Das Strafrecht als Erzieher

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Zur Entscheidung des Bundestags für ein neues Sexualstrafrecht

Das neue Sexualstrafrecht, das im Bundestag beschlossen wurde, hat wohl nicht nur eine rechtsstaatliche, sondern auch eine pädagogische Funktion – der WDR bezeichnet es gar als Signal an die Männerwelt. Die Debatte darüber zeigt: Welche Konsequenzen es haben wird, ist auch den Abgeordneten noch nicht ganz klar. Trotzdem war ihre Entscheidung einstimmig. Warum eigentlich?

Ohne eine Gegenstimme und ohne Enthaltung hat der Bundestag das neue Strafrecht zur Vergewaltigung und sexuellen Nötigung beschlossen – zumindest den ersten, wesentlichen Teil des Gesetzes, der den Grundsatz „Nein heißt nein!“ betont. In anderen Abstimmungen – zur Strafbarkeit sexueller Übergriffe aus Gruppen, zur Erleichterung von Abschiebungen nach sexuellen Übergriffen – gab es Gegenstimmen. Bei einem näheren Blick auf das Gesetz ist die restlose Zustimmung allerdings nicht ganz verständlich: Dass das Parlament für das Gesetz stimmt, mag gute Gründe haben, aber dass es keine einzige Gegenstimme gibt, ist rätselhaft.

Denn tatsächlich enthält das Gesetz gleich mehrere Aspekte, die stark umstritten sind und die zudem nach meinen Erfahrungen alltäglichen Erwartungen über die Strafbarkeit menschlicher Handlungen nicht entsprechen. Dazu ein Beispiel, dass ich vor einigen Monaten selbst erlebt habe:

Flüchtige Griffe an den Po und Aufrufe zur Vergewaltigung – Anwendungsbeispiele

Ich stehe mit einem Kollegen und zwei Kolleginnen zusammen – plötzlich und ohne Ankündigung haut eine der Kolleginnen dem Kollegen auf den Hintern. Er nimmt das nicht als Witz, sagt empört „Hey!“ – sie hat damit schon gerechnet und amüsiert sich.

„Der flüchtige Griff an den Po oder an die Brust wird damit sanktioniert“,

sagt die Unionsabgeordnete Elisabeth-Winkelmeier-Becker im Bundestag zum neuen Gesetz. (Protokoll der Debatte, S. 18002) Laut § 184i des Gesetzentwurfes (via Alles Evolution) mit bis zu zwei Jahren Haft oder einer Geldstrafe. Was die Kollegin getan hatte, war bescheuert und durchaus nicht witzig – aber ist es die Androhung einer Haftstrafe wert? Das wäre allenfalls dann nachvollziehbar, wenn sie dem Kollegen durch wiederholte Übergriffe die Arbeit schwer erträglich gemacht hätte.

Noch drastischer ist ein anderes Beispiel, von dem ich weiß, dass nicht nur ich solche oder ähnliche Erfahrungen gemacht habe. Gleich in mehreren Partnerschaften habe ich es erlebt, dass ich nachts davon aufgewacht bin, dass eine Partnerin „sexuelle Handlungen“ an mir vorgenommen hat. Nun war sie möglicherweise selbst im Halbschlaf, vermutlich aber hat sie jeweils damit gerechnet, dass ich schon irgendwann aufwachen und dann die „Konsentierung“ (Gesetzentwurf, S. 26) nachliefern werde.

Ich vermute, dass ein solches Verhalten dann und wann in vielen Partnerschaften vorkommt, vom Mann oder von der Frau. Es kann durchaus ärgerlich sein, unangenehm, und dann ist es ein Verhalten, dass im Rahmen der Partnerschaft geklärt werden muss.

Nach dem neuen Gesetz aber ist es zudem noch in erheblicher Weise strafbar, und zwar „mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren“ oder in minder schweren Fällen mit einer „Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren“(§177). Hier liegt nämlich gewiss einer der Fälle vor, in denen

„der Täter ausnutzt, dass die Person aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist“.

Ich verteidige das Verhalten nicht, das ich da erlebt habe, finde aber eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten dafür außerhalb aller Relationen.

Noch ein drittes Beispiel, das glücklicherweise etwas weniger persönlich ist. Vor elf Jahren berichtete Lisa Ortgies, Moderatorin von FrauTV und zwischenzeitliche Emma-Chefin, als Gast der Harald-Schmidt-Show über sehr aggressive Rückmeldungen, die sie auf eine Äußerung erhalten habe. Sie hatte nämlich öffentlich empfohlen, Frauen sollten einfach heimlich die Pille weglassen, wenn ein Mann kein Kind wolle – einfach„so’n bisschen die Männer in ihr Glück“ schubsen.

In der Bundestagsdebatte zum neuen Sexualstrafrecht betonen die Rednerinnen immer wieder dieselbe Qualität des Gesetzes:

„Wir haben es tatsächlich geschafft: Künftig wird jede sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen einer Person unter Strafe gestellt.“ (in diesem Beispiel die Grüne Katja Keul, S. 18003, Protokoll)

Damit trifft das neue Gesetz auch auf die Empfehlung von Ortgies zu.

Denn die von ihr empfohlene „sexuelle Handlung“ ist eindeutig nicht konsensuell. Natürlich: Der Mann schläft freiwillig mit der Frau, aber diese Freiwilligkeit ist ausdrücklich an eine Bedingung gekoppelt, die nicht erfüllt ist. Der Mann ist allgemein zum Sex bereit – aber eben diesen Sexualakt möchte er eindeutig nicht. Das weiß er, die Frau weiß das – und beide wissen voneinander, dass der jeweils andere das weiß. Klarer kann die Ablehnung nicht sein.

Nach dem neuen Gesetz wie nach den einmütigen Kommentaren im Bundestag ist es eindeutig: Eine Frau, die sich verhält wie von Ortgies empfohlen, nimmt „gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person“ vor (§177.1) und muss entsprechend sanktioniert werden. Da das anempfohlene Verhalten„mit einem Eindringen in den Körper verbunden“ ist, müsste es zudem als Vergewaltigung qualifiziert werden und würde dann mit einer Haftstrafe von mindestens zwei Jahren bestraft.

Zum Vergleich: Nach dem neuen Strafrecht macht sich ein Täter möglicherweise auch dann schuldig,

„wenn ein der sexuellen Handlung entgegenstehender Wille des Opfers nicht erkennbar ist“ (S. 24),

oder auch dann, wenn die Zustimmung

„zunächst erteilt wird, dann aber während der sexuellen Handlung von der geschützten Person ausdrücklich oder konkludent zurückgenommen wird“.(S. 25)

Das von der öffentlich-rechtlichen Moderatorin empfohlene Verhalten ist wesentlich eindeutiger schuldhaft und übergriffig, und bei Erfolg auch folgenreicher, als solche Abwägungsfälle, die vom Bundestag ebenfalls als strafbar bewertet werden.

Entweder ist Ortgies also ein öffentliches Aufstacheln zur Vergewaltigung vorzuwerfen – oder der Eindruck liegt nahe, dass die neue Gesetzgebung mit verbreiteten Erwartungen an Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit nicht übereinstimmt. In meinen Augen ist die Empfehlung schändlich und das empfohlene Verhalten enorm arrogant, weil jemand sich damit herrisch die Entscheidung über den Kinderwunsch eines anderen Menschen anmaßt, weil diese Anmaßung massive Folgen für den Rest des Lebens haben wird – und weil ein Kind zur Welt gebracht wird, obwohl der Vater das nicht wollte. Eine mehrjährige Haftstrafe wegen einer Vergewaltigung wäre in meinen Augen trotzdem deutlich überzogen.

Noch fragwürdiger ist ein anderer Aspekt des neuen Gesetzes. Bestraft werden sexuelle Handlungen, wenn

„der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht“. (§177.2)

Das heißt: Der Täter muss nicht einmal ausdrücklich mit diesem Übel drohen, es reicht, wenn das Opfer dieses Übel mit gutem Grund befürchtet. Da der Begriff des„empfindlichen Übels“  unüberschaubar vieles umfasst, ist hier für den Täter möglicherweise gar nicht erkennbar, dass er zum Täter wird.

Mir haben beispielsweise schon mehrmals Männer erzählt, dass sie vermutlich ihre Beziehungen verlassen würden, wenn sie nicht den Verlust des Kontaktes zu ihren Kindern befürchten müssten. Das wäre zweifellos ein empfindliches Übel. Wenn nun zum Aufrechterhalten der Beziehung auch sexuelle Handlungen gehören – macht sich dann die Frau der sexuellen Nötigung oder der Vergewaltigung schuldig?

Schließlich kann sie sich sehr wohl darüber im Klaren sein, dass sie als Mutter im deutschen Rechtswesen nach einer Trennung eine deutlich stärkere Position als der Vater hat und allgemein damit kalkulieren, dass er die Beziehung daher schon nicht verlassen wird. „Der Täter nutzt eine solche Lage aus, wenn er sie erkennt und sich für die sexuelle Handlung zunutze macht.“ (S. 24, Gesetzentwurf) Gilt das nicht mehr, wenn das drohende empfindliche Übel nicht für sexuelle Handlungen allein, sondern auch für andere Handlungen ausgenutzt wird?

Allgemein ist etwas schon ein empfindliches Übel,

„wenn der drohende Verlust oder der zu befürchtende Nachteil geeignet ist, einen besonnenen Menschen zu dem mit der Drohung erstrebten Verhalten zu bestimmen“ (S. 26, Gesetzentwurf).

Wer schon einmal in einer Beziehung mit einem stark launenhaften Menschen gelebt hat, weiß, wie sehr Launen, Wutausbrüche oder vergleichbare Verhaltensweisen auch einen besonnenen Menschen zu einem „erstrebten Verhalten (…) bestimmen“ können. Wenn also ein Mann um des lieben Friedens Willen mit einer Frau schläft (und das ist nach meiner Erfahrung durchaus nicht völlig ungewöhnlich in Beziehungen), oder umgekehrt – ist das dann tatsächlich eine Vergewaltigung? Oder ist es nur dann eine Vergewaltigung, wenn der Frau klar ist, dass der Mann ihr Versöhnungssex anbietet (Ausnutzen der Lage!) – aber keine Vergewaltigung, wenn der Frau die Motive des Mannes völlig egal sind?

Hat der Gesetzgeber einen Erziehungsauftrag?

Die Beispiele ließen sich noch weit fortsetzen, klar ist aber wohl schon, dass im neuen Gesetz vieles unklar bleibt und dass sich leicht Beispiele finden, in denen das Gesetz wohl im Widerspruch zu einem allgemeinen Empfinden von Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit steht.

„Ob der entgegenstehende Wille erkennbar ist, ist aus der Sicht eines objektiven Dritten zu beurteilen.“ (S. 23)

Das bedeutet: Maßgeblich dafür, ob eine Handlung als strafbar beurteilt wird, ist nicht die Wahrnehmung der direkt beteiligten Personen, sondern die Perspektive eines Dritten auf die Situation. Der eigene subjektive Eindruck, dass der andere Mensch der sexuellen Handlung zustimmt bzw. die ausdrücklich erteilte Zustimmung noch nicht„konkludent“ zurückgenommen hat, kann sich immer als trügerisch erweisen. Maßgeblich ist die Überlegung, wie sich die Situation aus der Perspektive eines unbekannten Dritten darstellt.

Wer sich nicht sicher sei, müsse sich eben zurückhalten, das sei eine durchaus beabsichtigte Konsequenz des Gesetzes – so könnte zu seiner Verteidigung argumentiert werden. Das aber wäre nicht überzeugend.

Erstens ist es nämlich ein Unterschied, ob sich ein Mensch der Zustimmung eines anderen Menschen sicher ist – oder ob er sich sicher ist, dass ein unbekannter Dritter genauso urteilen würde wie er. Zweitens wird hier das Strafrecht zu einem pädagogischen Instrument. Anstatt klar zwischen erlaubten und unerlaubten Handlungen zu unterscheiden und so Menschen sowohl vor Gewalt als auch vor willkürlicher Bestrafung zu schützen, schafft es durch Unklarheiten Unsicherheiten und diszipliniert dadurch.

Andere Aspekte des neuen Gesetzes, die nicht einstimmig akzeptiert wurden, machen es noch unklarer. Mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren wird beispielsweise bestraft, wer

„eine Straftat dadurch fördert, dass er sich an einer Personengruppe beteiligt, die eine andere Person zur Begehung einer Straftat an ihr bedrängt“. (§184j)

Das heißt: Es ist möglicherweise nicht einmal nötig, dass jemand von dem sexuellen Übergriff gewusst hat, um dafür bestraft zu werden – auch wenn sich der Bundestag über diesen Punkt „uneinig“  war.

Und was zählt überhaupt als Gruppe? Als beispielsweise Werder-Fans am Ende der letzten Saison ihre Green-White-Wonderwall organisierten, war es für die Wirkung unerlässlich, dass sich Tausende als Teil einer gemeinsamen Gruppe fühlten und auftraten. Der Bundestag kann wohl kaum beabsichtigen, dass sie allesamt bestraft werden könnten, wenn irgendwo in dieser Gruppe jemand sexuelle Übergriffe begangen hat. Aber wo ist dann die Grenze – ab welcher Gruppengröße greift das Gesetz nicht mehr? 50? 100? 900?

Hier wie in anderen Fällen sind sich Abgeordnete offenbar keinesfalls ganz sicher, worüber sie da eigentlich abstimmten. „Ich zumindest lese das nicht so, dass man es nicht merken muss“, sagt beispielsweise Elke Ferner, SPD, zu dem Vorwurf, dass sich in einer Gruppe jemand schuldig machen könnte, ohne von einer Straftat überhaupt etwas gemerkt zu haben. (Protokoll, S. 18009)

Wenn es für einen Menschen aber darum geht, möglicherweise für Monate ins Gefängnis zu kommen oder aus Deutschland abgeschoben zu werden – könnte sich dann wenigstens der Bundestag zuvor darüber einig werden, wie die von ihm beschlossenen Gesetze zu „lesen“ sind? Oder können wir Asylbewerbern, wenn sie nicht abgeschoben werden wollen, Lesekompetenzen abverlangen, die bei Bundestagsabgeordneten noch nicht voll entwickelt sind?

Es reicht auch nicht, es den Gerichten zu überlassen, Klarheiten zu schaffen, die der Gesetzgeber vermieden hat. Wie kann ein Gericht ein Urteil nach Maßstäben fällen, die erst bei der Urteilsverkündung klargestellt werden und die zum Zeitpunkt der Tat noch gar nicht deutlich waren?

Auch in anderen Situationen ist die Debatte im Bundestag von einem irritierenden Unernst geprägt. Wiederholt werden die neuen Regelungen im Rückblick auf die massiven sexuellen Übergriffe der Silvesternacht begründet, und wiederholt setzen grüne, linke oder sozialdemokratische Abgeordnete diese Straftaten mit Übergriffen auf dem Oktoberfest gleich. Sie übernehmen damit ungefiltert eine Gleichsetzung von außerparlamentarischen Aktivistinnen, die sich längst als haltlos erwiesen hat. Beides würde dem Ernst des Anlasses nicht gerecht: Entweder haben die Abgeordneten ungeheure Angst davor, als ausländerfeindlich dastehen zu können – oder sie haben Angst davor, das erprobte Feindbild des weißen heterosexuellen Mannes aufgeben zu müssen.

Möglicherweise ist es aber gerade dieses Bild, das der neuen Gesetzgebung und ihrem pädagogischen Charakter zu Grunde liegt. Wenn die sozialdemokratische Abgeordnete Eva Högl als Schlusspunkt ihrer Rede „einen ganz wunderbaren Dreiklang aus Quote, Sexualstrafrecht und Lohngleich­heit“ (S. 17999) herbeiwünscht – dann macht sie damit auch klar, dass es ihr um die von mir hier angeführten Beispiele überhaupt nicht geht. Der wunderbare Gleichklang entsteht aus der Vorstellung der unterdrückten, benachteiligten Frau, die durch den Staat geschützt und gestützt werden müsste. Es geht gar nicht um ein Strafrecht, das Männer und Frauen gleichermaßen schützt.

Damit aber schafft der Gesetzgeber Regelungen, die in einer unlösbaren Spannung stehen zwischen dem rechtsstaatlichen Anspruch, alle Menschen gleichermaßen zu schützen – und dem pädagogischen Anspruch, insbesondere Männer zu einer humaneren Sexualität anhalten zu müssen. So erst wird auch die seltsame Konstruktion verständlich, dass nicht die Perspektive der direkt Beteiligten, sondern die Perspektive eines unbekannten Dritten maßgeblich ist. Der potenzielle Täter – das heißt in fast allen Debattenbeiträgen: der misstrauisch beäugte Mann, der nicht gelernt hat, ein Nein als Nein zu verstehen – muss eben lernen, seiner trügerischen Wahrnehmung zu misstrauen.

Ein pädagogisches Strafrecht, ein autoritärer Staat und bellende Hunde

Wenn das Strafrecht aber einen pädagogischen Charakter erhält, dann wirkt es stärker von oben nach unten, als von unten nach oben legitimiert zu sein. Notorisch unklare Regelungen, aus rechtsstaatlicher Perspektive dysfunktional, sind aus einer solchen disziplinarisch-pädagogischen Perspektive durchaus wünschenswert: Wer niemals genau wissen kann, wo die Grenzen des Erlaubten verlaufen, wird sich tendenziell vorsichtig und defensiv verhalten und sich trotzdem bleibend unsicher fühlen.

Auch die Diskrepanz zwischen allgemeinem Gerechtigkeitsempfinden und Gesetz ist für Vertreter eines pädagogischen Strafrechts keineswegs ein Problem, etwa weil damit die Legitimität und Akzeptanz des Gesetzes in Frage gestellt würde. Sie ist ebenfalls sogar erwünscht: Schließlich sollen Menschen zu einem Verhalten angehalten werden, das für sie noch nicht selbstverständlich ist – und sie sollen von gewohnten Selbstverständlichkeiten Abstand nehmen.

Ein pädagogisches Strafrecht aber gehört in einen autoritäreren Staat, in dem nicht alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht – sondern in dem die Staatsgewalt auf das Volk erzieherisch einwirkt.

Damit kann das Gesetz eher de-zivilisierend wirken, als Rechtsfrieden herzustellen. Zumindest Männern müsste eigentlich dringend empfohlen werden, die neuen Regelungen freimütig für Anzeigen zu nutzen. Denn wenn es den meisten Männern erwartungsgemäß einfach zu blöd ist, eine Frau wegen eines Klapses auf den Hintern oder einer nicht ausdrücklich erwünschten sexuelle Annäherung vor Gericht zu bringen – wenn aber Frauen, wie vom Bundestag gewiss gewünscht, schnell zu Anzeigen bereit sind – dann wird der Eindruck verstärkt, Frauen wären in Deutschland flächendeckend einer spezifischen, alltäglichen und überall präsenten sexuellen Gewalt ausgesetzt. Wer mit mehr Augenmaß agiert, der verliert: Das Gesetz hätte damit schon die Grundlage bereitet für die nächste Debatte um Schutzlücken und Gesetzesverschärfungen.

Es mag ja trotzdem sein, dass diese Gesetzgebung trotz aller Kritik und Zweifel am Ende überraschend positive Folgen haben wird – unverständlich aber ist es, wie sie ohne eine einzige Gegenstimme das Parlament passieren konnte. Männerrechtlich könnte das als Nachweis dafür interpretiert werden, dass der Feminismus mittlerweile staatliche Institutionen ganz gekapert habe – aber ein ganz anderer Erklärungsansatz trägt wesentlich weiter.

In der Neuen Zürcher Zeitung  analysiert der Philosoph Heiner Mühlmann den Regierungsstil Angela Merkels und stellt fest, dieser Stil sei vor allem von einer„Asymmetrischen Demobililiserung“ geprägt: Anstatt eigene Anhänger zur Teilnahme an Wahlen zu gewinnen, ginge es eher darum, die Anhänger der politischen Gegner vom Engagement und von Wahlen abzuhalten. Themen, die besonders für die Gegner relevant sind, würden totgeschwiegen – und kontroverse pragmatische Debatten würden durch moralisierende Stellungnahmen ersetzt, zu denen eine Gegenposition kaum möglich sei: „Symbol- statt Realpolitik“.

Diese Moralisierung ist auch deswegen nötig, weil durch die Asymmetrische Demobilisierung demokratische Debatten ganz im Widerspruch zur eigentlichen Aufgaben von Parteien und Parlament weitgehend verhindert werden – die moralische Notwendigkeit dieser Debattenverhinderung, die für Mühlmann auch eine„Demobilisierung des Denkens“ ist, muss eben immer wieder vorgezeigt werden.

Auch wenn Merkel aus Kohls arrogantem Satz „Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter“ längst stillschweigend ein technokratisches Prinzip gemacht hat, praktiziert natürlich nicht nur sie allein eine Politik, die offene Debatten eher vermeidet, als sie zu initiieren. Dabei entsteht dann eine absurde Situation, in der einerseits demokratische Parteien im Rahmen der Demokratie mit allzeit gewichtigen moralischen Argumenten an deren Abschaffung arbeiten und sich andererseits Rechtsradikale – die sich, wenn sie selbst an der Macht wären, einen Dreck um demokratische Rechte scheren würden – als die letzten Bastionen freier und demokratischer Diskussionen präsentieren. Es wäre eigentlich eine Aufgabe des Parlaments, Auswege aus dieser demokratiefeindlichen Situation zu suchen.

Die Abstimmung zum neuen Strafrecht ist in dieser Hinsicht eher ein schlechtes Signal. Dass tatsächlich alle Abgeordneten von ihm überzeugt sind, ist kaum vorstellbar. Wahrscheinlicher ist es, dass viele Kritiker Angst hatten, sich mit einer Nein-Stimme moralisch erheblich zu diskreditieren – als Frauenfeinde dazustehen, die sich dagegen stemmen, Frauen angemessen vor sexueller Gewalt zu schützen.

So präsentiert dann der Bundestag ein Abstimmungsergebnis im alten Volkskammer-Stil, das eine demokratische Willensbildung lediglich simuliert – ist aber zur Zeit nicht in der Lage, eine solche Willensbildung überzeugend selbst zu initiieren, zu organisieren oder zumindest zu ihr beizutragen.

Der Beitrag erschien zuerst auf Lucas Schoppes Blog man-tau.com

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