Das politische Links-Rechts-Schema und die Frage: Was ist heute „links“?

Das politische  Links-Rechts-Schema wirkt heute zu Recht vielfach veraltet, zum Teil deshalb, weil es Probleme gibt, die – wie die ökologische Krise – unabhängig von politischen Positionen die ganze Menschheit betreffen.

marx

Hinzu kommt, dass diese Begriffe verpönt sind: die ehemals Rechten („Deutschnationale“, „Konservative“) und die ehemals Linken („Sozialisten“, „Sozialdemokraten“) sehen sich heute alle in der MITTE stehen, was immer das auch bedeuten mag.

Vielleicht ist die heutige MITTE ein Karo mit den farbigen Ecken CDU/CSU (schwarz), FDP (gelb), SPD (purpurrot), GRÜNE (hellgrün), eine Art Kartell bürgerlicher Parteien unter Führung der CDU, bei der es dann fast egal ist, wen man wählt, und ob man überhaupt wählt. Die Wahlabstinenz einer Mehrheit der Wahlberechtigten wurzelt nicht zuletzt in dieser weitgehenden Ununterscheidbarkeit.

Dem ist entgegen zu halten, dass die heutige bürgerliche Gesellschaft sich zwar weiterentwickelt hat, und zwar sehr erheblich, dass sie aber immer noch durch das Herrschaftsverhältnis der toten über die lebendige Arbeit und somit durch die Dialektik von Kapital und Arbeit bestimmt wird. Und daraus lassen sich Kriterien ableiten, was unter „links“ zu verstehen ist – und was nicht. Das wird hier ansatzweise versucht.

„Links“ im Alltagsbewusstsein

Wird die Frage gestellt, was heute im politischen Zusammenhang unter „links“ verstanden wird, dann wird in der Regel zunächst auf das zurückgegriffen, was Parteien, die sich selbst im weitesten Sinne als linke Parteien ansehen oder die von anderen so angesehen werden, in ihrer Programmatik dazu zu sagen haben. In Deutschland ist das die Sozialdemokratie, die GRÜNEN und DIE LINKE, während die Zuordnung der jungen Partei der PIRATEN vorläufig offen bleiben muss.

Es wäre allerdings höchst naiv, die Praxis dieser Parteien nicht miteinzubeziehen, denn diese ist die Realität der bloßen Programmatik, die dadurch leicht zu einer Form bloß symbolischer Politik verkommt – Papier ist bekanntlich geduldig – oder die sogar von vornherein so angelegt ist, wobei populistische Erwägungen eine Rolle spielen können. So sind z. B. diese drei Programme sämtlich mehr oder weniger stark feministisch orientiert, was natürlich nahelegt und die Annahme zu bestätigen scheint, dass Feminismus eine Form „linker“ Politik sei. Das ist zumindest teilweise eine optische – oder eine gewollt populistische – Täuschung, zum Teil ist es auch eine Selbsttäuschung dieser Parteien, die auf dem unbemerkten Verlust der Kriterien für „linke“ Politik beruht (vgl. http://www.freitag.de/autoren/guenterbuchholz/von-der-frauenemanzipation-zur-frauenprivilegierung).

Eine sozialdemokratische Partei kann zum Beispiel, wie die AGENDA 2010 belegt, in Koalition mit den GRÜNEN, ebenso unsozial wie neoliberal regieren. Ebenso ist der ursprüngliche Pazifismus der GRÜNEN längst zugunsten bellizistischer Positionen und Praxen aufgegeben worden, was für die SPD genauso zutrifft. Es ist diese Praxis, die diese beiden Parteien heute eher als Varianten einer de facto existenten, durch die neoliberale Ideologie und die Interessen des Kapitals zusammengehaltenen bürgerlichen Einheitspartei erscheinen lässt, denn als politische Alternative zu den traditionell bürgerlichen Parteien CDU & CSU – samt ihrem Führungsanspruch – sowie der FDP. Diese Differenz zwischen Programmatik und politischer Praxis besteht auch bei der LINKEN, und die weitere Entwicklung wird zeigen, ob sich auch hier eine an die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse angepasste politische Praxis durchsetzen wird – überraschend wäre das jedenfalls nicht, ganz im Gegenteil.

Aber weder die Programme der Parteien noch die tatsächliche politische Praxis dürften das Alltagsbewusstsein einzeln oder gemeinsam bestimmen. Vielmehr dürfte es realistisch sein anzunehmen, dass einerseits Programme überhaupt nur selten gelesen und ernst genommen werden und dass andererseits die jeweilige politische Praxis nur fragmentarisch und unzusammenhängend sowie, nicht zuletzt, medial verzerrt wahrgenommen wird. Diese Schwächen zu überwinden würde dauerhaft Zeit und Mühe erfordern, zum Beispiel durch Nutzung von nachdenkseiten.de, le-bohemien.net und CollectIQ sowie von ähnlichen, teils verlinkten Quellen, und dies dürfte mehrheitlich wohl unterbleiben.

Daher wird im Alltagsbewusstsein naiv das als „links“ wahrgenommen, wofür sich die als „links“ angesehenen Parteien oder ihre Medien einzeln oder überlappend in der medial konstituierten Öffentlichkeit gut wahrnehmbar aussprechen. Man „fühlt“ sich „links“, oder, auf der anderen Seite des Spektrums, „konservativ“, ohne dass dafür noch nachvollziehbare Spezifikationen oder Begründungen angegeben werden können. Das ist nicht nur intellektuell wenig überzeugend, sondern führt gelegentlich zu seltsamen Ergebnissen. Nicht der Grundkonflikt zwischen Kapital und Arbeit, also z. B. nicht die Tarifpolitik der Gewerkschaften, nicht Arbeitskämpfe, nicht Kampagnen für einen Mindestlohn zugunsten der prekär Beschäftigten im Niedriglohnsektor, nicht steuer- und finanzpolitische Fragen, nicht Verteilungspolitik, nicht Auseinandersetzungen um eine beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik und damit um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die z. B. seit mehr als dreißig Jahren zentrales Anliegen der Memo-Gruppe ist, sondern die Lobbypolitik der parteiübergreifend organisierten sogenannten „Gleichstellungspolitik“ der dritten Frauenbewegung erscheint dann als „linke“ Politik, obwohl doch relativ leicht erkennbar ist, dass es hierbei um nichts weiter als um eine Politik der Privilegierung von Frauen handelt, und Privilegierungen – von wem auch immer – sind eben n i e m a l s eine linke Politik, zumal dann nicht, wenn sie vorsätzlich mit Diskriminierungen verbunden sind.

Noch abwegiger ist es, wenn spezielle Interessen einer homosexuellen Minderheit zu einem Bestandteil linker Politik erklärt werden. Da sexuelle Orientierungen als solche – ebenso wie die Institution der Familie – politisch neutral sind, gibt es hier im Grunde g a r  k e i n e n Zusammenhang. Allenfalls mag in der Tradition der Philosophie der Aufklärung im Hinblick auf Homosexualität T o l e r a n z eingefordert werden, ebenso wie die Abschaffung von ggf. bestehenden objektiv nachweisbaren Diskriminierungen (wie z. B. den ehemaligen § 175 StGB). Man mag, wenn auch mit Bedenken, insoweit noch dem jüngsten steuerrechtlichen Urteil des BVerfG zum Ehegattensplitting folgen.

Aber bei der Frage des Adoptionsrechts kommen die Bedürfnisse und Interessen der Kinder ins Spiel! Es geht dabei n u r um das Kindeswohl und gerade n i c h t um Wunschvorstellungen und Interessen schwuler oder lesbischer Partner, und es gibt daher keinen – m. E. insbesondere auch keinen juristischen – Grund, deren spezifischen Interessen noch weiter entgegenzukommen. Denn es liegt k e i n e Diskriminierung darin, dass homosexuelle Menschen kinderlos leben: Dieses Leben ist vielmehr die Folge ihrer persönlichen Neigung oder Veranlagung. Menschliche Fortpflanzung findet, abgesehen von medizinischen Eingriffen, n u r in heterosexuellen Partnerschaften statt.

Heterosexuelle und homosexuelle Partnerschaften sind in dieser Hinsicht prinzipiell und objektiv ungleich, und diese Ungleichheit ist eine letztgültige. Da die Gesellschaft auf Fortpflanzung nur bei Strafe ihres Verschwindens verzichten kann, muss sie die Fortpflanzung ermöglichen und sichern, und darin liegt der Sinn von Art. 6 GG (vgl. http://www.bundestag.de/bundestag/aufgaben/rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg_01.html).

Das, was lesbische Frauen gern als „zwangsheterosexuelle Matrix“ diffamieren, hat einen Sinn und eine Notwendigkeit, die homosexuellen Partnerschaften gerade n i c h t zukommt.

Mein Zwischenergebnis lautet: „Links“ ist im Alltagsbewusstsein einfach alles, was mit der nötigen medialen Lautstärke so bezeichnet wird; eine Reflexion fällt hier wie leider auch bei anderen Themen der veröffentlichten Meinung weitgehend aus. Gibt es nun eine Alternative zu dieser fragwürdigen subjektiven Beliebigkeit, wie sie sich auch in der postmodernen Philosophie findet? 

Philosophiegeschichtliche Grundlagen

Georg Wilhelm Friedrich Hegel (*27. August 1770 in Stuttgart) starb am 14. November 1831 in Berlin. Er gilt als wichtigster Vertreter des Deutschen Idealismus. Im Anschluss an Hegel entwickelte sich ab 1831 eine philosophische Gruppe, die von David Friedrich Strauß als „Junghegelianer“ bezeichnet wurde. Zu ihnen gehörte u. a. Karl Marx (1818 in Trier – 1883 in London). David Friedrich Strauß verwendete diese Bezeichnung für diejenigen aus der Hegelschen Schule, die in der Kontroverse um sein 1835 veröffentlichtes religionskritisches Buch „Leben Jesu“ seine Partei ergriffen. Die Gegenseite wurde von Strauß als Althegelianer bezeichnet. Die Religionskritik von David Friedrich Strauß wurde von Ludwig Feuerbach in „Das Wesen des Christentums“  (Leipzig 1841) epochemachend vertieft, und auf diesen Grundlagen entwickelte sich die hier besonders interessierende philosophiekritische Schrift von Karl Marx „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“, die im Sommer 1843 in Kreuznach geschrieben wurde und die 1844 in „Deutsch-Französische Jahrbücher“ in Paris erschien (MEW Bd. 1, S. 378 – 391, Berlin 1976), also ca. fünf Jahre vor den Revolutionen von 1848, mitten in der historischen Periode des Vormärz. Diese „Einleitung“, die ein Schlüsseltext ist, beginnt – im Anschluss an David Friedrich Strauß und Ludwig Feuerbach – mit dem Satz:

„Für Deutschland ist die Kritik der Religion im wesentlichen beendigt, und die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.“

Und sie setzt an späterer Stelle fort:

„Der evidente Beweis für den Radikalismus der deutschen Theorie, also für ihre praktische Energie, ist ihr Ausgang von der entschiedenen positiven Aufhebung der Religion.
Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (Hervorhebung: GB)

In dieser Passage ist der zugleich moralphilosophische und politische Marx´sche kategorische Imperativ formuliert: Menschen sollen weder erniedrigt, noch geknechtet, noch verlassen noch verachtet sein, und alle gesellschaftlichen Verhältnisse, die dies verursachen, sind „umzuwerfen“. Die daraus abzuleitende Handlungsmaxime würde lauten: Identifiziere alle gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verachtetes Wesen ist, und handle dann so, dass du einen Beitrag dazu leistest, dass diese gesellschaftlichen Verhältnisse im Geschichtsprozess „umgeworfen“ werden können.

Wer nun nach einem Beispiel danach fragt, wer heute diese Handlungsmaxime vorlebt, der sei auf Leben und Werk von Jean Ziegler hingewiesen. Daraus ergeben sich Anhaltspunkte für das, was politisch in einer begründeten Art und Weise als „links“ zu gelten hat. Ziegler identifiziert zum Beispiel das Elend, in dem die Menschen des Südens immer noch massenhaft leben und sterben, als das, was nicht zu sein brauchte und was nicht länger sein sollte. Er bekämpft die dieses Elend verursachenden gesellschaftlichen Verhältnisse intellektuell, d. h. mittels der Aufklärung über diese Verhältnisse. Was zu Beginn der Neuzeit mit der Sklaverei in der Neuen Welt begann, was sich im 19. Jahrhundert zum Kolonialismus entwickelte, das ist heute noch in ökonomischen Herrschaftsstrukturen und ihren Institutionen (Weltbank, Welthandelsorganisation, Internationaler Währungsfonds) wirksam. Es sind die ökonomischen und politischen Entwicklungsblockaden, die allererst aufgehoben werden müssten, um den Menschen des Südens einen eigenständigen Entwicklungspfad zu eröffnen.

Entsprechend wäre in Europa an der sozialen Lage der lohnabhängig Beschäftigten, insbesondere der prekär Beschäftigten, der Arbeitslosen und der nicht (oder noch nicht, oder nicht mehr) Arbeitsfähigen oder der nicht vermittelbaren Personen anzuknüpfen. Die AGENDA 2010-Politik zielte zwar auf diesen Teil der Bevölkerung, war aber, obwohl es sich um eine Regierung aus SPD und GRÜNEN handelte, gerade gegen ihn gerichtet. Daraus ergibt sich, dass diese Politik keine linke, sondern eine rechte Politik war und ist. Faktisch handelt es sich um die Politik des Kapitals – Kapital hier verstanden als sozioökonomisches Herrschaftsverhältnis. Diese Zusammenhänge werden in der Marxschen „Kritik der politischen Ökonomie“ theoretisch durchsichtig.

Historische Zusammenhänge

Die historische Periode zwischen der Großen Französischen Revolution (1789) und der russischen Revolution (Februar und Oktober 1917) sowie der deutschen Novemberrevolution (1918/19), also das „lange 19. Jahrhundert“ (Eric Hobsbawm) war durch einen Industrialisierungs- und Kapitalisierungsprozess gekennzeichnet, in dem sich simultan die neue, proletarisierte, arbeitende Klasse der Industrieära entwickelte, deren soziale Existenz- und Reproduktionsprobleme von der damaligen Politik und Wissenschaft als die „Soziale Frage“ gefasst und diskutiert wurden. Aber diese Epoche war trotz des Aufstiegs des Bürgertums in Industrie, Handel und Banken keine ungeschmälert bürgerliche, sondern sie war soziopolitisch durch das Fortdauern der ständischen Gesellschaftsordnung mit einem entsprechenden Gewicht des Adels, speziell in der Landwirtschaft, in der Diplomatie und vor allem im Militär, gekennzeichnet. Dieser Widerspruch, der die Emanzipationsprozesse  hemmte oder blockierte, wurde erst ganz am Ende der Epoche durch die sozialen und politischen Revolutionen von 1917 und 1918/19 durch die Entprivilegierung des Adels aufgelöst.

In dieser Epoche lassen sich drei Emanzipationsbewegungen erkennen. Erstens die Emanzipation der Juden, zweitens die Emanzipation der Arbeiterklasse, drittens die Emanzipation der Frauen: die erste Frauenbewegung.

Die Emanzipation der Juden wurde besonders durch die Französische Revolution ermöglicht und durch die napoleonische Politik auf europäischer Ebene verwirklicht. Die radikale Rücknahme dieses Prozesses erfolgte bekanntlich im 20. Jahrhundert durch die Nationalsozialisten, deren praktischer Nihilismus sich damit zugleich  gegen die Französische Revolution und die Philosophie der Aufklärung wendete. Die Emanzipation der Arbeiterklasse war durch Selbstorganisation in Gestalt von Gewerkschaften, Bildungsvereinen, Arbeitergenossenschaften und Arbeiterparteien, begleitet von staatlicher Repression, gekennzeichnet (Sozialistengesetze unter Bismarck). Aus sozialdemokratischer Sicht liegt hierüber ein Standardwerk von Helga Grebing vor, nämlich die „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung: Von der Revolution 1848 bis ins 21. Jahrhundert“ (ergänzend sei hingewiesen auf:  http://www.dhm.de/lemo/html/kaiserreich/innenpolitik/arbeiterbewegung/index.html).

Die Emanzipation der Frauen hatte ihren Ausgangspunkt in dem damals industriell und politisch führenden Land, in Großbritannien, in der Suffragettenbewegung (und zur weiteren Geschichte der Frauenbewegung vgl.: http://www.bpb.de/gesellschaft/gender/frauenbewegung/).

Worauf es hier ankommt, das sind nicht die Einzelheiten dieser Prozesse, sondern dass sie das eine gemeinsam hatten: nämlich die Selbstbefreiung aus ganz bestimmten, konkreten Unfreiheiten anzustreben und zugleich, ganz bestimmte Freiheiten einzufordern. Emanzipation in einem  konkreten Sinne war (und ist) ein linkes politisches Anliegen. Mit Blick auf die Menschen des Südens z. B. wäre das die Emanzipation aus sozialer, ökonomischer und politischer Abhängigkeit im geopolitischen Zusammenhang, insbesondere die Überwindung der absoluten Armut.

Für die Juden war das die rechtliche Gleichstellung mit anderen Bürgern, die ihnen erstmals den Zugang zu allen Berufsfeldern eröffnete, was sich kulturell als außerordentlich fruchtbar erwies, und das fiel zusammen mit der Abschaffung ihrer seit Jahrhunderten tradierten rechtlichen Sonderstellung. Für die junge Arbeiterklasse ging es um Streikrecht, um die eigenen Existenzinteressen sozioökonomisch vertreten zu können, und um das Recht auf eine Arbeiterpartei mit parlamentarischer Vertretung, um ihre Interessen auch politisch vertreten zu können, und dies in Verbindung mit dem allgemeinen Wahlrecht – selbstverständlich für Männer und für Frauen. Demokratie war ebenso wie Gleichberechtigung immer ein linkes Anliegen.

Die erste Frauenbewegung war einerseits eine Parallele in diesen Prozessen, andererseits war sie entsprechend der Klassenteilung der Gesellschaft in sich geteilt. Beispielsweise ging es für eine Minderheit bürgerlicher Frauen gelegentlich um den Zugang zum Studium; gelegentlich deshalb, weil die Mehrheit sozial tradiert in familiären Bindungen und mit deren Verpflichtungen lebte. Die Frauen der Arbeiterklasse hatten mit ihren Familien ganz andere Probleme; es ging für die ganze Familie darum, überhaupt Arbeit zu haben, dann darum, von der Lohnarbeit tatsächlich leben zu können (Lohnhöhe), ferner um die Absicherung von Existenzrisiken (Unfall, Krankheit, Alter), ferner ging es um Wohnungen und Mieten, um öffentliche Hygiene und die Gesundheitsversorgung, um Schulen, Berufsausbildung usw., kurz, um die „Daseinvorsorge“. Vor diesem Hintergrund schrieb August Bebel, der „Kaiser der Arbeiterbewegung“, sein Buch: „Die Frau und der Sozialismus“.

Während der Zeit des Nationalsozialismus und durch ihn wurden alle drei Emanzipationsbewegungen sowie die Philosophie der Aufklärung und die Französische Revolution zurückgenommen – er war, bis hin zur Wiedereinführung der Sklaverei bzw. der Zwangsarbeit, die radikalste Konterrevolution (bezogen auf 1918/19, 1917, 1848 und 1789), die sich überhaupt nur denken lässt.

Aber nach seiner Niederlage wurde nach und nach rekonstruiert, was noch rekonstruierbar war. Dazu gehörte neben dem aufgeklärten Verfassungsstaat auch der 1968 mit dem beginnenden Generationenwechsel einsetzende soziokulturelle Modernisierungsschub der Studentenrevolte von 1968 (Paris, Berlin), der die zweite Frauenbewegung folgte. Aber man braucht lediglich diese zweite mit der ersten Frauenbewegung zu vergleichen, um zu erkennen, dass es sich um ein Revival bereits auf Luxusebene handelte.

Strittig war besonders die Strafbarkeit der Abtreibung, sodann das Ehe- und Familienrecht. Auf beiden Feldern kam es während der späten 60er und der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts rechtspolitisch zu erheblichen Verbesserungen zu Gunsten der Frauen, so dass sich der frühere Veränderungsbedarf auflöste.

An seine Stelle trat seit den 80er Jahren zunehmend die Interessenartikulation minoritärer, aber sich politisch wirksam organisierender Frauenfraktionen, die bis heute unberechtigterweise beanspruchen, für alle Frauen zu sprechen. Denn es muss doch stark bezweifelt werden, ob sich die Frauen in ihrer großen Mehrheit tatsächlich von dem durch feministischen „Entrismus“ entstandenen, daher parteiübergreifend wirksamen, aber im Kern „grünen“ Bündnis der lesbischen Frauen mit der Fraktion der ambitionierten Karrierefrauen vertreten fühlen. Wäre es dennoch so, dann wäre diese Mehrheit, die ganz andere, nämlich konkrete ökonomische und soziale Sorgen und Probleme mit Arbeit und Familie hat, jedoch gründlich im Irrtum.

Dem Schweigen der überwältigend großen weiblichen Mehrheit entspricht die propagandistische Lautstärke der Minderheit der dritten Frauenbewegung, wie sie sich ab 1995 auf der Weltfrauen-konferenz in Beijing (vgl. auch http://www.dijg.de/gender-mainstreaming/o-leary-agenda-begriff-pekinger-aktionsplattform/) konstituiert hat, und die ihre ganz speziellen Interessen voranbringen will, und zwar vorsätzlich zu Lasten konkurrierender Männer, und vorsätzlich mit Beugung oder Bruch der geltenden Verfassung: Diese kennt nämlich keinen Gleichstellungsauftrag (vgl. Art. 3 GG).

Der Erfolg des Feminismus beruht auf einem ideologie- und propagandagestützten „Marsch durch die Institutionen“ oder einem „feministischen Entrismus“, z. B. im Sinne einer erfolgreichen Unterwanderung fast aller Parlamentsparteien, wobei ihnen die Türen von innen geöffnet worden sind, und zwar von den Männern. Und das war entscheidend!

Es fragt sich, aufgrund welcher Motive das geschehen ist. Und es fragt sich, warum die Männer immer noch zu den immer fataleren und immer absurder werdenden Folgen schweigen? Denn dass bestimmte Frauengruppen als Lobbyistinnen ihrer selbst aktiv geworden sind, das entspricht ihrer Interessenlage und ist deshalb überhaupt nicht verwunderlich. Aber dass es, was ebenso wichtig, zahlreiche Männer als Unterstützer eben dieser Lobbyistinnen gibt, das entspricht n i c h t deren Interessenlage. Und deshalb ist d a s erklärungsbedürftig.

Was ist heute „links“?

Es geht hier um Grundsätze, die eine Orientierung in der heutigen Realität ermöglichen sollen. Ich schlage hier – unabgeschlossen und vorläufig – die folgenden sieben politischen Positionen vor:

Frieden erhalten oder Frieden schließen.
Außenpolitik möglichst nur mittels der Diplomatie betreiben. Militär möglichst nicht als Mittel der Außenpolitik verwenden. Rüstungsindustrie zumindest strikt regulieren.

Die Interessen der Lohnarbeit gegen das Kapital wahrnehmen und wirksam durchsetzen.
Durch Gewerkschaften möglichst dafür sorgen, dass der „Preis der Ware Arbeitskraft“, der Lohn (das Gehalt) nicht unter den „Wert der Ware Arbeitskraft“ sinkt, so dass die Arbeiterfamilien (Angestelltenfamilien) von ihrem Lohneinkommen leben können. Expansive Lohnpolitik betreiben; sie wäre derzeit verteilungspolitisch richtig und makroökonomisch sinnvoll, insbesondere im EU-Zusammenhang. In der Europäischen Union eine makroökonomisch fundierte Fiskal- und Geldpolitik einführen und die dafür nötigen Institutionen schaffen bzw. umbauen. Die stark ungleich verteilten Einkommen und Vermögen transparent machen und steuerpolitisch im angemessenem Umfang umverteilen. Den öffentlichen Sektor für die „Daseinsvorsorge“ und die Infrastruktur leistungsstark machen und erweitern. Gewerkschaftlich und allgemeinpolitisch darauf hinwirken, dass ein Sozialstaat gewährleistet wird, der die Existenzrisiken der Arbeiterklasse (Unfall, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter, Pflege) ausgleicht.

Die relative Armut nicht hinnehmen und zumindest verringern.
Durch Einkommens- und Sozialpolitik Niedriglohnsektoren vermeiden oder auflösen. Mindestens durch Sozialpolitik eine menschenwürdige Existenz garantieren. Möglichst Qualifizierungspfade durch Bildungspolitik erschließen.

Demokratie und Gleichberechtigung sichern oder herstellen.
Der Entdemokratisierung durch die Europäische Union – faktisch in enger Verbindung mit den nationalen Regierungen – entgegenwirken. Gleichberechtigung und Leistungsgerechtigkeit sichern und deshalb Gleichstellung beenden. Eine Demokratisierung der gesamten Gesellschaft einschließlich der Wirtschaft anstreben.

Internationalismus – globale Solidarität der Beherrschten.
Globale Probleme global lösen und dabei globale Gemeinsamkeiten der Beherrschten in den Vordergrund rücken sowie nationalistische oder rassistische Abgrenzungen überall zurückweisen. Der Gefahr internationaler Ressourcenkonflikte frühzeitig entgegenwirken.

Weltweit Entwicklungspfade öffnen und die absolute Armut überwinden.
Postkoloniale Abhängigkeiten auflösen, die in Entwicklungsblockaden fortwirken, um dadurch den Menschen (insbesondere des globalen Südens) wirkliche Selbstbestimmung zu geben und Ihnen – mit Hilfe zur Selbsthilfe – eigene Entwicklungspfade zu ermöglichen.

Das Kapital als „automatisches Subjekt“ aufheben.
Die geschichtliche Endlichkeit der kapitalistischen Produktionsweise im Blick behalten und die politische Gesamtstrategie – insbesondere im Kontext krisenhafter Prozesse – an den teils manifesten, teils latenten systemtransformatorischen Potenzialen orientieren. Vorausschauend entsprechende handlungsleitende Konzepte entwickeln.

guenter buchholz
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Prof. Dr. Güter Buchholz, Jahrgang 1946, hat in Bremen und Wuppertal Wirtschaftswissenschaften studiert, Promotion in Wuppertal 1983 zum Dr. rer. oec., Berufstätigkeit als Senior Consultant, Prof. für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Consulting an der FH Hannover, Fakultät IV: Wirtschaft und Informatik, Abteilung Betriebswirtschaft. Seit 2011 emeritiert.