Demokratie in Polen und Demokratiedefizite in Deutschland

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In Polen fand am letzten Sonntag die Präsidentenwahl statt. Der Präsident wird dort direkt vom Volk gewählt. Jeder Bürger kann Präsident werden. Die Deutschen haben leider nicht diese Möglichkeit.

In Polen fand am letzten Sonntag die Präsidentenwahl statt. Der Präsident wird dort direkt vom Volk gewählt. Jeder Bürger kann Präsident werden. Er muss Hunderttausend Unterschriften vorlegen, die seine Kandidatur unterstützen, um an der Präsidentenwahl teilnehmen zu können. Das ist echte Demokratie. Die Polen machten am letzten Sonntag von diesem direktdemokratischen Verfahren Gebrauch.

Die Deutschen haben leider nicht diese Möglichkeit. Der Präsident wird in Deutschland nicht direkt vom Volk gewählt. Nicht jeder Bürger kann für die Präsidentschaft kandidieren. Das ist ein Demokratiedefizit.

Statt dieses Demokratiedefizit zu beheben, sich somit für die oben genannte direktdemokratische Wahl des Präsidenten einzusetzen, werfen deutsche Leitmedien Polen ein „Demokratiedefizit“ vor. So titelte die „Frankfurter Rundschau“ am 14.07.2020 bezüglich der Präsidentenwahl in Polen „Demontage einer Demokratie“. Hier wird, was typisch für totalitäre Systeme ist, die Bedeutung der Begriffe verdreht: Ein Musterbeispiel für Demokratie wird als „Demontage der Demokratie“ bezeichnet.

Die Polen haben auch die Möglichkeit der Volksabstimmung, des Referendums. Über wichtige Fragen kann das Volk, also die wahlberechtigten Bürger, abstimmen. Die Polen machten von diesem urdemokratischen Verfahren nach 1989 Gebrauch. Auch andere osteuropäische Länder, denen deutsche Propagandisten in Leitmedien und Politik ein „Demokratiedefizit“ vorwerfen, haben dieses Instrument der direkten Demokratie. Beispielsweise gab es 2016 in Ungarn eine Volksabstimmung darüber, ob die Ungarn Migration bzw. mehr Migration haben möchten.

Leider haben die Deutschen nicht die Möglichkeit der Volksabstimmung, des Referendums. Das ist ein Demokratiedefizit. Anstatt dieses Demokratiedefizit zu beheben und somit den Weg für Volksabstimmungen frei zu machen, werfen deutsche Medien- und Politikerdarsteller Polen und anderen osteuropäischen Ländern ein „Demokratiedefizit“ vor.

In Polen gibt es im Parlament eine starke Opposition zu der regierenden Partei. Die größte Oppositionspartei („Die Bürgerplattform“) steht tatsächlich in der Opposition zu der regierenden Partei („Recht und Gerechtigkeit“); sie stimmt im Parlament gegen die Gesetzesentwürfe der regierenden Partei.

In Deutschland ist die größte Oppositionspartei (SPD) in der Regierung mit der Partei (CDU), zu der sie angeblich in Opposition steht. Mit Ausnahme der AfD koalieren die im Bundestag vertretenen Partien auf Landesebene miteinander: die CDU mit den Grünen in Hessen, die SPD mit der CDU und den Grünen in Brandenburg, die Linke mit der SPD und den Grünen in Thüringen, die SPD mit der Linken und den Grünen in Berlin, die CDU mit der FDP in Nordrhein-Westfalen usw. Es gibt demnach – abgesehen von der AfD – keine Opposition in Deutschland. Das ist ein Demokratiedefizit.

Anstatt über Demokratiedefizite in Polen zu fantasieren, sollten die in Illusionen lebenden deutschen Politiker und Journalisten über den tatsächlich bestehenden Mangel an Demokratie in Deutschland nachdenken.

In den politischen Parteien in Polen herrscht innerparteiliche Demokratie. Das bedeutet, dass jedes Parteimitglied für ein Parteiamt oder ein Mandat kandidieren kann. Dasjenige Parteimitglied, das von der Parteibasis die meisten Stimmen erhält, bekommt dann auch das entsprechende Parteiamt oder Mandat. Das ist innerparteiliche Demokratie und auch ein Grundmuster der Demokratie überhaupt.

In Deutschland wurde mit der Einführung der Frauenquote bei den Grünen, den Sozialdemokraten und der Linken die innerparteiliche Demokratie ausgehebelt. Der Grundsatz der innerparteilichen Demokratie besagt, dass alle Parteimitglieder gleichwertig sein sollten und dass alle Parteien ihren Mitgliedern die gleichen Mitwirkungsrechte gewähren sollten. Genauer: Alle Parteiämter müssen allen Parteimitgliedern offenstehen. Die Frauenquote verstößt gegen diesen Grundsatz. Solange in einer Partei die Frauenquote besteht, können viele Männer, die für politische Ämter kandidieren möchten, nicht kandidieren, weil sie Männer sind und durch die Frauenquote von der Kandidatur ausgeschlossen werden. Das ist undemokratisch und es diskriminiert Männer. Aus der Perspektive der nicht kandidierenden Parteimitglieder/der Wähler betrachtet: Solange die Frauenquote besteht, können Wähler viele derjenigen Kandidaten nicht wählen, die sie wählen möchten. Die Frauenquote schränkt somit auch die Wahlfreiheit ein.

Auch in diesem Fall wird in Deutschland die Bedeutung der Begriffe verdreht: Die undemokratische Frauenquote wird von den Leitmedien und Teilen der Politik als die höchste Form der Demokratie, als „Geschlechterdemokratie“, aufgefasst.

Anstatt sich Gedanken über angebliche Demokratiedefizite in Polen und anderen osteuropäischen Ländern zu machen, sollten die deutschen Propagandisten in Leitmedien und Politik über tatsächlich bestehende Demokratiedefizite in Deutschland reflektieren.

Buch von Alexander Ulfig, Wege aus der Beliebigkeit. Alternastiven zu Nihilismus, Postmoderne und Gender-Mainstreaming, Baden-Baden 2016.

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Ich studierte Philosophie, Soziologie und Sprachwissenschaften.
Meine Doktorarbeit schrieb ich über den Begriff der Lebenswelt.

Ich stehe in der Tradition des Humanismus und der Philosophie der Aufklärung. Ich beschäftige mich vorwiegend mit den Themen "Menschenrechte", "Gerechtigkeit", "Gleichberechtigung" und "Demokratie".

In meinen Büchern lege ich besonderen Wert auf Klarheit und Verständlichkeit der Darstellung. Dabei folge ich dem folgenden Motto des Philosophen Karl Raimund Popper: „Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann“.