Träume in Schwarzweiß

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Viele können sich nicht mehr vorstellen, wie die Welt aussah, bevor der damalige Außenminister Willy Brandt mit einem historischen Knopfdruck das Farbfernsehen einführte. Damit wurde plötzlich „alles so schön bunt hier“, wie Nina Hagen später singen sollte.

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Doch es ging nicht so fix, die verschiedenen Farbwelten existierten noch ein Weilchen nebeneinander her. Und es fanden sich gelegentlich noch Zeugnisse aus der Übergangszeit, die mich geradezu rührten, wenn ich etwa ein verschlafenes Hotel entdeckte, das damit warb, dass es auf allen Zimmern neuerdings „Farbfernsehen“ gäbe, und ich habe auch erst spät herausgefunden, was hinter der Abkürzung des großen Elektroladens WAKÜFA steckt: Waschmaschine, Kühlschrank, Farbfernsehen. Inzwischen ist alles bunt.

Vorher hatte die Welt noch irgendwie anders ausgesehen, „Before Gas And TV“, wie es bei Mark Knopfler heißt. Man hat auch anders gesprochen. Man sagte „Berliner“ und nicht „Berlinerinnen und Berliner“; es ging auch ohne hinten angehängte „-innen“. Man hat Deutsch gesprochen im geteilten Land. Es gab noch keine Frauenparkplätze und keine Feinstaubmessung; Willy Brandt rauchte Astor Filter.

Ich nicht. Doch ich war schon für Sozialismus, für Gruppenarbeit, für empirische Forschung, für die sexuelle Revolution und für eine Musik, die man selber machen kann. Ich war gegen Richard M. Nixon. Der Spruch „Nixon tut wixon“ war zwar nicht so ganz mein Stil, ich fand ihn aber amüsant, für Wortspiele war ich immer anfällig – und für alles mit „x“.

Ich war außerdem gegen Imperialismus, gegen Revanchismus und Spätkapitalismus. Doch was viel wichtiger war: Ich hatte eine Freundin, meine große Liebe, auch wenn ich das nie so gesagt hätte, weil mir das zu kitschig vorgekommen wäre. Das sagte man nicht so. Es war schon damals nicht so leicht mit der Sprache, der Ausdruck „Beziehung“, der ersatzweise im Umlauf war, gefiel mir genauso wenig.

lassahn-achgutWie man es auch nennen will: Ich meinte es ernst mit ihr. Man kann mir schon glauben, dass ich nicht über ihren Lockenkopf hinweg nachträglich über sie verfügen will, wenn ich behaupte, dass ich sicher bin, dass sie es mir gesagt hätte, wenn sie sich jemals unwohl gefühlt hätte, weil man nicht „Studentinnen und Studenten“ gesagt hat, sondern einfach nur „Studenten“. Sie war nicht auf den Mund gefallen, sie hat mir sofort mitgeteilt, wenn sie unglücklich war und etwas nicht verstanden hatte. Hauptsache wir verstanden uns – und das taten wir: Uns passten dieselben Jeans, wir hatten ungefähr dieselbe Haarlänge, besuchten dieselben Seminare, und wenn wir Gitarre spielten, konnten wir uns schnell auf eine Tonart einigen, meistens E-Dur.

Ich lege die alten Platten deshalb so gerne auf, weil es mir merkwürdig vorkommt, wenn heute behauptet wird, dass sich unser junges Glück in einer düsteren Zeit abgespielt hätte; in einer Zeit, in der nichts von den Errungenschaften des Feminismus zu erkennen war; in einer Zeit vor dem Triumph von „40 Jahren Emanzipation“, vor der Einrichtung eines Frauenministeriums, vor dem ruhelosen Wirken der Frauenbeauftragten – in einer Zeit also, in der niemand etwas dagegen unternahm, dass Frauen unterdrückt, benachteiligt, diskriminiert, unterrepräsentiert und skandalös unterbezahlt waren und außerdem täglich Opfer von Männergewalt wurden, was sich allein schon an der Sprache zeigte.

Erstaunlichweise war weder ihr noch mir das irgendwann aufgefallen. Dabei war ich sehr an den Gefühlen von Frauen interessiert – zumindest an denen von einer. Ich habe mir außerdem eingebildet, dass ich mit offenen Augen (damals noch ohne Brille) durch die Welt gehe, und hinter die Erscheinung der Dinge schaue, ich war Student der Linguistik, war politisch sensibilisiert, wollte „hinterfragen“ und „abklopfen“ – und ich hatte noch nie so viele Fremdwörter innerhalb kürzester Zeit gelernt. Diskriminierung war nicht dabei.

Aber Frustration – später zu „Frust“ abgekürzt. Das tauchte schon 1965 in einem Protestsong auf, in ‚Eve Of Destruction’: „This whole crazy world is just too frustratin’’’. Doch das mochten wir nicht, das war nicht echt (nicht „authentisch“ würde man heute sagen), wir haben genau hingehört, haben die Zeit stark mit den Ohren wahrgenommen: Bob Dylan, Leonard Cohen und Tucker Zimmerman (um auch mal einen zu nennen, den nicht jeder kennt) waren die Botschafter eines neuen Lebensgefühls, das sich undeutlich auch bei Cat Stevens abzeichnete; da konnte man bereits die Grundstimmung der späteren Grünen erkennen: die Sehnsucht nach Frieden – ‚Peace Train’ -, den vorsichtigen Blick auf die Umwelt – ‚Where Do The Children Play?’ – und den Bruch in den Generationen – ‚Father And Son’. Darin sahen wir die glückliche Fortsetzung der Folkmusik, die eindrucksvoll die Bürgerrechtsbewegung begleitet hatte. Dr. Martin Luther King hatte einen Traum „I have a dream …“ und Pete Seeger hatte die Musik dazu: „We shall overcome! Black und white together!“

Damals – schon 1963 – sprach auch Haile Selassie I., Neguse Negest (besser bekannt als Ras Tafari Makonnen – nach ihm sind die „Rastas“ benannt, die „Rastafari“) in einer denkwürdigen Rede vor den Vereinten Nationen davon, dass wir uns in einem Krieg befinden und weiterhin in einem leben werden, wenn nicht endlich ein Zustand erreicht wird, bei dem es auf die Hautfarbe eines Menschen nicht mehr ankommt: „Until the color of a man’s skin is of no more significance than the color his eyes“.Bis es soweit ist, wird Krieg herrschen – „There is war“, wie Bob Marley singt, der die Rede mehr als zehn Jahre später mit Reggae-Musik unterlegt hat: „Until the basic human rights are equally guaranteed to all without regard to race …“ Auch wenn der „König der Könige“ sehr leise gesprochen hat und ein bisschen nuschelte, die Botschaft war klar.

Sie hatten den Traum von einer „farbenblinden Gesellschaft“, in der es nicht darauf ankommt, welche Rassenzugehörigkeit jemand hat, Farben spielen nämlich keine Rolle in unseren Träumen – oder? Wir sehen im Traum keine Farben, wir denken sie uns nur. Farben sind lediglich in unserem Kopf – oder? So wie Kopfschmerzen: headaches are only in your mind. Ich weiß es auch nicht. Immer wenn ich versuche, extra darauf zu achten, ob ich in Farbe träume, schlafe ich vorher ein.

Doch meine Überzeugungen kann ich nicht über Nacht ändern. Die Vorstellung von einer farbenblinden Gesellschaft – „without regard to race“ – war der utopische Entwurf für eine wache, ja, eine erwachte Welt. So dachte ich, so fühlte ich, ich konnte viele der Lieder spielen, es fällt mir schwer, mich von dem Ideal zu lösen, auch wenn unsere Parteien mit ihren Quotenregelungen das heute erwarten und inzwischen wieder mit biologischen Trennlinien eine Politik machen, die immer mehr ins Totalitäre geht.

Es gab damals schon Gegner, die ganz andere Träume hatten, die dachten – und träumten womöglich sogar – in Schwarzweiß; in Südafrika herrschte Apartheid mit abgesperrten Stränden für „Whites only“, und in Amerika gab es Leute, die sich an der so genannten „Segregation“ orientierten, an einer strikten Trennung also. Ein völlig anderes Programm: Wer mischen will, ist großzügig und gewährt die Freiheit, dass sich ein Mischungsverhältnis so entwickelt, wie es will. Wer jedoch trennen will, kennt nur ein Entweder-Oder und lässt keine Freiheiten zu.

the-rise-of-affirmative-actionRichard M. Nixon war so einer, er wollte die Unterschiede der Rasse nicht etwa überwinden, sondern festschreiben und dazu Gesetze erlassen, in denen die Unterschiede benannt werden, damit sie erhalten bleiben. Er nannte das „affirmative action“. Entsprechend sollten die Amerikaner nach verschiedenen Kriterien der Rasse und Herkunft in Gruppen eingeteilt werden, die er dann nach Bedarf kontrollieren und gegeneinander ausspielen könnte. Mit einer gewissen Förderungen für manche der Gruppen (daher die Bezeichnung „affirmative“) sollten sie geködert werden und gar nicht merken, dass so ihre Zweitklassigkeit erhalten blieb, und man ihren Platz in der Gesellschaft nicht als selbstverständlich ansah.

Zunächst unterlag Richard M. Nixon in dem berühmten – dem ersten – Fernsehduell zweier Präsidentschaftskandidaten dem smarten John F. Kennedy, der einen viel besseren Eindruck machte. Günther Anders führt das unter anderem auf den starken Bartwuchs von Nixon zurück – und auf den Umstand, dass die Sendung noch in Schwarzweiß war. Nixon wirkte ohne differenzierte Farbabstimmung irgendwie so, als hätte er einen Schatten auf dem Gesicht, er sah selber so aus wie jemand mit Migrationshintergrund, genau wie einer von diesen Typen, gegen die er wetterte. Erst mit dem Farbfernsehen kam sein politisches Comeback.

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Nun da alle tot sind, kann ich sagen, dass ihre Träume weiter leben; im Moment sieht es jedoch so aus, als würde sich Richard M. Nixon posthum gegenüber Dr. Martin Luther King durchsetzen. Die affirmativen Maßnahmen für Neger (Nixon sprach noch in den 70ern von „negroes“) leben als Untote weiter in political correctness und in den Antidiskriminierungsgesetzen. Aus der affirmative action ist die „positive Diskriminierung“ geworden – ein Begriff, bei dem ich Kopfschmerzen kriege, wenn ich darüber nachdenke. Es wird auf jeden Fall diskriminiert; ob positiv oder negativ, Hauptsache wir sind nicht farbenblind.

Nicht alle Songs von John Lennon sind gelungen, einen, den ich nicht so mag, hat ihm Yoko Ono eingeflüstert: ‚Woman Is The Nigger Of The World’ – kein großer Hit, schon deshalb nicht, weil es wegen dem bösen Wort „Nigger“ nicht im Radio gespielt wurde. In Amerika nicht. Hier schon. Wir haben zwar keine Nigger in Deutschland, aber Frauen. Und hat nicht schon Alice Schwarzer die Hausfrauentätigkeit als „Sklavenarbeit“ bezeichnet? Hat sie. Na, also: Was die Amis können, können wir auch. Wir reden auch gerne englisch, von „gender mainstreaming“ und „total e-quality control“ (Achtung Wortspiel -, das ich aber in diesem Fall nicht gut finde, weil Qualität sich nicht mit Quote verträgt). Mit diesem neuen Un-Wort ist der böse Blick gemeint, der missgünstig zwischen den Geschlechtern unterscheidet und der nun „nachhaltig“ „verankert“ wird; „total“ kommt sowieso gut an in Deutschland.

Neulich hatte ich einen Traum, einen Albtraum eher: Als im Bundestag die Lichter ausgingen und wieder mal Maßnahmen beschlossen wurden, um eine weitere Abhängigkeit von Frauen zu fördern und dazu Männer pauschal zu diskriminieren, und außerdem affirmative Hilfen auf den Weg gebracht wurden, damit die sozial Schwachen in der Hartz-IV-Falle bleiben, da haben sich die Mitglieder der verschiedenen Parteien anschließend zu einem kleinen Umtrunk in einer der angesagten Bars von Berlin eingefunden, und gemeinsam nach dem zweiten Longdrink gesungen: „We shall not overcome …“ Dabei haben sie gekichert; Sie wussten ja, dass die Diskriminierungen bleiben werden, solange es die Stellen gibt, die sie extra dafür eingerichtet haben.

Dann zogen sie weiter durch die Straßen von Berlin, immer lauter grölend „We shall not overcome …“, da öffnete sich ein Fenster, und ein genervter Berliner, der um den Schlaf gebracht wurde (ich war es nicht, ich hab das alles nur geträumt und dabei wieder nicht auf die Farben geachtet), brüllte in die Nacht: „Ruhe, ihr Wixer!“

 

Bildnachweis: Richard Nixon

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