– vor dem Genozid, vor Kriegen und vor Katastrophen
„Das Eichhörnchen springt von Baum zu Baum. Das Eichhörnchen ist schwanzgesteuert.“ Das war einmal ein harmloser Schülerwitz. Da hatte ein Junge ein Eichhörnchen gezeichnet und diesen Kommentar dazu geschrieben. Der Spaß ist vorbei.
Heute gibt keine Unschuld mehr. Jungen werden zuerst nach ihrem Geschlecht – nach ihrem Schwanz also – beurteilt, dann nach Leistungen. Sie werden vorverurteilt. Sie werden offen diskriminiert. Allein dass sie Jungs sind, macht sie zu Verlierern.
Wer englisch kann, weiß das schon – oder könnte es wissen. Wer sich nicht an dem großen Wort vom „Genozid“ stört, kann bei you tube unter dem Titel „Genozid of Boys in Canada“ eine Zusammenstellung der Faktoren finden, die zu einer dramatischen Dezimierung von Jungen führen. Das gilt nicht nur für Kanada. Das gilt auch für uns. Auch wir haben es mit einem Krieg der besonderen Art zu tun. Christina Hoff Sommer beschreibt ihn in „The War Against Boys. How misguided feminism is harming our young men“. Als deutsche Leser können wir sehen, wie besinnungslos bei uns ausgerechnet die Fehlentwicklungen in den USA als die jeweils neuesten Schreie übernommen werden.
Kritische Stimmen aus Übersee gelten bei uns als eine Art Geheimwissen. Das muss nicht sein. Man muss nicht mal Englisch können: Auf den Seiten des Blogs „Critical science. Kritische Wissenschaft“ kann man das System der Benachteiligung von Jungs auch in deutscher Sprache nachlesen. Das sollte man tun, um ein vollständiges Bild zu haben. Sonst muss man die Sache so glauben, wie sie uns die Politik verkaufen will: Die Schäden, die sie den Jungs zumuten, werden als Erfolg der Mädchen hingestellt.
Auch bei uns gibt es große Töne: „Die Jungenkatastrophe“ heißt ein Taschenbuch von Frank Beuster. Da hat es mich schon lange gejuckt zu sagen: Das Buch ist selber eine. Es ist durch und durch vergiftet mit einem geschlechter-rassistischen Männerhass. Männer – leibliche Väter womöglich – kommen ausschließlich als defizitäre Wesen vor (ich erspare mir Belege, man würde sie auf etwa jeder dritten Seite finden), Jungs werden entsprechend als kleine Männer gesehen, die nur stören. Sie haben eine Niete gezogen; sie lassen deutlich den Makel der Männlichkeit erkennen und gehen nun zur Strafe einer Welt entgegen, in der sie nicht willkommen, ja, letztlich überflüssig sind – falls sie sich nicht schnell in eine Art weibliches Wesen verwandeln. Der reißerische Titel lässt die Lesart absichtlich zu: Es sind nicht etwa die Umstände, es sind die Jungen selber, die als „Katastrophe“ angesehen werden sollen. „Diagnose: Junge“ steht auf der Rückseite.
Das wäre Arne Hoffmann nicht passiert. Er hat solche Vorurteile nicht. Er hält sich an die Fakten. Er haut nicht auf die Pauke. Sein Stil ist sachlich und unaufgeregt. Er ist fleißig gewesen und hat eine beeindruckende Menge von Belegen gesammelt, die er gut geordnet und zu einem Gesamtbild zusammengefügt hat, das für sich spricht. Seiner Diagnose kann man kaum widersprechen: Jungs sind nicht etwa minderwertige Ware aus dem großen Bio-Laden des Lebens; ihr Unglück ist vielmehr – hier trifft die Formulierung zu – „sozial konstruiert“. Sie sind so „gemacht“ worden. Es ist so gewollt. Arne Hoffmann nennt die Macher beim Namen und dokumentiert ihr Wirken. Doch dabei bleibt es nicht. Er zeigt auch auf, was dagegen zu tun ist.
Wäre sein „Rettet unsere Söhne“ ein Taschenbuch, würde ich sagen, dass es in jedes Lehrerzimmer gehört, in jedes Jugendzentrum; jeder Mutter und jedem Vater müsste es zur Geburt eines Sohnes geschenkt werden. Nun ist es eben ein E-book. Alle, die wissen wollen, in was für einer Welt die Jungs heute leben, sollten es lesen. Wenn die Jungs ein bisschen älter werden, können sie es selber lesen, sich über die Versäumnisse ihrer Eltern informieren und vielleicht sogar selber ein wenig zu ihrer eigenen Rettung beitragen.
Das wäre ihnen zu wünschen.
Arne Hoffmann: „Rettet unsere Söhne“