Liebe Piraten, liebe Frauen!
Da ich einige Piratengeschichten und ein Sachbuch für Kinder zum Thema geschrieben habe, liegt die Vermutung nahe, dass ich auch ein Freund der Piraten-Partei bin (ein Freund einzelner Frauen bin ich sowieso), und dass ich nun – quasi als Insider – etwas sagen kann zu dem Vorwurf, die Partei sei sexistisch und frauenfeindlich. Das kann ich. Ich will bei der Gelegenheit noch mehr sagen: zu Piraten, zu Feministen, zur Demokratie und zum Totenkult.
Dazu muss ich zunächst den Unterschied zwischen Freibeutern und Piraten erklären, auch wenn es nicht immer leicht ist, eine Grenzlinie zu ziehen zwischen den „legalen“ und den „illegalen“ Piraten. Manche wie William Kidd oder Jean Laffite (der übrigens Karl Marx und Friedrich Engels 1837 persönlich kennenlernte und finanziell unterstützte) wechselten mehrmals die Seiten und machen es etwas unübersichtlich. Doch es ist ein grundsätzlicher Unterschied. Um es gleich zu sagen – hier liegt ein Irrtum vor: Freibeuter waren nicht „frei“ und Piraten waren nicht „gleich“.
Francis Drake zum Beispiel war Freibeuter, er handelte im Auftrag der Queen, die nicht etwa eine Piratenbraut war, sondern die „Mutter der Piraten“, sie erwies ihm sogar die Ehre eines Besuchs auf seinem Schiff. Francis Drake segelte unter der Flagge des Empires, sein Schiff hatte das Kennzeichen HMS, „Her Majesty’s Ship“. Ein so genannter Kaperbrief ermächtigte ihn zu seinen Raubzügen. Er griff nur Schiffe an, die gerade mit seiner Schutzmacht verfeindet waren, er nahm lediglich eine Prise, er stelle sogar eine Quittung als Empfangsbestätigung aus. Ein normales Handelsschiff konnte eine Begegnung mit der ‚Golden Hind’ durchaus überstehen.
Eine Begegnung mit Piraten nicht. Die segelten unter falscher Flagge und hissten erst im letzten Moment ihre eigene, selbstgemachte Flagge – den gefürchteten Jolly Roger, der irgendein Todessymbol enthielt: Knochen, Schädel, Stundenuhr, Blutstropfen. Jeder Pirat hatte sein eigenes Markenzeichen. Nun gab es Tote. Die Schiffe wurden ausgeraubt und zerstört. Piraten mussten so radikal sein; denn für sie gab es keine Schutzmacht. Sie hatten auch keine festen Abnehmer, bei denen sie die Beute loswerden konnten, viele hatten Probleme, Zwischenhändler zu finden, es gab nur einige wenige Hochburgen, in denen Diebesgut gehandelt wurde: Tortuga, Havanna und – erstaunlicherweise – New York. Manchmal wurden die Piraten ihre Beute nicht los und hinterließen uns den Traum vom unentdeckten Piratenschatz, den wir eines Tages finden werden.
Die Piratenflagge diente der Abschreckung. Die Piraten sorgten selber mit Nachdruck für ihren schlechten Ruf als „Schrecken der Meere“ – man nennt es „Wind machen“ -, doch es war nicht nur Angeberei und vorsätzliche Negativwerbung. Der Totenkult war nicht bloß Show. Ihre Killerfresse war keine Maske. Sie waren so. Zivilisatorische Errungenschaften gab es für sie nicht, einen Mindeststandard an Menschlichkeit konnten sie lässig unterlaufen. Sie waren eine furchtbare Plage, sie überfielen schutzlose Hafenstädte und selbst kleine Fischerboote. Der Pirat Monbars war für seine extrem grausamen Foltermethoden bekannt. Das Blut, das an ihnen klebte, steht einer späteren Verklärung nicht im Wege – im Gegenteil. Je großer der Leichenberg, desto größer der Ruhm. Das wundert nur Leute, die auch nicht wissen, dass es oft gerade die Serienkiller sind, die Waschkörbeweise Liebesbriefe in ihre Todeszelle geschickt kriegen.
Frauen waren besonders schlimm. Das überrascht uns nicht, wir halten es jedoch für eine Ausnahmeerscheinung. Wir kennen das von den Terroristen – denken wir an Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. So war es auch bei den Piraten. Da gab es Mary Reed (ich weiß nicht, ob der Drink „Bloody Mary“ nach ihr benannt ist, wäre aber nicht überrascht) oder die berühmte Ann Bonny, die zweitweise mit Edward Teach (oder Thach), genannt Blackbeard, zusammen unterwegs war. Die Chinesin Cheng (auch als Witwe Ching bekannt) galt als Top-Terroristin, sie war weltweit die Größte ihrer Branche, ihr werden bis zu 1000 Schiffe zugeschrieben. Im Nahkampf waren sie besonders brutal. Angesicht ihrer Opfer rissen sie sich die Bluse auf und entblößten ihre Brüste, um den Sterbenden zu verhöhnen: Sieh an, es ist eine Frau, die dich getötet hat.
Das ist lange her. Mit dem Piraten-Pardon des Jahres 1718 – einer Art Generalamnestie, die das Königshaus all denen anbot, die künftig ein ehrliches Leben führen wollten – und mit dem gleichzeitigen Aufkommen der Dampfschiffe – endete die „goldene Ära“ der Piraten, die nun im Halbdunkel der Kinos weiterlebt, in denen ‚Fluch der Karibik’ läuft. Da erfährt der verblüffte Zuschauer, dass Käpt’n Sparrow eigentlich eine Tunte ist, und heute kann man in der Klatschpresse nachlesen, dass Johnny Depp an seine Lebensgefährtin 124 Millionen Euro Abfindung zahlt, damit sie ihn mit einem Rosenkrieg verschont.
Der Pirat Simon Kowalewski bezeichnet sich als „Radikalfeminist“, und in einem frühen Text (den ich gerade nicht finde), beschreibt Alice Schwarzer die „Emanzen“, wie man sie damals nannte, treffsicher als „Piraten“. Das Bild, das wir dabei sofort vor Augen haben, ist ein Gesicht mit Augenklappe. Damit ist ein starkes Symbol für die Frauenpolitik in die Welt gesetzt; ich hatte gar nicht in Erinnerung, dass sich Alice Schwarzer so gut ausdrücken kann und dass sie so präzise Beschreibungen liefert: Frauenpolitik ist grundsätzlich auf einem Auge blind, sie ist ausschließlich für die Halbwelt der Frauen zuständig und schon bei der Wahrnehmung der Probleme wird nur die halbe Wahrheit (die eine ganze Lüge ist) in den Blick genommen. Es ist eine aufgesetzte Halbblindheit, eine rein modische Augenklappe. In Wirklichkeit sind die Aktivisten nicht einäugig. Sie tun nur so. Oder? Vielleicht sind sie es auch. Jedenfalls sind sie so wie die echten Piraten nicht in der Lage, über den Tellerrand ihrer Vorteile hinauszublicken und ein umfassendes Gesellschaftsmodell zu entwickeln.
Feministen sind Piraten – keine Freibeuter. Sie liefern ihre Beute nirgendwo ab. „Frauen verdienen inzwischen ihr eigenes Geld“, heißt es heute. Mit der Formulierung „eigenes Geld“ ist gemeint, dass sie es für sich behalten und nichts abgeben. Sibel Kekilli kommentierte ihre Vergangenheit als Porno-Modell mit der Bemerkung: „Ich war jung und brauchte das Geld“. Nun ja: Jung sind wir alle. Immer noch. Aber wozu brauchte sie das Geld? Wollte sie damit etwa irgendwelche Projekte finanzieren oder wollte sie die Gelder in einem „schwarzen Loch“ verschwinden lassen?
Frauen brauchen Geld, um es zu verbrauchen. Sie steigen in bestehende Strukturen ein, nutzen sie aus und zerstören die mit einer parasitären Politik „von Frauen für Frauen“, wie es in aller Deutlichkeit heißt. Es gibt keinen anderen Zweck. Als Ann Bondy bei Schwarzbart an Bord war, hatte sie sich in Männerkleidern getarnt. Sie verliebte sich in einen hübschen Piraten, und als sie mit ihm intim werden wollte, merkte sie, dass es ebenfalls eine Frau in Männerkleidern war. Die beiden machten sich selbstständig und arbeiteten fortan auf eigene Rechnung. Es ist ein seltener Fall. So wie auch eine erfolgreiche Selbständigkeit und eine eigene Unternehmensgründung von Frauen selten ist. Auch hier ging es nur mit einer gewissen – allerdings unfreiwilligen – Starthilfe.
Feministen sind aber nicht so grausam – oder? Die wilden Frauen wie Ann Bondy waren doch eher die Ausnahmen – oder? Wie hätten sie sich sonst auch in der rauen Männerwelt der Piraten behaupten können? Die Einzelfälle passen nicht so recht ins Bild. Stimmt: das Bild ist anders. Männer trugen ihre Gewaltbereitschaft demonstrativ vor sich her – was damals eine Funktion hatte und uns heute eher lächerlich vorkommt. Frauen nicht. Die machen es anders. Im letzten Monat des Zweiten Weltkrieges wurden an der Heimatfront fünftausend Todesurteile vollstreckt wegen angeblicher Kooperation mit dem Feind oder wegen Defätismus. Es waren ausschließlich Männer, die von ihren Ehefrauen denunziert und in letzter Minute entsorgt worden. So machen sie das.
Hier muss wieder der Unterschied zwischen Freibeutern und Piraten beachtet werden: Freibeuter unterstanden der Queen, die Todesurteile vollstrecken ließ, Piraten erledigten das selber. Frauen, die wie Piraten selber töteten, waren tatsächlich selten. Sie machten es lieber so wie die Queen: sie ließen töten. Die Gewalt der Frauen ist delegierte Gewalt. Ihre Grausamkeit ist ihre Gefühllosigkeit. Ihr Degen ist die Falschbeschuldigung. Der heimliche Totenkult des Feminismus ist die Abtreibung. Es geht immer nur um fette Beute. Um nichts anderes. Feministen und Piraten halten sich grundsätzlich nicht an Gesetze, sie machen ihre eigenen, je nach dem, was ihnen gerade günstig erscheint. Jürgen Elsässer nennt den Feminismus von heute daher auch: „Raubtier-Kapitalismus“. Und sie sind die Tyrannen von heute: Sie bestimmen über Leben und Tod.
Als Meilenstein in ihrer Erfolgsgeschichte sehen Feministen selber die Reform des Paragraphen 218. Die gilt inzwischen als point of no return. Darüber spricht man nicht mehr. Im Film ‚Doktor Schiwago’ konnten wir noch einen traurigen Mann sehen, der darunter litt, dass seine Geliebte das Kind, auf das er sich schon freute, abtreiben lässt. Aber das ist lange her, und Boris Pasternak ist tot. Das Thema ist out. Dabei handelt es sich um eine große moralische Frage – wie die nach der Berechtigung von Sterbehilfe oder der Todesstrafe. Es geht immerhin um Leben oder Tod.
Und es geht um die Reichweite von Frauenrechten. Die Messlatte wurde so hoch wie irgend möglich gelegt. Für Frauen, die seither Tyrannen-Status haben und selbstherrlich über Leben und Tod verfügen können, ist alles andere nebensächlich geworden. Das sind Kleinigkeiten. Selbstverständlich bestimmen sie nun auch über den Nachwuchs, über das Vermögen des Mannes und darüber, ob er überhaupt wissen darf, von wem das Kind ist. Außerdem legen sie fest, was alles als Gewalt, was als „positive“ und was als „nicht positive“ Diskriminierung zu gelten hat. Und sie dürfen sagen, wie viele von den Premium-Plätzen in der Gesellschaft man für sie anwärmen und freihalten soll.
Damit sind wir schon beim was der SPD durchaus bewusst war, als sie die Quote ausdrücklich unter der Bedingung einer zeitlichen Begrenzung einführte. Bis 2013. Doch nun gilt sie „for ever“, die Begrenzung wurde aufgehoben, obwohl sich an der Verfassung selber und an den Bedenken gegen die Quote nichts geändert hat. Es wurde auch das Ziel der Quote – den Frauenanteil zu erhöhen – nicht erreicht. Geändert hat sich jedoch das Demokratieverständnis. Und es haben sich die Mehrheitsverhältnisse geändert. Die Frauen, die mit der Quote als Baziellenträger des Sexismus in die Partei eingezogen sind, haben nun eine Sperrminorität und blockieren alles, was ihre Privilegien gefährden könnte. Nun wird die SPD die Quote nicht mehr los. Die bleibt. Basta. Dann soll die Piraten-Partei auch eine haben.
Für eine Piraten-Partei sollte das kein Problem sein. Sie könnten ja, wenn sie nicht genug Frauen haben, kurzerhand welche „shanghaien“ – so nannte man das, wenn man früher an Bord um ein paar Arbeitskräfte „zu kurz“ war, und ahnungslose Landratten unter Alkohol oder Drogen setzte und entführte. So könnte auch die Piraten-Partei auf eine Quote kommen. Doch auf was für eine? Wie wäre es mit 30 Prozent? Mit 40%? Oder mit 50%? Es muss keine Zahl sein, die man leicht im Kopf ausrechnen kann. Heute hat jeder Pirat einen Taschenrechner.
Mein Tipp wäre 42%. Denn ich schätze mal, dass die jungen Helden der Piraten-Partei nicht etwa das Buch ‚Träum weiter Deutschland’ von Günter Ederer gelesen haben (was jeder tun sollte, der sich für Politik interessiert – aber wer tut das schon?), dass sie aber ‚Per Anhalter durch die Galaxis’ von Douglas Adams kennen (was wiederum typisch wäre für diese Computer-Freaks). Da wird ein Superhirn befragt, was die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens ist. Das Superhirn rechnet, die Lösung lautet: 42. So kam auch der Bandname „Level 42“ zustande.
Doch ich fürchte, dass da nicht zu spaßen ist. Weder waren die echten Piraten für ihren Humor bekannt, noch sind es die Befürworter der Quote. Solche Vorschläge gehen auch flott an den tatsächlichen – und gefühlten – Machtverhältnissen vorbei. Eine Diskussion mit einer Frau über ein so läppisches Thema wie die Quote ist wie ein Smalltalk mit James Bond. Das kann ganz nett sein, und man kann Gin trinken, der nicht geschüttelt sondern gerührt ist. Doch es ist nie ein Gespräch auf Augenhöhe. Er hat die Lizenz zum Töten. Wir nicht. Frauen haben heute alle ein 007 als Anhängsel. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied zu James Bond – und zu Francis Drake: Frauen handeln nicht im Auftrag Ihrer Majestät. Sie sind ihre eigenen Majestäten. Sie haben auch keinen Gott, der über ihnen steht. So verkündet es jedenfalls die Bibelübersetzung in „gerechter Sprache“. Da wird Gott nicht mehr als „höheres Wesen“ gesehen, sondern als „Freundin“ von Frau Käßmann – wie sie in einem Interview gesagt hat. Damit rücken Frauen zu Gottgleichen auf.
Piraten kannten keinen Gott. Sie öffneten Gräber, fluchten in „Gottes Namen“, verstießen nicht nur gegen das fünfte, sonder auch gegen alle anderen Gebote, sie raubten Kirchen aus und benutzen Mönche als lebende Schutzschilder. Man kann nicht sagen, dass sie – wie im Sprichwort – „weder Tod noch Teufel“ fürchteten. Sie waren selber die Teufel und fürchteten sehr wohl den Tod. Der Galgen war ihnen sicher, wenn sie geschnappt wurden. In ihrer Freizeit spielten sie – auch ohne Anleitung von Psychologen – immer wieder ihre Todesstunde in improvisierten Szenen durch, um damit ihre Angst zu überwinden. Wenn sie nach kurzem Prozess an einer Schiffsrah aufgehängt wurden, war das ein vergleichsweise gnädiges Schicksal. Andere wurden vorher lange gequält, unter Bretter gelegt und von Steinen erdrückt, die nach und nach auf die Bretter geschichtet wurden. Da konnte dann jeder ihrer Verächter mitmachen und seinen kleinen Stein dazu beitragen. William Kidd wurde in einem Käfig aufgehängt, der so platziert war, dass die nächste Flut ihn umbringen würde. In Ausnahmefällen konnte ein Pirat dem Galgen entkommen, wenn er eine gealterte Prostituierte heiratete und sie versorgte.
Ann Bonny hat das Piraten-Pardon nicht genutzt und hat ihre Raubzüge fortgesetzt – jedoch ohne Erfolg. Sie wurde gefangen und hätte auch am Galgen baumeln sollen – so wie anderen Piraten auch. Doch sie war schwanger, und so durfte sie nach damaligen moralischen Wertvorstellungen nicht gehängt werden und wurde vorläufig im Tower von London eingesperrt. Es ist immer noch ein Rätsel, wie es ihr gelang, aus diesem gut bewachten Verlies wieder zu entkommen, doch sie hat es geschafft. So hat ausgerechnet das Verbot, ungeborenes Leben zu töten, ihr das Leben gerettet. Angeblich spukt ihr Geist immer noch in den Gemäuern des Towers, wo der Tourist heute ein paar Piraten-Accessoires als Souvenir kaufen kann.
Ein ahnungsloser Fremder muss den Eindruck haben, dass in Deutschland zur Zeit ein neuer Totenkult herrscht – Totenköpfe, wohin man blickt: bei Kindergeburtstagen, beim FC St. Pauli, auf T-Shirts und auf Wärmflaschen. Selbst in Schrebergärten, wo man es wirklich nicht vermuten sollte, werden Piratenflaggen gehisst. Der Totenkult, der Ausdruck eines totalitären Regimes ist und einen nahenden Untergang anzeigt, ist in Deutschland momentan schwer in Mode. Dass es bei Piraten so war, verwundert nicht: die standen sowieso mit einem Holzbein im Grab. Das steigerte ihr Lebensgefühl und machte sie grausam. Aber „gerade in Deutschland“ (um auch mal eine Floskel zu verwenden) wundert es schon, wenn man bedenkt, dass die SS, die zum Schutz des Volkes berufen war, weshalb sie auch „Schutz-Staffel“ hieß, ebenfalls den Totenkopf als Symbol kultivierte.
Man ist also versucht zu sagen, dass der Totenkult in Deutschland „wieder mal“ groß in Mode ist. Wir hatten das schon mal. Wir sind normalerweise sehr hellhörig, wenn irgendetwas auch nur entfernt an das Dritte Reich erinnert – sei es die Formulierung einer Sportreporterin, die vom „innerer Reichsparteitag“ spricht, oder sei es das böse Wort „Autobahn“. Aber was ist mit den Symbolen? Und zwar mit denen, die wirklich etwas bedeuten? Der Totenkopf war bitter ernst gemeint.
Der Totenkopf der SS ist nach wie vor verboten. Wer ihn verwendet, macht sich strafbar. Ein Totenkopf als Tattoo-Motiv ist jedoch sehr beliebt, nicht nur in der rechten Szene. Also muss es leicht variiert werden. Es lebe der kleine Unterschied. Wie sagte schon Loriot: „Man muss schon sehr genau hingucken.“ Die Polizei kann das unterscheiden, der ahnungslose Fremde könnte es nicht.
Also: Wen haben wir vor uns, wenn wir einem Mann mit Totenkopf begegnen? Ist es ein neuer Nazi? Ein ewiger Anarchist? Ein alter Kommunist? Ein besinnungsloses Opfer einer neuen Mode? Oder ein Wähler der Piraten-Partei? Irgendwie gelten die Piraten als „eher links“ – und die „edlen“ Piraten werden als „Robin Hood der Meere“ verklärt. Wieso eigentlich?
Willi Bredel hat seinen bescheidenen Teil dazu beigetragen: Er hat aus Piraten Urkommunisten gemacht. Wie das? Dazu muss man die Gegner pauschal dämonisieren (die anderen sind alle böse) und beim Blick auf die Piraten ein Auge zudrücken. So geht’s. Vermutlich hatte er sich schon beim Schreiben eine Augenklappe aufgesetzt. In dem Störtebeker-Roman ‚Vitalienbrüder’ lässt er an einer Stelle seinen Helden über den Zustand der Welt nachdenken, und dabei steigt in ihm dunkel und sehr undeutlich die Ahnung von einer besseren Gesellschaft auf – in anderen Worten: sein Pirat war ein „gefühlter Kommunist“. Er wusste es nur nicht. Willi Bredel wusste es: Er war im Zentralkomitee der SED und Präsident der Deutschen Akademie der Künste. Er kannte sich mit Kommunisten besser aus als mit Piraten.
Es klingt schon so: „Likedeeler“ (niederdeutsch für Gleichteiler) klingt wie File-Sharer, da vermutet man Gleichberechtigung, womöglich Gleichstellung. Sie waren aber nicht gleich. Das heißt: in gewisser Hinsicht schon. George Anson gilt als „Letzter Pirat der britischen Krone“ (er war in Wirklichkeit ein klassischer Freibeuter), der seiner Königin erstaunliche Schätze abliefern konnte, die er den Spaniern abgejagt hatte. Bei seinen Raubzügen verlor er jedoch 1000 Mann (in Worten: Tausend). Die waren „alle gleich“. Die ja! Hier gilt das Lied von Wolf Biermann: „Soldaten sind sich alle gleich, lebendig und als Leich’“. Gleichheit ist eine Illusion, die erst durch die Masse hervorgerufen wird. Je größer die ist, desto gleicher erscheinen die einzelnen, die in der Masse untergehen. Je kleiner eine Mannschaft ist, desto ungleicher sind die einzelnen. Jeder hatte einen Sonderstatus: der Navigator, der Koch, der Arzt – auch der Musiker an Bord. Piraten hatten obendrein oft Informanten an Land, manche unterhielten sogar so etwas wie einen diplomatischen Dienst. Außerdem wurden Übersetzer benötigt.
Die großen Zahlen überraschen die Romantiker, die sich das so niedlich vorstellten: Da kommt ein Schiffchen mit rauen Gesellen und einer selbst genähten Flagge. Nein: Piratenkapitäne waren wie Warlords, die manchmal über erstaunlich große Verbände verfügten, die auch an Land operierten. Je nach politischer Lage paktierten sie mit Regierungen – oft nur zum Schein. Bei der Gelegenheit will ich noch ein Wort an die Befürworter der Quote richten: Die ist nur bei einer großen Mengen von Leuten, die genau gleiche Arbeit verrichten, möglich. Unter Galeerensklaven könnte man sich gut eine Quote – etwa für Ruderer mit Migrationshintergrund – vorstellen. Eine Quote für kleine, spezialisierte Gruppen wird zum Holzbeinzwang.
Daniel Defoe war ein Experte in Sachen Piraten, er hatte selber als Gefangener unter ihnen gelebt. Er hat uns eine umfassende Darstellung des Piratenlebens hinterlassen (leider nur in englisch erhältlich), und in ‚Robinson Crusoe’ gezeigt, wie es einem ergeht, der von Piraten verstoßen wird. Der wurde nicht etwa, wie es die Legende besagt, mit verbundenen Augen über die Planke ins haiverseuchte Wasser gejagt, sondern auf einer einsamen Insel ausgesetzt, wo er elendig in Einsamkeit verenden sollte. Die Mannschaft war ein Familienersatz, es war der letzte Zusammenhalt, an den sich ein Pirat klammern konnte. Wenn er den verlor, weil er gegen Regel der Gemeinschaft verstoßen hatte und sich beispielsweise an Bord in eine Prügelei verwickeln ließ – Piraten durften sich nur an Land prügeln und auch nur an Land Würfelspiele machen -, der war verloren. „Allein gehst du ein“ – so die Formel – nur die Gemeinschaft lebt.
Aber wie? Und wo? Defoe berichtet von Libertaria, einer unabhängigen Piratenkolonie auf Madagaskar, wo es keine Zäune gab und alle alles teilten. Da ist sie wieder: die Utopie, die Idealvorstellung. In Madagaskar gab es tatsächlich eine Piraten-Siedlung. Und es gab sofort Streit und Gemetzel. Libertaria war ein Wolkenkuckucksheim. Kein Wunder dass wir noch nie davon gehört haben. Dabei ist das gerade die Gretchenfrage für eine politische Bewegung: Können Piraten ein soziales Gebilde schaffen?
Nein. Piraten konnten nur davon träumen, irgendwann ein geruhsames Leben zu führen. In Wirklichkeit war NO FUTURE ihre Parole. Sie konnten kein Gemeinwesen schaffen – und keins erhalten. Auch wenn es schon gewisse Regeln gab. So hatten sie tatsächlich so etwas wie eine Krankenkasse, die festgelegte Ersatzleistungen für verlorene Gliedmaßen bereithielt. Aber das war schon alles. Sie schufen keine Werte, sie raubten welche. Sie bildeten keine Strukturen, sie zerstörten welche. Sie hatten nur den Horizont der eigenen Mannschaft und den des eigenen Interesses. Die Frauen unter ihnen arbeiteten auf eigene Rechnung und vereinten sich nicht mit den Männern. Umgekehrt auch nicht: Blackbeard war angeblich ganze elf Mal verheiratet – es war der reine Hohn. Auf der Piratenhochburg Tortuga mussten extra 1650 Prostituierte importiert werden, dabei war die Insel gar nicht so groß. So sah das Zusammenleben von Mann und Frau bei den Piraten aus. Es gab keine Gemeinsamkeit.
Es gab auch keine Kinder. Die wurden, falls sich mal zufällig welche – was selten genug war – unter der Beute befanden, einfach über Bord geworfen. Wenn sie mindestens zehn Jahre alt waren, wurden sie als Hilfskräfte versklavt, sie waren noch klein und brauchten nicht viel Platz. Erstaunlich eigentlich, dass gerade bei Kindern sich die Piratenbücher großer Beliebtheit erfreuen. Piraten standen immer vor dem Aus. Sie hatten keine Zukunft. Sie hatten keine Erben. Viele ihre Schätze sind immer noch nicht gefunden.
Das machte sie so grausam. Das Fehlen einer Zukunft brachte den Totenkult mit sich – die Ahnung, dass es sowieso böse enden wird. Wer keine Zukunft hat, braucht auch keine Moral. Zwar gab es Piraten, die aus Überzeugung ausschließlich spanische Schiffe überfielen, aber das macht noch kein politisches Programm. Persönliche Rachegelüste, Neid oder Raffgier spielten die größere Rolle. Als der Kirchenschatz von Lima dem ehrenwerten Kapitän Thomson anvertraut wurde, um ihn vor aufständischen Truppen in Sicherheit zu bringen, ahnte er nicht, dass er belauscht wurde. Der heimliche Lauscher hatte spontan eine alternative Vorstellung über den Verbleib der Ladung und setzte sich mit dem moralischen Nebenargument durch, dass die Spanier auch nicht die rechtmäßigen Besitzer des Schatzes seien. Sein Hauptargument war ein Messer am Hals des Kapitäns.
Und wie sieht es mit der berühmten Basisdemokratie aus? War es denn nicht so, dass Piraten ihren Kapitän selber wählten? Von wegen! Gerade Piraten brauchten eine starke Führerfigur, die sich durch besondere Brutalität auszeichnete. Es genügte nicht, ein Rüschenhemd und eine behaarte Brust zu haben. Man darf auch die Fähigkeiten, die ein Kapitän haben musste, nicht unterschätzen. Es gehörte einiges dazu, ein Schiff um Cap Hoorn zu segeln. Disziplin war lebenswichtig. Die „chain of command“ musste funktionieren, man konnte bei Sturm nicht diskutieren. Wenn ein Kapitän abgemurkst wurde, dann wurden damit nicht etwa hierarchische Strukturen abgeschafft, es wurde einfach eine neue Führerfigur eingesetzt. Nach einer Meuterei wurde gründlich geputzt, die Mannschaft trat an Deck zu einem Appell an, um sich auf den neuen „Führer“ einzuschwören.
Eine Meuterei, die oft am Anfang einer Piratenkarriere stand, war ein Putsch von der untergeordneten Befehlsebene gegen die nächst höhere. Es war keine Revolution: Es ging nicht von denen „ganz unten“ gegen die „ganz oben“ – es war ein coup d’etat. So wurde auch die Meuterei auf der ‚Bounty’ möglich. Die Offiziere kamen aus guten Familien hatten einen derart hohen Status, dass sie sich von einem Männlein wie Kapitän Bligh, der aus Sparsamkeitsgründen gerade herabgestuft war, nicht mehr kritisieren ließen. Er stand nicht über ihnen. Das Bild, das wir aus Verfilmungen kennen, trügt. Er war kein Despot. Er war ein vergleichsweise „liberaler“ und moderner Kapitän, der weniger auspeitschen ließ als andere – und der sinnvolle Neuerungen wie Sauerkraut, Deckschrubben und gemeinsames Tanzen einführte. Es waren jedoch Reformen, die von der Mannschaft abgelehnt wurden und seine Autorität als Kapitän schwächten. Die „Basis“ war träge und verschloss sich den Neuerungen.
Die berühmte Meuterei, die gerne als französische Revolution auf hoher See gesehen wird, hatte einen schwach wirkenden „König“, der in Wirklichkeit das Richtige tat. Das Problem waren die Meuterer. Bei dem verwöhnten Seiteneinsteiger Fletcher Christian, den Bligh sogar persönlich protegiert hatte, spielten tropischer Liebeskummer und eine ausgeprägte Persönlichkeitsstörung die erste und zweite Geige: Er überlegte, ob er desertieren oder Selbstmord begehen sollte, ehe er sich dazu drängen ließ, ersatzweise eine Meuterei anzuführen. Von weitem sah es toll aus. Schon lange vor dem Film schuf Lord Byron in ihm den Mythos vom Freiheitshelden. Doch er war kein „Held“, er kämpfte nicht für irgendeine „Freiheit“ – und die legendäre Meuterei war in Wirklichkeit ein unentschlossenes Gewusel gewesen, das sich so lange hinzog, dass es kein Kinobesucher ausgehalten hätte.
Die Basisdemokratie der Piraten hatte ihre Tücken. Edward England wurde von seiner Mannschaft abgewählt – wegen zu großer Milde! So geht es nicht: Ein Weichei als Piratenkapitän. Die Basis setzte sich durch und sorgte für mehr Grausamkeit. Je größer die gefühlte Gleichheit in der Basis ist, desto brutaler wird sie. Es gab schon ein paar Regeln. Eine dieser Regel war, dass der Kapitän drei Anteile der Beute kriegt, jeder andere nur einen. Das war vorher so festgelegt worden. Nachher sah es anders aus – seit wann halten sich Piraten an Abmachungen? Seit wann respektieren sie fremdes Eigentum? Wenn es drauf ankommt, wird selbst der gewählte Kapitän zum Fremden. Als es nach einem Überfall auf einen Goldtransporter mal so richtig viel zu verteilen gab, ging die Diskussion wieder von vorne los, plötzlich war die Mehrheit für völlige Gleichheit. Jeder sollte den gleichen Anteil kriegen.
Der Piratenkapitän Dom Pedro, genannt „Bonito Benito vom blutigen Schwert“, musste nachgeben, er behielt aber immer noch so viel für sich, dass er das Problem hatte, seinen Anteil an der Beute zu verstecken. Einer alleine schaffte es nicht, und es half ihm keiner. So fing er schon in der Nacht an, heimlich Teile seiner Beute zu verstecken. Eine traurige Szene: So sah es aus, wenn ein Kapitän um seine Rechte kämpfte und um die Einhaltung von Vereinbarungen.
Es war der größte Raubzug, den sie jemals gemacht hatten. Sie waren im Taumel. Nachdem jeder seinen Teil an geheimem Ort versteckt hatte, wurde gefeiert. Niemand störte sie auf der unbewohnten Isla de Coco, die inzwischen zum Inbegriff einer Schatzinsel geworden ist – wo übrigens auch der Kirchenschatz von Lima vermutet wird, der immer noch nicht gefunden ist. Es war ein rauschendes Fest. Am Ende gab es etwa 40 Tote, die das Geheimnis ihres Verstecks mit ins hastig improvisierte Grab nahmen. Ein Stich, der das Geschehen nachzeichnet, zeigt Dom Pedro, der sich wenig später erschoss, um den Galgen zu entgehen, mitten in einem Blutbad.
Dies ist eine Mischung aus einem Text, der zuerst auf der Achse des Guten erschien, sowie einem Text für die Zeitschrift compact und aus dem, was mir noch dazu eingefallen ist.