Wenn es um strukturelle Diskriminierungen geht, sind immer nur Frauen gemeint. Wo kämen wir denn hin, wenn man die Benachteiligung von Männern anerkennen würde?
Wo Gleichstellung drauf steht, ist Frau drin. Das alte Mantra der alleinigen Benachteiligung der Frau muss mit allen Mitteln verteidigt werden. Gerade hat man bei der Novellierung des Bundesgleichstellungsgesetzes die heilige weibliche Opfer-Kuh noch einmal vom Eis geholt, denn es drohte der feministische Super-GAU: Man hätte sich um ein Haar auch um Männer kümmern müssen. Männer! Das geht nun wirklich nicht.
Im Herbst saß ich bei einer Podiumsdiskussion in Berlin mit einer Frauenbeauftragten einer Berliner Universität in einer Diskussion über Frauenquoten und die richtige Frauenpolitik fürs Land. Sie berichtete von ihrer Arbeit und betonte immer wieder, die Studentinnen würden aus Studiengängen wie Informatik oder auch Mathematik „rausstudiert“. Es würden immer wieder Studentinnen den Studiengang abbrechen, es sei ja so schwer in männlichen Domänen. Nachdem das „rausstudiert“ ein paar Mal gefallen war, wagte der Veranstalter aus dem Publikum die Frage, was sie denn mit dem Begriff „rausstudiert“ meine, er könne sich das nicht so genau vorstellen. Ja, die Studentinnen würden halt aufgeben, auch sie habe das vor über 20 Jahren erlebt in einem männlich dominierten Studienfach, man nehme die Frauen nicht ernst, das Wort Mobbing fiel und dann würden Studentinnen eben ihr Studium abbrechen. Die Strukturen seien schuld, männlich geprägte Strukturen natürlich. Deswegen müssen diese natürlich verändert werden und die Quoten her zur Förderung von Frauen.
Fast hätte ich es dabei belassen und mir nur ein paar feminine Solidaritätstränchen rausgequetscht, stattdessen hakte ich lieber nach: Ob es Befragungen gäbe, warum abgebrochen wird, könnte ja sein, es war zu schwer, oder einfach das falsche Fach … Nein, darüber gäbe es keine genaue Befragung, aber sie wisse ja, was man ihr erzählt. Ich hakte noch mal nach: Ob es vielleicht eine Erhebung gäbe, wie viele Männer den gleichen Studiengang abbrechen, ob es Parallelen gäbe, was deren Gründe wären, ob die auch „rausstudiert“ würden? Nein, dazu habe sie auch keine Auskünfte, dafür sei sie nicht zuständig, sie sei explizit eine Frauenbeauftragte und keine Gleichstellungsbeauftragte.
Männerförderung wäre verfassungswidrig, Frauenförderung der Heilige Gral
Als ob das einen Unterschied macht. Seit der aktuellen Debatte um die Novellierung des Bundesgleichstellungsgesetzes haben wir es jetzt schwarz auf weiß: Gleichstellungsbeauftragte sollen auf keinen Fall auch für Männer zuständig sein. Der Entwurf hierfür ist kurzfristig verändert worden, nachdem aufgefallen war, dass eine paritätische Besetzung von Männern und Frauen bei allen Posten dazu führen könnte, dass sich die Gleichstellungsdamen in den Bereichen des öffentlichen Dienstes, in denen Frauen teilweise über 75 Prozent halten, dann ja auch um Männer kümmern müssten. Das böse Wort von der „Männerquote“ machte die Runde und trieb Gleichstellungsbeauftragte auf die Barrikaden. Die Zeit, die sie dann für Männer investieren müssten, würde ja wegfallen bei der wichtigen Arbeit für die Frauen. Außerdem gäbe es ja gar keine strukturell bedingte Diskriminierung von Männern. Renate Künast sagte gegenüber der dpa, sie kenne keinen Bereich der Arbeitswelt, in der Männer strukturell benachteiligt seien. „Dass es viel zu wenig männliche Erzieher und Grundschullehrer gibt, liegt nicht daran, dass sie diskriminiert werden. Sondern daran, dass sich Männer auf diese Berufe meist gar nicht erst bewerben.“ Es sind also deswegen so wenig Männer in Frauendomänen, weil Männer dort gar nicht hin wollen. Das weiß man ganz genau bei den Grünen und sie haben damit ausnahmsweise auch noch 100 Prozent recht.
Gleich ein Dutzend Experten hatte man aufgefahren in den Beratungen, die unisono erklärten, dass eine Männerförderung gar verfassungswidrig sei. Denn, so zitiert der „Spiegel“, „allein aus der Feststellung, dass ein Geschlecht in einem bestimmten Bereich in der Minderheit sei, folge noch keine tatsächliche Benachteiligung“.
Irgendwie kamen mir diese Argumente bekannt vor und ja, dann fiel es mir wieder ein: Es sind meine eigenen. Diejenigen nämlich, die ich immer schon angebracht habe, wenn ich gegen eine Frauenquote argumentiert habe. Dass es nämlich gar nicht erwiesen sei, dass es strukturelle Gründe – besser bekannt auch als gläserne Decken – gäbe, wenn Frauen nicht in Männerdomänen vordringen, wenn Frauen in Frauenberufen bleiben, gerne bei den Kindern zu Hause bleiben und typische Frauenstudiengänge betreiben.
Mit nichts habe ich bislang Diskussionen rund um die Frauenquote mehr in Schwung bringen können als mit dem Einwurf in den Raum, dass vielleicht deswegen so wenige Frauen in Männerdomänen arbeiten, weil sie da gar nicht hin wollen. Dass deswegen weniger Frauen in Führungspositionen sind, weil sie sie gar nicht so häufig anstreben. Die Schnappatmung nach solchen Sätzen hält in der Regel nur kurz an, bevor die gläserne Decke über mir in Scherben geschlagen wird.
Was ist mit Transmännern? Und Transfrauen? Und …
Wir halten also fest: Für Männer sind strukturelle Diskriminierungen nicht gegeben. Für Frauen stehen sie hingegen wie in Stein gemeißelt. Wer dagegen hält, ist Antifeministin oder Hüter patriarchaler Strukturen. Auf keinen Fall darf an diesem Mantra gerüttelt werden, denn sonst müssten Gleichstellungsbeauftragte ja tatsächlich ihre Arbeit für alle Geschlechter, die diskriminiert werden, aufteilen. Und die Zahl der Geschlechter werden immer mehr. Spontan fiel mir gleich die Fragestellung ein, ob die Gleichstellungsbeauftragten eigentlich auch für die Transfrauen zuständig sind? Biologisch mit Penis, aber im Selbstverständnis Frau. Was ist mit den Transmännern? Biologisch mit Vagina, aber im Selbstverständnis ein Mann. Es wird langsam kompliziert und ich will gar nicht erst von der weiteren Zahl von Geschlechtern anfangen, die wie Pilze aus dem Boden zu sprießen scheinen. Ich freue mich aber schon auf die ersten Musterklagen.
Aber noch was machte mich stutzig angesichts der strukturellen Diskriminierung von Frauen, die so felsenfest behauptet wird. Wenn diese Erkenntnis derart gesichert ist, warum beschäftigen sich in Deutschland mehrere Gender-Studien mit der Untersuchung, ob es sie wirklich gibt? Warum forschen dann an mehreren Universitäten Frauen darüber, warum so wenige Frauen forschen? Warum untersucht man dort überhaupt noch, ob es strukturelle Gründe für die Unterrepräsentanz der Frauen in Männerdomänen gibt? Die Unis Bielefeld und Hamburg tun dies im Bereich Mathematik und Physik, die Fern-Uni Hagen im Bereich Jura, die Hochschule Furtwangen im Bereich Forschung und Entwicklung.
Wo Überzeugungen am Werk sind, helfen auch Fakten offenbar nicht weiter. Machen wir uns also nichts vor: Wo Gleichstellung drauf steht, ist Frau drin. Das war so und soll nach dem Willen der gleichstellungsbemühten GralshüterInnen auch immer so bleiben.
Der Artikel erschien zuerst bei „The European“
Birgit Kelle arbeitet als freie Journalistin und Autorin.
Sie wurde 1975 in Siebenbürgen, Rumänien, geboren und siedelte als Neunjährige mit ihrer Familie noch aus dem real existierenden Kommunismus nach Deutschland um.
In verschiedenen Landtagen und vor dem Familienausschuss des Deutschen Bundestages trat sie als Sachverständige für die Interessen von Müttern und Familie, sowie als Expertin im Themenkomplex Gender auf. Als regelmäßiger Gast in diversen Talksendungen im Deutschen Fernsehen zu den Themenfeldern Familien-, Frauen-, Genderpolitik und Feminismus-Kritik wurde sie einem breiten Publikum bekannt.