In ihrer aktuellen Stellungnahme zum Monitor Familienforschung 2015 vergleicht Frau Bundesministerin Manuela Schwesig die unterschiedlichen kulturellen Herangehensweisen zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutschland und unserem Nachbarland Frankreich. Dabei weist sie zu Recht darauf hin, dass diesseits des Rheins in den letzten Jahren große Verbesserungen erzielt werden konnten.
Ich stimme ihr zu, die staatliche Förderung des Baus von Kindertagesstätten und die Einführung der verschiedenen Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von Elterngeld/Elternzeit stehen für einen Quantensprung für Familien in Deutschland.
Als nicht ausreichend stellt sich jedoch der Ausbau von qualifizierter Ganztagesbetreuung an Grund- und weiterführenden Schulen für unsere Kinder und Jugendlichen dar. Die Ansätze dazu sind, je nach Bundesland, teils sehr weit gediehen, teils eher im stagnierenden Bereich …
In welchem Bereich kann Deutschland mit Blick auf Frankreich (noch) lernen?
Frau Schwesig zitiert beispielhaft die in Frankreich vorhandene Unterstützung von Mehrkindfamilien und Alleinerziehenden. Dazu möchten wir in einem ganzheitlichen Sinne erklären und ergänzen:
Frankreich definiert Familie unabhängig vom Familienstand.
In Frankreich besteht Familie aus Kindern und ihren Eltern. Für das französische Steuermodell ist dabei nahezu unerheblich, ob die Eltern unehelich, verheiratet, getrennt oder in Scheidung leben. Familie wird aus Kindersicht gesehen.
Frankreich
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richtet seine Einkommensteuer u.a. nach der Anzahl der Kinder aus
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entlastet „Alleinerziehende“ Mütter steuerlich (mit Fokus auf die Kinder)
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entlastet „getrennt lebende“ Väter steuerlich (mit Fokus auf die Kinder)
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ermöglicht „getrennt lebenden“ Vätern die steuerliche Geltendmachung aller ihrer Kind-bezogenen Aufwendungen im Rahmen des Kindesumgangs.
Das sind enorm wirksame Strukturen. Diese Strukturen sind in Deutschland nicht vorhanden. Mehr noch: Das bundesdeutsche Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) fokussiert einseitig und ausschließlich auf Alleinerziehende Mütter und verweigert sich einem ganzheitlichen Ansatz:
Getrennt lebende Väter werden vom BMFSFJ weder erwähnt noch ihre Bedürfnisse gesehen.
Forum Soziale Inklusion fordert das BMFSFJ auf, seine diskriminierende Position zu verlassen und Familie als das zu sehen, was sie ist: die (innige) Beziehung des Kindes zu seiner Mutter und zu seinem Vater – unabhängig davon, ob die Elternteile harmonieren oder nicht.
Zu glauben, eine bloße Bereitstellung von staatlicher Kinderbetreuung, wie von Frau Schwesig vorgestellt, könne positiven Einfluss auf die in Deutschland herrschende demografische Katastrophe nehmen, ist zu kurz gedacht: Der Reproduktionsfaktor in Höhe von 1,34 besagt: Statistisch gesehen reproduzieren sich in Deutschland jeweils
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eine Frau mit 0,67 Kindern und
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ein Mann mit 0,67 Kindern
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das bedeutet: Innerhalb einer Generation verliert Deutschland 1/3 seiner Bevölkerung (ohne Zuwanderung).
Zum Vergleich: Frankreich hat einen Reproduktionsfaktor von 2,1 – Frankreichs Bevölkerung wächst.
In Frankreich wird die Geburt eines 3. Kindes steuerlich zusätzlich gefördert. Und: die geschiedenen Partner werden weiter als zur Familie gehörig gesehen und dementsprechend steuerlich entlastet – und nicht wie in der Bundesrepublik als Alleinstehende/Singles (mit Lohnsteuerklasse I) steuerlich belastet und diskriminiert – obwohl der gesamte Kindes-Barunterhalt zu leisten ist.
Forum Soziale Inklusion fordert:
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die Abschaffung des heute als Familienförderung meist unwirksamen Ehegattensplittings aus den 50er Jahren (damals stimmig, zeitgemäß und gleichbedeutend mit Familienförderung)
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die Einführung eines steuerfreien Kindergrundfreibetrages in Höhe von 6.000,– € pro Kind analog zum existierenden steuerfrei gestellten Existenzminimums für erwachsene Steuerzahler
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die paritätische Aufteilung des Kindergrundfreibetrages auf beide Elternteile als Standard nach Trennung oder Scheidung mit der Möglichkeit zur konsensualen Wahlfreiheit unter den Elternteilen
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die vollständige steuermindernde Geltendmachung aller Kind–bezogenen Aufwendungen für den zeitlich geringer betreuenden Elternteil im Rahmen des Kindesumgangs nach Trennung oder Scheidung (wie im Nachbarland Frankreich).
Familienförderung auf bloße staatliche Kinderbetreuung zu reduzieren, ist zu kurz gedacht. Paare wollen heute, wie von Frau Schwesig zitiert, ein Zusammenleben auf Augenhöhe in gegenseitiger Wertschätzung und Partnerschaftlichkeit und die staatlichen Rahmenbedingungen dafür.
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Dt. Bundestages steht zusammen mit dem Bundesministerium in der Verantwortung, sich für dementsprechende Strukturen einzusetzen.
Forum Soziale Inklusion fordert beide zur lösungsorientierten und konstruktiven Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium sowie mit den Mitgliedern des Ausschusses für Finanzen des Dt. Bundestages auf zur Erarbeitung eines dementsprechenden Gesetzesentwurfs.
Alle Angesprochenen sind dazu aufgerufen, das herrschende defizitäre Verständnis von Familie zu korrigieren und sich um Ansätze zur Lösung der bestehenden demografischen Katastrophe zu bemühen.
Gerd Riedmeier – Forum Soziale Inklusion e. V
Verschiedene Ausfertigungen dieses Schreibens wurden von Forum Soziale Inklusion an die Bundesministerin sowie sämtliche Obleute und SprecherInnen des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend übermittelt.