Die alte Erkenntnis. Heute am Beispiel der Unterhose. DIE WELT macht gerade Werbung für das Buch „Männer und Frauen. Grafiken erklären die Unterschiede” von Matthias Stolz und Ole Häntzschel.
Beim ersten habe ich nicht entdeckt, was er eigentlich von Beruf und Ausbildung her ist, er schreibt für die ZEIT bzw. das ZEITmagazin. Und scheint mit Vorliebe Statistiken zu präsentieren und als Erklärungen auszugeben. Der Zweite ist Grafik-Designer, hat an der Berliner Universität der Künste studiert, und schreibt über sich selbst:
Seit dem Studium der Visuellen Kommunikation an der Universität der Künste Berlin, sowie in Venedig, Zürich und Ann Arbor (USA) gestaltet er Infografiken in seinem Berliner Studio.
Seine Arbeit besteht darin, aus komplexen Daten Informationen zu vermitteln, komplizierte Sachverhalte anschaulich zu erklären, und den Leser mit einer ihn einbeziehenden Weise an das Thema heranzuführen.
Graphiken und Statistiken zeigen aber keine Sachverhalte und keine Erklärungen. Sie zeigen – wenn überhaupt – Korrelationen. Und meist nicht mal das, weil solche Statistiken häufig zusammengefasst sind und dabei fast immer der Fehler des Simpson-Paradoxons gemacht wird, die Statistiken also die Unwahrheit aussagen. Die Aussagen liegen nicht in den erhobenen Daten, sondern in den Rechenfehlern.
Wenn also jemand behauptet, dass er mit Statistiken und Info-Graphiken Sachverhalte und Erklärungen liefern könnte, dann hat er keine Ahnung von Statistik. Und bei keinem der beiden habe ich ad hoc eine entsprechende Ausbildung erkennen können. Schon vom Titel des Buches her drängt sich der Verdacht auf, dass es ein ziemlich dummes Buch sein muss, das vor falschen Informationen nur so strotzt.
So wird beschrieben, dass in Deutschland jährlich 5,7 Millionen Herren-, aber 16,2 Millionen Damenunterhosen verkauft werden. Und daraus radikal geschlossen, dass Männer Schweine sind, die nicht auf die Hygiene achten. Dabei könnte das völlig andere Gründe haben:
Männerunterhosen sind viel robuster gebaut. Die halten was aus. Damenunterwäsche ist viel dünner, hat häufig empfindliche Schleifen und Zierkanten, ist aus viel dünneren und empflicheren Materialien. Welcher Mann trägt schon Unterhosen aus Spitze oder Seide? Selbst innerhalb des Baumwoll-Lagers: Geht mal im Kaufhaus oder bei Aldi an den Grabbeltisch und vergleicht Unterhosen gleicher Preiskategorie. Männerunterhosen sind anders gebaut. Die Gummis sind viel dicker und halten deshalb viel länger, sie leiern nicht so schnell aus. Die Belastung ist eine andere. Männer menstruieren nicht, haben (normalerweise) keinen Flüssigkeitsaustritt und kleben sich nichts rein. Fast alle Männerunterhosen sind bei 60° waschbar. Verschmutzungen führen nicht zur Aussonderung. Männerunterhosen sind Einzelstücke und hängen nicht von einem Zweitstück (BH) ab. Die Statistik bezieht sich auf in Deutschland gefertigte Wäsche. Männerunterhosen tun’s auch aus China. Männer verlieren Unterhosen seltener. Dass man irgendwo – Sakkotasche, Rückbank, Handschuhfach – nach gewissen Stunden Damenunterwäsche findet, ist ja der Klassiker. Wie oft aber hatten Frauen schon nach einem Schäferstündchen Männerunterhosen in der Jackentasche? Der Aussehensdruck ist höher. Automaten für Not-Hosen, falls man in der Disko jemanden aufgerissen hat und ein ONS blüht, man aber gerade lausige Unterhosen anhat, gibt’s nur auf Damentoiletten. Männer tragen Hosen. Wurschtegal ob die Unterhose alt oder neu aussieht. Wer kurze Röcke trägt, will drunter nicht nach altem Zeug aussehen. Männer tragen auch keine Seidenstrümpfe, Zierstrumpfhosen oder Strapse. Männersocken halten übrigens auch länger als Feinstrumpfhosen. Es wird nicht nach Nutzwäsche und Dessous unterschieden. Dessous werden aber gerne verschenkt. Es gibt ganze Fachgeschäfte nur für Damendessous. Reine Fachgeschäfte für Männerunterhosen gibt es nicht, weil sie nicht oder nur sehr selten verschenkt werden. Ich habe bisher nur drei- oder viermal Unterhosen geschenkt bekommen. Eine Unterhose von der Fluglinie Qantas, weil der Koffer falsch geroutet worden war. Mit Qantas-Logo, One Size Fits Nobody. Eine Unterhose mit Weihnachtsmännern drauf zu Weihnachten, wenn man die Packung aufklappte, spielte sie „Jingle Bells”. Als Student hab ich mal in einem Preisausschreiben von Playboy eine Playboy-Unterhose als Trostpreis gewonnen. Und bei einer ungeplanten Übernachtung hat mir mal jemand eine (neue) geschenkt. Das war’s.
Die Aussage, dass das mit der Sauberkeit zu tun hätte, ist also Nonsens. Und bei der Vielzahl der Ursachen kann man nur folgern, dass die Statistik so einfach gar nichts aussagt, weil die Auswahl und die mitgelieferte Information Blödsinn sind.
Oder die, dass Frauen in etwa der Hälfte der Fälle vom Partner ermordet werden, während Männer zwar insgesamt häufiger, aber nur in 6,9% der Fälle vom Partner ermordet werden. Und? Was sagt das? Erst mal gar nichts. Es könnte nämlich genausogut bedeuten, dass Frauen wesentlich öfter dem Partner das Leben zur Hölle machen und nur noch den Mord als Ausweg lassen, dass also Frauen sich häufiger zu solchen Ehepartnern entwickeln, die man mordet. Es könnte bedeuten, dass Frauen ihre Partner häufiger so provozieren, dass es zu Affekt-Taten kommt, als umgekehrt (vgl. etwa die Loriot-Sketche). Es könnte heißen, dass Frauen zwar genauso häufig morden, aber seltener erwischt werden, etwa weil sie Dritte beauftragen oder man sie einfach nicht verdächtigt. Es könnte daran liegen, dass Frauen älter werden, sie also automatisch Witwe werden, ohne selbst nachhelfen zu müssen (oder die Möglichkeit haben, unauffällig zu morden, etwa an der Medikamentierung drehen), während Männer viel geringere Chancen haben, auf „natürliche” Art Witwer zu werden. Und es könnte bedeuten, dass das Scheidungrecht Frauen einseitig bevorzugt. Während Frauen durch die Scheidung finanziell saniert und versorgt werden (also blöd wären, wenn sie den Esel, den sie jahrzehntelang melken wollen, schlachten würden), sind Männer durch eine Scheidung in der Regel finanziell ruiniert. Man könnte es also auch als Symptom eines strukturell benachteiligenden Scheidungsrechts ansehen. Was in Einklang mit der späteren Statistik steht, wonach Frauen in 52,8, Männer aber nur in 39.4 % der Fälle die Scheidung einreichen.
Oder die, wonach Männer Vielfraße seien und mehr Fett, mehr Zucker und mehr tierisches Eiweiß essen würden. Dass Männer aber im Mittel größer und schwerer sind und deshalb mehr Körpermasse versorgen müssen, ist ein Grund, warum sie mehr essen. Männer haben ein anderes Verhältnis von Muskelmasse zu Skelett, Fettzellen usw. Für das Skelett und die Fettzellen braucht man kein Eiweiß. Männer betreiben weitaus mehr und härtere körperliche Arbeit. Deshalb brauchen sie auch mehr Fett und mehr Kohlenhydrate. Man könnte aus der Statistik genauso gut auch herausinterpretieren, dass Frauen weniger arbeiten als Männer, weil sie ja nachweislich weniger Energie umsetzen.
Männer seien Sexgetriebene. Sie würden 19 Mal (Max. 388) am Tag an Sex denken, Frauen dagegen nur 10 Mal (Max 140). Und wie lange hat’s jeweils gedauert? Bei Männern je 20 Sekunden, bei Frauen je 2 Stunden oder so?
Oder der Vorwurf, dass Männer faule Hunde seien, weil es viel mehr Verhütungsmethoden für Frauen als für Männer gibt. Schwangerschaften enstehen nun mal in der Frau und nicht im Mann. Dass Verhütungsmethoden vor allem da ansetzen, wo es „passiert” und nicht woanders, liegt auf der Hand.
So wird heute Desinformation betrieben. Klassisches Beispiel, wie durch faule Statistiken und suggestiv-fehlerhafte Präsentation getäuscht wird.
Etwas seltsam ist dazu die Rezension, die die Redakteurin Kathrin Spoerr dageschrieben hat. Sie hat Volkswirtschaftslehre studiert und hat damit eigentlich auch Ahnung von Statistik. Und tatsächlich schreibt sie:
Was sagt uns das über das Geschlechterverhältnis in diesem Land? Nicht etwa, dass Männer nicht so oft Unterhosen kaufen wie Frauen, nicht etwa, dass Männerunterhosen doppelt so lange halten wie Frauenunterhosen. Nicht etwa, dass Männerunterhosenmode sich langsamer verändert als Frauenunterhosenmode. Sondern: dass Männern ihre Unterhosen scheißegal sind. Dass sie nach dem Motto “oben hui, unten pfui” leben. Dass sie tatsächlich sind, was Frauen schon immer wussten: Ferkel.
Während man aber früher einfach drauflosbehaupten konnte, muss man sich heute erst mal mit den Techniken von bildlicher Visualisierung vertraut machen. Das erleichtert die Kommunikation nicht gerade. Aber das hatten die Autoren vermutlich auch nicht im Sinn.
Sie hat das schon gemerkt, dass da was faul ist. Aber so richtig macht sie nichts draus. Das wäre doch eine Grundlage für einen prima Verriss gewesen, aber da stand wohl die political correctness entgegen. Wenn ein Buch „beweist”, dass Frauen die besseren, aber unterdrückteren Menschen seien, gibt’s da keine echte Kritik mehr.
Der Artikel erschien zuerst in Hadmut Danischs Blog.