Moody´s droht mit der Abwertung der Bonität Deutschlands und seiner Banken. Das war schon lange zu erwarten. Da dies eine ökonomisch getarnte politische Aktion ist (wenn man Ökonomie und Politik heute überhaupt noch trennen kann), bedarf es einer politischen Antwort. Der entfesselte Kapitalismus droht zu einer Gefahr für den sozialen und internationalen Frieden zu werden.
AFP meldete:
„Deutschland droht eine Abwertung seiner Bonität durch die US-Ratingagentur Moody’s. Die Agentur senkte den Ausblick für Deutschland, die Niederlande und Luxemburg von stabil auf negativ. Als Begründung wurde die ‚wachsende Unsicherheit‘ in der Eurozone angeführt.
Die drei Länder, deren Kreditwürdigkeit derzeit mit der Bestnote AAA bewertet wird, gerieten durch die ,wachsende Unsicherheit´ in der Eurozone ebenfalls in Gefahr, warnte Moody’s und verwies auf die wachsende Wahrscheinlichkeit eines Ausstiegs Griechenlands aus der Eurozone sowie dessen voraussichtliche Auswirkungen auf die ebenfalls stark verschuldeten Länder Spanien und Italien. Insgesamt bewertet Moody’s nun noch sechs Länder der Eurozone mit AAA, aber nur Finnland hat weiter einen stabilen Ausblick.“
Das war ja nur eine Frage der Zeit. Wer an die Unabhängigkeit der Ratingagenturen glaubt („Gut, dass es die gibt!“), soll weiter träumen. Rainer Heißmann schreibt auf einem Online-Portal für Finanzen:
„[Die Aufgabe, das Beste für ihre Aktionäre herauszuholen, gilt auch für Ratingagenturen.] Da lohnt ein Blick auf die Großaktionäre der Rating-Agentur Moody’s. Da findet sich an erster Stelle ein illustrer Name: Warren Buffett. Mit 28.415.250 Aktien ist Berkshire Hathaway, die Holding von Warren Buffett, der größte Aktionär. Ihm, beziehungsweise seiner Holding Berkshire Hathaway, gehören damit 12,47% der Rating-Agentur Moody’s. Knapp dahinter folgt: ,Capital World Investors´ mit 28.205.000 Aktien. Das sind 12,38% Anteil der Rating-Agentur Moody’s. Weitere große Aktionäre sind: Price (T.Rowe) Associates., Capital Research Global Investors, ValueAct Holdings, L.P. usw. – allesamt am Finanzmarkt tätige Großinvestoren beziehungsweise Fonds, die jeweils etwa 3% bis 5% Anteile an der der Rating-Agentur Moody’s halten. Die 10 größten Aktionäre zusammen halten einen Anteil von 52,66% an Moody’s.
Glauben Sie an einen Zufall, dass Warren Buffett bester Investor aller Zeiten und gleichzeitig größter Aktionär der Rating-Agenturen Moody’s ist? Glauben Sie nicht? Ich auch nicht! Glauben Sie an einen Zufall, dass die größten 10 Anteileigner zusammen 52,66% der Aktien – und damit die absolute Mehrheit – halten? Glauben Sie nicht? Ich auch nicht! Glauben Sie daran, dass die Rating-Agentur Moody’s völlig unabhängig von den 10 Aktionären ist, die mehr als 50% der Anteile halten? Glauben Sie nicht? Ich auch nicht!
Dabei habe ich garnicht untersucht, ob z.B. Warren Buffett zusätzlich auch Anteile an einem der anderen 9 Großaktionäre der Rating-Agenturen Moody’s hält oder ob und gegebenenfalls wie weit es insgesamt Verflechtungen unter den 10 Großaktionären der Rating-Agentur Moody’s gibt. Das ist an dieser Stelle auch nicht mehr relevant und führt zu weit. Trotzdem sei kurz erwähnt: Die vermeintlich ,staatliche´ US-Notenbank gehört privaten Banken, an denen – na wer wohl? – auch wieder Warren Buffett große Anteile hält.“
Und immer wieder der schwachsinnige Hinweis auf die Verschuldung Griechenlands, Spaniens und Italiens… Deutschland ist ja noch viel mehr verschuldet. Mal sehen, was die selbstgerechten Kommentatoren sagen, die auf die „Südländer“ herabgesehen haben, wenn jetzt die Axt in diesem Wirtschaftskrieg an Deutschland und anderen „Nordländern“ angelegt wird.
Es sieht ganz danach aus, als ob die angelsächsichen Länder hier einen unangenehmen Konkurrenten, nämlich Europa, aus dem Rennen werfen wollen. Der Wallstreet und der Londoner Börse war der Euro immer ein Dorn im Auge (und es sind die Briten selber, die sich nicht als Europäer sehen). Objektivität? Die USA müssten längst knapp über Ramschniveau notiert sein, ginge es um Wirtschaftswissenschaft. („Die bekanntesten Rating-Agenturen sind Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch. Diese 3 beherrschen mit etwa 90% Anteil den Markt. Alle drei haben ihren Sitz in den USA,“ schreibt Heißmann. Diesmal frage ich: Zufall?)
Es geht darum, wer es am besten schafft, sein verliehenes Geld zurückzubekommen. Während früher die Gläubiger noch ein gewisses Risiko trugen, wollen sie heute davon nichts mehr wissen. Sie haben es vermocht, die Staaten zu zwingen, ihre Kredite zu retten. Jetzt kommt es darauf an, welche Gläubiger am einflussreichsten und geschicktesten sind. Großbritannien ist von einem Industrieland zu einem Dienstleister- und Finanzmarktland geworden. Ob es der Mehrheit der Briten damit besser geht? Blair ist mit dem letzten Versuch einer Art von Sozialpolitik gescheitert. Seitdem gibt endgültig der Finanzsektor den Ton an und hier spielen nationale Konkurrenzen immer noch eine Rolle – Globalisierung hin oder her. Letztlich dieselben Animositäten wie vor 100 und 200 Jahren. Die Briten waren nie Europäer und haben immer auf die kontinentale Balance of power geachtet, mal den einen gegen den andern unterstützt, mal andersherum. Kein Wunder, dass Moody‘s jetzt Deutschland ins Visier nimmt.
Der Soziologe Wolfgang Streeck schrieb am 27. Juli in der SZ einen äußerst lesenswerten Artikel über „das Ende der Nachkriegsdemokratie“. Aus dem Inhalt:
„Der Klassenkampf ist zurück. Überall im Westen wollen die Menschen wissen, wer für die Krise bezahlt. Dabei ist das längst entschieden: Bei der Verteilung der Konkursmasse des Schuldenstaates zählen die Ansprüche der Gläubiger mehr als die seiner Bürger. Der europäische Wohlfahrtsstaat ist Geschichte. [… Er beklagt] die Umwidmung der Europäischen Union zu einem Einlagensicherungssystem und Inkassobüro für Staatsschulden. Der Euro muß erhalten bleiben, damit den Schuldenstaaten der Ausweg in die Abwertung versperrt bleibt“.
Kern seiner These ist, dass nach dem Krieg die Märkte in die Staaten eingebettet waren, während es heute umgekehrt sei. Der sozialdemokratische Kompromiss ist tot.
„Was sich in Wahrheit abzeichnet, ist eine rapide Ausbreitung dessen, was heute Postdemokratie genannt wird. In ihr bleibt die Wirtschaft von dem, was man den ‚Druck der Straße‘ nennt, verschont und wird einer von Zentralbanken und Regulierungsbehörden exekutierten regelgebundenen Wirtschaftspolitik unterstellt. Demokratie jenseits eines residualen Rechts- und Polizeistaats wird dann frei für für öffentliche Inszenierungen aller Art: für Politainment für die nachrichtenverfolgende Mittelschicht ebenso wie für die Mobilisierung nationaler Ressentiments.“
An anderer Stelle (Frankfurter Hefte) führt Streeck das näher aus:
„Jetzt sind die Leute, die verteilungspolitisch das Sagen haben, die Finanzdiplomaten, die zwischen Zentralbank, Europäischer Kommission und den Finanzministerien alles Mögliche aushandeln, was für den Normalmenschen völlig unbegreiflich ist. Jetzt heißt es Nation für oder gegen Nation. Entweder müssen die ‚faulen Griechen‘ zur Räson gebracht werden, oder ‚wir‘ müssen mit ‚den Griechen‘ internationale Solidarität üben, oder beides auf einmal. Dabei weiß jeder: Es gibt Griechen, die unvorstellbar reicher sind als die allermeisten Deutschen, die gemeinsam dafür aufkommen sollen, dass die reichsten Griechen zuhause keine Steuern zahlen. Und der Normal-Slowene, der den Normal-Iren retten soll, hat im Durchschnitt ein weit niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen als dieser.Wir sehen hier einen Verteilungskampf entlang der erstaunlichsten Fronten, die sich zu jeder denkbaren demagogischen Vereinfachung anbieten. Unter diesen Bedingungen sind Ansatzpunkte für politische Gegenmobilisierung ungeheuer schwer zu finden. Sehr viel schwerer jedenfalls als noch vor ein paar Jahrzehnten. […]
Gibt es noch die Möglichkeit einer verantwortlichen Opposition? Ich sehe das zurzeit überhaupt nicht! Zum Teil wegen der Internationalisierung, zum Teil wegen der veränderten Produktionsstrukturen, der sogenannten Dienstleistungsgesellschaft, die ja im Grunde aus zwei Gesellschaften besteht: Süd-Manhattan, wo die 30.000 Beschäftigten bei Goldman Sachs im Durchschnitt 500.000 Dollar pro Jahr verdienen. Und die andere Dienstleistungsgesellschaft der Putzfrauen und 400-Euro-Jobber. Die haben eigentlich nichts miteinander zu tun; wie soll man da die Starken und die Schwachen zusammenbringen, damit die Schwachen von der Macht der Starken profitieren? Das wirft die Frage auf: Wenn verantwortliche Opposition nichts mehr nützt, was ist dann mit unverantwortlicher Opposition? Vielleicht passiert etwas, wenn die Leute einfach immer wieder Steine schmeißen? Wenn alles, was vernünftig und verantwortlich ist, nur darin bestehen kann, jetzt irgendwem irgendwelche Schulden abzuzahlen, die irgendwelche anderen für mich gemacht haben, vielleicht ist es dann noch am verantwortlichsten, wenn man sich mal verantwortungslos verhält. Was passiert dann? Werden diejenigen,die dieses System zu erhalten versuchen, anfangen müssen, auf diejenigen wieder mehr Rücksicht zu nehmen, denen zwei Jahrzehnte Neoliberalismus den Boden aus dem Arbeitsmarkt geschlagen haben? In dem Moment, in dem Sie anfangen, verantwortungsethisch über Ergebnisse nachzudenken, besteht die Gefahr, dass Sie in der Logik dieser internationalen Finanzdiplomatie mit ihren Austeritätszwängen landen. Da haben die kleine Frau und der kleine Mann nichts zu gewinnen.“
Um soziale Unruhen zu vermeiden, bedarf es jetzt einer weitsichtigen staatsmännischen Führung. Das Europa des Euro war nicht eines der Bürger, sondern das der großen Konzerne. Das Ideal eines friedlichen, vereinten Europas ist der Ökonomie geopfert worden. Ob Europa den Euro wirklich braucht? Ein ökonomisch ausgerichtetes Europa vielleicht. Nicht aber ein kulturelles und politisches Europa. Die Weichen sollten neu gestellt werden. Dazu muss ein Europa der Regionen, der unterschiedlichen Geschwindigkeiten akzeptiert werden. Das ökonomische Europa muss nicht um den Preis einer „Schuldenunion“ mit autoritären Verzweiflungsmaßnahmen gerettet werden.
Zumal das ohnehin ein aussichtsloses Unterfangen ist. Wer vor einem Jahr den Austritt Griechenlands aus dem Euroraum auch nur erwähnte, wurde verbal niedergemacht. Heute geben sogar die führenden Protagonisten zu, dass dies nur noch eine Frage der Zeit ist. Aber natürlich erst, nachdem die Gläubiger ihr Geld bekommen haben. Und das ist ja erfolgt. Der Angriff von Moody´s auf die Kreditwürdigkeit der europäischen „Nordländer“ müsste dem letzten Zweifler die Augen öffnen, dass hier ein (Gott sei Dank unblutiger) Krieg tobt.
Jede Zeit hat ihre neuen Techniken. So wie heute Kriege (blutig) asymmetrisch oder mit sogenannten Sicherheits- (Söldner-)firmen oder (unblutig) mit speziellen Computerviren oder Manipulationen wie der von Ratingagenturen geführt werden, bleiben sie doch die „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“ (von Clausewitz). Zumindest aus ihren Verlautbarungen ist nicht zu erkennen, ob die jetzige Bundesregierung erkannt hat, dass die jetzige Krise nicht nur eine ökonomische, sondern eine politische Dimension hat. Die Weichen müssen neu gestellt werden. Sonst wird Streeck recht haben mit seiner Befürchtung, die schon den Anschein einer Hoffnung annimmt:
„… wenn die Leute sich dies nicht mehr gefallen lassen und spüren, wie die Absurdität der Lage ihre Würde angreift. Im Fernsehen kommentierte eine Griechin die Senkung ihres Lohnes um 20 % so: ‚Das ist mir völlig egal, ich bekomme seit einem Jahr sowieso keinen Lohn mehr.‘ Wenn sich solche Situationen häufen, können vielleicht, ähnlich wie im 19. Jahrhundert, aus Bewegungen, die zunächst nur zielloser radikaler Protest sind, Organisationskerne neuer Art entstehen.“
Dieser Beitrag ist eine erweiterte Fassung eines zuerst in der Freien Welt erschienenen Artikels.