Die #metoo-Kampagne trägt Züge einer hysterischen Hexenjagd. Erwachsenes Sexualverhalten braucht keine Twitter-Hashtags.
Noch jemand, den Kevin Spacey begrapscht hat? Im Tagestakt heben Leute nun den Finger und rufen „#metoo“. Immer mehr springen auf den fahrenden Zug auf, nachdem schon die bloße Bezichtigung eines plumpen Annäherungsversuchs Anfang vergangener Woche große Wellen geschlagen hatte. Die Unschuldsvermutung galt für den Schauspieler von Anfang an nicht.
{loadposition novoargumente}
Nun ist das Kartenhaus über dem „House of Cards“-Hauptdarsteller zusammengestürzt und die lange Liste peinlicher Anmachversuche legt nahe, dass Spacey besser frühzeitig mit seiner Homosexualität offen umgegangen und sich in Szene-Kreisen bewegt hätte, statt sich oft vergeblich und belästigend allerlei (meist wohl heterosexuellen) Männern aufzudrängen. Das macht ihn zur tragischen Figur; seine einschlägigen Handlungen wiederum mögen teils (je nach Land) strafrechtlich relevant sein, teils menschlich unanständig, teils normale Anmache.
Denn alles wird in einen Topf geworfen. Das gilt für die gesamte #metoo-Welle, wo „strafbare Handlungen mit ungehörigem Verhalten und das alles wiederum mit ‚normalem‘ männlichen Balzverhalten vermischt“ werden, wie Michael Sander in einem Leserkommentar zu einem Novo-Artikel schreibt. „Dadurch wird ganz bewusst eine riesige Verunsicherung vor allem bei jungen Menschen in Kauf genommen und befördert. Und ich schließe da ganz bewusst junge Frauen nicht aus. Denn genauso, wie der Mann verunsichert ist, wie er die Aufmerksamkeit einer Frau erregen kann, so ist diese verunsichert, welches Verhalten sie noch als normal dulden darf. Für manche ist diese Grenze heute schon bei einem Kompliment überschritten. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern wird durch solche Kampagnen vergiftet.“
„Zur Bekämpfung des echten Sexismus leistet die #metoo-Kampagne nichts.“
An US-amerikanischen Universitäten sind solche Phänomene schon länger zu beobachten, auch länger als dortselbst andere Exportschlager wie „Safe Spaces“, „Trigger-Warnungen“ oder der Aktivismus gegen „Kulturelle Aneignung“ und „Mikroaggressionen“. So wie diese Trends verbreitet sich die aktuelle #metoo-Hysterie hauptsächlich in der westlichen Welt, zur Bekämpfung des echten Sexismus in wirklich patriarchalen Gesellschaften und Kulturen leistet sie nichts.
Stattdessen hat sie eine Lawine ausgelöst, die vieles mitreißt. In Großbritannien trat jüngst der Verteidigungsminister zurück, weil er eine Journalistin im Jahre 2002 peinlich berührt hat. Ein Leserkommentator bei der Tagesschau-Onlineausgabe kritisiert, Politiker würden bei „Betrügereien im Millionenbereich, Grundstücksaffären oder Vetternwirtschaft“ unzureichend bestraft, „aber einer Frau ans Knie zu fassen, das führt zu einer Staatsaffäre.“
Und damit nicht genug, es soll in London sogar eine Liste mit 40 Namen von Politikern kursieren, die noch an den Pranger gestellt werden sollen wegen tatsächlicher oder vermeintlicher, gravierender oder läppischer sexueller Verfehlungen. In Zeiten, wo vom Laubbläser über den vorbeifahrenden Güterzug bis zum Raucher auf der anderen Straßenseite vieles als Belästigung gilt, kann eine versehentliche, kurze Berührung schon zum Politikum werden.
„Blindwütiger Konformismus artet schnell in Hexenjagden aus.“
Die ins Rollen geratene Kampagne in Großbritannien kritisiert der Chefredakteur des britischen Novo-Partnermagazins Spiked, Brendan O’Neill, zu Recht als gegen normales Sexualverhalten gerichtete Prüderie, gepaart mit aufmerksamkeitsheischender Ruhmsucht auf Seiten einiger der betroffenen Frauen, die plötzlich Kinkerlitzchen aus vergangenen Jahrzehnten hervorkramen. Einer Politikerin der Konservativen zufolge müsse es „ein Großreinemachen geben“, eine Labour-Abgeordnete verlangt den „Start eines großen Aufräumens“. Diese Säuberungsrhetorik erinnert an Zeiten, als jenseits des Großen Teichs der Ausschuss für unamerikanische Umtriebe und Senator McCarthy ihr Unwesen trieben. Des diffusen Antiamerikanismus oder Kommunismus bezichtigt, geriet die eigene Existenz damals schnell in Gefahr. Heute droht der Karriere- und Ansehensverlust durch diverse Sexismus- und Belästigungsvorwürfe, Erpressungen wird Tür und Tor geöffnet, missliebige Parteifreunde werden leichter aus für andere attraktiven Ämtern gedrängt. Dass es in Österreich gerade mit Peter Pilz den Namensgeber einer neu ins Parlament eingezogenen Grünen-Abspaltungerwischt hat, könnte auch eine Retourkutsche aus seiner früheren, bei der Wahl gebeutelten, Partei gewesen sein.
Während Hollywood früher noch einem Roman Polanski nicht wirklich übel genommen hat, eine 13jährige vergewaltigt zu haben, schlägt man jetzt ins andere Extrem um. Spacey wird auf seiner eigenen Instagram-Seite als „Vergewaltiger“ und „Kinderschänder“ verunglimpft, wegen des Vorfalls 1986, als es gar nicht zum Sex zwischen dem damals 26-Jährigen und seinem 14 Jahre alten Berufskollegen kam (der übrigens nach heutigem Recht in Deutschland nicht von vornherein strafbar gewesen wäre). Beruflich kann er vermutlich einpacken, ein bereits abgedrehter Film, in dem er den (offen schwulen!) Schriftsteller Gore Vidal gespielt hat, soll nicht ausgestrahlt werden. Hoffentlich werden die Drehbücher nicht verbrannt.
Solch blindwütiger Konformismus artet schnell in Hexenjagden aus. #metoo-Auslöser Harvey Weinstein hat sich nicht nur übel gegenüber vielen Frauen verhalten, sondern auch hunderte Filme und Serienfolgen produziert – sollen die nicht mehr gesendet werden? Müssten, um die Absurdität auf die Spitze zu treiben, dann nicht alle Kunstwerke boykottiert werden, an deren Schöpfung Menschen beteiligt waren, denen man persönliches Fehlverhalten ankreiden kann?
„Eine Frau – oder ein Arbeitskollege Kevin Spaceys – sollte Manns genug sein, Grenzen aufzuzeigen und abzulehnen.“
Apropos Weinstein: Die sprichwörtliche Besetzungscouch bei ihm und anderen Produzenten wurde von manchen durchaus dankbar als Karrieresprungbrett genutzt und hat nicht ausschließlich Opfern produziert. Diesseits des Atlantiks tickt das Showbiz ähnlich. „Ich kenne viele Schauspielerinnen, die sich auftakeln und Männer umgarnen, um an Jobs heranzukommen und jetzt posten sie alle unter #metoo“, kritisiert die österreichische Darstellerin Nina Proll.
Schon letzte Woche hatte Proll mit ihrem Statement zur Kampagne Aufsehen erregt. Sie stellt darin Opferdenken von Frauen und ihr vermeintliches Abhängigkeitsverhältnis von Männern in Frage. Einem Regisseur, der eine Rolle nur gegen Sex verspricht, sollte man einfach dankend absagen, der stellt seine Besetzung eh nicht professionell zusammen. Und zu Anmachversuchen „älterer, mächtiger Männer“ führt sie aus: „So was hat in mir höchstens Mitleid hervorgerufen. Ich würde mich schämen, damit jetzt hausieren zu gehen, gerade vor jenen Frauen, denen tatsächlich Gewalt widerfahren ist.“
Ein wichtiger Punkt. Es ist nicht dasselbe, ob einem echtes Leid widerfahren ist (wie z.B. durch den früheren bayerischen SPD-Landtagsabgeordneten Linus Förster) oder man nur missliebiges Anbaggern abzuwehren hatte. Nina Proll findet „sexuelle Annäherungsversuche von Seiten eines Mannes grundsätzlich erfreulich“ und eine Frau – oder ein Arbeitskollege Kevin Spaceys – sollte Manns genug sein, Grenzen aufzuzeigen und abzulehnen. Das geht ganz ohne Twitter-Hashtags und öffentliches Wehklagen.