– zuerst erschienen auf Sciencefiles.org
Derzeit ist es en vogue, sich vom Kapitalismus zu distanzieren. “Die Krise heißt Kapitalismus” titelt die “Gruppe soziale Kämpfe” deren Ziel darin besteht, Re-Kommunalisierung und Verstaatlichung durchzusetzen, also Sozialismus einzuführen.
Eine andere Sektion der so genannten “Occupy Bewegung” ist gar der Ansicht “Echte Demokratie – das geht nur ohne Kapitalismus” und ein weiterer Blick zeigt, dass auch hier die “echte Demokratie” im Sozialismus und einer “radikalen Umverteilung des Reichtums” besteht. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass diejenigen, die heute nach dem Ende des Kapitalismus rufen, Profiteure des Kapitalismus sind, die – hätte die kapitalistische Wirtschaftsweise nicht über die letzten Jahrhunderte einen Reichtum geschaffen, der seines gleichen in der Menschheitsgeschichte sucht, vermutlich eher damit beschäftigt wären, ihren Lebensunterhalt zu sichern als sie es sind.
Ich habe mich immer gefragt, wer es sich eigentlich leisten kann, die Umverteilung von Reichtum zu fordern und für den aus seiner Sicht “kleinen Mann” einzutreten, während er sich Monate lang auf öffentlichen Plätzen einnistet. Leider gibt es keine Befragung unter so genannten Occupy Bewegten, der man den sozialstrukturellen Hintergrund der “Aktivisten” entnehmen könnte, aber die Tatsache, dass sie es – wie gesagt – Monate lang auf öffentlichen Plätzen aushalten, ohne dass sie an einem Arbeitsplatz vermisst werden, lässt doch zumindest den Schluss zu, dass sie nicht zu denjenigen gehören, die morgens um 6.00 Uhr zu ihrem Arbeitsplatz z.B. in Ludwigshafens BASF fahren, von dem sie nach einem 8 Stunden Werktag abends und zu müde zum Aktivist spielen zurückkehren. Occupy Aktivisten sind offensichtlich freigestellt von den Zwängen des täglichen Unterhaltserwerbs und finanzieren sich über Transferzahlungen – anders formuliert: Sie leben von den Steuern derjenigen, die täglich malochen, während Aktivisten Proteste feiern.
Angesichts dieses Zeitgeistes, der Kapitalismus dämonisiert und in dem die Irrationalität selbst bei der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft sich als “nachhaltiges Wachstum” eingefunden hat, ist es wohltuend, den Beitrag des Professors für Philosophie und Ökonomie der Ysehiva University in New York, James R. Otteson, zu lesen, der mit: “An Audacious Promise: The Moral Case for Capitalism” überschrieben ist. Darin macht Otteson zwei starke Argumente für den Kapitalismus. Das erste der beiden Argumente, wurde in diesem Beitrag und auf Sciencefiles.org bereits mehrfach gemacht: Ohne Kapitalismus hätten wir nicht den Reichtum, der unsere Gesellschaften auszeichnet. Von 1800 bis 2011 ist die Weltbevölkerung um das Sechsfache gewachsen. Im gleichen Zeitraum ist das Pro-Kopf-Einkommen um das 16fache gewachsen, und die Armut auf dem Erdball deutlich zurückgegangen, wie sich u.a. daran ablesen lässt, dass die Anzahl der Menschen, die mit weniger als $1 pro Tag auskommen müssen, weltweit deutlich gesunken ist und daran, dass zwischenzeitlich Hungersnöte und Hungertote die Ausnahme und nicht mehr die Regel sind.
Das zweite Argument, das Otteson für den Kapitalismus macht, scheint mir fast noch wichtiger zu sein als der beschriebene wirtschaftliche Erfolg, der dem Kapitalismus geschuldet ist. Ohne Kapitalismus, so meine Zuspitzung des Arguments von Otteson, gibt es keinen Respekt zwischen Menschen. Kapitalismus gibt Anreize zum Handel. Handel beschreibt den Austausch von Produkten oder Dienstleistungen zwischen Fremden. Entsprechend erweitert Kapitalismus den sozialen Kreis, in dem sich Individuen bewegen, er trägt dazu bei, dass über kulturelle, soziale und ethnische Grenzen hinweg, Interkationen zum Austausch von Gütern aufgenommen werden. Er wirkt insofern befriedend, denn Menschen, mit denen man handeln will, kann man nicht feindlich begegnen: “The social characteristics that in other times and under different institutions [different to capitalism] would lead to conflict – even violent, bloody conflict – become, under capitalism, irrelevant – and thus no longer cause for discord” (2) [Die sozialen Merkmale, die unter anderen Wirtschaftsformen als Kapitalismus zu Konflikt, auch gewalttätigem, blutigem Konflikt führen würden, sind im Kapitalismus irrelevant und daher keine Ursache für Unstimmigkeiten.]
Dass Kapitalismus die Gruppe der möglichen Handelspartner über die unmittelbare Umgebung hinaus erweitert, hat im Gegensatz zu dem, was uns die so genannte feministische “Ökonomie” weiß machen will, einen deutlich positiven Effekt auf das Wachstum, denn persönliche Beziehungen mögen für die Pflege und den eigenen Selbstwert relevant sein, sie sind es nicht, wenn es darum geht, den eigenen Lebensstandard zu erhöhen. Wer also Arbeiten am räumlich Nächsten vor den Handel und Austausch im Rahmen eines kapitalistischen Systems stellt, der reduziert damit den Lebensstandard der gesamten Gesellschaft.
Schließlich, und das ist der Kulminationspunkt der Argumentation von Otteson, ist ohne eine kapitalistische Austauschbeziehung kein Respekt zwischen Menschen möglich. Dies ist eigentlich ein einfacher Gedanke, denn der Austausch von Gütern oder Leistungen setzt voraus, dass man am Austausch und nicht an der Person des Austauschenden interessiert ist. Beide Austauschpartner verfolgen dabei eigennützige Interessen, wie Adam Smith dies bereits vor Jahrhunderten formuliert hat: “It is not from the benevolence of the butcher, the brewer or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest. We address ourselves, not to their humanity but to their self-love, and never talk to them of our own necessities but of their own advantages” [Unser Lebensunterhalt hängt nicht vom Wohlwollens des Metzgers, Brauer oder Bäcker, sondern davon ab, dass sie ihr eigenes Interesse verfolgen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschlichkeit, sondern an ihre Eigenliebe. Wir sprechen nie über unsere eigenen Notwendigkeiten, sondern von deren eigenem Vorteil.]
Die zitierte Stelle von Adam Smith beschreibt keine Selbstsucht, sondern Respekt. Im kapitalistischen Austausch treten sich Akteure gegenüber, die sich gegenseitig respektieren. Unabhängig von der Hautfarbe, der sozialen Klasse, der Bildung oder der Augenfarbe findet ein freiwilliger Austausch zwischen gleichen und gleichberechtigten Vertragspartnern statt. Dies ist der deutlichste Widerspruch zu allen sozialistischen und wohlfahrtsstaatlichen Wirtschaftsformen, die auf der folgenden Prämisse basieren: “‘We do not believe that you are competent to lead your own life, so we shall do it for you’. Mit Respekt hat dies nichts zu tun: ” That may be a proper way to treat children or the mentally infirm, but it is a demeaning and disgraceful way to treat adults – and unacceptable for a free people” (3) [Wir glauben nicht, dass Du kompetent genug bist, ein eigenständiges Leben zu führen, deshalb führen wir Dein Leben für dich. Das mag eine angemessene Art der Behandlung von Kindern oder geistig Behinderten sein, aber es ist eine erniedrigende und erbärmliche Art, Erwachsene zu behandeln – und es ist inakzeptabel für freie Menschen.]
Kapitalismus ist die einzige Wirtschaftsform, die freie, würdevolle, selbstsichere und kompetente Akteure zulässt, Kapitalismus ist Gegensatz zu Paternalismus, denn: freie, würdevolle, selbstsichere und kompetente Akteure sind keine Akteure, die sich vom Wohlfahrtsstaat und den Agenten seiner paternalistischen Eingriffe vorschreiben lassen, wie sie zu leben und was sie zu tun haben. Entsprechend haben Staaten, Wohlfahrtsstaaten im Besonderen, kein Interesse an eigenständigen Menschen und sie haben keinen Respekt für ihre Bürger, denn hätten Sie Respekt, sie würden nicht in deren Leben intervenieren. Somit steht am Ende dieses posts die Feststellung, dass Wohlfahrtsstaaten, Sozialismus und alle anderen Formen der paternalistischen Bevormundung von Bürgern nicht nur auf der Prämisse basieren, dass Bürger nicht kompetent und selbstsicher genug sind, ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, sie stimmen auch in einer anderen Prämisse überein: Sie haben keinerlei Respekt vor ihren Bürgern.
Epilog
Dadurch, dass Wohlfahrtsstaaten mit ihren Transferzahlungen Individuen davon freistellen, in Austausch mit anderen zu treten, drehen sie die emanzipierende Leistung des Kapitalismus zurück. Empfänger von Transferzahlungen haben keine Notwendigkeit, Respekt für andere zu haben und Respekt für sich selbst in eigener Leistung zu begründen. Sie können sich in räumlicher Kleinstgruppe einrichten und Vorurteile gegen andere aufbauen, die sie nicht kennen, und mit denen in Austauschbeziehungen zu treten, sie nicht nötig haben. Und so befördern Wohlfahrtsstaaten die Rassismen und Ethnozentrismen, die Vorurteile und Abwehrreaktionen, die die Menschheit im Laufe ihrer Geschichte und im Rahmen eines kapitalistischen Wirtschaftssystem gerade dabei war, zu überwinden.