„Ich brauche den Feminismus, damit jemand meine Stimme zum Verstummen bringt.“ Diesen Satz, eine Übersetzung der Reaktion eines amerikanischen Mannes auf die dortige „whoneedsfeminism“-Kampagne, habe ich vor wenigen Tagen auf der Facebook-Seite des deutschen Pendants „Wer braucht Feminismus?“ veröffentlicht. Er wurde sofort gelöscht.
Anlass für mich waren Berichte von Lesern, die aus kritischer männlicher Perspektive etwas zu der „Wer braucht Feminismus“-Kampagne beisteuern wollten und die berichteten, dass dieser Versuch zumindest bei Facebook und der Webseite der Kampagne hoffnungslos sei.
Nun kann man sicherlich den Betreibern privater Webseiten oder Facebook-Seiten das Recht zugestehen, nach eigenem Ermessen und beliebig Kommentare und Nachrichten zu löschen. Bei politischen Seiten ist eine solche Praxis mit Erwartungen an eine demokratische Diskussion allerdings schwer vereinbar, solange die Kommentare in einem zivilen und rechtsstaatlichen Rahmen bleiben. Wenn zudem eine Kampagne von einem „Jeder kann mitmachen“-Flair lebt und den Eindruck zu erwecken versucht, sie würde einen breiten Konsens ganz unterschiedlicher Menschen präsentieren, dann ist es offenkundig widersprüchlich, dass sie sich zugleich nur durch eine massive Abschottung von jeder kritischen Stimme konstituieren kann.
Vermutlich aber löschen die Betreiberinnen der Kampagne so routiniert, dass ihnen die Ironie der Löschung eines Satzes, der auf das Verstummen der Männer hinweist, gar nicht aufgefallen ist. Ein Kommentator zu dem Artikel „Wer braucht Feminismus? Na, wir!“ bringt die Widersprüchlichkeit der Kampagne auf den Punkt:
„Es ist quasi selbsterklärend, wenn ‚Wer braucht Feminismus?‘ ein Image-Problem des Feminismus konstatiert, welches sich jedoch so gar nicht in den Statements der Facebook-Kampagnenseite wieder findet.“
Dass der Feminismus also ein Image-Problem hat, ist wesentlicher Grund für die Kampagne – in deren Rahmen zugleich auf keinen Fall thematisiert werden darf, dass der Feminismus ein Image-Problem hat. Solche widersprüchlichen, selbstbezüglichen Strukturen finden sich schon in den Anfängen der „zweiten Welle“ in der deutschen Frauenbewegung – sie haben sich über die Jahrzehnte und über die verschiedenen „Wellen“ hinweg bewahrt. Es lohnt sich, einen kurzen vergleichenden Blick zurück auf den grundlegenden Text der neueren deutschen Frauenbewegung zu werfen, der hier schon einmal Thema war.
Sex mit Wracks
„Zum Beispiel, dass der heterosexuelle Geschlechtsverkehr kaum möglich sei ohne die Unterwerfung der Frau. Da kann ich nur sagen: Sorry, das ist falsch.“
Dass die Ministerin Kristina Schröder sich in einem Spiegel-Interview des Jahres 2010 in dieser Form über einige ihrer grundlegenden Thesen äußerte, nahm Alice Schwarzer ausgesprochen persönlich: Sie warf Schröder „Stammtischparolen aus den 1970er Jahren“ und „billige Klischees“ vor und verbat sich solcherlei kritischen Töne über „die folgenreichste soziale Bewegung des 20. Jahrhunderts“ (mit schönen Grüßen, zum Beispiel, an die Arbeiterbewegung, die schwarze Bürgerrechtsbewegung der USA oder Südafrikas oder weltweite Unabhängigkeitsbewegungen, um über solche Petitessen wie den Kampf gegen den europäischen Faschismus gar nicht zu reden – wichtiger als der Feminismus war gar nix, und da Alice Schwarzer, deren Bedeutung damit ja per definitionem geklärt ist, das sagt, kann das nur richtig sein).
Sie stellte zudem fest, dass Schröder Unsinn erzähle und sowieso unmoralisch sei (weil sie nämlich die schulischen Nachteile von Jungen thematisiere) und kam, wer hätte das gedacht, zu einem demonstrativ vernichtenden Schluss: „Ich halte Sie für einen hoffnungslosen Fall. Schlicht ungeeignet.“
Offenkundig spekulierte Schwarzer darauf, dass ohnehin niemand in ihrem berühmten Buch „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ aus dem Jahre 1975 nachschauen würde, um zu überprüfen, ob Schröder nicht vielleicht Recht haben könnte.
„Der die Frau zur Passivität verdammende Koitus ist für Männer die unkomplizierteste und bequemste Sexualpraktik. (…) Auch ist die psychologische Bedeutung dieses in sich gewaltsamen Aktes des Eindringens für Männer sicherlich nicht zu unterschätzen. (…) Außerdem wird für viele Männer Gewalt gleich Lust sein und darum die Penetration vielleicht heute auch das lustvollste.“ (Alice Schwarzer, Der kleine Unterschied, S. 203f.)
Wenn Frauen darauf mit „Frigidität“ reagieren, erscheint das Schwarzer in ihrem Buch als „ein Zeichen ihrer psychischen Intaktheit“ (204). Sie schreibt von „unserer täglichen Vergewaltigung auf allen Ebenen und in den unterschiedlichsten Formen“ (194) und kommt zu dem Fazit, dass die sexuelle Unterdrückung der Frau durch den Mann Kern all ihrer Unterdrückung sei:
„Darum kann nur die Erschütterung des männlichen Sexmonopols von Grund auf die Geschlechterrollen ins Wanken bringen.“ (205)
Schröders Kritik an Schwarzer ist also allenfalls vorzuwerfen, dass sie viel zu zahm war. Erzählungen der Interviewpartnerinnen und Kommentare von Schwarzer selbst stellen in dem Buch Sex mit Männern als „Terror“ (57) dar, er wird nicht mit Lust, sondern mit „Hausarbeit“ assoziiert (136), eine interviewte Frau hat Phantasien davon, wie ihre Vagina zerschnitten werde (158), eine andere erlebt die Ehe als „Hölle“ und ist von der ehelichen Sexualität traumatisiert (151), eine Gruppe von Frauen muss lange an sich arbeiten, bevor sie in der Lage ist, das „Schwanzficken“ in Frage zu stellen (167).
Wenn bei Schwarzer Sex mit einem Mann doch einmal, und ausnahmsweise, als lustvoll erscheint, dann wird der Mann demonstrativ als unmännlich präsentiert – als „ganz lieber, kleiner, sanfter Junge“ (55) erscheint einer Interviewpartnerin ein Mann, mit dem sie ihren ersten Orgasmus erlebte (man stelle sich, nebenbei bemerkt, einmal Schwarzers Reaktion vor, wenn ein Mann ihr erzählte, er könne lustvoll nur mit einer Frau schlafen, die er als „ganz liebes, kleines, sanftes Mädchen“ wahrnimmt).
Sexualität mit Männern vergleicht die wackere Kämpferin für Frauenrechte rundweg mit Prostitution (93):
„Männer sind so pervertiert, daß ihnen der Gedanke, sich das Recht auf einen menschlichen Körper kaufen zu können, noch nicht einmal obszön zu sein scheint, sondern selbstverständlich. Die Ärmsten sind so kaputt, daß sie diese fünf Minuten mechanischer Reibung für Sexualität halten….Wenn nicht selbst für diese Wracks wieder einmal Frauen herhalten müßten, könnten sie uns leid tun.“ (94)
Eine gleichberechtigte Beziehung erscheint mit einem Mann unmöglich (157) – als Ausweg erscheint in diesem Text immer wieder und leitmotivisch die sexuelle Beziehung zu einer anderen Frau (66, 120, 160, 172, 181). Keineswegs allerdings geht es dabei schlicht um die Forderung gleicher Rechte für lesbische Frauen, schon gar nicht um die für schwule Männer.
„Weibliche Homosexualität ist in einem viel stärkerem Ausmaß tabuisiert als männliche. Sie existiert einfach nicht: der Gesetzgeber hielt sie früher noch nicht einmal für würdig, bestraft zu werden.“ (70)
Dass der §175 Homosexualität von Männern, nicht aber von Frauen unter Strafe stellte und dass die Nazis auf dieser Grundlage viele Tausende von schwulen Männern in Konzentrationslager deportierten, quälten und ermordeten – das erscheint bei Schwarzer also in einer absurden Opferkonkurrenz als ein Zeichen der Diskriminierung von Frauen, die schlicht und wie üblich nicht wahrgenommen worden seien.
Alice kämpft gegen Aliens
Schwarzers Formulierung ist keinesfalls ein Lapsus, sondern kennzeichnend für die Tendenz ihrer gesamten Schrift. Das Kernthema, um das er kreist, ist die Behauptung einer Versklavung der Frau durch den Mann – die sexuelle Revolution habe „aus Sklavinnen freie Sklavinnen gemacht“ (wortgleich 179, 222), psychiatrische Anstalten seien „die letzten und infernalsten Stationen zur Versklavung ausbrechender oder gebrochener Frauen“ (114):
„Im Zuge der Demokratisierung des männlichen Besitzes an der Frau steht heute jedem Mann eine Hure, Mutter, Gefährtin und Dienstmagd in Personalunion zu“ (188) oder, fast wortgleich, „…eine Ehefrau als Dienerin zur Verfügung“ (214).
Die Grundlage für diese Imagination einer umfassenden Unterdrückung, ja Versklavung der Frau durch den Mann ist die völlige Ignoranz gegenüber einer männlichen Perspektive. Kaum einmal bleibt Raum für die Erwägung, dass auch Männer mit geschlechtsspezifischen Nachteilen und Einschränkungen konfrontiert sein könnten – und selbst wenn Männer einmal als „Opfer“ erscheinen, besteht Schwarzer umgehend darauf, dass doch die Frauen die „Opfer der Opfer“ (178) seien.
So entwirft sie in ihrer Schrift eine selbstbezügliche Struktur, die Frauenpolitik in Deutschland über Jahrzehnte hinweg getragen hat: die Perspektive von Männern systematisch auszublenden und auf dieser Grundlage die Vorstellung einer umfassenden Unterdrückung der Frau zu entwerfen – und sodann mit der Vorstellung einer umfassenden Unterdrückung der Frau die Ausblendung einer männlichen Perspektive zu legitimieren.
„Beide leben auf verschiedenen Sternen“, schreibt Schwarzer über die „Kluft zwischen Frauen und Männern“ (60). Das ist nur scheinbar aus einer neutralen Perspektive formuliert – tatsächlich bewegt sich die Autorin ganz auf dem Stern bzw., genauer, dem Planeten der Frauen und präsentiert die Männer gleichsam als Aliens, die diesen friedlichen Frauenplaneten besetzen, die Bewohnerinnen versklaven, ausbeuten und über Jahrtauende hinweg einer „Gehirnwäsche“ unterziehen (106), damit diese ihre Zwangs-Prostituierung und Vergewaltigung für normal halten.
Daher hat dann auch die durchweg positive Darstellung der lesbischen Liebe als Ausweg aus der Versklavung wenig mit einem Einsatz für Lesben- und Schwulenrechte zu tun, sondern ist Ausdruck einer tiefen Feindseligkeit gegenüber dem, was als „Fremdes“ und „Anderes“ erlebt wird: „Liebe ist eben nur unter Gleichen möglich, nicht unter Ungleichen.“ (151)
Ganz ohne Scheu knüpft Schwarzer in ihrer Schrift damit an die etablierten Topoi einer Rhetorik des Fremdenhasses an: Sie trennt säuberlich das „Eigene“ und das „Andere“, imaginiert das „Eigene“ als rein, friedlich und gesund, das „Andere“ als gewalttätig, pervertiert und krank und erregt sich an der Vorstellung, dass dieses „Andere“ in das „Eigene“ eindringt, es schändet und beschmutzt. Schwarzers Aggression gegen die Sexualität von Mann und Frau und ihre Fixierung darauf greifen ebenfalls auf die Traditionen des Fremdenhasses (genauer: des Hasses auf die als „fremd“ Imaginierten) zurück, die ihren Höhepunkt wenige Jahrzehnte zuvor in den Stürmer-Darstellungen von jüdischen Männern gefunden hatten, die dort als Schänder und Versklaver der als rein imaginierten arischen Frauen diffamiert wurden.
Unschuld für alle (naja: fast alle…)
Dass Schwarzer so ungerührt an diese Traditionen anknüpfen konnte, hat seinen Grund wohl auch darin, dass ihre Schrift sich zugleich unschwer in deutsche Selbstentschuldungs-Rhetoriken einpassen ließ. Sie imaginierte darin immerhin eine besetzte Welt, die jedoch in ihrem Kern rein und unschuldig geblieben sei und deren Reinheit auch wieder offenbar werden könne, wenn die Besatzer erst einmal abgeschüttelt seien. Wenn Margarethe Mitscherlich zehn Jahre später in ihrem Buch „Die friedfertige Frau“ wieder und wieder die Phantasie einer Unschuld der deutschen Frauen an den nationalsozialistischen Verbrechen formulierte, dann griff sie damit also auch auf Schwarzers Ansatz zurück und explizierte ihn.
So hatte die Imagination einer weiblichen Unschuld im Rahmen einer deutschen Entschuldungsrhetorik durchaus für Frauen wie für Männer Vorteile. Nicht nur erschienen Frauen als unschuldig, auch Männer konnten an ihrer Unschuld teilhaben, wenn sie ihre traditionelle Rolle als Beschützer der Frauen wahrnahmen. In dieser Perspektive hat der bundesrepublikanische Feminismus also möglicherweise eine ähnliche Funktion erfüllt wie der („verordnete“) Antifaschismus der DDR – nämlich den eigenen Anhängern die Illusion zu schaffen, sie seien gleichsam naturwüchsig unschuldig an den deutschen Verbrechen.
Natürlich folgt es lediglich einer Interpretationshypothese, feministische Positionen auf einen Beitrag zu einer deutschen Selbstentschuldungs-Rhetorik abzuklopfen, aber diese Hypothese ist durchaus erklärungsmächtig. Mit ihr lässt sich zum Beispiel erläutern, warum sich in Deutschland (und übrigens auch in Österreich) eine ganz besonders verhärtete Version des Feminismus etablierte, die mit besonders starren Freund-Feind-Schemata hantiert, Idealisierungen von Frauen – vor allem von Müttern – trotz aller offenkundigen Unvereinbarkeit mit der feministischen Rede von einer Gleichberechtigung der Geschlechter verbissen verteidigt und liberaleren, zivileren feministischen Positionen (für die beispielsweise in Frankreich prominent Elisabeth Badinter steht) niemals Raum zur Entfaltung gab.
Es lässt sich aber auch erklären, warum Schwarzer heute so aus der Zeit gefallen scheint. Für Menschen, die Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren wurden, hat die Idee einer eigenen Teilhabe an der deutschen Schuld aus guten Gründen keine Plausibilität mehr – und Schwarzers verbissene Reinheitsrhetorik, die eben immer auch eine Rhetorik der Schuldverdrängung war und ist, erfüllt aus dieser Perspektive keine erkennbare Funktion. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus stimmig, dass die feministische Übermutter in dem Gefühl, ihre Position verteidigen zu müssen, ausgerechnet bei der Verleihung des Ludwig-Börne-Preises 2008 die Situation von Frauen mit der von Juden verglich und bei eben dieser Gelegenheit mit dem „Wellness-Feminismus“ einer jüngeren Generation abrechnete (dazu damals auch Genderama).
Was für heutige Feministinnen trotz allem aber sehr wohl brauchbar geblieben ist, ist die selbstbezügliche Struktur von Schwarzers Feminismus – über die Ausblendung einer männlichen Perspektive die Vorstellung einer weiblichen Unterdrückung zu entwerfen und mit dieser Vorstellung dann wiederum die Ausblendung der männlichen Perspektive zu legitimieren. Daher also dürfen Männer bei der „Wer braucht Feminimus?“- oder der „Aufschrei“-Kampagne jeweils nur mit linientreuen Äußerungen teilnehmen, und daher stoßen eigenständige Statements von Männern auf eine regelrecht potenzierte Abwehr: Noch nicht einmal die Tatsache, dass Männer (und auch Frauen mit abweichenden Meinungen) den Mund zu halten haben, darf thematisiert werden, um die graswurzelhaft-offene Je-ka-mi-Selbstpräsentation der Kampagnen nicht zu gefährden.
Abweichende Äußerungen erscheinen als Trollerei, als Shitstorm, als Derailing – und so hat sich dann eben auch die problematischste Struktur von Schwarzers Denken ungetrübt erhalten, nämlich die Phantasie eines reinen „Eigenen“, das durch das Eindringen eines böswilligen „Anderen“ gefährdet ist.
Erhalten also blieb die tief verwurzelte Aggression gegen das, was als „Fremdes“ wahrgenommen wird.
Literatur, soweit nicht verlinkt: Alice Schwarzer: Der „kleine Unterschied“ und seine großen Folgen. Frauen über sich – Beginn einer Befreiung, Frankfurt am Main 1975.
Der Artikel erschien zuerst bei man tau.