Bildung und Chancengleichheit

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Wie die Situation von Studenten aus bildungsfernen Schichten und migrantischen Studenten verbessert werden kann

Das früher extern staatlich und intern partizipatorisch gelenkte Hochschulsystem ist seit einem Jahrzehnt unter den vorherrschenden Einfluss von Kapitalinteressen geraten. Das zeigt sich an den Landeshochschulgesetzen und an der Bologna-Reform. Die Lehre ist vereinheitlicht strukturiert und einem Controlling-Verfahren (Akkreditierung und Evaluierung von Studiengängen) unterworfen worden.

Dies soll sicherstellen, dass sich die akademische Lehre überprüfbar und nachhaltig an den Interessen derjenigen orientiert, die am Arbeitsmarkt für akademische Arbeitskräfte als Nachfrager auftreten. Beispielsweise müssen in den Plan-Modulen der Lehre vorab diejenigen „Kompetenzen“ beschrieben werden, die für die Nachfrager als ein Nutzen stiftendes „Können“ verfügbar sind.

Innerhalb des Hochschulsystems gibt es historisch gewachsene Arbeitsteilungen, die sich im Zuge der Bologna-Reformen zu wandeln begonnen haben. So gibt es klassische Universitäten, Technische Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaft (Fachhochschulen) und Spezialhochschulen, z.B. für Sport, Kunst etc. Diese verschiedenen Hochschultypen haben sich jede auf ihre Art über Jahrzehnte mehr oder weniger bewährt.

Die Arbeitsteilungen zwischen den verschiedenartigen Hochschulen sind zusammen mit den bereits entwickelten fachlichen Neigungen und beruflichen Plänen sowie der Art der Hochschulzugangsberechtigung und der schulischen Vornote wichtig für die Präferenzen der Studierwilligen im Hinblick auf die Wahl der Hochschule und des Studienfachs. Zugleich werden diese freien Wahlentscheidungen aber auch durch die soziale Herkunft und durch Merkmale wie Immigration oder ausländische Herkunft inländischer Studenten beeinflusst.

Es geht im Folgenden um die Wechselwirkungen, die sich aus den strukturellen Vorgaben der Politik, den Wahlentscheidungen der Studenten und dem inhaltlichen Lehrangebot an den Hochschulen für angewandte Wissenschaft ergeben.

Das von den Hochschulen zu lösende Problem lautet: Wie kann das Potenzial sowohl der besonders leistungsstarken wie der weniger leistungsstarken Studenten in faktische Studienleistungen umgewandelt werden?

Prozesse der Selbstselektion im Hochschulsystem

Es gibt im Einzelfall triftige Gründe für Abiturienten und Abiturientinnen oberer Leistungsgruppen, sich bei einer Fachhochschule einzuschreiben. Beispielsweise wenn auf die vergleichsweise oft günstigeren Lern- und Studienbedingungen Wert gelegt wird (Derichsweiler, 2009), wenn ein bestimmtes Studienfach nur an einer Fachhochschule angeboten wird, oder wenn eine bestimmte Hochschule oder eine spezielle Fakultät als besonders leistungsstark gelten und deshalb ein hohes öffentliches Ansehen genießt.

bildung-ohne-wertIn Untersuchungen zur Wahl des Hochschultyps werden zunehmend Faktoren genannt wie die Attraktivität der Hochschule im Hinblick auf den Beruf, somit sind Praxisorientierung und Anbindung an spätere Berufsfelder wichtige Auswahlkriterien für Studienbewerber: „Eine wichtige Rolle bei der Wahl des Studiengangs spielen auch die zum Zeitpunkt der Einschreibung wahrgenommenen und zukünftig erwarteten Chancen, die ein Studienabschluss auf dem Arbeitsmarkt bietet.“ (Destatis 2008a, 60). Häufiger als an Universitäten geben Studienanfänger an Fachhochschulen zudem an, spezielle Studiengänge nur an dieser Hochschule zu finden und die im Vergleich zu Universitäten überschaubaren Verhältnisse zu schätzen (Heine, Willich, Schneider & Sommer, 2008). Dennoch ist die Wahl einer Fachhochschule für leistungsstarke Abiturienten und Abiturientinnen unwahrscheinlicher als die Wahl einer Universität.

Die Wahl fällt auch dann auf Fachhochschulen, wenn aus persönlichen Gründen auf eine akademische Laufbahn, die sich durch das Universitätsstudium noch immer leichter öffnet, wenig Wert gelegt wird. Hier spielt neben der Leistungsfähigkeit vor allem die Bildungsherkunft eine Rolle: Kinder von Eltern mit Universitätsabschluss studieren häufiger an Universitäten, während der Anteil der Kinder von Eltern mit Real- oder Volksschulabschluss an Fachhochschulen höher ist (Heine, Willich, Schneider & Sommer, 2008, 50). Wie sehr auch und gerade in Deutschland Milieuzugehörigkeit und Bildungsabschlüsse korrelieren, zeigen diverse Studien und internationale Vergleiche seit langem. Hierbei wird bemängelt, dass schon durch das Schulsystem in Deutschland die soziale Herkunft Bildungschancen determiniere. Schülerinnen und Schüler aus sozial schwachen Familien erhielten, oft aus Geldmangel, weniger Förderung und haben ungünstigere Lern- und Rahmenbedingungen (Destatis, 2008b; Deutsche Shell, 2002). Genau diese Tendenz setzt sich an den Hochschulen fort: Abiturientinnen und Abiturienten aus sozial schwächeren Familien sind eher materiell und an einem zügigen Berufseintritt interessiert, wählen also eher eine Fachhochschule. Studiengebühren verschärfen den materiellen Druck in dieser Gruppe zusätzlich (Köhler & Bülow-Schramm, 2008). Es ist anzunehmen, dass diese Absolventinnen und Absolventen nur bei gesicherten Aufstiegsoptionen und bei finanzieller Absicherung eine Promotion anstreben. Mangels eines ausreichenden Stipendiensystems in Deutschland sind Promotionen von Studierenden aus sozial schwächeren Familien immer noch die Ausnahme. Sozial besser gestellte Eltern, die Wert darauf legen, dass ihr Nachwuchs mindestens den eigenen Bildungsabschluss oder einen besseren erreicht, werden Promotionen in der Regel finanziell und ideell fördern und somit erleichtern. Die demografische Entwicklung der nächsten Jahre macht es jedoch erforderlich, Promotionen auch von leistungsbereiten und -fähigen, aber materiell oder sozial benachteiligten Studierenden zu ermöglichen. Die mangelnde Ausschöpfung des Begabungspotenzials junger Menschen ist nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen geboten, sondern auch deshalb, weil die heutige mangelnde Ausschöpfung als Innovationshemmnis dient, beispielhaft hierzu siehe Nusser (2008, 596-598).

Die untere Leistungsgruppe der Abiturienten ist in der Regel eher geneigt, sich bei einer Fachhochschule zu bewerben; zum Teil vor und zum Teil nach einer Berufsausbildung mit beispielsweise einem Abschluss der Industrie- und Handelskammer (Heine, Willich, Schneider & Sommer, 2008). Dies gilt ebenso für Bewerber ohne allgemeine Hochschulreife.

Fachhochschulen mit niedrigerer Eintrittsschwelle

In den betriebswirtschaftlichen Studiengängen an der Fachhochschule Hannover kann man beispielhaft folgende Studierendenmotivation beobachten: Die Studierenden haben in und teilweise nach der Berufsausbildung die Erfahrung gemacht, dass eine berufliche Karriere ohne Hochschulabschluss kaum mehr möglich ist. Alternativ zu einem Hochschulstudium öffnen sich für diese Gruppe auch die Studienangebote der Berufsakademien, die bisher allerdings nur in Baden-Württemberg als Hochschulen anerkannt worden sind (Duale Hochschule Baden-Württemberg). Erfahrungsgemäß ist die Einstiegsschwelle für solche Bewerber an Fachhochschulen niedriger als an Universitäten. Ebenso „stranden“ regelmäßig Studierende der Wirtschaftswissenschaften der Leibniz-Universität Hannover an der Fachhochschule Hannover, die an der Universität eine Prüfung endgültig nicht bestanden haben. Man kann also aus Sicht leistungsstarker Studierender davon sprechen, dass Fachhochschulen häufig die zweite Wahl sind.

Über die Vermittlung der jeweiligen Inhalte hinaus besteht die Aufgabe der Lehre in der Förderung der Studierenden, d. h. in der Umwandlung ihrer Potenziale in tatsächliche Leistungen, so dass die Studierenden im Verlauf des Studiums die Chance haben, in eine höhere Leistungsgruppe aufzurücken. Allerdings muss hierbei die limitierende Bedeutung der gesellschaftlichen Randbedingungen beachtet werden. Zu denken ist beispielsweise an die soziale Lage der Studierenden, die sehr häufig eine studienbegleitende Erwerbstätigkeit erzwingt, oder an die persönliche Motivation zum Studium oder an Einstellungs- und Verhaltensdefizite, die einem Studium nicht adäquat sind, wie beispielsweise mangelhafte Lese- und Arbeitsgewohnheiten.

Als belegt gelten kann, dass die an Universitäten Studierenden auf Grundlage eines hochgradig selektiven allgemein bildenden Schulsystems mit einer relativ besseren Ausstattung an ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital (Bourdieu, 1983) antreten als Studierende an Fachhochschulen, die zu einem größeren Teil aus bildungsferneren sozialen Milieus stammen: „Das Schichtgefälle auf dem Bildungssektor ist nach wie vor hoch“ (Deutsche Shell 2002, 65; Destatis, 2008b) und wird perpetuiert (Kohn & Schooler, 1983), sofern man nicht aktiv gegensteuert. Damit kommt auf Fachhochschulen die zusätzliche Aufgabe zu, diese Unterausstattung mit kulturellem Kapital durch geeignete Lernformen, zusätzliche Lehrangebote und zusätzliche Betreuung zu verringern. An dieser Stelle wirken die Fachhochschulen als Aufstiegshochschulen und müssen mehr Zeit in ihre Studierenden investieren als Universitäten.

Hinzu kommt, dass Anforderungen an einen Hochschulzugang weiter abgesenkt und den Hochschulen politisch vorgegeben werden. Damit wird das durchschnittliche Leistungsniveau der Studienanfänger absinken, einfach weil ein größerer Anteil pro Jahrgang die Möglichkeit erhält zu studieren. Ferner beeinflussen die Zulassungsverordnungen der Länder mit Quoten für ausländische Studierende und für Inländer mit Migrationshintergrund und ohne Deutsch als Muttersprache die Zusammensetzung der Studierenden. Auch diese Studierenden beeinflussen Hochschulalltag und Hochschullehre in erheblichem Maße. Die teils mit einem Handicap – meist sprachlicher Art – ausgestatteten Gruppen von Studierenden erfordern zusätzliche Angebote im Bereich der Lehre, beispielsweise Propädeutika in Deutsch und Mathematik. Der Bedarf an solchen Angeboten an Hochschulen wächst: So hat sich zwischen 2001 und 2006 allein der Anteil der türkischstämmigen Fachhochschulabsoventen und –absolventinnen in Deutschland von 5 auf 10 Prozent verdoppelt (Destatis 2008, 202). Der Anteil von Studierenden mit Migrationshintergrund nimmt kontinuierlich zu. Damit kommt den Hochschulen aus gesellschaftlicher Perspektive auch ein wichtiger Integrationsauftrag zu: Je mehr Studierende mit Migrationshintergrund an deutschen Hochschulen studieren und je mehr entsprechend gefördert werden und ihren Abschluss schaffen, desto besser ist deren Integrationsgrad. Wenig überraschend belegt eine neuere Sinus-Studie, dass Integration umso leichter und besser gelingt, je höher das Bildungsniveau ist (Sinus, 2007). Für die Hochschulen stellen Studierende mit Migrationshintergrund jedoch nicht nur eine Gruppe mit erhöhtem Förderbedarf, sondern oftmals auch eine mit erhöhtem Potenzial. Solche Studienbewerber sind allen Leistungsgruppen zuzuordnen, weil ein Teil dieser Studierenden bereits über einen, in Deutschland meist nicht anerkannten, akademischen Abschluss verfügt.

Wenn die Motivation zum Studium gegeben ist, dann kann überwiegend mit einer positiven Entwicklung gerechnet werden. Es muss aber erkannt werden, dass die Fachhochschulen hier über die Lehre hinaus auch eine wichtige allgemeine gesellschaftliche Integrationsleistung und auch einen Beitrag zu einer gleichmäßigeren Chancenverteilung erbringen. Dazu gehört auch das Recht, besonders leistungsstarke Studierende bis zur Promotion zu führen. Dies kostet Lehraufwand und damit Zeit, die nicht an anderer Stelle zur Verfügung steht. An die Fachhochschulen kommen nicht nur die 10 Prozent Leistungsstärksten eines Jahrgangs, sondern auch viele andere. Da eine höhere Studierendenquote politisch gewünscht wird, führt dies automatisch dazu, dass auch leistungsschwächere Menschen an die Hochschulen kommen, und es muss dann auch für diese Gruppe eine vertretbare Lösung gefunden werden. Ein Wettbewerb der Hochschulen um die Besten jedes Jahrgangs, unter Vernachlässigung aller anderen, ist gesellschaftlich kontraproduktiv. Dennoch erscheint er politisch gewollt und durch Steuerungsinstrumente wie Exzellenzinitiativen gefördert zu werden: „Seit Jahren gibt es Initiativen, um aus dem Hochschulfeld einen winner-take-all-Markt zu machen, Initiativen für mehr Konkurrenz, für eine deutlich sichtbare Elite, für die exzellente Ausstattung eines Top Level-Bereichs“ (Köhler & Bülow-Schramm 2008). Damit erhält eine Minderheit, die von vorneherein gute Startbedingungen besitzt, noch bessere Bedingungen, während die Mehrheit mit deutlich schlechteren Bedingungen vorlieb nehmen muss. Das führt gesellschaftspolitisch in die Irre.

Wenn die Qualität und die Motivation der Lehrenden zunächst als normalverteilt unterstellt werden, wird der Lehrerfolg wesentlich von Leistungsfähigkeit der Studierenden beeinflusst. Von der gelingenden Steuerung der Studierenden durch Zulassungen und Prüfungen hängt die Entwicklung des Leistungsniveaus der Lehre entscheidend ab. Je leistungsfähiger die Studierenden sind, desto höher wird das mittlere Leistungsniveau der Lehre unter sonst gleichen Bedingungen sein. Und je leistungsschwächer die Studierenden sind, desto niedriger wird das Leistungsniveau unter sonst gleichen Bedingungen liegen. Damit perpetuiert sich die Eingangsselektivität, zumindest wenn die jeweilige Hochschule nicht durch Zusatzangebote und besondere Förderung versucht, den Anteil der leistungsstarken Studierenden zu erhöhen. Hochschulen, denen es gelingt, die 10 Prozent Leistungsstärksten eines Jahrgangs zu gewinnen, haben unter Beibehaltung bisheriger Organisationsstrukturen notwendigerweise ein höheres Lernniveau und bessere Absolventen als andere Hochschulen. Für die Fachhochschulen muss zumindest die Chance bestehen, einige dieser leistungsstarken Studierenden an sich zu binden. Davon profitieren alle Studierenden, auch die leistungsschwächeren. Ansonsten sinken die Fachhochschulen tatsächlich zu Hochschulen zweiter oder gar dritter Klasse herab. Die Messung der Hochschulen an deren Absolventenniveau ist daher zur Qualitätseinschätzung der Arbeit der Hochschulen ungeeignet, da unfair. Letztlich müsste die Qualität der Hochschularbeit daran gemessen werden, wie sehr das Ausgangsniveau der Absolventen im Vergleich zum Eingangsniveau der Studienanfänger steigt.

Dynamisch betrachtet ermöglicht ein steigendes Leistungsniveau bzw. -potenzial bei den Studierenden ein steigendes Anforderungsniveau in der Lehre, durch das wiederum das Leistungsniveau der Studierenden zunehmen kann. In einer solchen Aufwärtsspirale von Leistungsfähigkeit und Anforderungsgrad werden schwächere Studierende motiviert mitzuhalten, und sie werden daher ebenfalls leistungsstärker. Reicht hingegen das Leistungspotenzial der Studierenden nicht aus, und wird dabei ein kritischer Punkt unterschritten, dann kann das Anforderungsniveau der Lehre trotz aller Bemühungen nicht wirkungsvoll angehoben werden, weil das Leistungspotenzial der Studierenden limitierend wirkt. Die Mehrheit der Studierenden wird in diesem Fall nicht gefordert, sondern überfordert. Eine solche Überforderung wird sich in der studentischen Lehrevaluation vermutlich als Kritik an den Lehrenden ausdrücken, sie wird also auf diese projiziert werden, weil das entlastend wirkt. Reagieren die Lehrenden auf die Kritik der Überforderten mit einer Absenkung des Anspruchsniveaus, dann wird ein Absinken des Leistungsniveaus verstärkt. Damit kommt zwangsläufig eine Abwärtsspirale in Gang, die ihrerseits auch die besten Studierenden betrifft, indem diese vom sinkenden Anforderungsniveau der Lehre besonders beeinträchtigt werden, beispielsweise durch allmählich abnehmenden Umfang und Tiefe der Lehrinhalte, durch leichtere Prüfungen, Noteninflation, Unterforderung und Demotivation. Abhilfe kann hier nur ein besserer Betreuungsschlüssel schaffen, d. h. weniger Studierende pro Professor/in. Dies ist jedoch trotz aller bildungspolitischer Sonntagsreden nicht in Sicht.

Qualitätsverluste der beschriebenen Art laufen schleichend ab und werden von den Beteiligten tendenziell übersehen, man passt sich an oder gewöhnt sich einfach an die Situation. Diese Blindheit im System kann nur überwunden werden, wenn methodisch gesicherte Vergleichsmöglichkeiten unter Berücksichtigung aller oben genannten Randbedingungen geschaffen werden. Die üblichen, für diese Einflussgründe blinden, Rankings sind hierzu in keiner Weise geeignet. Sie blenden die eben beschriebenen Selektionseffekte aus, genauer: Sie erfassen sie erst gar nicht. Vielmehr teilen Rankings Reputation zu und beeinflussen die Entscheidung besonders leitungsmotivierter Studierender. So werden auf die „guten“ Hochschulen immer mehr leistungsstärkere Studierende entfallen, die übrigen Hochschulen müssen sich mit den leistungsschwächeren abfinden. Aus unserer Sicht führt dies zu einer Wettbewerbsverzerrung zwischen den Hochschulen, jedenfalls so lange wie das Eingangsniveau der Studierenden nicht berücksichtigt wird.

Politisch gesetzte Bachelor-Master-Schwelle

Alle Leistungsgruppen sollen den Bachelorabschluss erreichen können. Jedenfalls ist dies mit Blick auf die gewünschte Akademikerstatistik der Wunsch der Politik. Danach soll härter selektiert werden. Nicht alle Bachelorabsolventen sollen einen Masterabschluss erwerben können. Dies bedeutet aber, dass der Aufwärtsspirale von Anforderungsniveau und Leistungsniveau ein politisches Hemmnis vorgegeben wird. In einem modifizierten Bachelor-Studienmodell könnte eine integrierte Zwischenprüfung, die mehrere Modulbereiche einbezieht und damit den bisherigen Studienerfolg einzuschätzen hilft, diese selektive Funktion übernehmen. Sie würde drei Vorteile bieten:

Erstens würde denjenigen Studierenden, denen es trotz der wünschenswerten zusätzlichen propädeutischen Lehrangebote innerhalb der ersten Semester nicht gelungen ist, sich auf das Anforderungsniveau einer Hochschule einzustellen, die Einsicht vermittelt, dass es für sie sinnvoller ist, einen anderen Weg zu gehen. Zweitens würden Kapazitäten der Hochschule für produktivere Zwecke frei. Und drittens würde die Chance für ein steigendes Anforderungs- und Leistungsniveau erhöht. Fraglich ist nur, ob dies dann auch mit politischen Zielanforderungen konform ginge. Am Schluss besteht die politische Wahl zwischen einem entwerteten Hochschulabschluss für fast alle oder einem werthaltigen Hochschulabschluss. Wenn der Bachelorabschluss nicht zum „Hauptschulabschluss der Hochschulen“ verkommen soll, muss hier dringend umgesteuert werden.

Aus der Perspektive der Studierenden kann ein eingeschränkter Übergang zum Master-Studiengang nicht akzeptabel sein, weil er ihren Interessen widerspricht. Die Studierenden sind prinzipiell an einem unbeschränkten Zugang zum Master-Studium interessiert. Dies zeigen auch die Studierendenproteste des Jahres 2009. Masterstudiengänge an Fachhochschulen sind denjenigen an Universitäten prinzipiell gleichgestellt, beispielsweise im Hinblick auf den Zugang zur höheren Laufbahn des Öffentlichen Dienstes und hinsichtlich einer nachfolgenden Promotion.

Anmerkung

Der obige Text stellt eine gekürzte und leicht bearbeitete Fassung der folgenden Publikationen dar:

  • Buchholz, G., Litzcke, S.M., Linssen, R. (2010), Promotionsrecht – Wettbewerbsverzerrung zwischen Fachhochschulen und Universitäten – Teil 1, in: Die Neue Hochschule, Bd. 51, Nr. 1, S. 28-32, und
  • Buchholz, G., Litzcke, S.M., Linssen, R., (2010), Promotionsrecht – Wettbewerbsverzerrung zwischen Fachhochschulen und Universitäten – Teil 2, in: Die Neue Hochschule, Bd. 51, Nr. 2-3, S. 62-65.

Literatur

  • Bourdieu, P. (1983). Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital (S. 183-198). In R. Kreckel (Hrsg.), Soziale Ungleichheiten. Göttingen: Schwartz.
  • Derichsweiler, S. (2009). Bologna Einerlei. Staufenbiel Karrieremagazin, 4/2009 Wintersemester, 40-42.
  • Destatis (2008a). Sozialbericht Deutschland 2008. [2009-12-11].
  • Destatis (2008b). Datenreport 2008. Auszug aus dem Datenreport 2008, Kapitel 3: Bildung. [2009-12-11].
  • Destatis (2009). Statistisches Jahrbuch. Kapitel Bildung und Wissenschaft, Kultur. [2009-12-20].
  • Deutsche Shell (2002). Jugend 2002. 14. Shell Jugendstudie. Frankfurt / Main: Fischer.
  • Gaethgens, C. (2009). Eine Uni für alle. Die Unterscheidung zwischen Universitäten und Fachhochschulen ist veraltet. Die Bologna-Reform verstärkt dies noch. Die Zeit, Nr. 34, 13. August 2009.
  • Heine, C., Willich, J., Schneider, H. & Sommer, D. (2008). Studienan-fänger im Wintersemester 2007/08: Wege zum Studium, Studien- und Hochschulwahl, Situation bei Studienbeginn. Hannover: Hochschul-Informations-System.
  • Keller, A. (2009). Promotion mit Fachhochschulabschluss. Die Neue Hochschule, 4-5 , 22-24
  • Köhler, T. & Bülow-Schramm, M. (2008). Milieuspezifische Bildungs-barrieren nach der Einführung von Gestuften Studiengängen und Studiengebühren. Hamburg: Hans-Böckler-Stiftung.
  • Kohn, M. & Schooler, C. (1983). Work and personality: An inquiry into the impact of social stratification. Norwood, NJ: Ablex.
  • Liesner, A. & Lohmann, I. (Hrsg.) (2009). Bachelor bolognese – Erfahrungen mit der neuen Studienstruktur. Opladen: Barbara Budrich.
  • Nusser, M. (2008). Internationale Wettbewerbsfähigkeit forschungs- und wissensintensiver Branchen. Wirtschaftsdienst, 88 (9), 594-603.
  • Schäuble, J. & Warnecke, T. (2009). Titel gegen Geld. Die Zeit Online. [25. August 2009].
  • SINUS-Sociovision (2007). Die Milieus der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. [2009-12-21].
  • Wissenschaftsrat (2009). Empfehlungen zur Vergabe des Promotionsrechts an nichtstaatliche Hochschulen. Drs. 9279-09 vom 09.07.2009 [2009-12-14].

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Prof. Dr. Güter Buchholz, Jahrgang 1946, hat in Bremen und Wuppertal Wirtschaftswissenschaften studiert, Promotion in Wuppertal 1983 zum Dr. rer. oec., Berufstätigkeit als Senior Consultant, Prof. für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Consulting an der FH Hannover, Fakultät IV: Wirtschaft und Informatik, Abteilung Betriebswirtschaft. Seit 2011 emeritiert.