Über undemokratische Tendenzen inmitten unserer Politik und Gesellschaft der letzten zwanzig Jahre
Wie begegnet man antidemokratischen Strömungen? Diese Frage stellte kürzlich das Deutsche Historische Museum im Rahmen einer Blogparade zum Thema „Was bedeutet mir die Demokratie?“, womit sicher auf die bösen neuen Parteien angespielt wird, die ihre schlimmen populistischen (das heißt, dem „dummen“ Volk nach dem Maul redenden) Themen vorbringen.
Nebenbei bemerkt: bereits in der durchweg abfälligen Verwendung des Worts Populismus kommt eine antidemokratische Tendenz zum Ausdruck, bedeutet es doch, daß es verwerflich ist, sich dem Willen des Volkes „anzubiedern“, da dieses eben nicht in der Lage sei, die ach so komplizierten Notwendigkeiten der Politik zu durchschauen.
Des Weiteren möchte ich anknüpfend an Beuys sagen – ich glaube er hätte mir dabei recht gegeben, da die Begriffe ihm gleichsam heilig waren – daß die allerantidemokratischste Wirkung davon ausgeht, daß man meint, man hätte schon die Demokratie. Also eine falsche Begriffsverwendung, die eine suggestive, betäubende Wirkung hat und gar nicht zuläßt, daß man sich über das Wesen der Demokratie wirklich Gedanken macht. Das ist das Aller-Antidemokratischste, was allem anderen voraus geht.
Ja, ich sehe auch sonst durchaus antidemokratische Strömungen im Land, eine davon ist das Verhalten der regierenden Parteien in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Eine Tendenz ist zum Beispiel die gezielte Meinungsmache, die sowohl in direkten, den Gegner verunglimpfenden, die eigene Verantwortung für sein Zustandekommen ableugnenden Verhaltensweisen, oder indirekter subtiler Manipulation durch die Medien stattfindet. Das ist ein Verhalten von totalitären Ländern, wie es zum Beispiel auch in der DDR oder dem Dritten Reich stattfand. Auch die allgegenwärtige Kontrolle und Beobachtung, durch Videokameras, Telephonüberwachung, Gängelung durch unsinnige Gesetze und Bürokratismus und die daraus resultierende Mißtrauenskultur unter den Menschen des Landes, verbreiten eine Atmosphäre, die einem totalitären Land zu Gesichte steht, nicht aber einem freien.
Man unterschätze im übrigen nicht den Anteil dieser immer krasser werdenden Gängelei am Zustandekommen von „Protestparteien“. Auch daß in Plenarsitzungen des Parlaments die Aussage des politischen Gegners, auch er wäre demokratisch gewählt und hätte daher das Recht hier gehört zu werden, mit pubertärem Gekacker und Gekeife beantwortet wird, ist eines von vielen Symptomen einer undemokratischen Gesinnung. Da die Parlamentarier eine gewisse Vorbildfunktion haben, tragen sie durch solches und anderes Verhalten zu einer Negativerziehung und einer Spaltung des Landes bei, bei der der „Andersdenkende“ geächtet werden darf. Eine solche politische Klasse hat für mich ihre demokratische Legitimierung verloren, auch wenn sie sich noch mit Ach und Krach aus den Stimmen der Wähler (die genau diese Regierung abgewählten hatten) zusammengestückelt wurde. Eine demokratische Gesinnung würde im Wahlausgang eine Botschaft des Volkes sehen, die ernstgenommen wird, die als Rückmeldung auf das eigene Verhalten in der vorherigen Legislaturperiode aufgefaßt wird und für den man daher die eigene Verantwortung annimmt.
Wenn man den aufgrund des eigenen Verhaltens entstandenen politischen Gegner diskreditiert und bekämpft, bis hin zum Mißbrauch des Verfassungsschutzes, so ist das erstens unreif, pubertär, ein Stammtischverhalten, zweitens unverantwortungsbewußt, drittens bekämpft und diskreditiert man auf diese Weise auch das Volk, das sich nunmal eben so entschieden hat. Es ist das Verhalten eines Politadels und keiner politischen Klasse mit einem wirklich demokratischen Selbstverständnis.
Diese Gesinnung des Politadels, der sich auch in Brüssel zeigt, der aus Brüssel eine Art zweite Wiener Konferenz gemacht hat, halte ich für eine gefährliche undemokratische Strömung der Gegenwart. (Wiener Konferenz unter Fürst Metternich um 1815. Eine „Neuordnung“ Europas im Sinne des alten Adels). Dies natürlich im Zusammenhang damit, daß auch diese „Politadligen“ vielfach nicht mehr die Fäden in der Hand haben, sondern zum Büttel von Wirtschaft und Finanz geworden sind. Auch dies ist eine antidemokratischen Tendenz, da man als Bürger über diese meist verborgene Einflußnahme überhaupt nicht entscheiden kann, sie oft noch nicht einmal kennt. Verborgen diktatorische Verhältnisse sind da also am Werk, hinter und neben den politischen. Aber eben auch die Politik selbst.
Hierzu ein weiteres Beispiel. Es ist undemokratisch, wenn eine demokratisch gewählte, also in gewisser Hinsicht vom Volk beauftrage Regierung, Teile ihrer Kompetenz an eine nicht gewählte, nicht demokratisch legitimierte Instanz abgibt, wie das in der ersten Phase der Euro-Krise mit der EZB geschah. Dies ist eine Kompetenzüberschreitung und ein Mißbrauch gegenüber dem Wählerauftrag. Dann habe ich es als eine Ohrfeige gegenüber dem Wahlvolk erlebt, daß in einer Phase, in der das Flüchtlingsthema in Deutschland derart hochkocht, zum Erfolg der AfD geführt und große Verwerfungen in der Gesellschaft ausgelöst hat, daß mitten in dieser Phase die Bundeskanzlerin ohne mit der Wimper zu zucken den Vertrag von Marrakesch unterschrieben hat, der wie eine Einladung an weitere Flüchtlinge aufzufassen ist. Die Botschaft, die davon ausgeht ist: Was in der Bevölkerung passiert, ist mir egal, ich mache das, was ich will. So verhalten sich keine Politiker mit einer demokratischen Gesinnung, die sich, und das wäre eine demokratische Gesinnung, als Diener des Volkswillens verstehen, so verhalten sich „Politadelige“.
Es gibt eine ganze Reihe von immer radikaler werdenden Veränderungen, in der Sprache (Rechtschreibreform), der nationalen und europäischen Politik, bei denen schon längst das Vorgehen der Politiker durch Volksentscheide hätte legitimiert werden müssen. Zu tief war der Eingriff in das Leben der Menschen, als daß das Kreuz, das einmal in vier Jahren gemacht werden darf, hierfür eine stimmige Grundlage geliefert hätte. Es wird oft genutzt, um Veränderungen auf Biegen und Brechen durchzusetzen, deren Widerspruch zum Mehrheitswillen offenkundig ist oder war.
Bestes Beispiel hierfür waren die Volksentscheide über die neue EU-Verfassung, die dann zum Lissabonner Vertrag führte. Zuerst wurde in mehreren Ländern darüber abgestimmt, in Frankreich zum Beispiel. Der Vertrag fiel durch. Auch anderswo. Da bekamen die Politadligen in Brüssel kalte Füße und verzichteten auf weitere Volksabstimmeungen und deichselten die Sache so hin, daß es auch ohne sie ging: Der Lissabonner Vertrag wurde durchgewunken. Ein solches Europa hat seine demokratische Glaubwürdigkeit verloren, es agiert mit Tricks und Kniffen, um den Mehrheitswillen zu umgehen und sein eigenens Süppchen zu kochen. Und das wird dann wiederum als „demokratisch“ und „wir verteidigen die Werte Europas“ ausgegeben. Und dem soll man dann Beifall klatschen. Nein, so werden die Werte Europas nicht verteidigt, sondern mit Füßen getreten. Es wird dem geneigten Leser vielleicht deutlich, daß ich eine mords Wut angesammelt habe zu diesen Sachverhalten und der damit verbundenen Augenwischerei. A propo Beifall klatschen.
Bei der Jubelfeier zur Demokratie am 6. Februar (100 Jahre Weimarer verfassunggebende Versammlung) erlebte ich ebenfalls eine „antidemokratische Tendenz“. Das Foyer des Deutschen Nationaltheaters wurde vor allem von der Amadeu Antonio-Stiftung bestückt. Die ausliegenden Blätter waren hochmanipulativ. Das gipfelte in einem „heiteren Ankreuzquiz“, bei dem die „Mitspieler“ aufgefordert wurden, „rechtsverdächtige Personen“ zu identifizieren. Da gab es dann verschiedene „Argumentationsmuster“ zur Auswahl und wer die richtige „Lösung“ erraten hat, dem winkte eine kleine Belohnung. Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht, als ich das sah.
In ähnlicher Weise könnte man sich vorstellen, daß etwa im Dritten Reich die „Volksgenossen“ aufgefordert worden wären, „Andersdenkende“, oder Angehörige anderer Rassen zu erkennen (und hernach zu denunzieren). Auch Aldous Huxleys Schöne neue Welt kommt mir in den Sinn, rein von der verharmlosenden Stimmung her. Statt daß also zu Argunemtation und Auseinandersetzung angeregt wird, welches demokratisch wäre, weil die Meinung eines jeden Menschen respektiert würde, wird hier, im Foyer des Deutschen Nationaltheater, offen zu schablonenhaftem Denken und zur Stigmatisierung „Andersdenkender“ aufgerufen. Und zehn Meter weiter hält der Bundespräsident eine Laudatio auf die Demokratie! Unglaublich. (Zu den ausgewählten Jubilanten am Theaterplatz wurde ich übrigens nicht vorgelassen, denn ich hatte ein kleines Schild dabei mit der Aufschrift „Für die Einführung der Demokratie“)
Ein weiteres Beispiel, anknüpfend wieder an Europa und den Lissabonner Vertrag, war die Einführung des Euro. In einigen Ländern wurden die Bürger gefragt, Dänemark zum Beispiel. Dort wurde er abgelehnt. Bei uns wurden die Bürger nicht gefragt. Ich nehme an, weil man damit rechnete, daß das Ergebnis genauso ablehnend ausfallen würde.
So funktioniert Demokratie nicht. Das Europa etwa seit der Jahrtausendwende steht mehr und mehr auf tönernen Füßen, die in mancherlei Hinsicht, wie angedeutet, den Charakter von antidemokratischen Strömungen tragen. Ich hoffe übrigens, ich habe mit meinen Ausführungen die Frage, ob ich antidemokratische Tendenzen wahrnehme, bis zu einem gewissen Grad beantwortet. Auf diese Entwicklung sehe ich den „Brexit“ als eine logische Folge, da England seit jeher das vermutlich individuellste, selbstbestimmteste Land Europas ist. Es ist logisch, daß hier die immer unfreiere, undemokratischere, zentralisiertere Entwicklung der EU als erstes zu Konsequenzen führt. An dieser Stelle gehe ich zu Teil drei meines Beitrags über. Er stellt einen vermutlich ungewohnten und großen Bogen in der Betrachtung dar.