Zuerst erschienen auf Sciencefiles.org
Bei bestimmten Büchern kann man die Rezeptionsgeschichte quasi vorher sagen. Als Richard Wilkinson und Kate Pickett (übrigens in genau der Autorenreihenfolge und nicht etwa umgekehrt, wie Liana Fix in einem Anfall von Genderismus meint) ihr Buch “The Spirit Level” veröffentlicht haben, in dem Belege zusammengetragen sein sollen, die zeigen, “dass eine … Gesellschaft, in der Einkommen, Vermögen und Macht möglichst gleich verteilt sind, eine bessere Gesellschaft ist” (Fix, 2010, S.2), war bereits vorherzusehen, dass Vertreter eines umverteilenden Sozialstaats dieses Buch mit Begeisterung aufnehmen werden.
So schrieb die Frankfurter Rundschau unter dem Titel “Gleicheit ist (!sic) Glück”: Zwei englische Mediziner haben erforscht, dass für die Gesundheit der Menschen Reichtum weniger wichtig ist als Verteilungsgerechtigkeit”. In der FAZ spekulierte Wolfgang Kersting darüber, warum sich Glück rentiert, und er tat dies ebenfalls unter der Überschrift: Gleichheit ist Glück. Der selbe Autor stellt im Freitag die Frage, ob Gleichheit Glück ist und beantwortet sie auch gleich selbst, mit Verweis auf den “common sense” und mit “ja”.
Es scheint also nichts daran zu rütteln zu geben, dass Gleichheit Glück bedeutet, das sagt Wolfgang Kerstings “gesunder Menschenverstand” und Wilkinson und Pickett haben es in ihrem Buch belegt. Oder etwa nicht? Zunächst ist es interessant die Quelle der Erkenntnis bei Wilkinson und Pickett zu suchen, und die Quelle der Erkenntnis der beiden Epidemiologen zu inspizieren. Die Autoren beziehen ihre Erkenntnis ausschließlich aus der Analyse von Aggregatdaten bzw. aggregierter Daten, d.h. sie vergleichen Daten auf der Ebene von Ländern: Der Mittelwert des Glücks wird mit dem Mittelwert gesellschaftlicher Ungleichheit in Beziehung gesetzt. Nun gibt es natürlich keinen Mittelwert des Glücks per se. Vielmehr muss man Menschen befragen, um zu wissen, ob sie glücklich sind, so wie dies im World Value Survey geschieht, dem Wilkinson und Pickett ihr Glücksmaß entnehmen.
So wurde etwa 1997 in Deutschland gefragt:
Ganz allgemein: Würden Sie sagen, daß Sie zur Zeit sehr glücklich, ziemlich glücklich, nicht sehr glücklich oder überhaupt nicht glücklich sind? Berechnet man den Mittelwert aller Angaben deutscher Befragter zu dieser Frage, dann ergibt sich der nationale Glücksmittelwert. Dieser nationale Glücksmittelwert wird nun mit einem Maß für die Gleichheit der Einkommensverteilung in Verbindung gesetzt, wobei die Einkommensverteilung als Differenz des Einkommens zwischen den obersten und den untersten 20% einer Einkommensverteilung bestimmt wird. Und wenn man beide Maße in Verbindung miteinander bringt, dann zeigt sich: “that there is no relation between inequality and WVS [World Value Survey] measures of happiness” (Wilkinson & Pickett, 2010, S.8). Da sitzt man nun, und wundert sich: Wo kommt der Glaube, Gleichheit sei Glück, her, der doch angeblich seinen Ursprung im Buch von Wilkinson und Pickett haben soll? Wie steht es überhaupt mit dem Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Glück?
Nun, die Forschung zu diesem Thema bestätigt das Ergebnis, das Wilkinson und Pickett in Auseinandersetzung mit ihren Kritikern einräumen: Es besteht kein Zusammenhang zwischen Glück und gesellschaftlicher Ungleichheit. Christopher Snowdon (2012) hat dies gerade in einer neuen Untersuchung und einmal mehr gezeigt. Ob eine Gesellschaft (man sehe mir an dieser Stelle nach, wenn ich Nation mit Gesellschaft gleichsetze) im Mittelwert glücklicher ist als eine andere Gesellschaft, hat überhaupt nichts mit dem Ausmaß der gesellschaftlichen Ungleichheit zu tun. Zum selben Ergebnis kommt Arthur C. Brooks (2007), der untersucht hat, wie sich das in den letzten Jahrzehnten zunehmende Maß an gesellschaftlicher Ungleichheit auf das Glückslevel der jeweiligen Gesellschaft ausgewirkt hat. Sein Ergebnis: Gar nicht – Obwohl sich die Ungleichheit erhöht habe, bleibe das gesellschaftliche Glückslevel gleich.
Welche Faktoren bestimmen eigentlich Ihr Glück? Ist es für Sie ausschlaggebend, ob Fürst von Thurn und Taxis eine neue Million in seine Schatulle gesteckt hat, ob Bill Gates die Milliardengrenze abermals durchbrochen hat? Oder ist es nicht eher so, wie Kenneth J. Galbraith einst gesagt hat: “We don’t compare ourselves with the distant rich [or poor]“? Wenn Galbraith Recht hat, dann bedeutet dies, dass die unmittelbare Lebenserfahrung, Fragen der alltäglichen Fairness, der täglichen Behandlung für das eigene Glück wichtiger sind als die Anzahl der Stellen vor dem Komma auf dem Kontoauszug von Dietmar Hopp. Wichtiger für individuelles Glück sind somit soziale Vergleichprozesse in unserer unmittelbaren Umgebung.
Wer sich von morgens bis abends den Buckel krumm arbeitet, z.B. im Stahlwerk, der findet es wahrscheinlich ungerecht, wenn er die Abzüge auf seinem Lohnstreifen sieht und vor allem sieht, was ihm bleibt und dieses Ergebnis umverteilender Eingriffe des Staates, das ihn als Geber sieht, dann mit seinem Nachbarn vergleicht, der eine ruhige Kugel im Amt schiebt und dem nach Abzug seiner Steuern deutlich mehr Einkommen verbleibt als seinem körperlich arbeitenden Nachbarn. Möglicherweise findet unser Stahlwerker es auch nicht richtig und nicht fair, dass der freigestellte Betriebsrat mehr verdient als er selbst und vermutlich schlägt dieses Gefühl der “Unfairness” auf die Einschätzung seines eigenen Glückslevels durch. Möglicherweise wird seine Zufriedenheit und in der Folge sein Glück dadurch getrübt, dass er die Umverteilung seiner Abzüge auf “bedürftige” Landwirte, “bedürftige” Frauenhäuser, “bedürftige” Alleinerziehende oder “bedürftige” politische Stiftungen vor dem Hintergrund seiner eigenen Finanzen als ungerecht ansieht und eher unglüklich darüber ist. Möglicherweise ist er unglücklich, wenn er an die geringe Rente denkt, die ihm nach rund 45 Erwerbsjahren im Stahlwerk bleibt, und möglicherweise findet er es ungerecht und es macht ihn unglücklich, dass ein Bundesminister bereits nach zwei Amtsjahren einen höheren Rentenanspruch hat als er nach 45 Jahren Maloche. Aber möglicherweise interessiert ihn das auch alles nicht und er ist zum Zeitpunkt der Befragung gerade glücklich, weil Schalke gewonnen und Leverkusen verloren hat.
Dass Vergleichsprozesse wie die beschriebenen, die Wahrnehmung von Fairness und somit die eigene Zufriedenheit und das eigene Glück beeinflussen, hat J. Stacy Adams bereits 1965 im Rahmen seiner Equity Theory gezeigt: Wichtig, so Adams, für wahrgenommene Fairness ist nicht die Ergebnisgleichheit, wichtig ist, dass bei gleicher Anstrengung vergleichbare Ergebnisse am Ende stehen, wichtig ist Gerechtigkeit, nicht Gleichheit. Die Wichtigkeit von sozialen Vergleichsprozessen bestätigen auch unzählige sozialpsychologische Studien, in denen Teilnehmer z.B. ein Einkommen von 50.000 Euro, einem Einkommen von 100.000 Euro vorzogen, weil die experimentelle Bedingung es vorsah, dass der Nachbar, dann, wenn die Teilnehmer 50.000 Euro erhalten, ein Einkommen von 10.000 Euro erhält, während er dann, wenn die Teilnehmer 100.000 Euro erhielten, ein Einkommen von 200.000 Euro zugewiesen bekam (Luttmer, 2004). Offensichtlich sind Menschen bereit, sozialen Status gegen Einkommen einzutauschen.
Diese Ergebnisse stehen in diametralem Gegensatz zur Behauptung, Gleichheit mache glücklich. Und wenn man es sich so richtig besieht, dann ist die Ansicht, Gleichheit mache glücklich auch ein Widerspruch in sich, denn, wenn alles gleich ist, worüber sollte man glücklich sein? Was wäre in einer gleichen Welt das Kritierum, das Glück befördert, die Besonderheit, die den glücklichen Moment vom unglücklichen Moment unterscheidet? Ein solches Kriterium gibt es in einer gleichen Welt nicht, und entsprechend ist eine gleiche Welt eine in jeder Hinsicht indifferente Welt: Eine Welt, in der es sich nicht lohnt, nach etwas zu streben, eine Welt, in der Werte keine Rolle spielen, da es nichts zu bewerten gibt, da Bewertung Ungleichheit voraussetzt und Ungleichheit ja nicht mehr vorhanden ist. Was uns Sozialisten mit ihrer Gleichheitsphantasie einreden wollen, ist somit eine Dsytopie, eine Gesellschaft der Zombies, die nichts mehr kennt, was das Leben lebenswert machen würde.
Literatur
- Adams, J. Stacy (1965). Inequity in Social Exchange. In: Berkowitz, Leonard (ed.): Advances in Experimental Social Psychology, Volume 2. New York: Academic Press, pp. 267-299.
- Brooks, Arthur C. (2007). What Really Buys Happiness? City Journal (Summer).
- Fix, Liana (2010). Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind. Bonn: Friedrich Ebert Stiftung.
- Luttmer, Erzo F. P. (2004). Neigbors as Negatives: Relative Earning and Well-Being. Cambridge: National Buerau of Economic Research, NBER Working Paper #10667
- Snowdon, Christopher (2012). Are More Equal Countries Happier? In: Booth, Philip (ed.) … and the Pursuit of Happiness. Wellbeing and the Role of Government. London: Institut of Economic Affairs.
- Wilkinson, Richard & Pickett, Kate (2009). The Spirit Level. London: Allen Lane.
- Wilkinson, Richard & Pickett, Kate (2010). Professor Richard Wilkinson and Kate Pickett, Authors of The Spirit Level Reply to Critics.