gezeichnet hat. Nur so ist Schwarzers beständige aggressive Rhetorik gegen Männer zu erklären, nur so Thea Dorns und Barbara Bierachs Karrierefixiertheit, nur so die heftigen Reaktionen auf Eva Hermans Versuch, das Meingungskartell der Frauenbewegung zu brechen. Sie befinden sich auf einem starren, fixen Pfad, den sie nicht mehr zu verlassen in der Lage sind. Dabei vertreten sie die Mehrheit der Frauen überhaupt nicht. Das haben sie noch nie, aber früher hatten sie eine gesellschaftsverändernde Idee, die wirkungsmächtig zum Durchbruch kam. Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist, sagt Hugo. Die Frauenbewegung ist der Beweis, dass nichts so tot und leer ist wie eine Idee, die von der Zeit überholt wurde. Sie reiht sich ein mit dem Patriarchat der Adenauer-Zeit und vereint sich so mit ihrem alten Erzfeind. Sobald eine neue Generation von Frauenrechtlerinnen neue Ziele formuliert und den Zeigeist damit trifft, wird die derzeitige Riege dorthin verschwinden, wo auch die Marx’schen Lesezirkel der 1970er und die Ideen Carl Schmitts gelandet sind: auf dem Müllhaufen der Geschichte.“

Wie kann diese „neue Generation von Frauenrechtlerinnen“ mit ihren „neuen Zielen“ aussehen?

Stefan Sasse: Naja, aktuell konzentriert sich politische Frauenarbeit ausschließlich auf karriereträchtige Felder. Die Debatte kreist um eine Quote für die Aufsichtsratsvorsitzenden von einer Handvoll DAX-Konzernen. Äußerst erfolgreich war man im Öffentlichen Dienst, weniger in der freien Wirtschaft. Allem Vorgehen gemein ist aber, dass es kaum um eine Gleichstellung geht, als vielmehr um eine Art Gegenprivilegierung. Es ist erschreckend, wie oft man aus feministischer Ecke das „Argument“ hört – auf den Vorwurf, dass nun Männer benachteiligt würden – dass das ja auch nur gerecht ist. Das aber ist schlicht Unfug; man kann ein Unrecht nicht mit dem nächsten ausgleichen.

Gleichzeitig aber hast du eine immer größer werdende Schicht von Menschen, die in prekären Verhältnissen leben. Schau dich mal um bei Schlecker, Aldi, Lidl – das sind überwiegend Frauen, die da diese furchtbar schlechten Jobs haben. (Anmerkung des Interviewers: Das Interview fand vor der Schlecker-Pleite statt.) Erzieher in Kindergärten sind praktisch ausschließlich weiblich. Gegen solche Strukturen geht die Frauenbewegung überhaupt nicht an. Sie sind eben eine Klientelbewegung, die die Interessen einer letztlich sehr kleinen Schicht von Frauen vertritt, die nach Karrierepositionen streben. Daran ist per se nichts Falsches, aber es ist genauso lächerlich wie wenn die INSM behauptet, alle Arbeiter zu vertreten. Sollte also eine neue Bewegung entstehen, müsste sie sich wohl tatsächlich der Frage einer ernsthaften Gleichstellung überall widmen, nicht nur in Führungspositionen. Besonders, da sie da ihre Ziele eigentlich schon erreicht haben.

Arne Hoffmann: Da sprichst du einen zentralen Punkt an: Die „jahrtausendelange Unterdrückung der Frau“, die es rechtfertige, dass „jetzt eben für ein paar Jahre die Männchen zurückstecken müssen“, ist ja tatsächlich ein zentrales Ideologem des gegenwärtigen Feminismus. Was ist deine Einschätzung als Historiker und Strukturanalytiker zu dieser Argumentation bzw. der Behauptung einer „Jahrtausende währenden Unterdrückung“?

Stefan Sasse: Das ist eine ziemlich schwierige Sache, was vor allem mit zweierlei Gründen zu tun hat. Erstens, wie du bereits ansprichst, ist sie ein zentraler Punkt des feministischen Weltbilds, was eine nüchterne Betrachtung schwierig macht. Zweitens die schlechte Quellenlage: Über das alltägliche Leben der Menschen vor der bürgerlichen Revolution wissen wir nur sehr wenig, weswegen die Realität von Geschlechterbeziehungen nur sehr schwer zu rekonstruieren ist.

Ich habe zu dem Thema einen eigenen Artikel aus Historiker-Perspektive geschrieben, daher an dieser Stelle noch einmal kurz: Es ist zweifellos richtig, dass die Männer Haushaltsvorstände mit im Vergleich zu heute relativ weitgehenden Rechten waren – etwa beim Erben, bei der Verwaltung des Vermögens, Heiratsentscheidungen, solche Dinge. In einer Welt ohne Zivilgerichtsbarkeit und Rechtsstaat – und die bekommen wir erst mit der bürgerlichen Revolution – lassen sich aber differenzierte Regeln kaum aufstellen und durchhalten, das ist anachronistisch. Meine eigene Theorie ist daher, dass die Männer zwar formell rechtlich besser gestellt waren, dies aber in der Realität weniger Auswirkungen hatte, als man gemeinhin annimmt. Die Situation für die meisten Menschen war in einem überwältigenden Teil der Geschichte stets prekär, und man war aufeinander angewiesen, ebenso auf eine funktionierende Arbeitsteilung. Die Idee der Gleichberechtigung auf diese Zeit anzuwenden ist in hohem Maße anachronistisch und macht wenig Sinn. Wenn du hart arbeiten musst, um nicht zu verhungern, und dein einziges Recht gegenüber der Herrschaft darin besteht, das Maul zu halten und zu parieren, gibt es kaum irrelevantere Dinge als Gleichberechtigung. Die Leute haben alle nur wenige Rechte.

Der Gedanke der Frauenemanzipation erfordert Wohlstand, denn erst der erlaubt – und da sind wir wieder in der bürgerlichen Revolution – überhaupt diese klare Trennung von Arbeitsleben und Haushalt, die den Gedanken an eine Gleichstellung der Frau nötig macht. Die Unterdrückung und Benachteiligung der Frau beginnt daher auch in der bürgerlichen Revolution, wo es (aus heutiger Sicht paradoxerweise) erst als Fortschritt wahrgenommen wird: Die Frau muss nicht mehr arbeiten, um die Familie zu ernähren. Das war damals ein Zeichen von Fortschritt und Wohlstand! Erst später, als die Arbeit angenehmer wurde und die Gesellschaft generell im Wandel begriffen war, wurde der Ausschluss aus dieser Arbeitswelt langsam zum Nachteil und zur Unterdrückung. Und dagegen aufzubegehren war richtig, und dass es so lange gedauert hat ist nicht gerade etwas, das sich das männliche Geschlecht stolzgeschwellt an die Brust heften sollte.

Arne Hoffmann: Wobei ich argumentieren würde, dass ab der Erfindung der Pille und dem Übergang von der industriellen zur Dienstleistungsgesellschaft, was beides die Massenberufstätigkeit von Frauen überhaupt erst ermöglichte, die volle Gleichberechtigung praktisch sofort durchgesetzt wurde … Aber das sollte ein Interview werden und keine Debatte. Deshalb zur nächsten Frage: Ich hatte dich ja eben mit deiner Erkenntnis zitiert, dass die inzwischen „totalitäre“, dogmatische Ideologie der Frauenbewegung sich mit keiner Kritik mehr sachlich auseinandersetze: Du selbst bist ja auch schon mal von einer Radikalfeministin als potentieller Systemfeind „unter Beobachtung“ genommen worden. Deine Etkettierung lautet „langhaariger Dauerstudent, der Angst vor Frauen hat“. Was hattest du Schlimmes angestellt?

Stefan Sasse: Da sind wir wohl wieder am Eingangspunkt mit den Extremisten, die jede Bewegung anzieht. In dem Fall ging es darum, dass ich Kristina Schröder (unsere Familienministerin) dafür gelobt habe, dass sie Alice Schwarzers radikalsten Auswüchsen entgegen trat. Darüber hinausgehend würde ich aber gerne vermeiden, das Ding erneut aufzurollen. Es war eine letztlich ziemlich bedeutungslose Episode, die nicht größer gemacht werden muss, als sie ist.

Arne Hoffmann: Gerne. Zurück zur Männerbewegung also: Da du nicht so stark in deren Zentrum stehst, bist du weniger betriebsblind als zum Beispiel ich und hast eher noch einen Blick von außen: Was ist dein Eindruck davon, wie sich diese Bewegung derzeit insgesamt präsentiert?

Stefan Sasse: Auch wenn es hart klingt, allzu viel kommt davon leider nicht an. Ich habe seltenst einmal Beiträge in den Mainstrammedien gesehen, die sich mit dem Thema beschäftigen, und wenn dann eigentlich immer im Zusammenhang mit Eva Herman und Kristina Schröder. Wenn man sich mit der Thematik etwas beschäftigt, dann war da natürlich lange Genderama, und man läuft auch MANNdat über den Weg. Letztere aber wirken tatsächlich etwas obskur. Es ist ein bisschen schizophren: Deine Bücher sind seriös und geben gute Argumente; gerade in den Foren aber ist es doch anders.

Arne Hoffmann: Hast du Ideen, wie man unsere Performance verbessern könnte?

Stefan Sasse: Schwierige Frage. Letztlich braucht jede Lobbyorganisation eine Präsentationsfigur: irgendwas, das in den Medien präsentabel ist. Du kannst über Alice Schwarzer sagen, was du willst, sie hat der Bewegung ein Gesicht gegeben und sie bekannt gemacht. Nur mit Presseerklärungen, egal wie gut argumentiert sie sind, kommst du nicht weit. Man mag das bedauern, aber es ist Realität. Die Frage ist natürlich, ob man das will, denn der Preis für solche Aufmerksamkeit ist hoch.

Arne Hoffmann: Magst du eine Vorhersage wagen, wie sich die Geschlechterdebatte in der Zukunft entwickeln wird – im Spannungsfeld zwischen Altfeministinnen, Alphamädchen, Männerrechtlern und Postgender-Piraten?

Stefan Sasse: Ich gehe davon aus, dass sich die Geschlechterdebatte als Thema tot läuft. Rein persönlich gefärbt: In meinem Umfeld gibt es nur sehr wenige Befürworter von Frauenquoten. Die neue Generation scheint – wiederum: reines Empfinden – das Ganze nicht mehr als wichtiges Problem anzusehen.

Arne Hoffmann: Herzlichen Dank für dieses Gespräch. Gute Nacht und viel Glück!

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