Rezension: „Piraten – Auslaufen zum Kentern! Wie man eine Partei erfolgreich versenkt“

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In der letzten Woche waren die Absurditäten in der Piratenpartei einmal mehr Thema auf Genderama. Das brachte mich dazu, mich intensiver mit der Frage zu beschäftigen, warum eine Partei, die weit überwiegend von Männern gegründet und etabliert wurde, für Sektierer aus dem feministischen Lager derart anfällig ist.

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Und wie kam es überhaupt zum Niedergang dieser Partei? Noch vor wenigen Jahren erschien sie vielen von uns als eine neue politische Hoffnung auch und gerade für Jungen und Männer, deren Anliegen in den Altparteien kaum bis gar nicht vorkommen.

Auch in der Gunst der Wähler standen die Piraten damals sehr hoch. Inzwischen haben sie sich zu einer Partei entwickelt, in der gegen jungenfreundliche Gastredner intrigiert wird, die eine obskure feministische Veranstaltung ausrichtet, bei der nicht-feministische Männer von Anfang an keinen Platz erhalten und ein „Awareness-Team“ Kritiker rauswirft, eine Partei, die Fragen ohne feministischen Hintergrund nicht einmal mehr beantworten kann und Menschen, die die feministische Ideologie hinterfragen, an den Pranger stellt. Was ist denn da passiert?

Bei der Beantwortung dieser Frage ist eine Neuerscheinung auf dem Buchmarkt eine große Hilfe: Uwe Wilhelms Taschenbuch „Piraten – Auslaufen zum Kentern! Wie man eine Partei erfolgreich versenkt“ – ein mit bissigem Witz geschriebener Insider-Report.

Eigentlich ist Uwe Wilhelm Drehbuchautor und verärgert über die piratischen Attacken auf das Urheberrecht, die im Erfolgsfall seine wirtschaftlichen Grundlagen ruinieren würden, nur damit jeder kostenlos Filme und Bücher aus dem Internet herunterziehen kann. Um diesen Angriffen einen Riegel vorzuschieben, beschließt er im Frühjahr 2012, Mitglied der Piraten zu werden, sich bis zum Amt ihres Bundesvorsitzenden hochzukämpfen und sie dann von innen heraus zu zerstören. Offenkundig ist das nicht ernst gemeint, verleiht dem Buch aber eine originelle Ausgangssituation. Tatsächlich möchte Wilhelm wohl in erster Linie eine gründliche Recherche über das Innenleben dieser Partei erstellen. Uwe Wilhelms privates und berufliches Umfeld hält ihn bald halb für einen Verräter, halb für leicht meschugge, zumal er bislang bekannt dafür war, die Piraten vor allem als junge Leute zu charakterisieren, die „die familiäre Sozialplazenta zurück“ haben möchten, „wo Mama Wäsche macht und kocht und Papa die Kinder zu den Hobbys fährt“. Das Befremden über Wilhelms scheinbaren Gesinnungswechsel wird noch stärker, als er nach einiger Zeit in der Partei von „wir Piraten“ zu reden beginnt.UweWilhelmBuch

Zum kleineren Teil ist dieses Buch eine gelungene Analyse der Piratenpartei und warum sie den Hype ihrer Gründerjahre nicht dauerhaft halten konnte. Wilhelm erklärt beispielsweise ihre Unzahl an Verwaltungstools, aus denen „Franz Kafka Material für drei weitere Romane hätte destillieren können“, die aber Neulingen nicht erklärt werden, weil die Piraten ihrem Selbstverständnis nach eine Mitmachpartei darstellen und keine Volkshochschule. Er erläutert die andauernden Spannungen und gegenseitige Verachtung zwischen den konservativeren Landesverbänden in Bayern und Baden-Württemberg, den sozialliberalen Anhängern des Frankfurter Kollegiums um Sebastian Nerz sowie der Berliner „Pirantifa“, die sich ihrem Glaubensbekenntnis zufolge engagiere gegen „Rechtsextremismus, Rassismus, Sexismus, Homophobie, Ableismus, Transphobie und Gesinnungskontrolle (zumindest wenn sie selbst davon betroffen ist)“. Er rechnet nachvollziehbar vor, warum die utopische Phantasie der Piraten von einem bedingungslosen Grundeinkommen für alle nicht aufgehen kann. Und er schildert ein Grunddilemma der Piraten, in dem sich vor allem die Parteioberen befinden:

Sie waren schon lange dabei und hatten eine ordentliche Portion vom Nektar des Ruhms, der Aufmerksamkeit und der gefühlten Wichtigkeit gekostet. Aber jetzt befanden sie sich in einem Dilemma, das nahezu unauflösbar war. Es lautete: Was macht die Parteiführung mit einer Piratenbasis, in der es einen gewissen Prozentsatz an Idioten gibt, wie der stellvertretende Pressesprecher Aleks Lessmann wusste. Vor allem, wenn man befürchten musste, dass dieser Prozentsatz sehr hoch war und die Betreffenden nicht gewillt waren, sich brav der Parteidisziplin unterzuordnen. Seit der Gründung der Partei waren es aus Sicht der Führung diese Basispiraten mitsamt ihren unprofessionellen Meinungen und unproduktiven Äußerungen, die das Piratenimage immer wieder beschädigten. Nun hätte man ihnen ein Schweigegelübde abringen, sie auf Parteilinie zwingen können. Aber zum einen stellten sie das Rückgrat der Partei dar, und zum anderen wäre es äußerst undemokratisch gewesen, hätte der Parteivorstand ein Verbotsverfahren gegen die freie Meinungsäußerung im Internet eingeleitet.

(Jeder, der hier einwirft, der Männerrechtsbewegung ginge es mit einigen Leuten ja wohl sehr ähnlich, wird von mir als völlig neben der Sache konsequent ignoriert.)

Die echten Perlen und den größeren Teil des Buches stellen Wilhelms Insider-Berichte aus dem Parteileben dar. Er übernimmt zunächst die Aufgabe eines Hausmeisters. (Er müsse auch nach den Toiletten schauen, „weil Piraten manchmal vergessen, die Spülung zu drücken“, wird ihm bei Amtsantritt eingeschärft.) Zunehmend wird er in die Partei integriert und erlebt so beispielsweise eine Konfrontation zwischen dem linken Piraten Oliver Höfinghoff und einem regionalen Piratenkapitän namens „Markus“ mit, der frecherweise gegen die spezielle Ausgestaltung des Holocaust-Mahnmals in Berlin demonstriert habe:

Es musste verhindert werden, dass hier der Versuch unternommen wurde, den politischen Kurs der Piratenpartei anders als nach links zu beeinflussen. (…) Oliver Höfinghoff bestellte ein Bier und verlangte, dass unser Kapitän sich zu diversen Vergehen erklären müsse, weil ein „Rechter“ als Pirat nicht tragbar sei. Es klang ein wenig so, als hätte Höfinghoff das Parteiausschlussverfahren aus Gründen der Zeitersparnis bereits durchgeführt und würde nur noch schnell den Verräter vor seiner Verbannung aus der piratischen Gemeinschaft die Möglichkeit geben, um Vergebung zu flehen. Markus übte sich dann auch prompt und brav in einem Ritual, das man früher stalinistische Selbstkritik mit anschließender rhetorischer Selbsterschießung nannte. Er verurteilte sich selbst ausgiebig und betonte demütig a) seine liberale Einstellung, b) seine Treue zur Piratenpartei. Als Markus‘ Selbstgeißelung nach dreißig Minuten immer noch nicht zu Ende war, wurde die Situation für die meisten Crewmitglieder langsam unangenehm und peinlich. Es wurde zwar von unserm Navigator Hermann-Josef unermüdlich hervorgehoben, dass es sich hier nicht um ein Tribunal handle, dennoch war nicht zu übersehen, das die linke Fraktion der Berliner Piratenpartei, die unsere Sitzung zur Durchführung der Inquisition gekapert hatte, von Markus Unterwerfung noch nicht befriedigt war.

Um solche und ähnliche Spannungen in den Griff zu bekommen, wurden in der Piratenpartei sogenannte „Flauschcons“ eingerichtet. Einen davon besucht auch Uwe Wilhelm:

Es ging um das Thema Hierarchie und die Verweigerung der Piraten derselben gegenüber. Ich meldete mich zu Wort und erklärte, dass es bei den Piraten sehr wohl Hierarchien gebe, schon allein deshalb, weil zwei Piraten auf dem Podium säßen und die anderen nicht. Ich hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als die Versammlung von einer eigenartigen Unruhe erfasst wurde. Aber nicht wegen meiner unpassenden Äußerung, sondern weil Marina Weisband auftauchte und alle Blicke auf sich zog. Das Thema Hierarchie wurde in diesem Moment um das Phänomen Idolatrie erweitert. Weisband schwebte betont unauffällig herbei, begrüßte winkend den einen oder anderen und bedeutete uns, das wir uns nicht weiter um sie kümmern sollten, was aber dazu führte, dass jeder sich umso mehr um sie kümmerte. Dann setzte sie sich zu den Basispiraten unterhalb des Podiums und zupfte ausgiebig ihr Kleid zurecht.

Wilhelm versucht nun, Weisband zu vermitteln, dass allein die Aufmerksamkeit, die ihr Auftauchen auslöste, ein Beweis für die Hierarchie innerhalb der Piratenpartei war. Eine kurze Debatte darüber endet strenggenommen mit Weisbands Niederlage, die diese aber dadurch in einen Triumph ummünzt, dass sie erklärt, man müsse Hierachien dann eben transparent machen, um sie schließlich zu überwinden, worauf sie „wie ein weidwundes Reh ins Publikum“ blickte und „für diese Heuchelei auch noch ordentlichen Applaus“ erhielt. Wilhelm kommentiert: „Da die Piraten in Weisbands Augen ja ohnehin die moralisch hochwertigere Fraktion der Menschheit darstellten, waren sie auch nicht anfällig für all die niederen und hässlichen Affekte, die die anderen Politiker zu schlechteren Menschen machten. Es war eine clevere Strategie, das hierarchische System innerhalb der Piraten zu verschleiern. (…) Aber vielleicht war es auch noch nicht mal eine Strategie. Vielleicht träumte Marina Weisband tatsächlich den Klein-Mädchentraum von einer besseren Welt, die von besseren Menschen herbeigeführt werden würde.“

Super. An dieser Stelle sind wir mit dem Buch erst zu einem Viertel durch, und warum diese Partei gerade für feministische Ideologen so reizvoll ist, wurde bereits zu einem großen Teil beantwortet.

Wilhelm berichtet weiter über die Flauschcon. Johannes Ponader erscheint, wenig bereit, schon wieder über die Spenden zu reden, mit denen andere Parteimitglieder sein Leben finanzierten sollten. Nach kurzer Zeit hüpft er gemeinsam mit Marina Weisband in ein Bällebad, wo sie einander mit Spielzeugkanonen beschießen und sich gegenseitig beschimpfen, was als Persiflage auf die Twitter-Shitstorms zu verstehen war.

Nach der Mittagspause saß dann noch eine transsexuelle Piratin auf dem Podium und erklärte uns, dass sie zwar noch einen Schwanz habe, aber ansonsten ein weibliches Gehirn in einem männlichen Körper sei. Das alles bezeichnete sie als geplante Anomalie, woraufhin sie aus dem Publikum Widerspruch von einem Neurologen erhielt, der sie darüber aufklärte, dass es kein weibliches und männliches Gehirn gebe. Die Piratin entschuldigte sich und meinte, sie sei es nicht gewöhnt, mit Leuten zu reden, die intelligenter seien als sie. Normalerweise seien die Leute genauso dumm wie sie, weshalb sie unwidersprochen solchen Quatsch erzählen könne.

Wenig später wuchsen die Kosten dieser Veranstaltung von geplanten 8000 auf 28.000 Euro und verursachten dem NRW-Landesverband der Piraten einigen Stress. Das ist aus zwei Gründen besonders schade: Erstens ist die Piratenpartei trotz zahlreicher Mitglieder dadurch ohnehin notorisch knapp bei Kasse, dass bei eben diesen Mitgliedern die Umsonst-Kultur sehr ausgeprägt ist und viele von ihnen weder Spenden noch Mitgleidsbeiträge an die Partei entrichten, was eine offenbar typische Piratin im Gespräch mit Wilhelm mit ihrer Abneigung gegenüber Autoritäten jeder Art begründet: „Ich hab so ein Grundmisstrauen. Den Vorstand zu alimentieren heißt, ihn zu ermächtigen. Und Macht für irgendwelche Vorstände bedeutet das Gegenteil von dem, was Piraten eigentlich wollen, nämlich selbst an der Basis Politik zu machen.“ Worauf Wilhelm einwendet, dass eine Partei, die kein Geld habe, schlecht arbeiten könne – und zur Antwort erhält: „Mir egal. Ich brauch die Partei nicht …“

Zweitens scheint die Flauschcon trotz allem finanziellen Aufwand für Bällebad & Co. wenig gebracht zu haben, denn mit diversen innerparteilichen Intrigen, Attacken und Konflikten sowie dem gelegentlichen Empörungsanfall der Pirantifa geht es in der Zeit danach fröhlich weiter, was Wilhelm jeweils ebenso lustvoll wie süffisant ausschlachtet und kommentiert. Wir müssen hier aus Gründen der Rezensionsökonomie leider einiges überspringen, bevor wir passend zum eigentlichen Thema dieses Blogs, zu den Auftritten der Genderfraktion, gelangen:

Da gab es die parteiübergreifende „Berliner Erklärung“ vom 15. Dezember 2011, in der es hieß: „Seit über 60 Jahren gilt in Deutschland laut Grundgesetz, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. In der Realität ist die Gleichstellung allerdings noch lange nicht verwirklicht. Die anhaltende Benachteiligung von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen steht damit im Widerspruch zu unserem Grundgesetz und zu internationalem Recht.“ Da der Kegelclub sich nicht sofort entscheiden konnte, ob diese Erklärung zustimmungspflichtig war oder nicht, rief man Simon Kowalewski, den frauenpolitischen Sprecher der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus an und empfahl ihm, „nach eigenem besten Wissen und Gewissen zu entscheiden, ob er die Erklärung mitunterzeichnen möchte oder nicht“. Zum Glück, dachte ich, gibt es einen männlichen Sprecher, der den Frauen die Entscheidung abnehmen konnte …

(Zur Erklärung für Uneingeweihte: Als „Kegelclub“ bezeichnet sich die feministische Fraktion der Piratenpartei, offenbar weil sich in den zwanziger Jahren lesbische Vereine in Deutschland Tarnbezeichnungen wie „Kegelclub“ gaben. Simon Kowalewski wiederum sieht sich selbst als Radikalfeminist und spricht auch schon mal von „Maskuarschlöchern“.)

Um zu zeigen, wie sich Männer in der Piratenpartei gegenüber den dortigen Feministinnen verhalten, zitiert Wilhelm einen Text, den ein wissenschaftlicher Referent der Berliner Piraten-Abgeordneten im Blog des Kegelklubs hinterlassen hatte:

„Ich bin ein Alltagssexist. Ich schaue Frauen auf den Hintern und auf ihre Brüste. In der U-Bahn, im Supermarkt oder auch auf der Straße. Werbung mit leicht bekleideten Frau darin finde ich gut. Wenn mich Frauen nach technischen Sachverhalten fragen, erkläre ich es ihnen anders, als wenn ein Mann mich fragt. Ich verändere das Niveau der Erklärung – nach unten… Aber ich will so nicht bleiben. Ich arbeite daran, in langsamen Schritten. Es ist ein schwerer Weg, der sich aber lohnt zu gehen. Und während ich so diesen Weg gehen, sage ich mir, wer und was ich bin, damit ich nicht so bleibe: Ich bin @herrurbach und @acid23 und ich bin Alltagssexist. Ich arbeite daran.“

Zum Kern der feministischen Piraten gehört bekanntlich auch Laura Dornheim, die Wilhelm seinen Lesern anhand Dornheims Auftritts auf dem Bundesparteitag vorstellt, wo Dornheim und ein Pirat namens Jan Hemme zwei nur graduell voneinander unterschiedene Anträge vorstellen. Wilhelm schildert diesen Auftritt so:

Auf alle Fälle ging es in beiden (Anträgen) um die soziale Marktwirtschaft, wie wir sie seit Ludwig Erhard kennen. Allerdings nicht um den Satz: „Ich will mich aus eigenen Kräften bewähren und werde die Risiken des Lebens selbst tragen. Du, Staat, sorge dafür, dass ich dazu in der Lage bin.“ Bei vielen Piraten lautete das Mantra eher: „Du, Staat, bewahre mich mit all deiner Kraft und trage die Risiken meines Lebens. Ich werde dann sehen, ob ich zum Leben momentan in der Lage bin und überhaupt Lust habe.“ (…) In beiden (Anträgen) ging es um Freiheit, Transparenz, Verantwortung, Nachhaltigkeit und gerechte Teilhabe. Oder war da noch was? Ach ja, außerdem ging es noch um Wachstumskritik, die finanzielle Grundversorgung für alle Bürger und als Basis um ein humanistisches Menschenbild. Dass es, soweit ich weiß, kein unhumanistisches Menschenbild gibt und keine Partei Unfreiheit, Intransparenz und die Wiedereinführung der Sklaverei als Pfeiler ihres Programms nennen würde, wussten Hemme und Dornheim vermutlich, ließen sich aber von der Realität nicht irritieren. Als dann das Saalmikro geöffnet wurde, kritisierte ich, dass sowohl ein Hardcore-Kapitalist als auch Sahra Wagenknecht so einem Wirtschaftsprogramm zustimmen könnten. (…) Natürlich wusste jeder, dass es kein richtiges Wirtschaftsprogramm war, weil es die Frage der Finanzierung nicht beantwortete. Aber wenigstens fühlte es sich für die Gemütspiraten in der Partei der Herzen wohlig an.

Der Vortrag eines von Uwe Wilhelm selbst formulierten Antrags wird auf dem Bundesparteitag übrigens – so wie hunderte andere – aus Zeitgründen von einer oberen Hierarchieebene in der hierarchiefreien Partei gestrichen, was die betroffenen antiautoritären Piraten mit deutlichem Unmut zur Kenntnis nehmen. Zum Vortrag kommt immerhin der Antrag, dass sich die Piratenpartei für eine intensive Erforschung von Zeitreisen einsetzen solle, um diese noch in diesem Jahrzehnt Wirklichkeit werden zu lassen, was ins Wahlprogramm aufgenommen werden solle. Der Antrag erhält großen Beifall, aber leider nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit.

Zahlreiche launige Anekdoten später gelangt Wilhelm zum Ende seines Buches zu dem Fazit, dass sich die Piraten von Bannerträgern der Meinungsfreiheit zu, wie er formuliert, „Blockwarten des Netzes“ gewandelt haben:

Was ist denn, fragen sie sich besorgt, wenn nicht nur ein paar Nerds, sondern alle Bürger das Netz benutzen? Unkontrolliert, chaotisch, egoistisch, antieuropäisch, manchmal rassistisch, sexistisch und alles in allem politisch nicht korrekt? Geht das denn? Braucht es da nicht eine Kontrollinstanz? Jemanden, der aufpasst? Und wer soll das sein, wenn nicht wir, raunen sie sich zu. Also versucht die Partei, die Möglichkeiten des Netzes für ihre Machtplanung zu instrumentalisieren, indem sie die Energie der Basis domestiziert und zentralisiert. Gelenkt von Karrieristen, verliert die Piratenpartei so allen Mut und verwandelt sich in eine Versammlung von Bürokraten und intellektuellen Blockwarten, die der Piratenbasis ihre vitalste Energie raubt.

In diesem Zusammenhang zitiert Wilhelm das Blog eines Piraten, der darin, ähnlich wie dieser Tage Ricarda Riechert, berichtet, dass innerhalb der Partei inzwischen ein Klima der Angst herrsche, die „falsche“ Meinung zu haben.

Womit die zu Beginn dieser Rezension gestellten Fragen über den auf den ersten Blick überraschenden Erfolg der feministischen Bewegung bei den Piraten vollständig beantwortet wären. Offenbar findet man in der Software der Piraten etliche Tools, die für Feministinnen sehr reizvoll sind: den festen Glauben daran, selbst zu einer moralisch höherstehenden Spezies Mensch zu gehören, den ebenso festen Wunsch, die Gesellschaft vor den Meinungen moralisch minderwertiger Personen schützen zu müssen, eine bizarre Mischung daraus, einerseits althergebrachte Autoritäten abzulehnen, um andererseits staatliche Vollversorgung dank eben dieser althergebrachten Autoritäten zu erwarten, sowie die Leidenschaft, sich dem obskursten Unsinn hinzugeben, solange er nur nicht irgendwie als „rechts“ konstruiert werden kann (Zeitreisen sind in dieser Hinsicht unverdächtig). Dass der Wähler diesen Wandel nicht gerade zu belohnen scheint, hat der Fall der Piratenpartei in den Meinungsumfragen deutlich gezeigt. Es wird sich wohl erst nach dem 22. September herausstellen, ob eine Kurskorrektur in letzter Sekunde noch möglich oder das Piratenschiff bereits auf Grund gelaufen ist.

Der Artikel erschien zuerst auf Genderama.

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