Vom Wert des Zweifels

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Hin und wieder kommt es vor, dass ich unsicher werde und mich frage: Stehst du wirklich auf der richtigen Seite, hast du recht mit deiner Kritik am Feminismus, oder begehst du gerade einen furchtbaren Irrtum? Ist es nicht vermessen zu glauben, du seist im Besitz der Wahrheit, während die öffentliche Meinung und ein großer Teil deiner Freunde sich irrt?

Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass du derjenige bist, der falsch liegt? Könnte es nicht sein, dass du die Dinge nicht richtig durchschaut und dich von Demagogen hast verführen lassen? Sind möglicherweise nicht die Feministen, sondern wir Feminismuskritiker diejenigen, die sich in Gruppenzusammenhängen bewegen, in denen sich alle gegenseitig bestätigen und dadurch immer weiter von der Realität entfernen?

Was, wenn alle Quellen, die du kennst, alle Fakten, die du recherchiert hast, von Schurken oder gutgläubigen Naiven in die Welt gesetzt worden sind: die mehr als fünfhundert Studien zur häuslichen Gewalt, zum Beispiel, die darlegen, dass Frauen mindestens so gewalttätig sind wie Männer, das Dokument des Statistischen Bundesamts, das verdeutlicht, warum Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen nichts mit Benachteiligung zu tun haben, die Betroffenenseiten genitalverstümmelter Männer?

Selbstzweifel sind das einzige Regulativ, das ein Mensch besitzt, um zu ehrenhaftem Handeln zu gelangen, habe ich mal in einem Roman geschrieben. Oder, um es mit Montaigne zu sagen: Nur Narren sind frei von Ungewissheit und Schwanken. Eine gründliche und selbstkritische Überprüfung der eigenen Position ist deshalb nie verkehrt.

Die andere Seite

Also schön, denke ich in solchen Fällen, lassen wir mal all die von mir recherchierten Fakten beiseite und betrachten ausschließlich profeministische Artikel, offizielle staatliche Dokumente und Äußerungen von Frauenministerinnen.

Da stoßen wir dann beispielsweise auf Gesetze, die für jeden ersichtlich Männer benachteiligen: das Sorge- und Umgangsrecht, das Väter immer noch vom Willen der Mutter abhängig macht, die Rechtlosigkeit von Kuckucksvätern, den Zwangswehrdienst (auch wenn er derzeit ausgesetzt ist) und so weiter, während kein einziges Gesetz Frauen benachteiligt.

Da stoßen wir auf die Pilotstudie „Gewalt gegen Männer“ aus dem Frauenministerium von 2005, die zu dem Schluss kommt, dass ein deutliches Ausmaß an Gewalt von Frauen gegenüber Männern existiert und weitere Forschung auf diesem Gebiet nötig ist, ebenso eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Ausbau eines entsprechenden Hilfesystems für gewaltbetroffene Männer. Und nichts dergleichen wird in Angriff genommen.

Da stoßen wir auf Frauenquoten, durch die selbst schlechter qualifizierte Frauen in Führungspositionen gehievt werden sollen, Quoten, die immer nur für die Rosinen im Kuchen gelten, keinesfalls für Bergwerkjobs oder die Müllabfuhr.

Da stoßen wir darauf, dass Feministinnen bei der Installation des Frauenquotengesetzes unumwunden zugeben, dass es ihnen nicht um Gerechtigkeit geht, weil sie verhindern wollen, dass Männer in Berufen, in denen sie unterrepräsentiert sind, bessere Chancen bekommen.

Da stoßen wir auf Studien über Studien (wie etwa die FRA-Studie Gewalt gegen Frauen), in denen grundsätzlich nur Frauen nach ihren Opfererfahrungen befragt, männliche Opfererfahrungen hingegen ausgeblendet und effekthaschend harmlose und schreckliche Vorfälle miteinander vermischt werden, um das gewünschte Bedrohungsszenarium zu erhalten.

Da stoßen wir auf Ex-Frauenministerin Christine Bergmann, die 2001 mit ihrer Plakataktion „Mehr Respekt vor Kindern“ misshandelte Mädchen als Opfer, misshandelte Jungen dagegen nur als potenzielle Täter darstellt und ihnen auch nach Protesten weiterhin jegliche Empathie verweigert.

Da stoßen wir auf Frauenministerin Manuela Schwesig, die sich in ein laufendes Gerichtsverfahren einmischt, um eine Verbrecherin zu verteidigen, ohne dafür Konsequenzen befürchten zu müssen.

Da stoßen wir auf die befremdliche Tatsache, dass den Frauenministerinnen offenbar ihr Glaubenssystem wichtiger ist als Erkenntnisse zu gewinnen und entsprechend zu handeln: „Gewalt von Frauen gegen Männer kommt also vor. Dass aber die Hälfte der Fälle auf das Konto von Frauen gehen soll, das glaube ich nicht.“ (Kristina Schröder). „Nur weil man die Lohnlücke erklären kann, heißt das noch nicht, dass man sie akzeptieren muss.“ (Manuela Schwesig). „Ich finde es nicht schlimm, dass Mädchen in Sachen Bildung an den Jungen vorbeiziehen.“ (Ursula von der Leyen). „Wenn Männer keine Gewalt anwenden, brauchen sie auch keine Zufluchtsorte.“ und „Gewalt gegen Frauen ist das, was Frauen als Gewalt empfinden.“ (Christine Bergmann).

Da stoßen wir auf die noch befremdlichere Tatsache, dass Frauen offenbar „ermutigt“ oder „motiviert“ werden müssen, etwas zu leisten. Beispielsweise beim Frauen-Literaturpreis, der Frauen „ermutigen“ soll, Theaterstücke zu schreiben. Komisch. Mich muss niemand motivieren, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Es bleibt mir nichts anderes übrig. Und ich glaube auch nicht, dass der Arbeiter am Fließband oder der Bäcker, der frühmorgens um vier aufsteht, eine besondere Aufforderung samt Hätschelprogramm braucht, um zur Arbeit zu gehen. Erstaunlich, was es in den Luxusetagen dieser Gesellschaft doch für Probleme gibt. (Und wie ich gerade sehe, ruft derselbe Verein schamlos Handwerker auf, ihnen ehrenamtlich – ein beschönigendes Wort für kostenlos – die Räumlichkeiten aufzumotzen)

Da stoßen wir auf „Mikroaggressionen“ und Befindlichkeiten, auf ein Aufgekreische bei jedem falschen Blick, den eine Frau trifft, und Klagen darüber, dass alles, aber auch wirklich alles frauenfeindlich sei: Ampelmännchen, Toiletten, Klimaanlagen, Algorhythmen, das Wort „Studentenwerke“ oder das Wort „zu“. Lauter Scheinprobleme, die nahelegen, dass es offenbar in unserer Gesellschaft keine wirklichen Probleme für Frauen gibt.

Der wahre Feminismus

Ja, aber das ist nicht der wahre Feminismus, heißt es in solchen Fällen gern. Der wahre Feminismus, das ist doch jene edle und fortschrittliche Bewegung, die Frauen wie Männer aus ihren Rollengefängnissen befreien will. Die Beispiele, die du da aufzählst, das sind doch bloß ein paar Hunderttausend Irregeleitete, die gibt es überall.

Da ist natürlich prinzipiell etwas dran. Auch in der Männerbewegung habe ich schon obskure Gestalten getroffen, mit denen ich ungern in einen Topf geworfen werden möchte. Obwohl die natürlich nicht nach Hunderttausenden zählen. Und auch nicht an den Schaltzentralen der Macht sitzen, gefördert durch Millionen an Steuergeldern. Oder von uns anderen wie Helden gefeiert werden.

Ich behaupte auch nicht, dass jede Frau, die sich als Feministin bezeichnet, männerfeindlich sei. Möglicherweise ist ihr einfach nicht die Diskrepanz zwischen dem „wahren Feminismus“ und ihren Idealen bewusst. So wie jemand, dem soziale Gerechtigkeit und Demokratie am Herzen liegen, sich vielleicht des Namens wegen zu den Sozialdemokraten verirrt. Oder wie jemand, dem christliche Werte etwas bedeuten, sich irrigerweise der CDU zugehörig fühlt. Oder wie jemand die Grünen für eine pazifistische Partei hält.

Eine idealisierte Wikipedia-Definition von Feminismus hat mit der Realität ungefähr so viel zu tun wie die Definition von Hartz IV („soll Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht“). Um eine Bewegung zu bewerten, kommt es eben nicht darauf an, wie jemand sie gern hätte, sondern wie sie tatsächlich ist.

Aber gut, sage ich mir an dieser Stelle, vielleicht sind all die Politiker, die männerfeindliche Gesetze beschließen, die zahllosen Frauen, die ihre Befindlichkeiten zum Nabel der Welt machen, und die Weißen Ritter, die sich nicht aus ihrer Mutterabhängigkeit lösen können, überhaupt nicht typisch für die feministische Bewegung. Und da nicht jeder Zeit und Lust hat, tiefschürfende Recherchen anzustellen, konzentrieren wir uns doch mal auf das, was wir mit eigenen Sinnen wahrnehmen können. Das, was jeder auch in seinem privaten Umfeld überprüfen kann. Vergessen wir die Fakten, vergessen wir das „Was“, nehmen den „wahren Feminismus“ beim Wort und sehen uns unvoreingenommen das „Wie“ an. Wie reden Feministinnen und Feministen samt ihrer Helferindustrie über Männer, wie gehen sie mit ihnen um? Und da müssen wir Folgendes feststellen:

Wenn der Feminismus so edel ist und nur das Beste für Frau und Mann will – warum sind dann die, die ihn verfechten, nicht in der Lage, ihre Positionen mit Argumenten zu verteidigen, sondern müssen Menschen, die sich für Männer einsetzen, eine rechtsgerichtete Gesinnung unterstellen, sie beschimpfen, verunglimpfen, verteufeln, verleumden, pathologisieren, kriminalisieren und ihnen die Worte im Mund umdrehen? Warum fordern sie Männer gern auf, über ihre Gefühle zu reden, um sie anschließend mit Sprechverboten, Trillerpfeifen und Randale daran zu hindern, sobald Männer genau das tun?

Wenn der Feminismus so edel ist und nur das Beste für Frau und Mann will – warum reden dann die, die ihn verfechten, so verächtlich über Jungen und Männer (auch hier, hier, hier, hier, hier und hier) bis hin zum genüsslichen Suhlen in Tötungsfantasien und werten alles Männliche ab, während sie Frauen idealisieren und noch die letzte Lächerlichkeit zu einer Überlegenheit der Frau stilisieren?

Wenn der Feminismus so edel ist und nur das Beste für Frau und Mann will – warum sind dann die, die ihn verfechten, der Meinung, dass Unschuldsvermutung (auch hier), Wahlrecht (auch hier), Redefreiheit oder generell Rechtstaatlichkeit für Männer nicht oder nur eingeschränkt gelten sollen?

Wenn der Feminismus so edel ist und nur das Beste für Frau und Mann will – warum sind dann die, die ihn verfechten, nicht bereit, Männern zuzuhören und herauszufinden, was Männer wollen, sondern stülpen ihnen lediglich weibliche Vorstellungen über oder projizieren ihre Klischees und Frauenfantasien auf Männer?

Wenn der Feminismus so edel ist und nur das Beste für Frau und Mann will – warum messen dann die, die ihn verfechten, Männer und Frauen mit zweierlei Maß, ob es um getrennte Rechnungen geht oder um die Ermordung von Kindern, um Amokläufe (auch hier, hier und hier), sexuelle Gewalt oder genitale Selbstbestimmung, um Wehrpflicht, Sextourismus (auch hier und hier) oder generell um das Unsichtbarmachen männlicher Opfer?

Wenn der Feminismus so edel ist und nur das Beste für Frau und Mann will – warum haben dann die, die ihn verfechten, keinerlei Empathie für entsorgte Väter, für misshandelte, ausgebeutete, verleumdete oder unschuldig ins Gefängnis gebrachte Männer, für gedemütigte oder genitalverstümmelte Jungen?

Schlussfolgerung

Und nachdem ich mir all das klargemacht habe, komme ich zwangsläufig zu dem Schluss: So falsch kann ich mit meiner Einschätzung nicht liegen. Nicht ich bin derjenige, der sich das Hirn hat waschen lassen, nicht ich bin derjenige, der im geschlossenen Gedankengebäude einer Sekte gefangen ist. Mal abgesehen davon, dass es ja gerade ein Kennzeichen von Sekten ist, niemals die eigene Ideologie infrage zu stellen und niemals Zweifel aufkommen zu lassen.

An dieser Stelle gelange ich allerdings wieder an jenen Punkt, an dem ich nicht weiterkomme: Wenn ich das Offensichtliche sehen kann – warum sehen es so viele andere nicht? Ich verstehe es nicht. Ich verstehe es einfach nicht.

Der „wahre Feminismus“, der real existierende Feminismus jenseits schöner Poesiealbumsprüche, ist antidemokratisch, fortschrittsfeindlich, menschenverachtend, selbstgerecht, heuchlerisch und empathielos. Und jeder, absolut jeder, der sich unvoreingenommen die Wirklichkeit dieser Ideologie anguckt, kann das erkennen, wenn er nur will. Jenseits aller Zweifel.

Gewidmet all denen, die zum ersten Mal mit Kritik am Feminismus in Berührung kommen und bereit sind, sich ihrer Irritation zu stellen.

 

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Gunnar Kunz hat vierzehn Jahre an verschiedenen Theatern in Deutschland gearbeitet, überwiegend als Regieassistent, ehe er sich 1997 als Autor selbstständig machte. Seither hat er etliche Romane und über vierzig Theaterstücke veröffentlicht, außerdem Kinderbücher, Hörspiele, Kurzgeschichten, Musicals und Liedertexte. 2010 wurde er für den Literaturpreis Wartholz nominiert.