Warum die neuerdings wieder forcierte Debatte um die angebliche Dringlichkeit eines höheren Frauenanteils in Aufsichtsräten, Vorstandsgremien oder sonst wo an den tatsächlichen Problemen unserer Lebens- und Arbeitsrealität völlig vorbeigeht
Noch nie waren sie so wertvoll wie heute. Alle Welt möchte Frauen – vor allem in den Aufsichtsräten und Vorstandsetagen der Nation. Warum sie da nicht längst schon sitzen, die Angehörigen des besseren Geschlechts? Weil die Männer lieber unter sich sind und Frauen wegbeißen, die Anstoß an ihren schlechten Manieren nehmen könnten? Weshalb wir uns regelmäßig die Frisur an der „gläsernen Decke“ ruinieren, an die wir stoßen, wenn wir nach oben wollen?
Plötzlich findet sie überall Fürsprecher, die Quote. Wenn die Männer nicht wollen, muss man sie eben zwingen. Prima. Das Problem ist nur, dass man auch die Frauen zwingen muss, ihr Glück in den Vorstandsetagen zu suchen. Ahnen sie, dass man nur deshalb nach ihnen ruft, weil angesichts der Altersstruktur der Gesellschaft ohne sie das Niveau des gesellschaftlichen Wohlstands nicht zu halten ist?
Unerfreulich und komplexe Wahrheit
Nun, die Wahrheit ist komplex und also unerfreulich. Denn das Weib weiß auch Jahrzehnte nach Freud noch immer nicht, was es will, obwohl es doch alles darf und soll. Auch Frauen heute zeigen sich entscheidungsschwach: Wollen sie Kinder, Küche, Kerl? Oder doch lieber Karriere? Oder beides? Alles auf einmal? Eins nach dem anderen? Bei vielen hält der Zweifel so lange an, bis sich die Frage durch den Gang der Dinge von selbst erledigt hat.
Und daran ist mal nicht die Unterdrückung durchs Patriarchat schuld, im Gegenteil: seit den Frauen wenigstens hierzulande niemand mehr sagt, was sie müssen; seit sie endlich auch dürfen, was sie wollen, scheinen sie sich selbst ein Rätsel geworden zu sein.
Frauen können rechnen
Gut also, dass sich neuerdings wieder mächtige Stimmen erheben, die den Weibern sagen, wo’s lang geht. Diesmal sind es allerdings nicht Landes- und Kirchenfürsten, die ihnen bei ihrer Willensfindung beistehen, sondern die Frauen, die Mütter, ach was: die Großmütter der Bewegung, die den richtigen Weg ausleuchten. Doch was die sagen, kündet nur vom alten Dilemma: Frauen können alles und machen es niemandem recht – nicht sich selbst, nicht den Männern, nicht anderen Frauen, mit den Müttern angefangen. Aber vor allem nicht den Übermüttern der Frauenbewegung.
Allen Ermahnungen und öffentlichen Kampagnen zum Trotz wird nur eine verschwindend kleine Minderheit der Frauen Ingenieur oder macht eine Maurerlehre. Frauen streben keineswegs massenhaft in die Aufsichtsräte der Republik und an die Schalthebel der Macht. Obwohl ihnen alle Wege offen stehen, entscheiden sich die meisten Frauen für klassische Frauenberufe. Und die, die in einem klassischen Männerberuf Karriere machen? Verlassen ihn oft vorzeitig, weil sie noch anderes im Leben vorhaben. Frauen, konstatieren Forscherinnen, nehmen sich die Freiheit, die sie heute haben, um sich anders zu entscheiden als Männer, weil sie andere Ansprüche ans Leben und ans Berufsleben haben. Männer und Frauen sind nun mal unterschiedlich.
Da geht dann der Streit gleich wieder los. Wer sich die Freiheit nimmt, Frauen in ihren Lebensentscheidungen ernst zu nehmen, wer daraus auf Geschlechtsunterschiede schließt und gar die Biologie, die Hormone, die „Natur“ zitiert, darf mit erbittertem Widerstand rechnen. Frauen selbst trauen ihren Geschlechtsgenossinnen nicht zu, freie Entscheidungen getroffen zu haben, wenn sie Kinder und Haushalt wählen oder selbstbewusst dem sozialen Beruf statt der lukrativen Karriere den Vorzug geben.
Frauen sind weder blöd noch Opfer und die meisten von ihnen können rechnen. Manche von ihnen sind durchaus kühl kalkulierende Subjekte: Sie schicken den Mann frühmorgens zum Geldanschaffen aus dem Haus, dessen Bereitschaft dazu im übrigen steigt, sobald Kinder da sind. Nicht, dass die Damen nun sämtlich zuhause säßen bei Milchkaffee und Maniküre. Aber wer behauptet eigentlich, dass die Freude an Küche und Kindern nicht ebenso groß sein kann wie die Erfüllung, die der Mann in seinem Beruf findet? Zur Freiheit der Frauen gehört auch, etwas zu wählen, was gerade kein uraltes Rollenmodell ist, sondern eher eine Errungenschaft der Neuzeit. In der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts kämpfte man dagegen, alle und alles in die große Tretmühle des Frühkapitalismus zu geben und empfand die Hausfrauenehe als Freiheit.
Und die Rente, für die Hausfrau und Mutter nicht einzahlt? Und was, wenn er sie irgendwann verlässt, weil er was Frischeres hat? Dagegen helfen Voraussicht und ein Ehevertrag und im übrigen das deutsche Scheidungsrecht, das nicht dafür bekannt ist, dass es die Männer begünstigt.
Frauen mögen also feige sein, wenn es um Berufskarrieren geht, Opfer im Hausfrauenkittel sind sie nicht. Und dass es die Männer wären, die sie an einer Karriere hinderten, so sie denn eine wollen, stimmt immer wieder – und immer wieder nicht. Gut ausgebildete Frauen werden umworben wie nie zuvor.
„Doppelbelastung“ und „Rabenmütter“
Die Demografie und der Fachkräftemangel arbeiten ihnen zu: Unternehmen bezahlen heute fast jeden Preis, um ihre qualifizierten Mitarbeiterinnen zu halten. Doch selbst der reicht oft nicht aus, um Frauen die „Doppelbelastung“ mit Kindern und Karriere schmackhaft zu machen. Frauen verdienen im Schnitt nicht deshalb weniger als Männer, weil man ihnen etwas vorenthält, sondern weil sie Teilzeitmodelle wählen und weniger Zeit am Arbeitsplatz zu verbringen.
Der Weg aus dem Dilemma ist gar nicht so steinig und deutet sich längst an. Er heißt: Wertschätzung der Älteren. In einer Welt, in der man mit 40 etwas sein muss, weil man sonst nichts mehr wird, sind Frauen in der Tat diskriminiert, sofern sie Kinder möchten und dem Vorwurf der „Rabenmutter“ entgehen wollen, der umso lauter ertönt, desto seltener Nachwuchs geworden ist.
Die Quote ist Quatsch
Erst wenn Frauen nicht mehr fürchten müssen, beruflich ins Aus zu geraten, wenn sie ihre Kinder eine Zeit lang wichtiger nehmen als ihren Beruf, könnte gelingen, was Politiker bislang mit Geld nicht zustandebringen: dass Frauen wieder Kinder kriegen. Die Karriere dann eben später – und wenn man sie sich anschaut, die Lagardes und Merkels, die auf ihre je eigene Weise eine verdammt gute Figur machen, dann möchte man sich glatt darauf freuen.
Die Quote ist Quatsch. Die Diskussion darüber tut so, als ob noch immer der Kampf der Geschlechter unser Leben bestimmt. In Wirklichkeit sind es unsere Lebens- und Arbeitsstrukturen, die nicht mehr passen. Auch wenn man damit nicht die Welt rettet: hier läge die Möglichkeit, sie zumindest zu verändern.
Bildnachweis: Alexandre Jacques Chantron (1891) Danae