…und warum Gleichstellungs-Politiker das auch gar nicht wollen
Neulich bei Twitter erfand die grüne Bundestagsabgeordnete Renate Künast ein alternatives Grundgesetz.
Im herkömmlichen Grundgesetz findet sich das angegebene Zitat nicht, auch nicht an der Stelle, die Künast mehrmals zum Beleg anführt – mit dem freundlichen Hinweis, dass „ein Blick ins Gesetz (…) die Rechtsfindung“ erleichtere. Der von ihr herangezogene Artikel 3, Absatz 2 des herkömmlichen Grundgesetzes lautet nämlich einfach:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Den Grundgesetzkommentar wiederum, auf den Künast sich dann ersatzweise bezieht, verlinkt sie auch auf Nachfrage nicht.
Künast kommentiert mit ihren Grundgesetz-Variationen einen Brief des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner, der alle Abgeordneten des nordrhein-westfälischen Landtags dazu einlud, eine gemeinsame Verfassungsklage gegen das Gleichstellungsgesetz der rot-grünen Regierung einzulegen.
Die Welt : „Vorgaben, denen zufolge Frauen auch bei schlechterer Qualifikation gegenüber Männern bevorzugt befördert werden müssen“ , hätten rechtliche Unsicherheiten geschaffen und im öffentlichen Dienst des Landes einen, so Lindner, „weitgehenden Beförderungsstopp“ verursacht. Die Verfassungsklage solle den mühsamen Weg durch die Instanzen abkürzen und rechtliche Klärungen schaffen.
In Künasts Augen agiert Lindner damit „gegen Frauen“. Der FDP-Antrag erhielt zwar nicht genügend Unterstützung im Landtag, das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht aber stellte wenige Tage darauf fest , dass das Gesetz „gegen den Grundsatz der Bestenauslese verstößt und deshalb verfassungswidrig ist.“
Das wiederum betrifft nicht allein Männer, die trotz besserer Leistungen bei Beförderungen übergangen werden. Wenn staatliche Institutionen öffentliche Positionen nicht an die vergeben, die am besten dafür geeignet sind, sondern sie nach Geschlechtszugehörigkeit verteilen – dann bemühen sie sich eben nicht darum, das ihnen anvertraute Geld bestmöglich einzusetzen.
Der Hintergrund ist eine sprachliche Verwirrung: eine Konfusion der Begriffe „Gleichberechtigung“ aus dem herkömmlichen Grundgesetz und dem Begriff „Gleichstellung“ aus der politischen Debatte. Tatsächlich sind beide Begriffe nicht nur unterschiedlich, sondern in wichtigen Aspekten sogar widersprüchlich .
Als mein Vater einmal einen Brief an die Friedrich-Ebert-Stiftung schrieb
Christine Schildmann von der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichte im Jahr 2014 zusammen mit Anna Katharina Meßmer einen Artikel in der Zeit und stellte dort Kritiker feministischer Positionen als wütend, vernunftlos und als eher tierische denn menschliche Wesen ( „Horden“) dar.
Da ich mich als Trennungsvater auch beim Väteraufbruch engagierte und feministische Anti-Väter-Positionen deutlich ablehne, war auch ich von dieser Darstellung betroffen. Das galt auch für meine Eltern, die meine Situation als Vater ebenso einschätzten wie ich – und so schrieb mein Vater, als jahrzehntelanger Sozialdemokrat, einen Brief an die Friedrich-Ebert-Stiftung und beschwerte sich über den Text.
Nach einer ganzen Weile erhielt er auch eine Antwort, zu der Frau Schildmann vom damaligen FES-Vorsitzenden Kurt Beck offenbar aufgefordert worden war. Sie bedauerte es, dass mein Vater sich verletzt fühlte, und berief sich auf das vorgeblich im Grundgesetz verankerte Gleichstellungsgebot, das von organisierten Verbänden konservativer Männer angegriffen werde.
Genau genommen war das kein schöner Umgang einer Sozialdemokratin mit einem Genossen, der sich seit Jahrzehnten intensiv für die SPD engagiert hatte. Im herkömmlichen Grundgesetz steht nun einmal nichts von einem Gleichstellungsgebot, und Kritik an feministischen Positionen muss nichts damit zu tun haben muss, dass sich Männer wütend gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter zur Wehr setzen. Das wussten meine Eltern auch aus eigener Erfahrung.
Gerade die Fraktion der SPD wiederum hat im Bundestag als einzige GEGEN die kleinen Schritte in Richtung einer Gleichberechtigung von Vätern und Müttern gestimmt. Ein entschiedenes Engagement für Gleichstellung und eine deutliche Ablehnung der Gleichberechtigung lassen sich offenbar gut miteinander vereinbaren.
Das ist kein Zufall.
Wer Gleichstellung will, will keine Gleichberechtigung
Wer in Geschlechterdebatten von „Gleichstellung“ redet, kritisiert damit meist, dass Männer und Frauen in bestimmten Bereichen ganz unterschiedlich stark vertreten seien – in Aufsichtsräten zum Beispiel. Nun fordert das Grundgesetz, dass der Staat auf die „tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung“ hinwirken müsse. Als Nicht-Jurist und Deutschlehrer frage ich mich natürlich, wovon sich dieser Begriff eigentlich abgrenzen soll – von einer bloß virtuellen Durchsetzung? Oder eine fiktiven?
Vertreterinnen der Gleichstellungspolitik interpretieren die Passage jedenfalls als Auftrag des Staates, nicht nur gleiche Rechte herzustellen und Hindernisse abzubauen, sondern gleiche Repräsentation auch aktiv zu fördern. Daher wohl Künasts seltsame Rede von einem „aktiven Auftrag“, die ja ebenfalls offen lässt, was denn im Unterschied dazu ein „passiver Auftrag“ eigentlich sein sollte.
Nun lässt sich ein Ungleichgewicht aktiv nur zu einem Gleichgewicht verbiegen, wenn beide Seiten ungleich behandelt werden – wenn die schwächere Seite gefördert wird oder die stärkere Seite behindert wird oder beides. Eben das ist aber nun gerade keine Gleichberechtigung: Der Grundsatz, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien, wird damit im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe aufgehoben.
Anstatt dass Gleichstellung sich aus der grundgesetzlich garantierten Gleichberechtigung herleiten ließe, steht sie also im Widerspruch dazu. Wenn alle Menschen tatsächlich gleichberechtigt sind – und wenn diese Rechte freiheitliche Rechte sind, ihnen also Spielräume lassen – dann ist davon auszugehen, dass Menschen diese Spielräume unterschiedlich nutzen und schließlich zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Ungleichheit der Ergebnisse ist ein Resultat von Gleichberechtigung, keine Einschränkung gleicher Rechte.
Eine Politik der Gleichstellung lässt sich also nur durchsetzen, wenn Gleichberechtigung, Freiheit oder beides begrenzt wird. Es kann keinen grundgesetzlichen Gleichstellungsauftrag geben, solange das Grundgesetz Gleichberechtigung garantiert.
Mehr noch: Gerade die Lobbyistinnen der Gleichstellungspolitik haben an einem solchen Auftrag auch gar kein Interesse.
Wer Gleichstellung will, will keinen Gleichstellungsauftrag
Der von Künast angegebene Satz des Grundgesetzes wird eingerahmt von zwei anderen Sätzen , in denen es jeweils nicht mehr nur um Männer und Frauen geht, sondern darum, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind (3.1) und dass niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ oder „wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ dürfe. (3.3)
Diese Ausweitung des Horizonts weit über alle Geschlechterdebatten hinaus ist zwangsläufig: Grundlegende Rechte von Menschen können eben nicht einfach nur von der Geschlechtszugehörigkeit abhängig gemacht werden, sondern wurzeln deutlich grundsätzlicher in der Würde des Menschen.
Dann ist es aber gar nicht mehr verständlich, warum sich der „aktive Gleichstellungsauftrag“ allein auf Männer und Frauen beziehen sollte, und nicht auch – zum Beispiel – auf Weiße und Schwarze, Katholiken und Protestanten, Muslime, Juden, Christen und Konfessionslose, Nord-, Süd-, Ost- und Westdeutsche und viele andere Gruppen.
Die schulischen PISA-Studien haben beispielsweise gezeigt, dass in „keinem anderen Land (…) die Schulleistung so eng an die soziale Herkunft gekoppelt“ war wie in Deutschland. Kinder aus sogenannten „bildungsfernen Schichten“, und ganz besonders Kinder aus Migrantenfamilien, stehen im Schnitt deutlich schlechter da als andere. Warum also sollte es keine Abiturientenquote für Bildungsferne und Migrantenkinder geben?
Solche Quoten müssten bei genauerer Überlegung sogar Vorrang haben vor Frauen- oder Männerquoten. Denn die unterschiedlichen beruflichen Erfolge Erwachsener hängen nun einmal wesentlich von Entscheidungen dieser Erwachsenen selbst ab, für die sie selbst die Verantwortung tragen.
Unterschiedliche schulische Erfolge von Kindern und Jugendlichen können jedoch nicht in gleichem Maße in deren eigene Verantwortung gestellt werden – hier sind Erwachsene zumindest für die Bedingungen verantwortlich, unter denen diese Kinder und Jugendlichen agieren.
Ich trete nicht für Abiturienten-Quoten ein – ich erkenne nur keinen vernünftigen Grund, warum Politiker sich auf Geschlechter-Gleichstellung fixieren und sich für soziale Gleichstellung überhaupt nicht interessieren.
Doch selbst wenn wir akzeptieren, dass es bei der Gleichstellung allein um Frauen und Männer geht – warum dann nur in Aufsichtsräten, oder in Positionen im öffentlichen Dienst? Warum nicht auch, beispielsweise, bei den gefährlichsten Berufen ?
„Wenn man die Liste der gefährlichsten Berufe betrachtet, dann fällt schnell auf, dass die Frauenquote extrem niedrig ist.“
Warum gibt es zudem keine Quote für Familiengerichte, die darauf hinwirken würde, dass das riesige Ungleichgewicht der Sorgerechtsentscheidungen in strittigen Fällen ausgeglichen wird, dass also Väter ähnliche häufig wie Mütter das alleinige Sorgerecht erhalten ?
Warum wirken keine staatlichen Institutionen darauf hin, dass der weitaus größere männliche Anteil bei den Obdachlosen verringert wird, so dass Frauen und Männer etwas gleich häufig obdachlos würden?
Wer wiederum gleicht die deutlichen schulischen Nachteile von Jungen aus?
Natürlich ließe sich auch diese Liste fortsetzen. Auf den ersten Blick, und auch noch auf den zweiten und dritten, ist deutlich, dass Gleichstellungspolitik offenbar nur dort greifen soll, wo Frauen in einer schwächeren Position sind – nicht dort, wo es Männer sind. Auch das aber lässt sich vernünftig kaum begründen.
Ob nun geschätzt 0,03% aller Männer in Aufsichtsräten sitzen, aber nur geschätzt 0,003% aller Frauen – das ist für die allermeisten Menschen ganz irrelevant.
Die schulische Situation von Jungen und Mädchen aber betrifft ganze Generationen, von gesundheitsgefährdenden Arbeitsplätzen oder von Sorgerechtsentscheidungen sind Hunderttausende berührt. Wenn schon Gleichstellung: Dann müsste sie doch hier beginnen.
Das aber wäre kaum möglich. Müssten staatliche Institutionen tatsächlich alle denkbaren Gruppen gegeneinander stellen, ihre Situationen gewichten und dann bei Bedarf gleichstellen, und zwar jeweils in allen relevanten Bereichen – dann würde staatliches Handeln in kurzer Zeit an einer unüberschaubaren Komplexität ersaufen. Viele der unendlichen Gleichstellungsmaßnahmen würden sich gegenseitig aufheben, und oft würden sie Entscheidungen unmöglich machen: Müsste zum Beispiel ein ostdeutscher Mann aus einer Migrantenfamilie oder eher eine westdeutsche weibliche Konvertitin zum Islam zwingend befördert werden?
Gleichstellungspolitik setzt also notwendig voraus, dass staatliche Akteure willkürliche Schwerpunkte setzen und ohne umständliche Begründungen entscheiden können, 1. wer und 2. in welchen Bereichen gleichgestellt wird. Diese Politik legitimiert sich nicht durch einen grundgesetzlichen Auftrag, sondern dadurch, dass ihre Akteure sich irgendwann wieder zur Wahl stellen und alle Stimmen für sich selbst auch als Zustimmung zu ihrer Politik werten.
Würde aber das Grundgesetz tatsächlich einen Auftrag zur Gleichstellung erteilen, dann wäre eine willkürliche Schwerpunktsetzung nicht mehr möglich – staatliche Akteure könnten sich nicht beliebig aussuchen, welchen grundgesetzlichen Auftrag sie erfüllen und welchen nicht. Wäre Gleichstellungspolitik tatsächlich vom Grundgesetz beauftragt, dann wäre sie überhaupt nicht möglich.
So haben dann also ausgerechnet diejenigen Lobbyistinnen, die sich rituell auf einen fiktiven grundgesetzlichen Gleichstellungsauftrag berufen, ein großes Interesse daran, dass dieser Auftrag auch fiktiv bleibt. Es ist kein politischer Zufall, sondern hat gute Gründe, dass im Grundgesetz nichts von Gleichstellung steht.
Tatsächlich ist ihre Politik wohl durch etwas ganz anders bestimmt – durch die Überzeugung nämlich, dass die Strukturen der deutschen Gesellschaft durchdrungen seien von einer Ausgrenzung und Unterdrückung der Frauen. Staatliche Politik hat nach dieser Vorstellung dann die Aufgabe, diesen Unterdrückungsstrukturen entgegenzuwirken.
Das aber ist einfach eine politische Position unter vielen. Wer sie – und ganz gewiss: wider besseres Wissen – als Auftrag des Grundgesetzes verkauft, der erweckt den Eindruck, sie sei zwingend allgemeingültig. So, als ob legitime Gegenpositionen überhaupt nicht denkbar sein.
Nur so ist es denn auch möglich, dass jemand, der auf der Gleichheit von Menschen vor dem Gesetz (herkömmliches Grundgesetz Artikel 3, Absatz 1) besteht, mit dem Vorwurf rechnen muss, sich damit „gegen Frauen“ zu wenden.
Der Beitrag erschien zuerst auf Lucas Schoppes Blog man-tau.com