Menschlichkeit zum halben Preis

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Andrea Nahles folgt, wie sie in ihrem Buch Frau, gläubig, links: Was mir wichtig ist selbstbewusst verkündet, der Weisung: „Mach’s wie Gott: werde Mensch“! Doch wie hält es die SPD mit Menschen, die keine Frauen sind?

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„Wer die menschliche Gesellschaft will …“, heißt es ihrem Parteiprogramm – nun, das will jeder! Ich kenne keinen, der etwas dagegen hätte (außerdem ist es „alternativlos“, wie Angela Merkel sagen würde, bei Tieren spricht man nicht von „Gesellschaft“), doch – Halt! – es geht noch weiter: „ … muss die männliche überwinden.“

Wie bitte? Ist Menschlichkeit neuerdings nicht mehr etwas, das für Männer und Frauen gleichermaßen gilt, sondern nur noch für Frauen? Sehen sich die Frauen etwa als Alleinerbinnen des Menschlichen und verlangen obendrein die Überwindung von allem Männlichen? Demnach wären Männer nicht bloß Menschen zweiter Klasse, woran sich so mancher, der Frauen bereitwillig als die besseren Menschen ansieht, womöglich schon gewöhnt hat; nein, Männer wären demnach gar keine Menschen mehr, sie wären grundsätzlich unerwünscht, und in der Utopie der SPD nicht mehr vorgesehen.

Sie können jedoch wieder zu Menschen werden; dazu müssen sie allerdings Bedingungen erfüllen, die … nun ja, das weiß keiner so genau, die AGB/MG (allgemeine Geschäftbedingungen für die menschliche Gesellschaft) sind noch in Arbeit, doch das Häkchen ist gesetzt, die Bedingungen sind anerkannt. Nun ist es zu spät. Wie eine „menschliche Gesellschaft“ beschaffen sein muss, ist unklar, das liegt im Nebel. Klar ist nur, dass wir mit Willenskraft dahin gelangen müssen; denn so richtig menschlich – das ist eine gewisse Überraschung – ist unsere Gesellschaft momentan noch nicht. Wäre sie das, was man gleichwohl annehmen muss (denn was sollte sie sonst sein? Etwa: nicht menschlich? Oder: noch nicht menschlich?), dann bräuchte man so einen Programmpunkt überhaupt nicht.

Dass es der SPD an Visionen fehle, ist ein alter Hut. Es fehlt noch mehr. Es fehlt an erstrebenswerten Zielen, an Zukunftsversprechungen, es fehlt im weitesten Sinne an „guten Aussichten“. Die SPD sendet kein positives Signal, das uns zeigt, wohin die Reise gehen soll, wo es besser sein wird, als es schon ist, und wir uns jetzt schon darauf freuen können. Es gibt nur ein sehr weit gefasstes Ausschlusskriterium, nur ein negatives Signal, das uns sagen will, wer von der Fahrt ins Glück ausgeschlossen werden soll: „das Männliche“.lassahn-frau-ohne-welt

Das ist jedoch etwas, das Männer in ihrem Wesen ausmacht und nicht etwa eine bloße Eigenschaft darstellt oder eine lästige Angewohnheit, die man genauso gut ablegen könnte, wie Jeans, für die man zu alt oder wie ein Mantel, der aus der Mode ist. Ein Mann kann das „Männliche“ per Definition nicht ändern, nicht ablegen – und nicht „überwinden“. Männer können nach der SPD-Formel nicht wieder zu Menschen werden.

Die Zeiten, als die SPD noch eine Volkspartei war, die doppelt so viele Mitglieder hatte wie heute, und Peter Alexander – als Mann, wohlgemerkt! – fröhlich singen konnte „Hier ist ein Mensch, der will zu dir …“, sind vorbei. Heute kann man nicht mehr selbstverständlich „davon ausgehen“ (wie Politiker gerne sagen), dass ein Mann auch automatisch ein Mensch ist. Dieses Glück haben nur Frauen. Es ist wahrlich ein übles Zitat. Und wer hat’s erfunden? Ein Mann. Erhard Eppler. Vielleicht hat er sich dabei von Friedrich Hölderlin inspirieren lassen und seinem berühmten Satz: „Handwerker sehe ich und keine Menschen.“

Nein, eher nicht. Bei Hölderlin müssen die Handwerker schließlich nicht überwunden werden – und außerdem: Bei der Sprachverwirrung, von der die SPD zur Zeit befallen ist, müsste es unter Genossinnen und Genossen korrekterweise heißen: „Handwerkerinnen und Handwerker sehe ich …“ *, und dann wäre der Witz weg. Denn der Witz – es ist allerdings ein schlechter – liegt gerade darin, dass man das Weibliche gegen das Männliche ausspielt und dabei den Männern generell die Menschlichkeit abspricht.

Der Satz stellt grundsätzliche Fragen: Seit wann haben wir eine männliche Gesellschaft? Seit Abraham und Isaak? Seit 1949? Seit 1989? Seit die SPD diesen Begriff erfunden hat? Und woran erkennt man sie? An den Ampelmännchen? Und wie kann man sie „überwinden“? Es ist nämlich sehr schwer, ja, geradezu unmöglich, etwas zu überwinden, dass es gar nicht gibt. Die einzige „männliche Gesellschaft“, von der ich weiß, ist die, von der in Robinson Crusoe berichtet wird.

Und wie soll die „Überwindung“ erfolgen? Reichen da friedliche Mittel? Würde es irgendetwas nützen, wenn ich als Mann in Zukunft nur noch Frauenfußball gucke? Ist es für einen Mann überhaupt möglich, am Aufbau so einer menschlichen Gesellschaft mitzuwirken, ohne sich vorher einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen? Ist eine menschliche Gesellschaft à la SPD womöglich halbseitig gelähmt und völlig männerfrei?

Der Eindruck entsteht gelegentlich: Als das Ministerium für Familie noch in SPD-Hand war, haben sie eine Broschüre herausgegeben mit Bildern, auf denen ausschließlich Frauen abgebildet waren; denn auch eine allein erziehende Mutter galt ihnen bereits als Familie, besonders dann, wenn außerdem noch die Oma gepflegt wurde. Da haben Männer oft im Geiste ein Schild aufleuchten gesehen: „Wir müssen leider draußen bleiben“.

Dennoch: Wir (die humorvollen Männer) sind bereit, ein Auge zuzudrücken und großzügig so zu tun, als müsste man das nicht so ernst nehmen, was dann womöglich etwas gönnerhaft wirkt. Wir ahnen, wie es zu so einem Satz gekommen ist. Inspiriert ist er nicht etwa durch hohe Literatur, sondern durch niederen Opportunismus. Die SPD möchte vor allem Wählerinnen gewinnen, möchte die ASF (Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen) stärken, möchte mit Frauenthemen punkten und dabei auf einen Zug aufspringen, der abgefahren ist. Erhard Eppler hatte sich den Satz schon 1989 ausgedacht – da war der Zug auch schon weg und der Schlager Es fährt ein Zug nach nirgendwo war auch nicht mehr neu. Inzwischen ist der Zug weit über das Ziel hinaus gefahren und hat nirgendwo angehalten.

Nun steht es geschrieben. Es ist nicht etwa eine lässige Bemerkung, die einer nebenbei gemacht hat. Der Satz wurde diskutiert und abgewogen und in Marmor gemeißelt. Es handelt sich nicht um den einmaligen Ausrutscher von einem Mann namens Erhard Eppler, den ich nicht persönlich angreifen möchte. Er hat tapfer versucht, die Stimmungslage in der Partei zusammenzufassen, und das ist ihm gelungen – doch in der Zuspitzung ist leider auch das unmenschliche Gesicht deutlich geworden. Man muss vorsichtig sein, wenn von „Menschheit“ die Rede ist. An dem Diktum „Wer Menschheit sagt, will betrügen“, ist offenbar etwas dran. Ich bin immer skeptisch, wenn jemand mit einem Oh-Mensch-Pathos auftrumpft. Das gilt auch für Herbert Grönemeyer.

Der Satz erinnert weniger an Friedrich Hölderlin als vielmehr an Otto Weiniger, einem der ideologischen Wegbereiter des Nationalsozialismus, der einst meinte, dass Jesus erst in dem Augenblick „Mensch“ wurde, als er „das Jüdische überwunden“ hatte. Nun hat Weiniger in der „Hall of Shame“ der berühmten, politischen Eigentorschützen unvermutet Gesellschaft gefunden; denn so wie Eppler die SPD aufforderte, den umstrittenen Satz von der Überwindung des Männlichen, die uns zur Menschlichkeit führt, „getrost“ zu übernehmen; denn er stamme ja von ihm, von einem Mann also, so nahm sich Weiniger das Recht heraus, über die Überwindung des Jüdischen als Voraussetzung zur Menschwerden zu schreiben, weil er selbst jüdischer Herkunft war. Er konvertierte allerdings. Und Eppler?

Die SPD wird mir vermutlich nicht erklären können, was eine „männliche Gesellschaft“ ist (ich nehme das Wort „vermutlich“ zurück, ich will nicht scheinheilig nach einer Erklärung fragen: Sie können es tatsächlich nicht), ich kann ihr aber sagen, was eine „schlechte Gesellschaft“ ist – in die man leicht hinein gerät.

Wie ist es zu diesem Unglück gekommen? Nach und nach. Die Männer sind außerdem selber schuld oder mitschuldig – wie sollte es anders sein? Männer sind ja auch „Schweine“, wie die Ärzte schon in den neunziger Jahren sangen. Was haben sie ausgefressen? Sie haben den Frauen nutzlose Vorteile eingeräumt und Türen aufgehalten, die sich auch selbsttätig geöffnet hätten; sie haben Frauen als hilfsbedürftig angesehen, um dann umso heftig beflirten und anbaggern zu können – und was das Schweinische daran ist: Sie machen es mit jeder. So sind sie, die Männer, wie es bei den Ärzten heißt: „sie wollen alles begatten, das nicht bei Drei auf den Bäumen ist.“

Die Frauen sind auch nicht unschuldig. Sie haben mit der Frauenbewegung die Verallgemeinerung auf die Spitze getrieben, denn bei all ihren Frauenthemen ging es unterschiedslos um alle Frauen, ganz egal, ob sie bei Drei auf den Bäumen waren oder nicht. Da konnte man als Mann schon den Eindruck haben, als würde zumindest so mache von ihnen auf pauschale Schmeicheleien gesteigerten Wert legen, und als würde sie sich freuen, wenn man sie lobt – egal wie verlogen das Lob ausfällt. Manche der bewegten Frauen haben sich sogar lautstark Vorteile ertrotzt, und dann bedauernd festgestellt, dass sie nun für alle Frauen gleichermaßen galten – auch für ihre ehemals beste Freundin und für diese Schlampe, die ihnen gerade den Frauenparkplatz vor der Nase weggeschnappt hat. Je mehr sie merkten, dass sie mit den Gratis-Komplimenten nicht persönlich gemeint waren und auch persönlich nichts davon hatten, je mehr hat sich ein Suchtverhalten eingestellt – sie wollten mehr! -, die scheinbare Befriedigung setzte die Nachfrage fort und vergrößerte sie noch.

Lob aus der Gießkanne wirkt nicht. Man kann Tugenden nicht allen gleichermaßen zusprechen, ohne dass sie dadurch an Wert verlieren. Wenn ich einer Frau sage, dass sie ein wunderbarer Mensch ist, verpufft die Wirkung, wenn ich der Vollständigkeit halber hinzufügen muss, dass alle anderen Frauen das ganz genauso sind.

Nun ist es passiert. Alle Passagiere an Bord der MS Deutschland-SPD sind auf eine Seite gelaufen, alle drängeln nach Backbord, dahin, wo es so richtig „menschlich“ sein soll, und nun hat das Schiff Schlagseite. Die Spaltung der Menschen in Männer und Frauen ist von Seiten der Frauen aktiv vorangetrieben worden. Nicht von allen. Von Feministen und von denen, die uns mit der Gehirnwäsche des Sprachfeminismus belästigt haben.

Sie haben ganze Arbeit geleistet. Wir haben uns mehr und mehr an die Doppelnennung gewöhnt mit all den „Soldatinnen und Soldaten“ und „Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten“. Als ich neulich einem Schüler aus der achten Klasse englische Vokabeln abgefragt habe, musste ich lernen, dass „bank robber“ neuerdings auf Deutsch heißt: „der Bankräuber, die Bankräuberin“. Kleiner Unterschied – große Folgen.

Als Schriftsteller und Journalist glaubt man an die Wirkung von Worten, Erhard Eppler vermutlich auch. Nicht nur bei großen, auch bei kleinen Worten – bei ganz kleinen. Da gerade! Wir sind empfindlich geworden. Wir machen Feinstaubmessungen und fürchten uns vor Giftstoffen in winziger Dosis. Auch wenn man selber nicht so redet und versucht, sich vor den Nachteilen und Fallstricken der „weiblichen Form“ zu schützen, so kriegt man sie immer wieder zu hören. Sie lauert überall und hat sich stärker ausgebreitet als die Schweinegrippe und Vogelgrippe zusammen. So wie ein Nichtraucher dem Passiv-Rauchen ausgesetzt ist, so sind wir dem Passiv-Denken der Bankräuberinnen ausgesetzt und leiden nun unter den riesigen Nebenwirkungen. Es muss so sein. Es wäre geradezu verwunderlich, wenn so eine Dauermedikation keine Auswirkung hätte.

Und wie wirkt sie? Sie verhindert ergebnisoffene Aussprachen; denn es wird bei jeder Pluralbildung mit „-innen“-Form von Anfang an festgelegt, dass Männer und Frauen als getrennt voneinander gesehen werden. Sie leugnet so das Verbindende zwischen den Geschlechtern und schürt eine Feindschaft, die aufs Ganze geht.

So haben wir nach und nach unsere Vorstellung von dem, was wir unter Menschlichkeit verstehen, verändert. Da ist etwas elementar Wichtiges aus dem Gleichgewicht gekommen. Und wer hat’s herausgefunden? Ein Schweizer. Kein Wunder; denn im Land der Schweizerinnen und Schweizer gedeiht die weibliche Form noch prächtiger als unter den Deutschländerinnen und Deutschländern. Arthur Brühlmeier heißt der freundliche Sprachwissenschaftler, der einen Artikel verfasst hat über den „Sprachfeminismus in der Sackgasse“, der früher den Titel hatte: „Wider die Abschaffung des allgemeinen Menschen in der deutschen Sprache“. Darin erklärt er, was passiert ist: Durch die ständige Betonung des biologischen Geschlechtes verlieren wir das Gefühl dafür, dass unsere Sprache das gar nicht so vorgesehen hat, dass sie vielmehr androgyne, also „übergeschlechtliche“ Formen aufweist, und dass die schleichende Umdeutung des Übergeschlechtlichen in biologisch Geschlechtliches „zum Verlust des wichtigsten Oberbegriffs der deutschen Sprache, nämlich des allgemeinen, nicht unter geschlechtlichem Aspekt ins Auge gefassten Menschen“ führt. Der Mensch steht nicht mehr an erster Stelle.

So denken wir inzwischen, soweit ist es gekommen: Eine Frau sieht sich heute nicht mehr in erster Linie als Mensch, sondern zuallererst als Frau; einen Erfolg hat sie neuerdings „als Frau“, was damit zugleich als besonders toller Erfolg erscheint, bei einem Misserfolg wiederum ist sie „als Frau“ schon halbwegs entschuldigt. Männer dagegen stehen „als Mann“ ständig unter Generalverdacht und müssen pauschale Schuldzuweisungen entgegennehmen wie Profiboxer mit Nehmerqualitäten. Das können sie auch. Locker. So dachten sie jedenfalls – bis jetzt. Und so haben sie sogar selbst – zusammen mit den frechen Bankräuberinnen und einigen Scharfmacherinnen – dazu beigetragen, sich und ihrem ganzen Geschlecht die Tugend der Menschlichkeit abzusprechen.

So ist es gekommen, dass sich heute so mancher Mann „als Mensch“ nicht mehr wohl fühlt in der SPD. Vielleicht sehnt er sich immer noch heimlich danach, mit Erhard Eppler, Andrea Nahles und zusammen mit dem alten Faust von Goethe am Tisch einer Volkspartei zu sitzen und sagen zu können: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.“

* auch andere sprachliche Neuregelungen würden hier nicht weiter helfen, etwa: „HanderkerInnen sehe ich …“, „Handwerker_innen sehe ich …“, „Handwerkelnde sehe ich …“ oder „handwerklich tätig Seiende sehe ich …“

Der Beitrag erschien zuerst – in einer etwas anderen Fassung – auf der Achse des Guten.

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