02. Dezember 2014, von Arne Hoffmann
Vor einigen Wochen zitierte die Wochenzeitung „Die Zeit“ den verstorbenen Väterrechtler Dietmar Nikolai Webel mit der Einschätzung, es entstehe seit einiger Zeit eine ähnlich starke Welle von Literatur über die Benachteiligungen von Männern, wie es sie in den siebziger Jahren zum Frauenthema gegeben hatte – und so wie damals fast nur in kleinsten Verlagen abseits des Mainstreams oder sogar im Eigenverlag herausgegeben.
Allerdings begrenzt sich diese neue Literatur – wenn man einmal von den Werken Wolfgang Gogolins absieht – bislang auf Sachliteratur, erzählerische Texte gibt es hier kaum.
Ein Autor, der die Männerdiskriminierung aber auch in der Form von Erzähltexten behandelt, ist der Berliner Gunnar Kunz, dessen Kurzgeschichten ich schon verschiedentlich auf Genderama vorgestellt habe.
Jetzt hat Kunz diese Geschichten in dem Sammelband Verwundbar sind wir und ungestüm zusammengefügt und um eine große Zahl anderer Geschichten und Texte erweitert. Berichtet wird so von Bjarne, der sich glücklich verheiratet wähnt, bis zu dem Tag, an dem ihn seine Frau zum ersten Mal schlägt, von Norbert, Sascha und Raoul, die fälschlich der Vergewaltigung beschuldigt werden, und von vielen anderen Männern, deren Erfahrungen literarische Form gegeben wird. All diese Geschichten werden in der von Kunz gewohnten Eindringlichkeit und sprachlicher Brillanz präsentiert: Dieser Autor hat mit zahlreichen früheren Titeln sein Handwerk gelernt.
Das Buch enthält allerdings nicht ausschließlich Erzähltexte, sondern einige weitere Preziosen unterschiedlicher Art. Das Kapitel „Filme, auf die wir gern verzichtet hätten“ etwa liefert einen reizvollen Beitrag zur maskulistischen Filmkritik, indem es Versatzstücke männerfeindlichen Gedankenguts in Filmen wie „A.I. – Künstliche Intelligenz“, Jodie Fosters „Flightplan – Ohne jede Spur“, „Der Teufel trägt Prada“, „Die Fremde in dir“ (ebenfalls mit Jodie Foster) und „Shutter Island“ unter die Lupe nimmt. Das Kapitel „Verschwörungstheorien, die wir gerne lesen würden“ entwirft, wie das feministische Narrativ, es gäbe ein Frauen unterdrückendes Patriarchat, in einer Spiegelwelt aussehen würde, in der exakt dieselben Verhältnisse als Männer unterdrückendes Matriarchat analysiert werden: eine gelungene Parodie. Das Kapitel „Penis-Monologe“ ist eine Antwort auf Eve Enslers gefeiertes feministisches Theaterstück „Vagina-Monologe“: eine sehr treffende Antwort, da der Penis als angebliches Instrument von Gewalt und Unterdrückung bei weitem mehr angefeindet wurde, als das auch nur im Ansatz je für die Vagina galt.
Bemerkenswert sind auch einige ausgewählte Zitate, die für den Stand der Geschlechterdebatte aufschlussreich sind – so etwa dieser Leserbrief eines Mannes an das Gewerkschaftsmagazin Ver.di Publik:
Sie berichten über die Gewalterfahrungen von Frauen durch Männer in der Familie. (…) Unerwähnt bleibt die Gewalt, die Männer durch (Ehe-)Frauen erleiden. (…) Es bleibt zu wünschen, dass Männer endlich den Mut finden, Gewalt gegen sich anzuprangern und öffentlich zu machen. Ihr Artikel, der die endlose Mär von der aggressionslosen, sanftmütigen Frau und dem sie ewig schlagenden Mann perpetuiert, wird Männer zu diesem Schritt leider nicht ermutigen.
Darauf erhielt der Leser folgende Antwort:
Wir schallern Ihnen gleich eine … Die weiblichen Mitglieder der Red.
In einem persönlichen Nachwort berichtet Gunnar Kunz über sich selbst,
dass für mich, der ich politisch in den Siebzigerjahren groß geworden bin, das Wort „links“ immer noch einen guten Klang hat, auch wenn die linken Demagogen in diesem Land mit ihrer Katzbuckelei vor dem herrschenden Staatsfeminismus alles getan haben, um dieses Wort zu diskreditieren. (…) Mein Einsatz für die Rechte von Minderheiten, von Homosexuellen, von Ausländern, von Andersdenkenden jeder Art lässt sich in meinen Büchern und Theaterstücken nachweisen. Aus eben diesem Grund – weil ich Demagogie und antidemokratisches Verhalten zutiefst verabscheue – kritisiere ich den real existierenden Feminismus. (…) Dass [Feministinnen] am Ende uns Männer keineswegs, wie vielfach propagiert, quasi im Vorbeigehen aus unseren Rollengefängnissen befreien, sondern im Gegenteil den Rollendruck auf uns noch erhöhen würden, indem sie uns die Verantwortung für alles, aber auch wirklich alles zuschoben und uns die Dinge, von denen sie sich befreiten, zusätzlich aufbürdeten, war damals nicht vorauszusehen. (…) So fing ich an, mich kritisch mit dem Feminismus auseinanderzusetzen, ein Weg, der mich konsequenterweise zum progressiven Teil der Männerbewegung führte.
Einer der Gründe, warum einen die von Kunz erzählten Geschichten beim Lesen so stark bewegen, ist das Wissen darum, dass das darin berichtete Leiden, weil es Männer trifft, in unserer Gesellschaft kaum gesehen wird und kaum etwas gilt. Das allerdings dürfte leider auch das größte Problem für dieses Buch sein: die Leute zu erreichen, die nicht ohnehin schon Bescheid wissen, sondern die über diesen Teil der Wirklichkeit überhaupt erst aufgeklärt werden müssen. Eigentlich müsste das Buch zuhauf von empathischen Frauen gelesen werden, die sich dafür interessieren, wie es Männern in unserer Gesellschaft geht. Wie man diese Frauen, aber auch männliche Leser in einer auf das weibliche Geschlecht fixierten Medienwelt aber überhaupt erst erreichen und sie auf dieses Buch aufmerksam machen kann, stellt eine noch nicht bewältigte Herausforderung dar.
Der Artikel erschien zuerst auf Genderama.