Linkes Selbstverständnis als Anspruch und Irrtum

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Alban Werner, ein Mitglied der Partei der LINKEN, hat in den Blättern für deutsche und internationale Politik einen lesenswerten Artikel über die „Alternative für Deutschland“ (AfD) veröffentlicht, in dem er sich, auch wenn es ihm, wie manche Formulierungen erkennen lassen, schwer gefallen und nicht immer gelungen ist, doch erkennbar um eine gewisse Sachlichkeit und Differenzierung bemüht hat.

Angesichts des trüben Zustandes der öffentlichen politischen Diskurse in diesem Land ist das bereits ein Lob. Mein Interesse an diesem Text richtet sich jedoch nicht auf die AfD und auch nicht auf die Frage, wie die diesbezüglichen Einschätzungen von Alban Werner zu beurteilen sind. Darüber mögen sich die Leser seines Artikels selbst Gedanken machen. Mich interessiert hier allein, was dieser Text über das heutige linke Selbstverständnis aussagt.

Was sagt uns hier der Peter, indem er über den Paul spricht, über den Peter? Das ist die Frage! Ich stelle einige Zitate vor und kommentiere sie:

Erstes Zitat:

„Heute kristallisieren sich in der AfD mindestens drei Grundströmungen heraus: eine neoliberal-konservative, eine nationalkonservative und eine rechtspopulistische, wobei diese jeweils ziemlich unterschiedliche Schwerpunkte verfolgen. Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel sind die prominentesten Köpfe eines radikalen Wirtschaftsliberalismus. Dabei vertreten sie einen „farbenblinden“ Kapitalismus. Hautfarbe, Geschlecht und Glaubensbekenntnis der wirtschaftlichen Transaktionspartner sind ihnen im Grunde gleichgültig, wichtig ist ihnen eine optimale Verwertung aller eingesetzten Mittel. Henkel hat sich als Unterstützer von Pro Asyl und Amnesty International sowie als Mitglied der 2000 von Rot-Grün eingesetzten Süssmuth-Kommission zuwanderungspolitisch sogar links von der SPD positioniert.“

Werner bescheinigt hier Lucke und Henkel, dass ihre Sichtweise und Haltung exakt dem deutschen Grundgesetz entspricht, und dass sie überdies moralisch gerechtfertigt werden kann. Hautfarbe, Geschlecht und Glaubensbekenntnis sollen keine Rolle spielen, und sie spielen für Lucke und Henkel tatsächlich keine Rolle. Beide sind also mit Sicherheit keine Rassisten. Werner hingegen ist entgegen dem Art. 3 (3) des Grundgesetzes der Auffassung, dass diese biologischen Merkmale eine Rolle spielen sollten. Das aber ist kompatibel mit Rassismus und Sexismus und mit Diskriminierung.

Weiter meint Werner, er könne Marx, denn auf wen sonst bezieht er sich dabei, einen „farbenblinden“ Kapitalismus vorwerfen. Das ist ein erstaunlicher Hinweis. Denn die Kritik der politischen Ökonomie („Das Kapital“, Bde. I – III) kennt nur ein kategoriales System abstrakter Wertformen. Die Berücksichtigung biologischer Merkmale, wie sie später von den Nationalsozialisten und heute von den Feministinnen für wichtig gehalten wurden bzw. werden, waren Marx und seinem theoretischen System völlig fremd. Ein Kapitalist ist ebenso wie eine Arbeitskraft ein Abstraktum, und biologische Merkmale sind ohne Bedeutung.

Alban Werner ist hier offenbar dem Unsinn des heutigen Zeitgeistes, oder richtiger den entsprechenden Partialinteressen unterlegen, ohne das überhaupt zu bemerken.

Zweites Zitat:

„Einen gänzlich anderen Pol repräsentiert Beatrix von Storch (…). Zu den wichtigsten Feindbildern der christlichen Rechten von Storch gehören Antidiskriminierungspolitik zugunsten von Homosexuellen, die als „Gender-Ideologie“ kritisierte Gleichstellungspolitik sowie Politik zugunsten reproduktiver Rechte von Frauen. In Baden-Württemberg wurde ein Arbeitskreis „Christen in der Alternative für Deutschland“ gegründet, der die Aktivitäten ähnlich denkender Mitglieder vernetzen soll. Dazu gehört sicherlich der sächsische AfD-Landesverband. Er stützt sich unter anderem auf das Milieu von „Lebensschützern“ und stark homophoben, von einem religiösen Konservatismus geprägten Bewohnerinnen und Bewohnern des „Bibelgürtels“ nahe dem Erzgebirge.“

Es ergibt sich unmittelbar, dass Alban Werner eine homophile Politik ebenso für politisch links hält wie die Gender- und Gleichstellungspolitik, wobei er zwischen den beiden nicht zu differenzieren weiß; außerdem sieht er offenbar Abtreibungen als ein linkes politisches Anliegen.

Aber woher nimmt Werner das? Es ist dies doch nicht mehr als eine unreflektierte Übernahme zeitgeistiger Elemente des Feminismus und der Homosexuellen-Bewegung! Es mutet schon seltsam an, wenn sich hier jemand, der sich selbst derart unreflektiert verhält und anscheinend nicht weiß, was Gleichstellungspolitik tatsächlich ist, abfällig über Leute auslässt, die er als religiöse Konservative bezeichnet. Ich bin selbst nicht religiös, aber ich respektiere Menschen, die religiös sind, weil jeder Mensch seinen Weg finden muss, mit existenziellen Problemen, mit Leid und Tod so umzugehen, dass er damit leben kann. Und ich denke nicht, dass das ein Thema arroganter Besserwisserei ist, was immer man sonst zum Thema Religion auch denken mag.

Natürlich kann Alban Werner sagen, er sei homophil, oder er sei Feminist, oder er befürworte Abtreibungen, nur hat das alles nicht das geringste mit einer begründeten linken Position, sondern allein etwas mit Alban Werner zu tun. Und ich frage: Was ist gut an Abtreibungen? Das nämlich ist die hier zu stellende moralphilosophische Frage.

Drittes Zitat:

„Für eine dezidiert rechtspopulistische Ausrichtung der Partei sind in der Vergangenheit verschiedene Kräfte eingetreten, darunter die formaljuristisch unabhängige „Junge Alternative“, die noch um Anerkennung als offizieller Jugendverband der AfD buhlt. Im Europawahlkampf fiel der Verband auf mit Frauen herabwürdigenden Fotos sowie dem Slogan „Gleichberechtigung statt Gleichmacherei“, gerichtet gegen Geschlechterquoten.“

Alban Werner hat, wie er hier demonstriert, schlicht keine Ahnung von Begriffen wie Gleichberechtigung, Gleichstellung und Geschlechterquoten. Es gibt dazu eine ausführliche Debatte. Und wer sich dazu öffentlich äußert, der sollte den Stand der Diskussion kennen und nicht nur zwei unverstandene Schlagworte.

Viertes Zitat:

„Geht es der wirtschaftsliberalen Professorenriege in erster Linie darum, die als Vorbotin einer Haftungs- und Sozialunion interpretierten Maßnahmen von der EU-Krisenpolitik zu stoppen, möchten die Nationalkonservativen vor allem die als kulturell lebensnotwendig verstandenen Institutionen erhalten – wie heteronormative Ehe und Familie, deutsche (vor allem christliche) „Leitkultur“ und den materiellen Lebensstandard. Die rechtspopulistische Strömung ist sogar noch radikaler in ihrer Kritik der real existierenden europäischen Integration und zielt darauf, kompromisslos gruppenbezogen-menschenfeindliche Ressentiments in der Wählerschaft anzusprechen.“

Ich frage mich erstens, ob Alban Werner keine Eltern hatte, also nicht aus einer von ihm so genannten „heteronormativen Ehe und Familie“ stammt. Das würde mich doch sehr wundern. Und was ist denn gegen die gesellschaftlichen Institutionen Ehe und Familie, die im Grundgesetz im Art. 6 als besonders schützenswert hervorgehoben werden, eigentlich vorzubringen?

Die neiderfüllte homophile Häme, die hier aus Alban Werner spricht, hat sehr wenig für sich, und mit einer politisch linken Position hat sie nicht das geringste zu tun; eher schon mit einer erheblich verzerrten Realitätswahrnehmung.

Und was gruppenbezogen-menschenfeindliche Ressentiments angeht, da sind nun gerade die von Werner so geschätzten Feministinnen das Paradebeispiel. Was diese sich diesbezüglich fortlaufend gegenüber Männern leisten, das geht, wie das Sprichwort es sagt, auf keine Kuhhaut. Man merkt das schnell, wenn man sich auf das Thema einlässt. Dass Feministinnen, Alban Werner und ähnliche Leute das nicht wahrhaben wollen, das ist schon klar, aber die Belege liegen in breiter Form vor.

Schließlich sei hier erstens angemerkt, dass der Begriff der Leitkultur von Bassam Tibi stammt und zweitens, dass es angesichts einer christlichen Geschichte von zweitausend Jahren nicht überraschen kann, dass das Christentum unsere Kultur geprägt hat, einerlei, wie man selbst heute dazu stehen mag.

Fünftes Zitat:

„Auch der sächsischen AfD geht es ausdrücklich um die Pflege der (ostdeutschen) Identität – darum, „Werte zu fördern, die besonders auf dem Lande noch gepflegt werden: (…)“ Präsentiert werden eine Reihe von Ge- und Verboten, allesamt mit dem Ziel, die traditionelle heteronormative Familie vom Veränderungsdruck von innen (durch Modernisierung der Geschlechterbeziehung und Wunsch nach kinderlosem Glück) und außen institutionell abzuschirmen (durch Abschwächung ihrer Einzigartigkeit über Zulassung von „Homoehe“ und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare). Die Landesvorsitzende Frauke Petry fiel zudem mit Vorschlägen auf, „das Wort einer ‚aktiven Bevölkerungspolitik‘ in den Mund zu nehmen“ und die Drei-Kinder-Familie als gesellschaftliches Leitbild zu etablieren. Andererseits führt die familienpolitische Priorität auch zur Unterstützung von „Studieren mit Kind“-Modellen und zur Ablehnung eines „wirtschaftspragmatischen“ Bildungsbegriffs, „der primär nach der unternehmerischen Verwertbarkeit bestimmter Bildungszustände fragt: keine Bildungsinstitution darf als reiner Zulieferbetrieb für die Industrie umfunktioniert werden“, die keineswegs als reaktionär zu qualifizieren sind. Hier reagiert die AfD klug auf Missstände, die die neoliberale Politik vergangener Jahre hinterlassen hat, auch und gerade zum Unmut bürgerlicher Kreise.“

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Woher bei Alban Werner seine offensichtliche Feindseligkeit gegenüber der traditionellen Familie mit eigenen Kindern – und 2 – 3 müssen es sein, damit die Bevölkerungszahl konstant bleibt – stammt, das bleibt im Dunkeln, aber sicher ist, dass eine rationale und kritische Auseinandersetzung mit dieser Institution keine Quelle dafür ist. Also bleiben nur irrationale Ressentiments als Erklärung übrig.

Und was ist mit „Modernisierung der Geschlechterbeziehung“ gemeint? Nur das, dass die tradierte Arbeitsteilung neu verhandelt und eingestellt werden soll? Und was meint die Verbindung dieser Modernisierung mit „kinderlosem Glück“? Warum sollte das denn kinderlos bleiben? Wegen eines überbordenden Narzissmus der Eheleute? Oder wegen homosexueller Partnerschaften? Offenbar dieses, denn Werner erwähnt sogleich die Zulassung der „Homoehe“ und, im Widerspruch zum „kinderlosen Glück“, das „Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare“.

Aber es gibt kein Recht auf Kinder, für niemanden. Es gibt nur maßlose narzisstische Ansprüche in der feministischen und in der Homo-Szene, wie sich hier zeigt. Und Adoptionen dienen primär den Kindern und gerade nicht der subjektiven Wunscherfüllung von Paaren. Es zeigt sich hier, dass es lediglich um ganz spezielle und durchaus fragwürdige Partialinteressen geht.

Politisch links ist, wer sich gegenüber der kapitalistischen Produktionsweise kritisch positioniert, nicht aber, wer Homosexualität irrtümlich für Fortschritt hält.

guenter buchholz
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Prof. Dr. Güter Buchholz, Jahrgang 1946, hat in Bremen und Wuppertal Wirtschaftswissenschaften studiert, Promotion in Wuppertal 1983 zum Dr. rer. oec., Berufstätigkeit als Senior Consultant, Prof. für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Consulting an der FH Hannover, Fakultät IV: Wirtschaft und Informatik, Abteilung Betriebswirtschaft. Seit 2011 emeritiert.