14. März 2013, von Dr. Hans-Joachim Maaz
Rezension des Buches: „Väterlos – eine Gesellschaft in der Krise“ von Matthias Stiehler, erschienen im „Gütersloher Verlagshaus“, 2012
Der „Männerversteher“ Matthias Stiehler hatte bereits mit seinem ersten Buch „Der Männerversteher – die neuen Leiden des starken Geschlechtes“ (C. H. Beck, München 2010) die individuellen, partnerschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen einer entfremdeten Männlichkeit aufgezeigt. Praktisch folgerichtig hebt der Autor mit seinem neuen Buch „Väterlos – eine Gesellschaft in der Krise“ (Gütersloher Verlagshaus 2012) den Blick auf Väterlichkeit – von der individuellen Problematik bis zu den gesellschaftlichen Folgen mangelnder Väterlichkeit.
Der Theologe und promovierte Erziehungswissenschaftler hat sich seit vielen Jahren ein hohes Ansehen in der Forschung und Diskussion zur Gleichstellungs- und Männerpolitik und Männergesundheit durch zahlreiche Veröffentlichungen und öffentliche Auftritte erworben und kennt die oft unsachliche Auseinandersetzung im Geschlechterdiskurs mit der Abwertung von Männlichkeit und Väterlichkeit.
Mit überzeugenden Beispielen werden die Störungen an Väterlichkeit in der Partnerschaft, in der Familie, aber auch in der Erziehung, der sozialen Arbeit, im Strafsystem, der Arbeitswelt und Politik aufgezeigt und diskutiert. Die Väterlosigkeit wird an der weit verbreiteten Ratlosigkeit des richtigen Verhaltens, an der allgemeinen Ablehnung unangenehmer, aber notwendiger Maßnahmen, an der Unfähigkeit, Grenzen zu setzen, an der Ablehnung von Einschränkungen und dem regelmäßigen Protest gegen notwendige, aber unangenehme Einsichten beschrieben. Damit wird Väterlosigkeit zu einer Gefahr der Demokratie, wenn die Opposition nicht mehr wirklich sachorientiert motiviert ist, sondern unangenehme Einsicht und schmerzvolle Konsequenzen verhindern will. Mit dem Vater-Thema steht Stiehler in einer Reihe mit bedeutenden Vorgängern, die zu dieser wichtigen psychosozialen Thematik unser Sozial- und Kulturverständnis wesentlich beeinflusst haben. So knüpft er an die Arbeit von Alexander Mitscherlich „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“ an. Schon damals hatte Mitscherlich nicht „die Abschaffung des Vaters als Person, sondern die der Väterlichkeit als zentralem Organisationsprinzip einer Gesellschaft“ beschrieben und Stiehler setzt fort, dass sich diese Entwicklung zu einer Gesellschaftsideologie gewandelt hat, die zunehmend unsere Gesellschaft bedroht.
Dazu werden die Defizite der Väterlosigkeit aufgezeigt, die vor allem im fehlenden Mut zur Begrenzung unsere Zukunft gefährdet. Der besondere Wert des Buches besteht darin, dass der Autor es nicht bei der Kritik der bestehenden „vaterlosen“ Verhältnissen belässt, sondern ausführlich die notwendigen Eigenschaften guter Väterlichkeit beschreibt (z.B. Orientierung, Führung, Förderung und Forderung, Begrenzung, Eigenständigkeit) und damit im besten „väterlichen“ Sinne Orientierung für die persönlichen und gesellschaftlichen Aufgaben vermittelt. Mit überzeugenden Argumenten stellt sich Stiehler gegen den Mainstream einer Unisex-Ideologie und beschreibt die Unterschiede und jeweilige Eigenständigkeit von Mütterlichkeit und Väterlichkeit. Dabei geht es dem Autor aber nicht nur um die spezifischen Funktionen der Elternschaft, sondern vor allem auch um die Solidarität der Geschlechter und die jeweilige unverwechselbare Verantwortlichkeit als Mutter und als Vater. Der Vater als triangulierender Dritter in der Mutter-Kind-Beziehung, der mit „Vaterkraft“ das Kind in die Welt begleitet und dabei der Repräsentant der Realität ist, schafft die notwendige Emanzipation aus dem abhängigen und versorgenden „Mutterraum“.
Der Autor übertreibt bestimmt nicht, wenn er das von ihm aufbereitete Thema als ganz wesentlich für unser Zusammenleben und damit für unsere Zukunft einschätzt und dabei eben nicht nur den Finger in diese Wunde legt, sondern wichtige Orientierung für unser aller Handeln gibt und einen Wertemaßstab aufzeigt, der im „Gesetz des Vaters“ (Ehrlichkeit, Prinzipienfestigkeit, Konsequenz, Akzeptanz der Folgen des Handelns und Verantwortlichkeit) enthalten ist.
„Väterlos“ ist ein ganz wichtiges Buch, das dem einzelnen Mann und Vater (aber auch Frau und Mutter) Informationen, Erkenntnis und Rat übermittelt und zugleich eine gesellschaftskritische Perspektive ermöglicht, die uns hilft, kollektive Fehlentwicklungen zu erkennen und uns väterlich auffordert, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen und die Konsequenzen unseres Fehlverhaltens nicht mehr zu leugnen und zu verschieben, sondern tragen zu lernen. Der „Männerversteher“ hat sich im besten Sinne zum väterlichen „Lehrmeister“ weiterentwickelt.
Ich halte das Buch für höchst lesenswert und auch für bedeutend, da eine wesentliche Perspektive eröffnet wird, die wachsenden Krisen unserer Zeit besser verstehen zu können und konsequenter (väterlich) handeln zu lernen.