Interessen des Besitzbürgertums versus Interessen des weiblichen Angestelltenmilieus
Wenn es – nach einem Diktum von Karl Marx – das (gesellschaftliche) Sein ist, das das Bewusstsein bestimmt, dann ist zu erwarten, dass es Sichtweisen gibt, die sich aus Gründen der sozialen Schichtung und den sich daraus ergebenden unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Interpretationsweisen der gesellschaftlichen Welt ausschließen. Hierfür liegt nun ein geradezu exemplarisches Beispiel in dem Artikel von Georg Meck „Deutschland sucht die Superfrau“ vor:
Der Artikel gibt einen guten Einblick in das Milieu des Besitzbügertums, in dem es nicht um das geht, was im Angestelltenmilieu Karriere genannt wird, sondern darum, ein Unternehmen, also eine Institution, die zum Zweck der Kapitalverwertung geschaffen wurde, unter Wettbewerbsbedingungen zu erhalten, erfolgreich zu führen und weiter zu entwickeln.
Die hierfür notwendige Handlungslogik ist von der Betriebswirtschaftslehre (Business Administrations) entwickelt worden, und eine wichtige Ergänzung bietet die Neue Institutionenökonomik, in der das problematische Verhältnis zwischen Eigentümern und Spitzenmanagern theoretisch reflektiert wird.
Im Milieu des Besitzbürgertums geht es darum, sich in der gesellschaftlichen Rolle als Gründer-Eigentümer, also zugleich als Unternehmer und Kapitalverwerter (d. h. als Kapitalist) zu bewähren und zu behaupten, und dies trotz der greifbaren Risiken und der nicht aufhebbaren fundamentalen Ungewissheit über die Zukunft im globalen Wettbewerb.
Wenn das gelingt, dann entwickeln sich die Familien der Eigentümer zu Dynastien, in denen Unternehmen und ganze Konzerne an die Nachkommen vererbt werden wie Fürstentümer im späten Feudalismus. Ein Beispiel für eine berühmte aber erloschene Dynastie ist die der Krupps im 19. und 20. Jahrhundert. Aktuelle Beispiele sind: Herbert Quandt an die Familie Quandt (BMW, usw.), Reinhard Mohn an die Familie Mohn (Liz Mohn), Axel Cäsar Springer an Friede Springer (Medien-Konzern), Ferdinand Porsche, Wolfgang Porsche und Ferdinand Piech an die Familien Porsche und Piech (Porsche und VW).
In allen Fällen spielen heute die Witwen (Liz Mohn, Friede Springer) oder die Ehefrauen (Piech) oder die weiblichen Nachkommen (Susanne Klatten, BMW, Altana) eine bestimmende oder jedenfalls herausragende Rolle als Erbschafts-Eigentümer. Ihnen allen ist durch Heirat oder als Nachkommen oder als sonstige Angehörige ihre gesellschaftliche Rolle zugefallen.
Die Unternehmerrollen der Gründer-Eigentümer können und wollen sie in der Regel nicht ausfüllen und dafür benötigen sie deshalb vertrauenswürdige Persönlichkeiten, die hierfür qualifiziert und erfahren sind, die also aus dem Milieu des Top Managements kommen. Dass mit dieser Personalauswahl ein hohes Risiko verbunden ist, das zeigt der Fall der Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz, die jetzt gegen den von ihr eingesetzten ehemaligen Karststadt-Chef Dr. Middelhoff und andere um Schadensersatz prozessiert.
Die Erbengeneration steht vor dem Problem, ihr Milliarden-Erbe zu sichern, und das geschieht zum einen durch eine wirksame Aufsicht, z. B. über familiäre Vertreter der Großaktionäre in den Aufsichtsräten, was entsprechende Qualifikationen voraussetzt, durch eine gelingende Personal-auswahl an der Unternehmens- und Konzernspitze (Vorstände) sowie durch Separierung und Diversifikation nicht-betrieblicher privater Vermögen in verschiedenster Form; hier und dort Immobilien, gestreute Unternehmensbeteiligungen, Schmuck, Edelmetalle, Kunstsammlungen, Bankkonten in verschiedenen Ländern. Für die Verwaltung dieser enormen privaten Vermögen werden wiederum kleine aber feine und hochspezialisierte Vermögensverwaltungsunternehmen genutzt, sogenannte family offices. In dieser sozialen Welt der Vermögenden gibt es mancherlei Probleme, aber es gibt sicher kein Problem eines Berufs oder einer Karriere. Denn Karriere ist etwas für die Angestellten.
Das Spitzenpersonal muss theoretisch und praktisch qualifiziert und bewährt, und es muss vertrauenswürdig sein. Darauf kommt es für die Eigentümer an, auf nichts sonst. Wenn nun per Gesetz in die personelle Besetzung von Aufsichtsräten eingegriffen wird, dann tangiert das den Nerv der Interessen der Eigentümer, weil damit ihr Eigentumsrecht gefährdet wird. Auf die in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts abgelaufene strittige Auseinandersetzung um die Mitbestimmung der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften sei hier nur hingewiesen.
Zwischen der Aufsichts- und Steuerungsebene der Konzerne (Ebene A) und der Ebene der leitenden dispositiven Arbeit (Ebene B) besteht ein qualitativer Unterschied, weil die Ebene B ihre Ziele und strategischen Vorgaben von der Ebene A erhält und von dieser im Hinblick auf die Umsetzung der Vorgaben gesteuert und kontrolliert wird (Konzern-Controlling).
Auf dieser Ebene B operiert das mittlere und untere Management nach den Vorgaben mit der Konzentration auf die laufende Periode. Innerhalb dieses Managements gibt es notwendig Karriereleitern, weil es neben Basisqualifikationen, wie sie an Hochschulen erworben werden können, noch notwendige Praxiserfahrungen mit Chance auf Erfolg und mit Risiko des Scheiterns gibt. Die theoretischen Vorqualifikationen, z. B. eines Bachelor- oder Masterabschlusses in Betriebswirtschaftslehre/Business Administrations ermöglichen nur den Zugang in Funktionen des unteren, dann des mittleren Managements (vgl. „Fit für den Markt. Das Hochschulstudium nach der neoliberalen Transformation des Arbeitsmarktes“).
Ob dann aber ein Aufstieg auf der Karriereleiter erfolgt, das hängt sicherlich von vielen, auch von situativen Faktoren ab, aber es ist kaum zweifelhaft, dass auf längere Sicht die Praxisbewährung entscheidend ist, sei es, dass diese an betriebswirtschaftlichen Kennziffern, sei es, dass sie an persönlichen Beurteilungen gemessen wird. Dabei sind selbstverständlich Irrtümer möglich, aber das Prinzip, nach praktischer Bewährung zu befördern, erscheint als rational, und es sichert zugleich die Übereinstimmung mit der funktionalen Leitungsfähigkeit der Unternehmung wie mit dem Eigentümer-Interesse.
Abweichungen von diesem Auswahlprinzip, z. B. durch eine angeblich geschlechtergerechte Frauenquote müssen sich daher negativ auswirken. Jede Person, die befördert werden will, muss ihre Eignung unter Beweis stellen und sich bewähren, und von dieser Chance auf Praxisbewährung sollte in der betrieblichen Teilfunktion der „Personalentwicklung“ grundsätzlich niemand mit Potenzial ausgeschlossen werden. Das wäre ein betriebswirtschaftlich sinnvoller und moralisch gerechter Grundsatz der Personalpolitik.
Die Karriereleiter des mittleren Managements endet unterhalb der Ebene A, der Aufsichts- und Steuerungsebene des Unternehmens, denn die beiden Ebenen unterscheiden sich qualitativ und in den Anforderungen an das benötigte Personal. Während sich auf Ebene B bis hinauf zur obersten Führungsebene des mittleren Managements das nötige Spezialwissen und die einschlägigen Praxiserfahrungen vertikal konzentrieren, werden auf Ebene A über dieses Spezialwissen hinaus weitsichtige Generalisten benötigt, die bezüglich der unternehmerischen Ziele, der unternehmerischen Strategien, der Weltlage und der Politik aufgeschlossen, informiert, kenntnisreich und – vor allem – urteilsfähig sind.
Daher sind eben nicht alle Personen der obersten B-Ebene geeignet, auf die A-Ebene in einen Vorstand zu wechseln, sondern nur jene, die über ihr jeweiliges Spezialistentum hinaus eine generalistische Qualifikation ausgebildet haben, die auch als solche wahrgenommen werden kann, und es ist m. E. wahrscheinlich, dass genau dies neben der Art und Weise des Auftretens wichtige Aspekte des Habitus sind, der für die Ebene A charakteristisch ist. Das sind m. E. die Bedingungen für eine der eher seltenen Kooptationen (Erwählung) in die Aufsichts- und Steuerungsebene.
Ich habe einen solchen Fall beobachtet, nämlich den Weg von Alfred Herrhausen an die Spitze der Deutschen Bank. Herrhausen, der im November 1989 leider unter m. W. immer noch nicht hinreichend geklärten Umständen einem Attentat zum Opfer fiel, war ein solcher Kooptierter, und ich habe ihn als Vorstandssprecher der Deutschen Bank erlebt, als er an der Universität Witte/Herdecke, an der ich damals in Nebentätigkeit einen Lehrauftrag in Volkswirtschaftslehre hatte, einen Vortrag über Wirtschaftspolitik hielt.
Er war aus meiner Sicht ein eindrucksvoller und bemerkenswerter Vortragender, und er verstand es damals, sein Auditorium zu begeistern. Natürlich sprach er, selbstverständlich in freier Rede, über das Bankgeschäft und über die Deutsche Bank, deren Image damals noch intakt war, aber dann wechselte er, während er sein besonderes Interesse signalisierte, auf das Feld der internationalen Wirtschaftspolitik und die damals laufenden Verhandlungen zum GATT.
Er operierte damit gedanklich und politisch auf einer Ebene wie sonst Wirtschaftsminister von Staaten. Das zum Beispiel ist gemeint, wenn ich von generalistischer Kompetenz spreche.
Dieser qualitative Unterschied zwischen den beiden Ebenen des Managements wird in der Kampagne für die Frauenquote übersehen, und übersehen wird auch, was tatsächlich an nicht nur theoretischen, sondern auch praktischen Qualifikationen für einen Aufstieg erforderlich ist.
Ich habe deshalb hier versucht, das zu skizzieren.
Allerdings geht es innerhalb dieser Kampagne teils gar nicht um Karriereförderung innerhalb des mittleren Managements, also um eine systematische Bevorteilung von Frauen – nur wegen ihres Geschlechts! – zu Lasten und durch Diskriminierung der konkurrierenden Männer im Rahmen der „Personalentwicklung“, also der betrieblichen Beförderungspolitik. Die Vorstellung, es gebe eine durchgehende Karriereleiter bis in den Aufsichtsrat, ist naiv, denn sie verkennt völlig die gesellschaftliche Realität der kapitalistischen Produktionsweise. Sie ist ein Ausdruck eines völlig unreflektierten Angestelltenbewusstseins kombiniert mit feministischer Ideologie. Diese Bewusstseinsform ist die Quelle der Gleichstellungspolitik, die im Grundgesetz bekanntlich kein Fundament hat – insbesondere nicht im Art. 3 (2) Satz 2.
Es geht bei dem Gesetzesvorhaben von Schwesig/Maas schlicht um die Kaperung attraktiver Machtpositionen, nämlich dann, wenn Aufsichtsratspositionen per Gesetz anteilig mit Frauen besetzt werden sollen. Für Politikerinnen könnte das eine interessante Perspektive sein. Das Gesetz wird ihnen nützen. Außerdem sollen die Vorstandsbesetzungen maßgeblich beeinflusst werden.
Es handelt sich um einen politisch-rechtlich vermittelten verteilungspolitischen Anspruch, hinter dem eine Selbstbedienungsmentalität ohne Zahlungsbereitschaft steckt. Dass es jenseits der Propaganda weder für das eine noch für das andere tragfähige Begründungen gibt, ist eine Tatsache, die gesellschaftlich gleichwohl verleugnet wird.
Das Motto lautet:
Wir uns selbst privilegierende Frauen nehmen uns, was wir haben wollen, andere dürfen zahlen und die Folgen tragen.
Das ist Staatsfeminismus in Aktion. Die Folgen tragen zunächst die Eigentümer, dann wir alle.
Prof. Dr. Güter Buchholz, Jahrgang 1946, hat in Bremen und Wuppertal Wirtschaftswissenschaften studiert, Promotion in Wuppertal 1983 zum Dr. rer. oec., Berufstätigkeit als Senior Consultant, Prof. für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Consulting an der FH Hannover, Fakultät IV: Wirtschaft und Informatik, Abteilung Betriebswirtschaft. Seit 2011 emeritiert.