Früher musste die Karriere auf Eis gelegt werden für die Kinder – heute soll es andersherum funktionieren. Was als weiterer emanzipatorischer Schritt gefeiert wird, ist in Wirklichkeit Abzocke, die mit den Ängsten von Frauen spielt.
Es wird als Sieg der Frau über ihre eigene Biologie gefeiert und schwappt als Trend gerade aus den USA nach Deutschland: Social Freezing. Frau lässt sich ihre Eizellen in jungen Jahren einfrieren, um sie bei Bedarf wieder aus dem Eisregal zu holen.
Der medizinische Fortschritt macht es möglich, sich unbelastet von Torschlusspanik und laut tickender, biologischer Uhr erst einmal um Karriere und sonstigen Lebensinhalt zu kümmern und den Kinderwunsch auf später zu vertagen. Das Ganze nennt sich dann Emanzipation. So weit die Theorie.
Bereits im April titelte die amerikanische Zeitschrift „Bloomberg Business“ mit der Zeile: „Freeze your eggs, free your career“ – also befreie deine Karriere, indem du deine Eier einfrierst. Während man also früher die Karriere auf Eis legen musste, um Kinder zu kriegen, kann man heute die Kinder auf Eis legen, um Karriere zu machen. Ein echter Paradigmenwechsel.
In der Unterzeile das Versprechen, dass diese neue Fruchtbarkeitsprozedur Frauen eine größere Wahl lässt in ihrem Bemühen, alles zu haben: Familie und Karriere. Im Text dann Frauen, die ihre Eier einfrieren ließen und davon sprechen, welche Last damit von ihnen genommen wurde. Die Uhr ticke nicht mehr, die Partnersuche sei unverkrampfter, berufliche Projekte könnten realisiert werden, ohne den ständigen Druck, dass es bald zu spät sein könnte. Welch eine Befreiung!
Die endgültige Befreiung der Frau
Es muss für viele ein echtes Ärgernis sein, dass ein Mann weit länger zeugungsfähig ist als eine Frau fruchtbar. Ein echter „Gender Gap“, der sich auch nicht in Stuhlkreisen dekonstruieren ließ; hier schlägt die Biologie erbarmungslos zu. Entsprechend wird nun diese Methode, sich von der eigenen körperlichen Vergänglichkeit als Frau zu emanzipieren, als neue Chance für die allgemeine Emanzipation der Frau herbeigeschrieben.
Während Mann sich also erst mal auf die Karriere konzentrieren kann, um auch mit 50 noch mit einer jungen oder einer Zweitfrau ein Kind zu zeugen, wird Frau ab 30 zunehmend unruhig. Sie muss sich entscheiden: Kind oder Karriere, faktisch läuft es bei einer zunehmenden Zahl von Frauen darauf hinaus, dass sie den Kinderwunsch ins spätere Leben verschieben. Die Zahl der Frauen, die erst jenseits von 35 ihr erstes und nicht selten ihr einziges Kind bekommen, steigt rapide an.
Bislang zahlten viele aber einen hohen Preis: Das Kind, dass man 20 Jahre verhütet hatte, will sich nicht auf Kommando oder oft auch gar nicht mehr auf natürlichem Weg zeugen lassen. Selbst künstliche Befruchtung half vielen am Schluss nicht weiter, denn ihre Eizellen waren zu alt. Ein Eisfach, viel Geld und eine Armada von Reproduktionsmedizinern versprechen nun die Lösung, die nicht weniger sein soll als die endgültige Befreiung der Frau.
Nun kommt der Trend auch in Deutschland an. Gerade beschrieb die Kollegin Nicola Abé im „Spiegel“, warum sie mit 34 Jahren 16 ihrer Eizellen einfrieren ließ. Die Eizellen gäben ihr ein „Gefühl von Freiheit“. Ihr Kollege Fleischauer kommentiert, das Verfahren könnte das Verhältnis zwischen den Geschlechtern „revolutionieren“, die nächste Stufe der Befreiung der Frau komme aus dem Labor.
Millionen potenzieller neuer Kundinnen
Zunächst aber ist diese Methode des „Egg Freezing“ nichts Neues. Sie wurde einst entwickelt, um beispielsweise Frauen, die vor einer Chemotherapie stehen und drohen, dadurch unfruchtbar zu werden, einen späteren Kinderwunsch zu ermöglichen. Das Verfahren wurde inzwischen nur weiter optimiert, von einem langsamen Einfrieren hin zu einer Art Schockfrosten. Damit ist nun besser gewährleistet, dass die empfindliche Eizelle bei dem Prozess nicht kristallisiert. Neu ist nur, dass man das Wort „sozial“ davor gestellt hat – und siehe da: Schon ist es Emanzipation – oder auch einfach nur ein ganz neuer Markt für die Reproduktionsmedizin.
Plötzlich hat man Millionen potenzieller neuer Kundinnen, wenn man ihnen nur einredet, dass es nicht etwa ein risikoreiches und kostenintensives Vabanquespiel ist, die eigene Biologie austricksen zu wollen, und sie stattdessen durch die neue Labortechnik befreit werden.
Es gibt doch zu denken, wenn selbst die „American Society For Reproductive Medicine“ (ASRM) davor warnt, das Kinderkriegen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, und das sind die Leute, die sich damit am besten auskennen und am meisten finanziell profitieren. Wenn selbst diese Mediziner vor zu hohen Erwartungen warnen, lohnt doch ein zweiter Blick.
Denn was vor lauter Emanzipationseuphorie gerne weggelassen wird, sind die unschönen Fakten.
Die eingefrorenen Eizellen später einsetzen zu lassen, bedeutet, dass man eine künstliche Befruchtung vornehmen lassen muss. Die Erfolgsquoten mit einer Lebendgeburt pro behandeltem Zyklus lag bei einem solchen IVF- (In-Vitro-Fertilisation) Verfahren 2012 in Deutschland bei maximal 23 Prozent.
Nun werden findige Leser entgegnen, dass auch beim natürlichen Geschlechtsakt ohne Reagenzglas und Kühlfach die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft nicht höher ist. Der Unterschied liegt darin, dass ich die natürliche Zeugung mit deutlich höherem Spaßfaktor täglich mehrfach kostenlos wiederholen kann und dazu weder Geld noch Technik noch einen Arzt brauche, sondern nur einen willigen Partner.
Hormonbomben, die Frau ihrem Körper da zumutet
Die Hormonbehandlungen, die sowohl bei der Entnahme der Eizellen als auch beim Wiedereinsetzen bei der Frau nötig werden, sind gesundheitlich nicht unbedenklich. Es sind genau genommen Hormonbomben, die frau ihrem Körper da zumutet, es ist körperlich und nicht selten psychisch belastend. Eine Schwangerschaft jenseits von 35 Jahren wird zudem immer automatisch als Risikoschwangerschaft eingestuft – wegen des Alters der Mutter – und endet nicht selten mit einem Kaiserschnitt. Bis zum Schluss ist ein Arzt nötig.
Vor allem aber kostet es einen Haufen Geld: Die Entnahme der Eier kostet einen dreistelligen Betrag, die Lagerung der Eier pro Jahr mehrere Hundert Euro und jeder Versuch einer künstlichen Befruchtung mehrere Tausend Euro. Die Krankenkassen zahlen das nicht. Was ist das also für eine Befreiung der Frau, die gesundheitlich riskant, deren Erfolgschancen gering und deren Kosten dafür hoch sind? Anstatt von der Biologie, ist Frau dann also nur noch abhängig vom Reproduktionsmediziner ihres Vertrauens und der Dicke ihres Geldbeutels.
Man ahnt zudem schon die gesellschaftlichen Debatten, die kommen werden: Als Erstes wird die Diskussion darüber entbrennen, dass die Kosten des Social Egg Freezing von der Krankenkasse übernommen werden sollten. Bislang zahlen die Krankenkassen drei Versuche der künstlichen Befruchtung bei Paaren, die ohne Verschulden auf natürlichem Weg kein Kind zeugen können. Hier könnte man schon berechtigterweise fragen, warum drei, warum nicht zwei oder fünf oder neunzehn? Wer legt das fest? Vermutlich die Erbsenzähler in der Budgetverwaltung der Krankenkassen.
Sei es drum, aber was ist mit denen, die ihre natürliche Fruchtbarkeit vorsätzlich verstreichen lassen: Muss die Solidargemeinschaft dafür haften? Ich höre schon die Einwände, schließlich geht es doch hier um Gleichberechtigung der Frau und ihre reproduktiven Rechte! Und wie unsozial ist das denn, dass sich nur Reiche diese exquisite Behandlung leisten können! Das schreit förmlich nach Ungerechtigkeit. Zuerst bezahlen wir also die Verhütungsmittel, inzwischen auch auf Staatskosten. Wir bezahlen auch die Abtreibungen aus sozialen Gründen auf Kosten der Krankenkassen. Nach dem „Recht auf Verhütung“ und dem „Recht auf Abtreibung“ wird es nicht lange dauern, bis wir das „Recht auf Befruchtung“ diskutieren.
Eine moderne Version von Menschenhandel und Ausbeutung
In der Natur der Sache liegt zudem, dass auf kurz oder lang überschüssige Eizellen in Eisfächern liegen, die keiner mehr will oder keiner mehr braucht. Pro Versuch dürfen laut Gesetz maximal drei Eizellen eingesetzt werden, wegen der Risiken von Mehrlingsgeburten. Gehen wir von einem sofortigen Treffer aus, liegen beispielsweise bei der „Spiegel“-Kollegin Abé anschließend noch 13 Eizellen im Eisfach. Was für eine Verschwendung. Wir werden also über die Eizellspende neu diskutieren. Genau genommen tun wir es ja heute schon, der deutsche Ethikrat hatte das Thema Eizellspende und Leihmutterschaft bereits auf der Tagesordnung seiner Jahrestagung und auch die Arbeitsgruppe Fortpflanzungsmedizin der Nationalakademie Leopoldina beschäftigt sich damit.
Schon heute bemängeln die Reproduktionsmediziner in Deutschland, dass ihnen nicht die gleichen Wege offen stehen wie den Kollegen weltweit. Und wie praktisch, dass dann Eizellen da sind, die man „spenden“ oder sagen wir besser: verkaufen kann. Ist die Mutter schon zu alt, um die Strapazen einer Schwangerschaft noch auf sich nehmen zu wollen oder zu können, dann warum nicht eine Leihmutter mit jungem, frischem Körper und Geldproblemen? Ist da nicht beiden Seiten geholfen?
Dieser Markt floriert bereits weltweit und ist abseits von Sozialgequatsche de facto nichts anderes als eine moderne Version von Menschenhandel und Ausbeutung. Kinderkriegen als Dienstleistung. Ein Baby wird bestellt, bezahlt und abgeholt. Oder auch nicht – wie der aktuelle Fall aus Thailand zeigt, wo das australische Bestellerpaar die thailändische Leihmutter mit einem der Zwillinge sitzen ließ, weil der Junge behindert auf die Welt kam. Produktionsmangel – die Ware war einfach nicht einwandfrei.
Um solche Fälle zu vermeiden, gibt es dann die erneute Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik, damit schon im Reagenzglas nur gesunde Kinder weiterleben. Kostet natürlich extra. Nicht zuletzt freuen sich die Stammzellforscher, die „überschüssige“ Embryonen brauchen und sich dann ebenfalls aus dem Eisfach bedienen können.
Wer ist denn Vater und Mutter?
Auch die Familienrechtler unter den Juristen können sich schon mal auf ein ganz neues Arbeitsfeld einstellen, denn Unterhaltsrecht, Erbrecht, Abstammung – alles muss neu diskutiert werden. Früher konnte man sich ja noch an den alten Spruch halten „mater semper certa est“ – die Mutter ist immer sicher. Aber wer ist denn Vater und Mutter, wenn, was heute schon technisch möglich ist, ein Kind mit Eizellspende und Samenspende von einer Leihmutter ausgetragen wird, um dann von einem fremden Paar adoptiert zu werden? Ganz im Sinne von Gender Mainstreaming ist Elternschaft dann nur noch eine soziale Konstruktion, die nichts mehr mit Biologie, sondern nur noch mit Zuschreibung zu tun hat.
Befreiung? Emanzipation? Ein Scherz, wenn einem das Lachen nicht im Halse stecken bleiben würde. Während Mutterschaft früher ein natürlicher Prozess war, legen wir die Frage der Fortpflanzung zunehmend in die Hände von Forschern und Ärzten und bezahlen dafür, dass sie uns befruchten.
Hier wird mit den Ängsten und Hoffnungen von Frauen gespielt, damit Geld verdient und dazu ist es auch noch ein subtiler Weg, die Arbeitskraft der Frauen freizusetzen in einem Alter, in dem sie nicht nur am fruchtbarsten, sondern auch am leistungsfähigsten sind. Das freut auch noch die Wirtschaft! Die Rush Hour des Lebens wird also entzerrt auf Kosten des Kinderwunsches mit dem vagen Versprechen, diese Freuden zu einem späteren Zeitpunkt nachholen zu können und zwar dann, wenn die Biologie normalerweise sagt, man sei bereits zu alt zum Kinderkriegen.
Abseits von ethischen Bedenken und gesundheitlichen Risiken bleiben am Schluss noch die Kinder, deren Rechte wir zwar immer gerne diskutieren, allerdings aus der Perspektive von Erwachsenen.
Das Kind, es soll nicht kommen, wenn wir keine Zeit haben, aber sich einstellen, wenn uns danach ist. Es soll gesund sein und möglichst hochbegabt, schließlich hat man eine Menge Geld investiert, um es zu kriegen. Jetzt kann es sich auch noch darauf einstellen, mit der Volljährigkeit direkt in die Pflege der eigenen Eltern einzusteigen, denn wer mit 45 sein erstes Kind bekommt, ist zum Abitur des Sprösslings bereits Rentner.
Zuerst erschienen auf theeuropean.de
Birgit Kelle arbeitet als freie Journalistin und Autorin.
Sie wurde 1975 in Siebenbürgen, Rumänien, geboren und siedelte als Neunjährige mit ihrer Familie noch aus dem real existierenden Kommunismus nach Deutschland um.
In verschiedenen Landtagen und vor dem Familienausschuss des Deutschen Bundestages trat sie als Sachverständige für die Interessen von Müttern und Familie, sowie als Expertin im Themenkomplex Gender auf. Als regelmäßiger Gast in diversen Talksendungen im Deutschen Fernsehen zu den Themenfeldern Familien-, Frauen-, Genderpolitik und Feminismus-Kritik wurde sie einem breiten Publikum bekannt.