Die Zerstörung der Vernunft hat keine Grenzen

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Gender-Befürworter gehen auf die Argumente der Gender-Kritiker nicht ein. Sie stellen sie zwecks Diffamierung in die rechte Ecke.

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In der „Frankfurter Rundschau“ erschien ein Interview mit Annette Henninger, Professorin für Politik und Geschlechterverhältnisse mit Schwerpunkt Sozial- und Arbeitspolitik an der Universität Marburg, unter dem Titel „Rechte Netzwerke im Kampf gegen weibliche ´Klima-Hysterie`“. Sie leitet das „Forschungsprojekt“ „Reverse“, das sich mit dem „Phänomen des Antifeminismus“ beschäftigt. Besonderes Augenmerk legt das Projekt auf das von Michael Klein und Heike Diefenbach betriebene Blog „Sciencefiles“, das auch als „Netzwerk“ bezeichnet wird.

Für Annette Henninger steht fest: „Die dort verwendeten Argumentationsstrategien (…) gleichen denen rechter Kreise (…).“ „Exemplarisch wurden hierfür Publikationen von Heike Diefenbach analysiert.“ Ich möchte schon an dieser Stelle bemerken, dass nicht der Inhalt der Texte von Heike Diefenbach, also ihre Thesen und Argumente, sondern „wer wo zitiert wird bzw. veröffentlicht“ „analysiert“ wurde. Heike Diefenbach hat nun gegen eine Mitarbeiterin des Projekts geklagt. Sie wendet sich damit nach Angaben der „Frankfurter Rundschau“ „gegen den aus ihrer Sicht unzutreffenden Eindruck, dass sie aktiv Netzwerke mit rechtsextremen bzw. rechten Milieus betreibe“.

Ich möchte hier einige Bemerkungen zu dem Interview machen.

1) Der Begriff „rechts“ wird von Annette Henninger gar nicht definiert. Die Frage nach einer Definition dieses Begriffs ist berechtigt, denn die Extension des Begriffs „rechts“ hat sich in den letzten Jahren verschoben, ausgeweitet. Beispielsweise würde man heute die Migrationspolitik der DDR und anderer sozialistischer Staaten des ehemaligen Ostblocks als „rechts“ bezeichnen. Sie bestand darin, Menschen aus Kriegsgebieten (z.B. Vietnam, Angola und Mosambik) bei sich aufzunehmen, sie auszubilden, sie aber dann so schnell wie möglich in ihre Heimatländer zurückzuschicken, damit sie helfen konnten, in diesen Ländern Frieden zu schaffen und diese Länder aufzubauen. Wohlgemerkt waren es Kommunisten, also Linke, ja Linksextreme, erklärte Antifaschisten und Internationalisten, die diese Politik betrieben.

Weitere Bespiele für die Verschiebung der Extension des Begriffs „rechts“ ließen sich ohne Weiteres angeben. Übrigens unterlag auch die Extension des Begriffs „links“ in den letzten Jahren zahlreichen Verschiebungen. So gilt für die traditionelle, marxistische Linke der Einsatz für Homosexuelle nicht als links. Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, insbesondere der Politikwissenschaft, Begriffe wie „rechts“ oder „links“ zu definieren. Ich betone: Es ist wichtig, einen Begriff zu definieren, ansonsten wissen wir nicht, worüber hier diskutiert wird.

In Deutschland wird der Begriff „rechts“ negativ konnotiert (im Gegensatz zu vielen anderen Ländern, wo der Begriff positiv konnotiert und in einen Zusammenhang mit dem Recht, d.h. dem Rechtssystem, mit Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit usw. gebracht wird), denn die Nationalsozialisten gelten als rechts und rechtsextrem. Es gibt in Deutschland die Strategie, politische Gegner oder Andersdenkende als „rechts“, „rechtsextrem“ oder „Nazi“ zu bezeichnen, um sie zu diskreditieren und mundtot zu machen. Mit der Zuschreibung „X ist rechts“ soll die Assoziationskette rechts-rechtsextrem-Nazi in Gang gesetzt werden.

Diese Strategie wird auch in Bezug auf die Gender-Kritiker angewandt: Die Zuschreibung „X ist rechts“ oder „X ist rechtsextrem“ dient dazu, Gender-Kritiker in die rechte Ecke zu stellen, sie somit zu diskreditieren und aus dem wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs auszuschließen, sie mundtot zu machen. Sie dient auch dazu, sich mit den Argumenten der Gender-Kritiker nicht auseinanderzusetzen.

2) Annette Henninger und das „Forschungsprojekt“ „Reverse“ gehen nicht auf die Argumente von Heike Diefenbach ein. Vielmehr fragen sie danach, „wer wo zitiert bzw. veröffentlicht“. Heike Diefenbach wird dabei „öfters von Online-Publikationen, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind, zitiert …“. Genannt werden dabei „Freie Welt“, „Junge Freiheit“, „Eigentümlich frei“, „Achse des Guten“ usw. Lese ich solche Sätze, dann zweifle ich an der menschlichen Vernunft. Ich werde dann schnell traurig, traurig darüber, dass sich die Aufklärung nicht durchgesetzt hat. Wenn Heike Diefenbach von den von Annette Henninger & Co. als „rechts“ eingestuften Medien zitiert wird, dann bedeutet es nicht, dass Heike Diefenbach selbst rechts ist. Nach der von Annette Henninger und dem „Forschungsprojekt“ „Reverse“ entwickelten Logik müsste auch Annette Henninger als „rechts“ bezeichnet werden, weil sie hier auf „Cuncti“, das von ihr bestimmt als „rechts“ angesehen wird, von mir zitiert wird.

Kommen wir zu der Frage, wer wo veröffentlicht bzw. veröffentlichen darf. Annette Henninger und Co. kommen offensichtlich gar nicht auf die Idee, dass Gender-Kritiker darauf angewiesen sind, in alternativen Medien ihre Kritik zu äußern, weil sie in den Mainstream-Medien wie der „Frankfurter Rundschau“ und in den sich als „links“ bezeichnenden Medien ihre kritischen Artikel zu Gender Studies gar nicht veröffentlichen dürfen. Oder glauben Sie daran, dass Katja Thorwarth, die das Interview mit Annette Henninger führt, oder eine andere Redakteurin der „Frankfurter Rundschau“ Heike Diefenbach dazu einladen würde, ihre Thesen zu Gender Studies oder eine Antwort auf die ihr gemachten Vorwürfe in der genannten Zeitung zu veröffentlichen?

Annette Henninger und das „Forschungsprojekt“ „Reverse“ gehen nicht auf die Argumente der Gender-Kritiker ein. Warum eigentlich nicht? Wenn für sie die Kritik an den Gender-Studies nur rechtes Zeug ist, wenn sie fest daran glauben, dass die Gender-Kritik falsch ist, dann wäre es für sie doch ein Einfaches, die Argumente der Gender-Kritiker zu widerlegen. Das tun sie aber nicht. Das kann bedeuten, dass sie nicht in der Lage sind, die Argumente der Gender-Kritiker zu widerlegen, keine stichhaltigen Gegenargumente haben, was wiederum bedeuten würde, dass die Argumente der Gender-Kritiker richtig sind.

3) Das Blog „Sciencefiles“ betreibt „kritische Sozialwissenschaft“. Annette Henninger betont jedoch, dass sich das Blog „dezidiert von einem linken, gesellschaftskritischen Verständnis von Wissenschaft“ absetzt. Für sie können offensichtlich „kritische Sozialwissenschaft“ und ein „gesellschaftskritisches Verständnis von Wissenschaft“ nur „links“ sein. Das ist falsch. Es gibt viele Theorien, die kritisch, gesellschaftskritisch und wissenschaftskritisch sind, die jedoch nicht als „links“ bezeichnet werden können bzw. sich jenseits des Links-Rechts-Schemas bewegen. Das Blog „Sciencefiles“ orientiert sich an dem Ansatz des Kritischen Rationalismus. Kritische Rationalisten reflektieren auf die Voraussetzungen unserer Erkenntnis, auch auf gesellschaftliche Voraussetzungen; sie sprechen von Faktoren, die unsere Erkenntnis der Welt beeinflussen. Zu ihnen gehören: Annahmen, Erwartungen, Hintergrundwissen, Theoriebeladenheit der Beobachtung, Vermitteltheit durch Sprache, Kontextabhängigkeit usw. Diesem Ansatz zufolge stellt ein Wissenschaftler generelle Hypothesen (allgemeine Sätze über die Realität, meist in Form von Annahmen bzw. Vermutungen) auf und konfrontiert diese Hypothesen mit empirisch feststellbaren Sachverhalten (Tatsachen). Dabei soll es nicht um die Verifikation (die Feststellung der Wahrheit), sondern – der kritischen Haltung folgend – um die Falsifikation (die Feststellung der Falschheit) von Hypothesen gehen. Hypothesen sind prinzipiell widerlegbar. Und sie sind durch empirisch feststellbare Sachverhalte widerlegbar. Die Methode der Falsifikation soll die Forscher dazu veranlassen, nach neuen, besseren Hypothesen zu suchen. Des Weiteren gilt die Falsifikation als Abgrenzungskriterium für wissenschaftliche Sätze: Sätze (und Theorien) sind wissenschaftlich, wenn sie sich falsifizieren lassen, sie sind nicht wissenschaftlich, z.B. dogmatisch, wenn sie sich der Falsifikation verschließen.

Die Fähigkeit, kritisch zu sein, auch gesellschafts- und wissenschaftskritisch, hat nichts mit dem politischen Links-Rechts-Schema zu tun. Anders formuliert: Man kann kritisch sein, auch gesellschafts- und wissenschaftskritisch, ohne sich einer politischen Option zu verschreiben. Ohnehin sollte man als Wissenschaftler, wenigstens auf der Ebene des Begründungszusammenhangs wertfrei, und d.h. auch ohne politische Implikationen, forschen (siehe dazu meinen Artikel „Wissenschaft und Anti-Wissenschaft seit der Aufklärung“).

4) Das „Forschungsprojekt“ „Reverse“ beschäftigt sich mit dem „Phänomen des Antifeminismus“, „Sciencefiles“ gehört Annette Henninger zufolge „zum Spektrum antifeministischer Kritiker*innen der Gender Studies“. „Antifeminismus“ wird hier als eine Position betrachtet, die man auf keinen Fall vertreten kann. In diesem Zusammenhang stellen sich für mich zwei Frage: Warum darf man denn nicht antifeministisch sein? Wo liegt die Grenze zwischen Antifeminismus und (berechtigter?) Feminismuskritik?

Weist man nach, dass der Feminismus Menschen in entgegengesetzte Kollektive aufteilt, Feindbilder schafft, diese Kollektive gegeneinander ausspielt, das eine Kollektiv gegenüber dem anderen als überlegen betrachtet, die Politik nach den Bedürfnissen und Interessen eines der Kollektive ausrichtet usw., dann ist es berechtigt, antifeministisch zu sein (siehe meinen Artikel „Feminismus als Ideologie“). Was die zweite Frage betrifft, so warte ich bis heute auf eine klare definitorische Festlegung des Unterschieds zwischen Antifeminismus und (berechtigter?) Feminismuskritik.

5) Am Ende des Interviews legt Annette Henninger die Vermutung nahe, dass es sich bei der Klage von Heike Diefenbach um eine „politische Klage“ handelt, „die das Ziel verfolgt, dass Rechte nicht mehr rechts genannt werden dürfen“. Nein, Heike Diefenbach nimmt ihr Recht in Anspruch, sich gegen die Diffamierung ihrer Person zu wehren. Das „Forschungsprojekt“ „Reverse“ ist politisch, denn es wendet sich nicht mit wissenschaftlichen Argumenten gegen die wissenschaftlichen Argumente von Heike Diefenbach und anderen Gender-Kritikern, sondern versucht, sie politisch zu diffamieren, indem es sie in die rechte Ecke stellt. Generell sind die Gender Studies politisch, was ja ihre Hauptvertreterinnen ganz offen zugeben: Sie stellen Wissenschaft von vornherein und durchgehend in einen politischen Kontext, in den Dienst von Frauenpolitik.

Literatur: Harald Schulze-Eisentraut/Alexander Ulfig (Hrsg.),Gender Studies – Wissenschaft oder Ideologie?, Baden-Baden 2019.

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Ich studierte Philosophie, Soziologie und Sprachwissenschaften.
Meine Doktorarbeit schrieb ich über den Begriff der Lebenswelt.

Ich stehe in der Tradition des Humanismus und der Philosophie der Aufklärung. Ich beschäftige mich vorwiegend mit den Themen "Menschenrechte", "Gerechtigkeit", "Gleichberechtigung" und "Demokratie".

In meinen Büchern lege ich besonderen Wert auf Klarheit und Verständlichkeit der Darstellung. Dabei folge ich dem folgenden Motto des Philosophen Karl Raimund Popper: „Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann“.