Boris Becker: Victim Blaming bei AMICA und taz

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Vor wenigen Tagen outete sich Boris Becker als Opfer häuslicher Gewalt durch seine ehemalige Partnerin Barbara. Inzwischen hat unter anderem auch n-tv darüber berichtet:

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„In meinem Erinnerungsprotokoll steht: Barbara vollkommen außer sich!“, schreibt Boris Becker. „Sie brüllte mich an, sprang plötzlich auf und fing an, mich wie von Sinnen zu schlagen“.

Ihr Sohn Noah habe sich dann zwischen ihn und Barbara gedrängt, so Becker weiter. „Ich nahm irgendwann die Hände hinter den Rücken, und sie hat getreten und wie wild um sich geschlagen“. Es sei der „Horror“ gewesen, schreibt Becker, „letztlich die wohl schlimmste und unwürdigste Situation meines Lebens“. Anschließend sei er nur noch rückwärts, mit auf dem Rücken verschränkten Händen, zur Haustür gegangen. „Ich wollte nur noch weg“, so Becker. Unter Aufbringung all seiner psychischen Kraft habe er es schließlich geschafft, die Wohnung zu verlassen.

Dass Becker diese Erfahrung machen musste, ist schon länger bekannt; in meinem Buch „Sind Frauen bessere Menschen?“ etwa erwähne ich, dass die Berichterstattung darüber in den Medien mit launigen Kommentaren wie „Satzball Babs“ begleitet wurde, die es bei weiblichen Opfern nie gäbe. Neu ist meines Wissens, dass Becker selbst über seine Erfahrungen spricht.

Dies scheint nicht jedem recht zu sein.

So macht mich ein Genderama-Leser auf ein Interview in der AMICA aufmerksam, das im Fall Becker Victim Blaming vom Feinsten betreibt. Wie Becker mit seinen Ex-Partnerinnen umgehe, wirke sehr pubertär, erfährt man schon in der Überschrift, und die Psychologin Bärbel Wardetzki, der die mangelnde Seriosität von Ferndiagnosen schnurzegal zu sein scheint, „erklärt, warum sich Becker in die Opferrolle begibt“ und jetzt „ablästere“.

Die Auslassungen Wardetzkis gehören zu dem widerlichsten und menschenverachtendsten Geplapper, das ich in den letzten Wochen gelesen habe. Wenn jemals ein Mann so über ein weibliches Opfer häuslicher Gewalt schreiben würde, wäre der Teufel los. So findet es Wardetzki zunächst einmal „ziemlich kindisch, Probleme über die Medien auszutragen. Solche Dinge gehören in die Beziehung. Das deutet eigentlich darauf hin, dass jemand kein Interesse oder keine Fähigkeit hat, sich auseinanderzusetzen.“ Becker bediene die Sensationslust; die Hälfte von dem, was er sage, könne man vermutlich ohnehin streichen. Er habe womöglich ein narzisstisches Bedürfnis entwickelt: „Ich bin so wichtig und meine Geschichte ist so wichtig, dass alle sie hören müssen.“ Becker stelle sich als Opfer dar: „Ich kann nur geschlagen werden, wenn ich mich schlagen lasse. In so einem Fall hätte die Reaktion sein müssen: Du schlägst mich einmal und nicht wieder. Da hilft es nichts, jetzt die Frau zu verteufeln. Sich hinzustellen und zu jammern, ist reines Opferverhalten.“

Nun will die AMICA-Redakteurin Kerstin Kotlar gerne wissen, warum sich Männer überhaupt die Frechheit herausnehmen, über Erfahrungen von Gewalt in der Partnerschaft zu sprechen. Das führt zu einer neuen Entgleisung Wardetzkis: „Entweder um Mitleid zu erregen oder sich an der Frau zu rächen. Opfer wollen immer gerettet werden. Vor allem aber geht es darum, dass Opfer-Männer keine Verantwortung übernehmen wollen. (…) Das Opfer schiebt alle Schuld auf den Täter und möchte sich mit seinem Anteil nicht auseinandersetzen.“ Was Becker tue, wirke sehr pubertär.

Und angesichts solchen Auswurfs wundern wir uns noch, dass Männer noch weit seltener als Frauen darüber sprechen, Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein, dass sie nur in anonymen Befragungen Auskunft geben und die Dunkelziffer riesig bleibt? Würden Männer über eine vergewaltigte Frau so sprechen wie Kerstin Kotlar und Bärbel Wardetzki über einen geprügelten Mann, dann würde das etwa so aussehen: „Ich kann nur vergewaltigt werden, wenn ich mich vergewaltigen lasse. Wenn diese Frau jetzt darüber spricht, bedient sie vor allem die Sensationslust. So etwas deutet darauf hin, dass sie eigentlich kein Interesse oder keine Fähigkeit hat, sich mit ihrem Anteil an dem Geschehen auseinanderzusetzen. Die Hälfte von dem, was sie da erzählt, kann man vermutlich ohnehin streichen. Sie hat womöglich ein narzisstisches Bedürfnis entwickelt: Ich bin so wichtig und meine Geschichte ist so wichtig, dass alle sie hören müssen. Es hilft aber nichts, den Mann zu verteufeln. Sich hinzustellen und zu jammern, ist reines Opferverhalten. Solche Frauen wollen sich an einem Mann rächen oder an den Beschützerinstinkt anderer Männer appellieren. Vor allem geht es aber darum, dass sie selbst keine Verantwortung übernehmen wollen. Vielleicht handelt es sich ja auch um eine Frau, die erst im kurzen Röckchen Männer scharf gemacht und dann die unterwürfige Position eingenommen hat. Dass sie sich jetzt wieder normal anzieht, besagt überhaupt nichts.“

Erst gestern musste sich Simone Schmollack in der „taz“ von einer Kriminologin erklären lassen, wie groß die Differenz zwischen der Anzahl jener Männer ist, die mit ihren Erfahrungen häuslicher Gewalt nach außen treten, und jener, die Dunkelfeldstudien zeigen. Offenbar schweigen viele Männer aus Scham über ihre Opfererfahrungen. Denn die Demagogie von Kotlar und Wardetzki ist kein Einzelfall. Ebenfalls gestern nämlich setzte sich in der „taz“ Hartmut El Kurdi mit Beckers Outing als Opfer häuslicher Gewalt auseinander – in der Kolumne „Geht’s noch?“ und einem Artikel mit der Überschrift Dumm-dumm Boris. Dazu stellt Hartmut El Kurdi zunächst einmal klar, dass Menschen unter 20 Becker „nur noch als kompletten Vollidioten kennen“, bei dem es niemanden überraschen würde, „wenn er die Beschaffenheit seines Morgenstuhls twittern würde“. Jetzt aber berichte Becker unter anderem darüber, „dass seine Exfrau ihn gehauen hat“. Warum um Himmels willen tue er das, statt sich in sein Privatleben zurückzuziehen oder seine Nase für etwas Sinnvolles in die Kamera zu halten? Die Antwort: Vermutlich wolle ein so schlichtes Gemüt wie das dieses medialen Kamikazefliegers nichts anderes als weiter berühmt sein.

Kann sich jemand vorstellen, dass ein „taz“-Journalist über eine prominente Frau, die berichtet, Opfer häuslicher oder sexueller Gewalt geworden zu sein, in derselben Weise berichtet? Niemals. Auf derart schäbige Weise springen unsere Medien nur mit Männern um. So sieht die „patriarchale Dividende“ in Wirklichkeit aus.

Wenn es um häusliche Gewalt gehe, sei die Dunkelziffer misshandelter Männer vermutlich weitaus höher, als es die Kriminalstatistiken hergeben, erklärte im Dezember 2008 die Nürnberger Kriminalhauptkommissarin Cora Miguletz. Man habe es hier mit einem extrem tabuisierten Thema zu tun. „Die Männer müssen jetzt das Gleiche tun, wie die Frauen vor 20 Jahren – sie müssen sich eine Lobby schaffen“ befindet Miguletz. „Doch dazu ist es erst einmal notwendig, dass man sich eingesteht, dass einem so etwas passieren kann – auch als Mann. Erst dann kann sich das Rollenverständnis ändern.“ Auch die Berner Kommission für Gleichstellungsfragen gelangte in ihrem Gewaltbericht 2010 zu dem Fazit: „Die gegenwärtige Situation männlicher Opfer ähnelt der von vergewaltigten und misshandelten Frauen vor dreissig Jahren. Sie mussten damals gegen Verleugnung der Problematik und gegen Ignoranz kämpfen.“ Selten aber blökte diese Ignoranz dermaßen laut wie gestern in AMICA und taz. Dass mit Boris Becker erstmals auch ein prominenter deutscher Mann über seine Erfahrungen als Opfer von Gewalt in der Partnerschaft berichtet hat, scheint mehr zu sein, als die Verfechter uralter Rollenklischees verkraften können.

(Siehe zum selben Thema auch mein Interview mit dem Anti-Gewalt-Berater und –Pädagogen Burkhard Oelemann sowie den MANNdat-Text „Was tun als männlicher Betroffener von häuslicher Gewalt?“)

Der Artikel erschien zuerst auf Genderama.

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