„Vor allem die linken Parteien schrecken inzwischen immer mehr Männer ab, die eigentlich für die Anliegen dieses Lagers mehr als aufgeschlossen wären“, schreibt Arne Hoffmann in seinem gerade erschienenen „Plädoyer für eine linke Männerpolitik“. (S. 19)
Der Text listet viele Beispiele panischer Abgrenzungen und Feindseligkeiten irgendwie linker Parteien gegenüber Männerrechtlern auf:
vom verbissenen Desinteresse an einer „Bekämpfung sozialer Nachteile“ (27) von Männern und Jungen, dem „Fall Monika Ebelings“ (18), die von Grünen, SPD, Linken, aber auch der FDP aus dem Amt als Gleichstellungsbeauftragte getrieben wurde (18), bis zu diffamierenden Schriften der SPD (338f.) oder der Grünen (347f.), die aus Steuermitteln finanziert den Einsatz für Männer- und Jungenrechte als rechtsradikal denunzieren.
Und das sind nur wenige Beispiele dafür, dass das Wort „Männer“ – so Matthias Lohre in der taz – „in der politischen Linken geradezu zu einem Schimpfort geworden“ sei. (16)
Warum eigentlich sollten sich Männerrechtler angesichts dieser entschlossenen Ablehnung ausgerechnet als „links“ bezeichnen?
„Bezeichnenderweise war es nicht das linke, sondern das bürgerliche Lager, das die ersten Schritte tat, um die bisherigen Einseitigkeiten zu überwinden“,
schreibt Hoffmann weiter (22). Angesichts dieser Situation für eine linke Männerpolitik einzutreten, wirkt wie der Versuch, mitten in Hamburg eine Werder-Kneipe zu eröffnen, weil es in Bremen ja zu einfach wäre. Oder in einem bayerischen Dorf die große Bedeutung des Preußentums zu erläutern. Was soll das?
Das Eintreten für die Rechte von Männern und Jungen setzt linke Positionen, wie immer sie auch verstanden werden, zudem überhaupt nicht voraus. Dafür genügt es, liberale Positionen zu vertreten oder sich an basalen Grundrechten, Menschenrechten und Fairnessprinzipien zu orientieren. Männerrechtler brauchen Linke nicht.
Andersherum ist das jedoch nicht so – Linke würden erheblich davon profitieren, wenn sie die Diskussionen der Männerbewegung offen und ohne irrationale Abwehr aufnehmen würden. Dafür gibt es vor allem drei Gründe.
Kraftvoll, unversöhnlich, gewaltbesoffen
Endlos sind die Belege Hoffmanns für feministisch begründete Verharmlosung und Legitimation von Gewalt – oder für die offene, hämische Freude daran, die sich beispielsweise in Alice Schwarzers triumphierenden Beifall für Lorena Bobbit zeigt, die ihrem schlafenden Mann den Penis abgeschnitten hatte.
„Eine hat es getan. Jetzt können es alle tun.“ (179)
Hoffmann schreibt ein ganzes Kapitel über die systematische Leugnung häuslicher Gewalt, soweit sie sich gegen Männer richtet oder von Frauen verübt wird (157ff.).
Er bringt unzählige Beispiele für Hate Speech, ein Gipfel davon Valerie Solanas’ „faschistischer Gewaltaufruf“ (291) SCUM, der seit Jahrzehnten wieder aufgelegt wird und der die Tötung aller Männer fordert. Gerade erlebt der entsprechende Hashtag killallmen auf Twitter eine Renaissance.
Im linken Magazin jungle world hatte Andreas Hartmann 2010 die abermalige Neuauflage von Solanas’ Schrift so kommentiert:
„Sätze wie dieser sind kraftvoll und unversöhnlich: ‚Rational denkende Männer wollen zusammengeschlagen, mit Füßen getreten, am Boden gehalten, niedergedrückt und wie Hunde behandelt werden; dreckig wie sie sind, wollen sie ihre Widerwärtigkeit bestätigt wissen.‘“
So gewaltbesoffen ein Satz auch ist, wer heute als Linker auf sich hält, entdeckt gewiss noch positive Werte darin.
Im Horizont der Menschenrechte ist Gewalt für alle ernstzunehmenden politischen Richtungen ein erhebliches Problem. Für linke Politik aber ist eine Indifferenz gegenüber Gewalt, sogar Sympathie für Gewalt in ganz besonderer Weise katastrophal.
Schließlich sind von einer Legitimation der Gewalt zuallererst diejenigen Menschen betroffen, die nicht genügend Ressourcen haben, sich selbst dagegen zu schützen. Wer Gewalt als Mittel zu wie auch immer definierten „fortschrittlichen“ Zwecken präsentiert, verwickelt sich daher notwendig in Widersprüche, weil seine Mittel eben denjenigen am meisten schaden, denen seine Zwecke nützen sollen.
In der heutigen Linken ist das Bewusstsein für solche Zusammenhänge jedoch weitgehend verschwunden, und das betrifft keineswegs nur Vertreter extremer Positionen wie die Piratin Anne Helm, die gerade erst offen die Bombardierung Dresdens im zweiten Weltkrieg gefeiert hat.
Die Kampagne gegen Ebeling durch Vertreterinnen und Vertreter allseits etablierter Parteien hatte insbesondere ihre Kritik an einer Anti-Gewalt-Kampagne zum Anlass, in dem – „Gewalt gegen Frauen und Kinder kommt nicht in die Tüte“ – allein Frauen neben Kindern als Opfer häuslicher Gewalt als schützenswert präsentiert und männliche Opfer ausgegrenzt wurden. Diese vernünftig nicht begründbare Einseitigkeit setzt sich in der gerade veröffentlichen EU-Studie zur Gewalt gegen Frauen fort.
Auch was politische Gewalt angeht, haben etablierte Parteien überraschend wenige Berührungsängste. Die Familienministerin beispielsweise posiert ohne Bedenken mit einer Frau, die gerade zwei Tage zuvor die politisch motivierte Verwüstung einer Berliner Apotheke verteidigt hatte – der Apotheker hatte Bedenken gegen den Verkauf der „Pille danach“.
Dass Gewalt nicht nur abzulehnen ist, wenn sie gegen Angehörige bestimmter Gruppen oder von Angehörigen bestimmter anderer Gruppen verübt wird – sondern dass Gewalt schlicht allgemein abzulehnen ist –, dafür haben ausgerechnet Vertreter von Gruppen, die sich als „links“ verstehen, den Sinn verloren. Dabei ist eine klare, unzweideutige Ablehnung von Gewalt gerade für eine demokratische linke Politik von enormer Bedeutung.
Wer diese Ablehnung schlüssig formulieren möchte, wird dabei kaum auskommen ohne die Kritik der Männerbewegung an einem einseitigen und zweideutigen Verhältnis zur Gewalt, hinter dem sich offenkundig häufig eine kaum verhohlene Freude an dieser Gewalt verbirgt.
Menschenrechte und der Rotz weißer Männer
„Teilnehmer eines Seminars des Internationalen Roten Kreuzes beantworteten (die) Frage, ob man Männer und Jungen als besonders verwundbare Gruppe hervorheben sollte, mit Sätzen wie ‚Ein Programm für Männer und Jungen würde kein Mensch finanzieren‘.“ (232)
Gerade angesichts der vielen Beispiele, die Hoffmann für die spezifischen, massiven Beispiele der Verletzungen von Jungen- und Männerrechten weltweit anführt, ist diese Position nicht zu rechtfertigen.
Das ist ein wesentlicher Grund für die Gewaltnähe vieler frauenpolitischer Positionen, die besonders Parteien mit linkem Selbstverständnis infiziert hat: Eine gemeinsame Perspektive im Horizont der Menschenrechte und Grundrechte wird zu Gunsten einer Gruppenmoral aufgegeben. Für die Netzfeministin Nadine Lantzsch sind Rechtsstaatlichkeit und die Tradition der Aufklärung schlicht
„Rotz von weißen europäischen Männern in mächtigen Positionen“.
Das höhlt nicht nur den Begriff des Gemeinwohls aus, sondern schadet auch den Individuen. Deren Rechte nämlich sind stillschweigend nicht mehr allgemein garantiert, sondern hängen von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten, als besonders schützenswert wahrgenommenen Gruppe ab.
Als „Menschenrechtsverletzung, unter der hierzulande am meisten Männer leiden“ (229), führt Hoffmann die Praxis der willkürlichen Vater-Kind-Trennung an und kommentiert:
„Dass sich Väter über lange Jahre hinweg bis vor dieses Gericht hochkämpfen müssen, bevor ihre Anliegen fair gewürdigt werden, ist ebenso skandalös wie, dass Luzius Wildhaber, der Präsident des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, im Jahr 2006 Deutschland erst eigens zur Umsetzung seiner Urteile ermahnen musste.“ (229f.)
Diese Mahnung richtete sich nicht nur an die große Koalition, sondern mehr noch an die rot-grüne Regierung, die zuvor Urteile zu Menschen- und Grundrechtsverletzungen über Jahre hinweg ignoriert hatte.
Auch der Verlust einer gemeinsamen Perspektive und die Aufspaltung der politischen Landschaft in Gruppen mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen ist ein Problem für alle demokratischen Gruppen, für linke aber ganz besonders. Denn wenn die Perspektive eines allgemeinen Wohls entfällt, wenn die universellen Menschenrechte in spezifische Gruppenrechte umgewandelt werden, dann setzen sich auf Dauer die Angehörigen derjenigen Gruppen durch, die sich als besonders schutz- und förderungsbedürftig präsentieren können.
Da eine solche Präsentation im Rahmen einer öffentlichen Opferkonkurrenz erhebliche Ressourcen erfordert, geraten tendenziell ausgerechnet besonders privilegierte Gruppen in den Fokus einer scheinhaft linken Politik, während Angehörige weniger privilegierter Gruppen ganz aus ihrem Bewusstsein verschwinden. Die absurde Dringlichkeit, die Sozialdemokraten der Einführung einer Frauenquote in den Spitzenbereichen der Wirtschaft zuweisen, ist nur ein besonders prominentes Beispiel dafür, wie ihre Politik ganz den Fokus verschoben hat.
Zudem verliert die Politik in der Konzentration auf Gruppeninteressen ihre Fähigkeit, gesellschaftliche Zustände zu analysieren und nicht lediglich unterschiedliche Ansprüche unterschiedlich gegeneinander aufzurechnen. Sie verliert den Horizont für eine Frage, die traditionell für linke Politik eine ganz besonders große Bedeutung hat: für die Frage nach sozialer Gerechtigkeit.
Gnade statt Würde
Hoffmann führt Beispiele dafür an, wie ein Mann, der Abstand von einer traditionellen Versorgerrolle nimmt, gerade von linker Seite aus als Provokation verstanden und als „Weichei“ (84) beschimpft wird. Das ist nachvollziehbar: Eine Politik, die ihre Konzentration ganz auf das Bedienen von Gruppenansprüchen legt, hat wenig Interesse an Einsprüchen derjenigen, die dafür notwendige Ressourcen erarbeiten.
Von der Männerbewegung wird diese Fixierung schon lange angegriffen, etwa in der Kritik an der Medienfantasie eines „Gender Pay Gaps“, die eine angeblich umfassende schlechtere Bezahlung von Frauen behauptet, ohne die für diese Bezahlung erbrachten Leistungen überhaupt zu registrieren.
„Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“: Heutige Sozialdemokraten haben den Sinn dafür verloren, was dieser Satz einmal bedeutete – und die meisten Grünen haben ihn womöglich ohnehin nie verstanden. Es geht hier eben nicht darum, dass Ansprüche bedient werden – sondern darum, dass diejenigen, die gesellschaftliche Werte erschaffen, auch das Recht haben, die Früchte ihrer Arbeit zu genießen. Was Marx als „Entfremdung“ beschrieb, war eben gerade die Perversion dieses Zusammenhangs: dass nämlich den Arbeitern die Folgen ihrer eigenen Arbeit als feindlich und destruktiv gegenübertreten würden.
Parteien, die sich heute als links verstehen, ändern solche Bedingungen nicht etwa, sondern drücken sie in die persönlichen Beziehungen der Menschen hinein. Ich kenne gegenwärtig kaum ein besseres Beispiel für Entfremdung als die Situation eines Vaters, der willkürlich von seinen Kindern getrennt wird und auch noch verpflichtet ist, zu arbeiten, um diese für ihn wie für seine Kinder schädliche Situation zu finanzieren und auf Dauer zu ermöglichen. Es ist ausgerechnet die SPD, die sich mehr als alle anderen Parteien für eine Zementierung dieser Zustände einsetzt.
In der klassischen Arbeiterbewegung war die Fixierung auf Ansprüche und das Desinteresse an den dafür zu erbringenden Leistungen mit sehr guten Gründen verpönt. Unter Bedingungen knapper Ressourcen ist jemand, der auf Dauer und ohne Not Leistungen entgegennimmt, ohne selbst Entsprechendes dafür zu tun, eine Gefahr für andere – und ganz besonders für diejenigen, die tatsächlich auf den Beistand der Gemeinschaft angewiesen sind, für Kinder, Kranke und Alte.
Die Fixierung einer vorgeblich linken Politik auf das Bedienen von Ansprüchen ist ein Symptom dafür, dass ihren Akteuren ein Leben unter den Bedingungen knapper Ressourcen längst unbekannt und auch uninteressant geworden ist.
Das hat auch Folgen für das Selbstverständnis aller Beteiligten: Während Sozialdemokratie und Arbeiterbildungsvereine tatsächlich einmal viel dafür getan haben, Menschen ein würdevolles, selbstständiges Leben zu ermöglichen und ihnen einen Stolz auf die eigene Existenz zu vermitteln, schafft eine Politik der Bedienung von Ansprüchen systematisch Abhängigkeiten. Es ist keine Politik der Würde derjenigen, die unten stehen – sondern eine Politik der Gnade derjenigen, die von oben herabblicken.
Ein von Arne Hoffmann und Walter Hollstein beschriebenes Paradox lässt sich vor diesem Hintergrund leicht erklären – dass nämlich eine Offenheit für eine progressive und zukunftsfähige Geschlechterpolitik heute eher von konservativen und klassisch liberalen Parteien zu erwarten sei als von den Parteien mit einem linken Selbstverständnis. (28)
Auch wer mit konservativen Geschlechterbildern arbeitet, kann schließlich in vielen Fällen souverän und selbstbewusst auf Anliegen einer linken Männerbewegung eingehen. Für Parteien mit linkem Selbstverständnis aber sind diese Positionen eine schwer erträgliche Provokation. Wer sich ernsthaft mit ihnen auseinandersetzt, kann nämlich nur zu dem Schluss kommen, dass diese Parteien längst den Horizont für eine linke Politik verloren und sich zudem hoffnungslos in den Versuch verstrickt haben, die verlorene Idee des Klassenkampfs durch die Idee eines Geschlechterkampfs zu ersetzen.
Das zentrale Problem linker Männerrechtler ist daher, dass sie keine politischen Bündnispartner haben. Das liegt nicht daran, dass linke Politik und Männerrechte unverträglich wären – sondern daran, dass es in Deutschland keine ernstzunehmenden Träger einer linken Politik gibt. Linke Männerrechtler rufen gleichsam in einen Wald hinein, der längst abgeholzt ist – es ist kein Wunder, das nichts wieder herausschallt.
Wer aber ein Interesse daran hat, hier wieder etwas aufzuforsten, wird nicht umhinkommen, sich diese Rufe anzuhören.
Alle Seitenangaben beziehen sich auf das Buch Arne Hoffmanns Plädoyer für eine linke Männerpolitik.
Der Artikel erschien zuerst auf man tau.
Bildquelle: „Mann der Arbeit, aufgewacht“