Über fragwürdige Sexualmoral, verklemmte Richter, aufgeblasene Feministinnen und paradoxe Sexualstraftatbestände
„Respektiert uns! Wir sind kein Freiwild selbst wenn wir nackt sind!!!“ – am vergangenen Freitag zierte eine Frau vor dem Kölner Dom die Titelblätter, welche lediglich ein Schild mit dieser Aufschrift trug.
Dass da eine nackte Frau vor einem der bekanntesten christlichen Wahrzeichen Deutschlands weder ihre Brüste noch ihre Genitalien bedeckte, störte anscheinend niemanden. Wegen des Straftatbestands des Exhibitionismus können sich nach deutscher Rechtslage ohnehin nur Männer, nicht hingegen Frauen strafbar machen. Hätte sich aber ein Mann mit demselben Schild vor den Kölner Dom in aller Öffentlichkeit hingestellt und dabei seinen Penis entblößt, es hätte aller Wahrscheinlichkeit nach ein strafrechtliches Nachspiel gehabt.
Dr. Alexander Stevens ist Fachanwalt für Strafrecht und als einziger Anwalt überhaupt in Deutschland ausschließlich auf die Sexualdelikte (Vergewaltigung, Missbrauch, Kinderpornographie) spezialisiert.
Einem breiten Publikum ist er auch durch sein Wirken als „TV-Anwalt“ in verschiedenen Fernsehsendungen (u.a. „Richter Alexander Hold oder „Im Namen der Gerechtigkeit“) bekannt. Im April 2016 erscheint sein erstes Buch „Sex vor Gericht“ (Knaur Verlag).
Stevens vertritt sowohl Täter als auch Opfer von Sexualdelikten gleichermaßen. Nähere Informationen unter: www.lucas-stevens.de
Was genau ist neu an der gegenwärtigen erhitzten Debatte? Es sollte doch hoffentlich längst unbestritten sein, dass Menschen kein Freiwild sind, ob angezogen oder nackt, ob Frau oder Mann. Und der „Sex-Mob-Skandal“ mag in dem Exzess wie er sich zum Jahreswechsel gezeigt hat ungeahnte Dimensionen angenommen haben, neu ist die Masche dagegen keineswegs, und sie trifft dabei mitnichten ausnahmslos Frauen. Schon im Jahr 2006 hatte ich mit Fällen auf der Hamburger Reeperbahn zu tun, bei denen „südländische“ Männer scheinbar wahllos feierwillige Partygäste antanzten, ihnen in den Schritt griffen und sich dabei – die für das Opfer perplexe Situation ausnutzend – diverser Wertgegenstände wie Handys oder Geldbeutel bemächtigten.
Die Opfer waren allesamt Männer. Zur Anzeige kamen die Fälle ausnahmslos als Diebstahls- nicht als Sexualdelikte. Und das zu Recht! Der kurze Griff an die (bekleidete) Scham wie etwa an den Po, an die Brust oder in den Schritt mag eine „sexuelle Belästigung“ darstellen, ein strafrechtlich relevantes Sexualdelikt stellt dieses Verhalten indes noch lange nicht dar.
Nach derzeitigem Erkenntnisstand stellt sich eher die Frage, ob die Mehrzahl der „Sex-Mob-Täter“ ihre Opfer wirklich sexuell belästigen wollten, oder ob es sich nicht vielmehr um eine besonders distanzlose Variante der bereits geschilderten „Antänzer-Masche“ handelte. Es spricht in solchen Fällen aus juristischer Sicht einiges dafür, dass es dem Täter schlicht egal ist, ob er mit seinem Handeln das Opfer auch belästigt und dadurch sexuelle beleidigt, ihm kommt es ausschließlich auf die Beute an – und eine dann allenfalls in Betracht kommende mit dem Diebstahl tateinheitliche Beleidigung des sexuell belästigten Opfers scheitert im Regelfall dann am fehlenden Vorsatz des Täters, sein Opfer durch die Anmach- oder Begrapsch-Masche (sexuell) beleidigen zu wollen.
Vergleichbar ist das Szenario mit einem Betrüger: Es dürfte für den Betrogenen beleidigend sein, für so dumm gehalten zu werden, auf einen plumpen Betrug hereinzufallen. Dennoch will der Betrüger nicht beleidigen – er will lediglich Geld kassieren. Ergo ist der Betrug regelmäßig auch nicht zugleich als Beleidigung strafbar. Gleiches gilt für den Geschlagenen, den Getretenen, den Beraubten…
Woher also die für den Sex-Mob geforderten „harten Strafen“ herkommen sollen, wenn es dabei nach derzeitiger Rechtslage lediglich um einen einfachen Diebstahl geht, der entweder mit einer kleineren Geldstrafe bestraft oder oftmals (zumindest bei Ersttätern) sogar von den Staatsanwaltschaften eingestellt wird, bleibt mir schleierhaft. Mit den derzeitigen Gesetzen bleibt es bei der „Sex-Mob-Masche“ bei dem was es ist, einem Diebstahl. Den Straftatbestand der „sexuellen Belästigung“ gibt es indes nach derzeitigem Recht nicht. Es wäre an der Politik, einen solchen zu schaffen .
Warum die Politik im Zuge der aktuellen Stimmungslage nun einmal mehr ausgerechnet den Vergewaltigungstatbestand verschärfen will, kann nur als politische Kurzschlusshandlung und wilder Aktionismus bezeichnet werden.
Die aktuelle Rechtslage fordert im Falle einer sexuellen Handlung für deren Strafbarkeit als Sexualdelikt aus gutem Grund die Überschreitung einer gewissen „Erheblichkeitsschwelle“. Dies hat seinen Grund vor allem in der Höhe der Strafandrohung, denn das einzig in Frage stehende Sexualdelikt, die „sexuelle Nötigung“, hat ein Strafmaß von mindestens einem und bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe! Der Straftatbestand der „sexuellen Nötigung“ ist besser bekannt unter der Bezeichnung „Vergewaltigung“, welche den besonders schweren Fall der sexuellen Nötigung beschreibt und mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist.
Wenn aber jeder „Grabscher“ künftig für mindestens ein Jahr ins Gefängnis soll, dann werden die Gefängnisse sehr bald überfüllt sein. Eine derart harte Bestrafung wäre zudem auch schlicht unverhältnismäßig. Nur zum Vergleich: Ein unvermittelter Schlag ins Gesicht ist als Körperverletzung im Mindestmaß mit Geldstrafe und im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht. Warum der überraschende Griff in den Schritt um ein vielfaches härter bestraft werden soll als der überraschende Schlag ins Gesicht, ist für mich nicht nachvollziehbar.
Im Übrigen: Unter einer Vergewaltigung stellt sich der juristische Laie meist eine düstere Bahnhofsszenerie, eine schwach beleuchtete Tiefgarage oder eine einsame Bushaltestelle vor, wo der schwarz maskierte Brutalotyp dem ahnungslosen Opfer auflauert, um es mit plötzlicher körperlicher Gewalt zum Geschlechtsverkehr zu zwingen.
Solche Fälle machen aber in der Rechtswirklichkeit gerade einmal 3 Prozent aus. Der überwiegende Teil der angezeigten Vergewaltigungen findet – zumindest in Deutschland – in Bekannten- und Beziehungskreisen statt und hat oftmals nicht einmal einen tatsächlichen Geschlechtsakt zum Vorwurf.
Was viele nicht wissen: jedes Einführen in den Körper des Opfers, egal welchen Körperteils oder Objekts (also auch z.B. des Fingers), ist – wenn dies mit Gewalt oder der Androhung einer solchen für Leib oder Leben geschieht – ausreichend, um wegen Vergewaltigung verurteilt zu werden. Mit anderen Worten, wenn es den Täter sexuell anturnt, seinem Opfer mit Gewalt oder unter Drohung mit Schlägen etc. den Finger in die Nase zu stecken, stellt auch dies nach deutscher Rechtslage eine Vergewaltigung dar, die mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden kann.
Solche Fälle sind sicher die Ausnahme. Weniger bekannt und in der aktuellen Debatte nicht thematisiert ist indes, dass die genannte Regelung zahlreichen Opfer- und Feministinnen-Verbänden nicht weit genug ging, so dass der deutsche Gesetzgeber in vorauseilendem Gehorsam vor noch gar nicht all zu langer Zeit einen ganzen Schritt weiter gegangen ist und den Vergewaltigungstatbestand massiv erweitert hat: nach der aktuellen Rechtslange kann bereits das bloße Ausnutzen einer „schutzlosen Lage“ des Opfers zu einer Verurteilung führen. Sprich, wenn das Opfer eine sexuelle Handlung nicht nur deshalb duldet, weil es vom Täter bedroht oder mit Gewalt traktiert wird, sondern weil es sich stattdessen dem Täter schutzlos ausgeliefert sieht, kann ein Gericht bereits wegen Vergewaltigung verurteilen – ganz ohne Gewalt, ganz ohne Drohung und der Grund für die Schutzlosigkeit ist nach dem Wortlaut des Gesetzes dabei sogar noch völlig unerheblich.
So soll es beispielsweise bereits ausreichen, wenn das Opfer alleine mit dem Täter in der Wohnung ist – was bei Geschlechtsverkehr, auch einvernehmlichem, quasi der Regelfall ist! Unbeachtlich ist darüber hinaus, ob der Täter das Opfer in die schutzlose Lage gebracht oder es in dieser Lage nur vorgefunden hat und ob die Schutzlosigkeit auf äußeren Umständen beruht oder solchen, die in der Person des Opfers liegen. Das heißt konkret: die schutzlose Lage gilt auch dann, wenn das Opfer freiwillig mit dem Täter in die Wohnung gegangen ist. Und objektive Beweise zur Überführung eines Täters fordert das deutsche Recht – im Gegensatz zu den meisten ausländischen Staaten – nicht. Steht also Aussage gegen Aussage, was in fast allen angezeigten Fällen der Vergewaltigung der Fall ist, weil Sex eben selten unter Aufsicht von Zeugen stattfindet, dann darf der deutsche Richter sich frei entscheiden, wem er glaubt: dem vermeintlichen Opfer oder dem vermeintlichen Täter. Im amerikanischen Rechtssystem wäre das undenkbar!
Hinzu kommen Richter mit einer immens hohen Hemmschwelle, überhaupt über sexuelle Themen zu sprechen. Der Urteilsfindung liegen daher oft floskelhafte Begründungen in gewohnt korrekter Amtssprache zu Grunde: „Also dann hat er sie da unten, naja Sie wissen schon, unterhalb des Bauchnabels, also da in der Nähe zwischen Ihren Beinen berührt“ – so das Zitat eines oberbayerischen Richters für die Umschreibung des Begriffs „Vagina“.
Sieht man sich dann so manche Einzelfallentscheidungen von deutschen Gerichten hierzu an, so wird schnell klar, dass der Vorwurf einer Vergewaltigung wirklich JEDEN treffen kann: Schutzlosigkeit liegt nach Ansicht der Rechtsprechung nämlich schon dann vor, wenn die Lage des Ortes entlegen ist, bei mangelnder Erreichbarkeit von Hilfe auch in der eigenen Wohnung, einer altersbedingten Einschränkung, sowie aufgrund schlechter körperlicher und psychischer Konstitution des Opfers – ohne das diese Begriffe näher definiert wären.
Diese Beispiele sollten deutlich zeigen, dass der bewussten oder unbewussten Falschbezichtigung durch angebliche Opfer bereits jetzt Tür und Tor geöffnet ist. Kaum ein Sexualkontakt findet nämlich in unmittelbarer Nähe hilfs- und eingriffsbereiter Personen statt. Beim Sex will man in der Regel ungestört sein, was zur Folge hat, dass nach obiger Definition letztlich jeder Sexualkontakt zugleich eine „schutzlose Lage“ darstellt!
Aber es wäre ja auch nicht das erste Mal, dass eine auf Stimmenfang basierende Politik einen durch Frauenverbände und reißerische Berichterstattung angeheizten Wähler mit dem Ruf nach noch strengeren Gesetzen und noch härteren Strafen bei Laune hält. Nicht zuletzt sorgte ja die „Edathy-Affäre“ für ausreichend Aktionismus eines sonst eher blass wirkenden Bundesjustizministers, nach dessen Gesetzesentwurf die bloße Nacktheit kriminalisiert werden sollte, wenn es plötzlich nur noch „Berechtigten“ gestattet wäre, einfache Nacktaufnahmen von Kindern, sei es beim Strandurlaub oder im Schwimmbad, zu besitzen – ohne überhaupt zu definieren, wer alles hierzu überhaupt berechtigt sein sollte: die Eltern, die Großeltern, Onkel, Tanten, Schwippschwager?
Was, wenn beim obligatorischen Urlaubsfoto ein unbekleidetes Kind im Hintergrund zu sehen ist? Es wäre nur eine Frage der Zeit, dass eine Vielzahl gedemütigter Kinder endlich die von ihren Eltern in den unzähligen Fotoalben liebevoll eingeklebten Badewannen- und Strandaufnahmen unter Androhung einer entsprechenden Strafanzeige loswerden könnten, um sich künftig die drohenden peinlichen Momente zu ersparen, wenn die Eltern bei Familienfesten einmal mehr die Alben mit den beschämenden Bildern zücken.
Ob Sex-Mobs oder Nacktbilder: Sexualstrafrecht hat keine Lobby. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema findet schlicht nicht statt. Seit Abschaffung des Schwulen-Paragraphen, der vor 20 Jahren Homosexualität mit bis zu 5 Jahren Gefängnis bestrafte, hat sich das Sexualstrafrecht stets und konsequent verschärft.
Dies mit der leidvollen Konsequenz, dass es zunehmend groteskere Ausmaße annimmt:
So darf nach deutschem Recht ein 99-Jähriger mit einer 14-Jährigen ganz legal den härtesten Sex betreiben, so lange er einvernehmlich geschieht und die Vierzehn-Jährige schon sexuell erfahren ist – ansonsten halt erst ab 16 Jahren. Ein 18-Jähriger dürfte aber seiner 17-jährigen Freundin keinen Pornofilm zeigen, denn dies ist mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht! Umgekehrt darf der soeben vierzehn Jahre alt gewordene Junge, der mit seiner nur eine Woche jüngeren Freundin bisher regelmäßig einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatte, die Woche bis zum vierzehnten Geburtstag seiner Freundin mit ihr keinen Sex haben, um sich nicht in diesem Zeitraum des (schweren) sexuellen Missbrauchs einer 13-Jährigen strafbar zu machen.
Andererseits ist das Spannen auf Toiletten, in Umkleidekabinen oder an Stränden völlig straffrei. Gleiches gilt bislang für das Betatschen der weiblichen Brust oder des Pos, solange man den anderen damit nicht beleidigen will. Wenn ein Mann sich aber in der Öffentlichkeit nackig macht und man dabei seinen Penis sieht, gilt er schnell als Exhibitionist und wird dafür mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft. Tut dies dagegen eine Frau, ist das nicht strafbar: Exhibitionismus gilt halt – sowie der Schwulen-Paragraph früher auch – nur für Männer.
Selbst wenn die Gefahr besteht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit behinderte Kinder zu zeugen, dürfen behinderte Menschen so viel Sex miteinander haben wie sie wollen – zu Recht, weil nach der vom Autor völlig übereinstimmenden Meinung des Grundgesetzes die Würde des Menschen unantastbar ist. Dann ist aber schwer nachvollziehbar, warum Geschwister wegen der bloß abstrakten Gefahr der Zeugung behinderter Kinder (die gerade nicht wissenschaftlich bewiesen ist und z.B. durch Verhütung auch ausgeschlossen wäre, keinen Geschlechtsverkehr haben dürfen, das ist strafbar.
Und eine Vergewaltigung kann rechtlich eben auch dann schon gegeben sein, wenn jemand dem anderen seinen Finger in die Nase einführt und dieser es als sexuelle Handlung empfindet. Und wer mit seiner Ehefrau Sex hat, nachdem sie eingeschlafen ist, wird mit mindestens 2 und bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft.
Nach alledem stellen sich für mich zwei Fragen: Kann es in Deutschland überhaupt noch zu sexuellen Anbahnungen kommen, ohne dass man(n) sich vorher am besten schriftlich und wenig romantisch gegen Strafanzeigen, Anklagen oder gar Verurteilungen wegen eines Sexualdeliktes absichert? Und wie geht man mit neuen Erscheinungsformen sexualisierter Übergriffe, wie etwa den sogenannten „Sex-Mobs, um?
Die Antwort muss lauten: MAßVOLL. Wie schade, dass unser Bundesjustizminister, der dieses Wort doch schon im Namen trägt, so weit davon entfernt ist.