Die Seele Mecklenburgs
von Andrew Stüve
eine Rezension von Michael Mansion
Von Seele zu sprechen heißt, an das Intimste zu rühren. Das setzt voraus, dass das, wovon die Rede ist, umfangreich bekannt sein muss. Eine große Nähe ist vonnöten.
So weit bekannt, ist Mecklenburg aktuell sehr am Tourismus interessiert und wirbt mit seiner Seenlandschaft à la Klein-Finnland, aber mal ganz ehrlich…kennt man dieses Land, von dem der Autor in der Einleitung sagt, es habe sich in der historischen Peripherie eingerichtet, umkränzt von Ostsee, Pommern, Mark, Elbe und Heide?
Zumindest die Nicht-Historiker kommen aus dem Staunen nicht heraus und zucken beim alten Namen einer Landschaft zusammen, die Vandalia genannt wurde, stehen Vandalen doch gemeinhin nicht unbedingt für geordnete Verhältnisse.
Beruhigender wirkt eher eine Otto von Bismarck zugeschriebene Anmerkung, in der es heißt:
„Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Mecklenburg, dort geht sie einhundert Jahre später unter“.
Das klingt nach Beständigkeit, nach der Fähigkeit zu überdauern, nach der Substanz aus einer mittelalterlich-mühsamen Konstituierung, die im Preußentum an Festigkeit gewinnt.
Die Idee „Mecklenburgs“
Der Autor spricht im ersten Abschnitt des Buches von einer „Idee Mecklenburgs“, gewachsen im Obotridenreich bei den heidnischen Vasallen Karls des Großen.
Keine lange Zeit sei vergangen, bis es zu den ersten leisen Berührungen der Wenden mit den germanischen Stämmen gekommen sei, wodurch sich Vereinigungen der Neuankömmlinge mit den Alteingesessenen vollzogen haben.
Im deutschen Norden hatte sich seit Beginn des 9. Jahrhunderts die Machtpolitik zugunsten der christianisierten Sachsen verschoben, aber diese hatten zumindest umfänglich keinen großen Wert auf die Missionierung der Wenden gelegt, die dem Mystizismus anhingen.
Immerhin erfahren wir so einiges über ziemlich hinterlistige Attentate, wie etwa das von Markgraf Geros inszeniertem Gelage mit dreißig wendischen Häuptlingen, die er, nachdem sie genug getrunken hatten, hinterrücks ermorden ließ.
Das führte neben Anderem zum sogenannten Wendenaufstand von 983, der die Machtverhältnisse vorübergehend zugunsten der Heiden veränderte.
Im Wechsel der historischen Ereignisse führt der Autor seine Leser durch zahlreiche Waffengänge, Machtwechsel, Namensgebungs- und Veränderungen und durch jene interessante Zeit des Mittelalters, deren zentral prägende Ereignisse zum Teil bis heute wirksam sind.
Ein sich christlich begründendes Herrschertum konnte sich auf die Leistungen früher klösterlicher Strukturen mit einem für die damalige Zeit beachtlichen Wissenspool berufen und war zugleich in der Gestalt einer theokratischen Fremdherrschaft für seine Widersacher eines Zielscheibe des Zorns.
Man muss sich die bescheidene Siedlungsdichte im Mittelalter vor Augen führen, um die damaligen Bewegungen in den Siedlungsräumen nachzuvollziehen und zu begreifen.
Die auf allenfalls Hunderte oder Tausende zu beziffernde Größe von Stämmen und Bevölkerungsgruppen, konnten sich geographisch durchaus aus dem Wege gehen. Aber wohin hätten sie gehen sollen? Zugleich ist es erstaunlich, welche Distanzen damals in kriegerischer Absicht überwunden wurden.
Ein Interesse an großen Einflussbereichen war stets vorhanden, aber die mussten verwaltet und geschützt werden.
Durch die deutsche Geschichte
Andrew Stüve führt seine Leser nicht nur durch einen beachtlichen Teil der mecklenburgischen, sondern auch der deutschen Geschichte.
In einer aufwändigen Recherche, weist er sowohl auf gelegentliche historische Fehlinterpretationen, als auch auf die Gewachsenheit von Kultur im Sinne einer historischen Verbindlichkeit hin, wo etwa die Grundlagen für jenen zunächst christlich formierten Arbeitsethos deutlich werden.
Dieser findet im Preußentum seinen zentralen Ausdruck und Europa verdankt ihm seinen Wohlstand.
Die Kultivierung des Landes durch klösterliche Aktivitäten unter Einbeziehung weltlicher Arbeitskraft im Bereich Ackerbau und Handwerk, stehen signifikant für die Vorgeschichte der Industriekultur.
Das Buch gliedert sich in drei Kapitel mit ihren jeweils zugehörigen Themen.
Es ist zum einen die politische Idee, die allem zugrunde liegt, ihr Schöpfungsmythos und es ist das Land selbst als geologisch-geographische Gestalt, dessen Besonderheit sich aus seiner Lage erschließt und von seinen Bewohnern als beseelter, da gestalteter und kultivierter Ort wahrgenommen wird.
Sie sind es auch, die dem Autor einen Blick auf ihre Besonderheiten, ihre Eigenheiten, ihre Essgewohnheiten, ihre Liebe zu Pferden, ihre vermeintlichen Rückständigkeiten und all jene Gewordenheiten gestatten, die sie wohl selbst nicht alle namentlich zu benennen wüssten, gäbe es nicht ein Buch wie dieses.
„Die Seele Mecklenburgs“ steht stellvertretend auch für eine Erinnerungskultur, die jene prägenden Eigenschaften hinterlässt, die als die Kultur eines Landes in Erscheinung treten und unverwechselbar sind.
Wie dumm dagegen erscheinen alle Versuche, kulturelle Gewachsenheiten als etwas zu Überwindendes sehen zu wollen, etwas Gestriges, das der Moderne sperrig im Wege steht.
Dieses Buch hält so großartig dagegen, dass sich jede weitere Begründung erübrigt.
Andrew Stüve
„Die Seele Mecklenburgs“
Landverlag /407 Seiten
ISBN: 978-3-948075-30-9