Gesellschaft und Reproduktion
Die Basis der menschlichen Gesellschaft im Allgemeinen und der bürgerlichen Gesellschaft im besonderen ist – samt ihrer historischen Voraussetzungen – nach wie vor die ökonomische Produktion.[1] Aus ihr ergeben sich auch die Formen der Reproduktion, die mit Alltagskultur gesättigt sind und sich in einer Lebensweise ausdrücken, die sich historisch, ethnisch und regional differenziert, aber auch wechselseitig durchdringt und entwickelt.
Produktion bedeutet in einer modernen bürgerlichen Gesellschaft Produktion von Waren und Dienstleistungen, einschließlich der Tendenz, alles, und daher auch Kulturelles, in Waren bzw. Dienstleistungen zu verwandeln, und sie bedingt damit die Verwechslung von Kultur in ihrer Waren- bzw. Dienstleistungsform und von Kultur im eigentlichen Sinn, nämlich als der Reflexionsform der gesellschaftlichen Entwicklung.
Produktion und Distribution sind der Gegenstand der Ökonomie. Ihre Aufgabe besteht darin, in einer effizienten, d.h. rationellen Art und Weise für die Bereitstellung der Subsistenzmittel, d.h. im weitesten Sinne der „Mittel zum Leben“, für die gesamte Gesellschaft zu sorgen, und dies, um das Niveau des allgemeinen Wohlstandes zu erhöhen, auch auf wachsender Stufenleiter, zumindest solange, wie bei Basisbedürfnissen ein materieller Mangel besteht.
Die Überwindung der Armut ist daher zugleich ein notwendiger, doch gleichzeitig auch ein nicht hinreichender Schritt zur Verwirklichung eines „guten Lebens“, denn sonst fiele dieses mit einem geistlosen Hedonismus zusammen, und sie ist daher zugleich eine Legitimation und ein Leistungsmaßstab für die Ökonomie. Daran gemessen, und insbesondere aus globaler Sicht, kann allerdings unsere derzeitige Wirtschaftsweise kaum als erfolgreich gelten [2].
In Geldwirtschaften drückt sich das ökonomische Wachstum in einem steigenden Geldeinkommen aus, dessen Verteilung durch die Strukturierung und Schichtung der Gesellschaft bestimmt ist und das dann eine klassen- und schichtspezifische Einkommensverwendung erlaubt. Im günstigsten Fall – nämlich dem der reibungslosen ökonomischen Reproduktion – werden alle produzierten Güter abgesetzt, und durch die Konsumtion werden die Bedarfe – nicht notwendig die Bedürfnisse – gedeckt; nur im – zyklisch eintretenden – Krisenfall gelingt der vollständige Absatz nicht.
Die ökonomische Reproduktion ist aber bei weitem nicht hinreichend für die gesellschaftliche Reproduktion, die neben der ökonomischen auch die biologische, die soziale und die kulturelle Reproduktion der Bevölkerung in sich einschließt, und die daher übergeordnet ist.
Kultur als Reflexionsform der Gesellschaft
Kultur im engeren Sinn gehört zum Überbau der produktiven Basis der Gesellschaft, ist zunehmend durch Professionalisierung und Institutionalisierung gekennzeichnet, wird aber in ihren Ausdrucks- und Bewusstseinsformen von der Produktion nicht nur bestimmt, sondern vermag diese rückwirkend auch – wie z. B. vom Theater bewusst intendiert – zu beeinflussen: durch Katharsis, durch Aufklärung, durch Kritik, durch phantastische, absurde und utopische Perspektiven und Konstruktionen, aber auch durch Affirmation und Ideologien.
Die kulturellen Phänomene – Religion, Philosophie, Wissenschaft, Kunst – sind gesellschaftliche Reflexionsformen, d.h. über die Erkenntnis oder die Kreation von Theorien oder die Beschreibung von Gegenständen und Sachverhalten hinaus wird der Blick der Subjekte stets auch auf sie selbst zurückgeworfen. Kultur gibt so der menschlichen Gesellschaft die Chance einer reflexiven Selbsterkenntnis.
Religion ist wohl die älteste, durch das Unverständnis der Welt und zugleich durch die existenziellen menschlichen Erfahrungen und Lebensprobleme bedingte und tradierte Bewusstseinsform. Philosophie ist – nach G. W. F. Hegel – „ihre Zeit, in Gedanken gefasst“, Naturwissenschaft vertieft ständig den analytischen Blick in jene Natur, deren Teil wir selbst unaufhebbar bleiben, um die Naturerkenntnis, wo immer möglich, als Technik zu nutzen, und die Gesellschaftswissenschaften halten der menschlichen Gesellschaft, die sich durch Kultur, Technik und Zivilisation teilweise von der Herrschaft der Natur befreit hat und deren Teil die erkennenden Subjekte sind, einen teils affirmativen, teils kritischen Spiegel vor. Darin ähneln sie der Kunst, die aber die vorgefundene Welt kreativ erweitert und die von Kulturwissenschaften im Hinblick auf ihren Sinn gedeutet wird; Erkenntnis schließt daher immer auch Selbsterkenntnis ein.
Die alle gesellschaftliche Reproduktion durchtränkende Alltagskultur ist Ausdruck von Bedürfnissen und Lebenslagen, von Zeitumständen und Lebensgefühlen, von Gewohnheiten und von Ängsten. Sie mag, etwa in Gestalt der Popkultur, zwar einfacher und unmittelbarer sein als die sogenannte Hochkultur, ist aber ebenfalls eine Reflexionsform, in der sich gesellschaftliche Entwicklungstendenzen darstellen. Im Unterschied zur Hochkultur ist sie massenwirksam, und sie erreicht durch die kommerziell mächtig verstärkte Hebelwirkung eine gesellschaftliche Wirkung, die diejenige der Hochkultur wahrscheinlich überflügelt.
Soziologische Differenzierungen von Kultur
Die Widersprüchlichkeit der Interessen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, die Unterschiedlichkeit der Blickwinkel, der Wahrnehmungsweisen und der Möglichkeiten der Teilhabe an der Kultur werden im wesentlichen von der Gesellschaftsstruktur bestimmt, die den Individuen ihren sozial Ort zuweist. Sie bestimmt in der Regel auch, welche Klassen oder Schichten über die Deutungshoheit oder die kulturelle Hegemonie verfügen.
Die gesellschaftliche Schichtung prägt also die kulturelle Produktion und ihre Rezeption. Die Ober- und die Mittelschichten benötigen in der Regel überwiegend affirmative, oft traditionelle Kultur und Kunst, um einen identitätssichernden Lebensstil ausbilden zu können, zu dem auch die gesellige Repräsentation gehört; daher besteht eine Bereitschaft, kulturelle Institutionen zu gründen und zu finanzieren, und dies ist die Grundlage für deren relative Verselbständigung und für die Professionalisierung kultureller Berufe. Allerdings werden für die Finanzierung der „Hochkultur“ in beträchtlichem Umfang auch öffentliche Mittel eingesetzt, die durch höhere direkte Beiträge der Nutzer reduziert werden könnten.
Die Unterschichten sowie Teile der Mittelschichten orientieren sich weitgehend an der populären Kultur – oder sie entwickeln eine alternative Kultur, deren kreative Impulse gesellschaftlich verallgemeinert werden. Zugleich stellen sie dann auch ein Potenzial für kritische „hochkulturelle“ Kulturangebote dar.[3]
4 Die Bedeutung der Ökonomie
Aus Sicht der gesellschaftlichen Reproduktion hat die Ökonomie eine recht beschränkte Aufgabe, nämlich auf rationelle Weise für die Herstellung und Verteilung der gesellschaftlich benötigten Güter und Dienstleistungen zu sorgen. Tatsächlich hat die Ökonomie heute aber eine weit größere, sogar eine die Gesellschaft dominierende Bedeutung, und dieser Sachverhalt ist die Ursache von Folgeproblemen, um die es hier im Kern geht. Ausgangspunkt ist – unter der historischen Voraussetzung der Verfügbarkeit „freier Arbeitskräfte“ – die Verausgabung von Geld als Kapital, oder betriebswirtschaftlich formuliert: die Investition, die bekanntlich in Erwartung zukünftiger Gewinne getätigt wird. Die Geldwirtschaft wird, ebenso wie die diese Produktionsweise regulierenden, historisch begrenzten ökonomischen Gesetze, durch die Investition als eine kapitalistische konstituiert, woraus sich die umfassende strukturelle gesellschaftliche Macht der Investoren, ihre stille Dominanz über das gesellschaftliche Ganze ergibt, dessen Widersprüchen sie gleichwohl ausgesetzt bleiben.
In einer kapitalistischen Ökonomie erscheint die gesellschaftliche Arbeit als Wert und in verschiedenen Wertformen, und die Ökonomik ist daher die Wissenschaft vom Wert.[4] Die Dialektik der Wertformen führt aus innerer Notwendigkeit zu Wettbewerb und Wachstum, Selbstverwertung und Krise, Reichtum und Armut, Verteilungskonflikten und einer Verteilungsungleichheit, sowie auch zu einer ungleichmäßigen ökonomischen Entwicklung. Einerseits existiert dadurch zwar ein endogener wirtschaftlicher Fortschritt, andererseits aber führt die Selbstverwertung des abstrakten Werts zu einer Entkopplung von den konkreten Bedürfnissen der Menschen und zu einer Verselbständigung des Wachstums. Dessen Verteilung ist jedoch aus globaler Sicht so ungleichmäßig, dass trotz des Reichtums einiger Volkswirtschaften von einer Lösung des globalen ökonomischen Problems gar keine Rede sein kann, und das anhaltende Bevölkerungswachstum, insbesondere in den armen Ländern, bedingt einen Migrationsdruck, der weltweit erhebliche gesellschaftliche Integrationsprobleme aufwirft. Aus der Ökonomie als einem schlichten Mittel der Bedürfnisbefriedigung durch gesellschaftliche Arbeit ist auf diese Weise ein abstrakter, monetärer Prozess geworden. Die unbeschränkte Akkumulation abstrakten Reichtums in Form von Geld ist nicht – oder nur als unerwünschte Nebenwirkung – bedürfnisbezogen, sondern ein reiner Selbstzweck. Das menschliche Maß des rationalen wirtschaftlichen Handelns, das beispielsweise noch den Begriff der Sättigung bestimmt, ist damit prinzipiell durchbrochen.
Die maßlose Selbstverwertung des Werts – der gewissermaßen als ein „automatisches Subjekt“ fungiert – ist seit langem zum bestimmenden, sich – in letzter Instanz – auch politisch durchsetzenden gesellschaftliche Regulativ geworden. Die ökonomischen Begriffe und Denkweisen werden in gesellschaftliche Bereiche exportiert, in die sie gar nicht gehören, zum Beispiel in Zusammenhänge der sozialen und der kulturellen Reproduktion. Wird etwa der ökonomische Nutzenbegriff zum Maßstab von Bildung, dann wird diese auf bloße Ausbildung reduziert. Wird er zum Maßstab für Kultur, dann wird Kultur auf eine Ware, eine Dienstleistung oder einen Standortfaktor reduziert, und ethische Probleme werden allein durch die utilitaristisch-pragmatische Brille betrachtet und tendenziell im Sinne der abstrakten Ökonomie beantwortet.
Dieser „Imperialismus“ ökonomischer Begrifflichkeiten, Theorien und Kalküle ist, m.E. berechtigterweise, vielfach kritisiert worden. Allerdings prägt dieser metastasenartig sich ausbreitende ökonomische Begriffs- und Verhaltensimperialismus tatsächlich zunehmend das Denken und Verhalten, was, indem die soziale Wirklichkeit sich an ihre ökonomistische Reduktionsform anpasst, zu schwerwiegenden Verlusten führt. Und der schwerwiegendste Verlust dürfte wohl der des kritisch – selbstreflexiven gesellschaftlichen Bewusstseins sein. Trotz ihrer derzeitigen Dominanz ist aber die Ökonomie aus Sicht der gesellschaftlichen Reproduktion und der kulturellen Entwicklung weiterhin nichtsdestoweniger eine bloße Sphäre der Mittelbeschaffung, die nur die Voraussetzungen schafft für die eigentlich gültigen, die kulturellen Zwecke, die für ein „gutes Leben“ maßgeblich sind.
Das Verhältnis von Ökonomie und Kultur
Die weitgehend verwirklichte Unterordnung von Gesellschaft und Politik unter ökonomische Ziele reduziert in der Tendenz das kollektive Bewusstsein auf ökonomistische Schrumpfformen, indem jedes eigenständige, nichtökonomische Argument durch umgehenden Rückbezug auf ökonomische Kategorien (Kosten, Wettbewerb, Arbeitsplätze, Staatsschulden, Inflation usw.) annulliert wird. Wenn der freie Blick und der selbstkritische Diskurs im Hinblick auf Sinn und Zweck, auf Werte und Ziele, auf Ethik und Politik überhaupt ermöglicht werden soll, dann bedürfen die grundsätzlichen gesellschaftlichen Fragen, z.B. im Hinblick auf neuartige technologische Möglichkeiten, zunächst einer unbeschränkten, offenen Erörterung. Ökonomische Interessen und Restriktionen dürften, um den Diskurs nicht zu blockieren, folglich erst dann thematisiert werden, nachdem die grundsätzlichen Fragen geklärt sind, z. B. sobald eine tragfähige Begründung für oder gegen eine bestimmte neue Technologie entwickelt worden ist. Denn nun geht es nicht mehr um die Ziele, sondern um die Mittel und deren Rationalität, sowie um ökonomische Randbedingungen und Wirkungsweisen. Eben dieser dringend notwendige emanzipatorische Diskurs, durch den die gesellschaftliche Zweitrangigkeit der Ökonomie überhaupt erst deutlich erkennbar werden würde, wird aber – bewusst und unbewusst – verhindert, um die usurpierte Herrschaft der Ökonomie in der Gesellschaft nicht zu gefährden, aber auch weil eine Alternative von denen, die ihr Denken wie selbstverständlich dem Vorranganspruch der Ökonomie unterordnen, nicht einmal gedacht oder vorgestellt werden kann.
Diese Verkehrung von Ökonomie und Kultur, von Mittel und Zweck schlägt die Gesellschaft – der Tendenz nach – mit Blindheit, Unwissen und Bewusstlosigkeit. Denn es wird damit gerade das eliminiert, was kulturelle Prozesse – und nur sie – prinzipiell leisten können, die Entstehung von Bewusstheit nämlich. Kulturelle Prozesse sind gesellschaftliche Prozesse, die der Gesellschaft die Entstehung und Entwicklung ihres kollektiven Bewusstseins ermöglichen, insbesondere dann, wenn der Druck realer Krisen oder Katastrophen die Lernprozesse beschleunigt. Und sie eröffnen praktische Handlungsoptionen, die sonst gar nicht erst bewusst geworden wären. Ein positives Beispiel hierfür ist m.E. die anhaltende ökologische Debatte, in der naturwissenschaftliche Erkenntnisse im Rahmen einer öffentlich geführten politischen Debatte derart auf die Ergebnisse dieses öffentlichen Meinungsbildungsprozesses zurückbezogen worden sind, dass Handlungsalternativen erkennbar wurden und teils durchgesetzt werden konnten. Allerdings ist dasselbe Beispiel auch hervorragend geeignet, die hartnäckige Widerständigkeit der Ökonomie gegen den Anspruch einer übergeordneten Rationalität zu veranschaulichen.
Wie das Beispiel zeigt, ist die Lage keineswegs hoffnungslos, was auch Mut macht, aber sie bleibt schwierig. Es ist oft, als hätte der „Zeitgeist“ ein Tabu verhängt über jeden kritischen Gedanken, insbesondere auf dem Gebiet der Ökonomie selbst; die herrschende ökonomische Wissenschaft verkennt weitgehend ihren eigenen, ideologischen Charakter. Für die Funktionseliten gibt es Diskursmöglichkeiten, was diesen nützt, aber die Gesellschaft partizipiert hieran zumeist nicht in der nötigen Breiten und Tiefe, da die Medien ihre Möglichkeiten trotz einzelner sehr positiver Beispiele nicht ausschöpfen, sondern in ihrer Gesamtheit aktiv am Zerfall des Bewusstseins mitwirken. Deshalb sollte m. E. die Einrichtung kommunaler Diskussionsforen erwogen werden.
Die Flachheiten einer hedonistischen, kommerzialisierten medialen Massenkultur geben in der Tat Grund zur Sorge, nicht nur, aber insbesondere im Hinblick auf die politische Bildung der Jugend. Denn wenn die Fähigkeit eines Erwachsenen, die eigenen Interessen zu erkennen und sie zu den Problemen der Zeit in Beziehung zu setzen, um daraus selbst ein vernünftiges politisches Urteil abzuleiten und entsprechend zu handeln, nicht mehr hinreichend ausgebildet wird, dann besteht wenig Hoffnung auf gesellschaftliche und politische Gegengewichte gegen die herrschenden Funktionseliten mit ihren Ideologien und Interessen, dann besteht wenig Hoffnung auf praktizierte Demokratie. Und nur die in ihr – als einer höchst entwickelten Form selbstbewusster gesellschaftlicher Interaktion – liegenden Möglichkeiten werden den geschichtlichen Horizont öffnen können.
Kultur- und Wirtschaftspolitik
Die konstatierte Verkehrung von Mittel und Zweck, von Ökonomie und Kultur ist das Problem, für das eine Lösung zu finden ist. Die Hauptgefahr besteht in einem tendenziellen Zerfall des gesellschaftlichen Bewusstseins. Die sich daraus ergebende anwachsende Unfähigkeit zur Erkenntnis und zur Lösung globaler gesellschaftlicher Reproduktionsprobleme (Wachstumsschwäche, soziale Verelendungstendenzen, ökologische Krise, Bevölkerungsproblematik) gefährdet endlich auch die jetzt dominante, aber inhaltlich überforderte ökonomische Rationalität und die Ökonomie selbst. Nicht nur die Reproduktionskrisen der Gesellschaft drängen daher auf die Zurückstufung der Ökonomie, auf eine Beschränkung auf ihre eigentliche, wichtige, aber beschränkte Aufgabe, sondern die Ökonomie, die an ihrer eigenen Hybris zu scheitern droht, benötigt für sich selbst die Zurückstufung und Entlastung. Dazu ist aber ein gesellschaftliches Lösungspotential erforderlich, das durch den tendenziellen Zerfall des Bewusstseins vom Verschwinden bedroht ist. Die Usurpation der Gesellschaft durch die Ökonomie muss daher überwunden werden. Zwar ist einerseits die starke Tendenz einer Vertiefung der Verkehrung von Mittel und Zweck durch immer weiterreichende Ökonomisierungsprozesse – auf der Ebene des gesellschaftlichen Seins und ebenso auf der des Bewusstseins – erkennbar, aber andererseits gibt es auch gegenläufige Tendenzen einer gesellschaftlichen Bewusstseinsbildung, die darauf abzielt, die ökonomische Rationalität partiell wieder zurückzustufen, nämlich von einer das Ganze bestimmenden Rationalität auf eine Teilrationalität, d.h. ihr genau die Rolle zuzuweisen, die ihr im Hinblick auf die gesellschaftliche Reproduktion tatsächlich zukommt. Erforderlich dafür sind Wissen, politische Bildung und eine reorganisierte gesellschaftliche Macht.
Wenn im politischen Raum verstanden und akzeptiert wird, dass jede Förderung kulturell bildender Aktivitäten hilfreich ist, um einen offenen Reflexionsraum für gesellschaftliche Probleme zu erzeugen oder zu erweitern, dass die Förderung von Kultur das kreative und innovative Potenzial der Gesellschaft aktiviert und zugleich das Kritik- und Urteilsvermögen schärft, dann wird deutlich werden, dass dadurch die Problemlösungskompetenz der Gesellschaft ebenso zunimmt wie ihre ökonomische Innovationskraft.[5,6] Und die Gesellschaft wird durch die damit gegebene erweiterte Partizipationsfähigkeit auch demokratischer.
Anmerkungen
[1] Karl Marx/Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie,Marx-Engels-Werke Bd. 3,Berlin 1973, S. 20 ff.
[2] Jerry Mander/Edward Goldsmith(Hg.): Schwarzbuch Globalisierung – Eine fatale Entwicklung mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern, München 2002; Michel Chossudovsky,The Globalisation of Poverty. Impact of IMF and World Bank Reforms, Penang 1997, deutsch: Global Brutal – Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg, Frankfurt/Main 2002; Noam Chomsky: Wirtschaft und Gewalt – Vom Kolonialismus zur neuen Weltordnung, 2. Aufl., Lüneburg 2001 Die in diesen Publikationen aufgegriffene höchst bedeutsame Problematik ist m.E. zugleich ein Beispiel für ein inadäquates und unzureichendes öffentliches Bewusstsein.
[3] Wichtige ergänzende und konkretisierende Überlegungen finden sich in: Max Fuchs: Kulturpolitik in Zeiten der Globalisierung, sowie Michael Opielka: Kunst und Kultur im Wohlfahrtsstaat, beide in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament vom 17. März 2003
[4] Michael Heinrich: Die Wissenschaft vom Wert – Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition, 2. Aufl., Münster 2001, und Karl Marx: Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie, 3Bde., Marx-Engels Werke 23 – 25, Berlin
[5] Als theoretischer Pionier auf dem Gebiet der ökonomischen Innovationstheorie gilt der Volkswirt Joseph Alois Schumpeter.
[6] Im Hinblick auf den Ist-Zustand in der Region Hildesheim heißt es im „Regionalen Entwicklungskonzept für die Wirtschaftsregion Hildesheim“ (Hannover 1998, S. XIII): „Von einzelnen Ausnahmen abgesehen ist die Wirtschaft der Region durch überwiegend traditionelle Strukturen und eine ausgeprägte Innovationsschwäche gekennzeichnet“,und: es besteht ein „erheblicher Handlungsbedarf im Bereich der Innovationsförderung kleiner und mittlerer Betriebe“.
Prof. Dr. Güter Buchholz, Jahrgang 1946, hat in Bremen und Wuppertal Wirtschaftswissenschaften studiert, Promotion in Wuppertal 1983 zum Dr. rer. oec., Berufstätigkeit als Senior Consultant, Prof. für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Consulting an der FH Hannover, Fakultät IV: Wirtschaft und Informatik, Abteilung Betriebswirtschaft. Seit 2011 emeritiert.