Über die Opfergesellschaft und das narzisstische, globalisierte Ich
Das Auftreten narzisstischer Persönlichkeitsstörungen hat über Jahrzehnte hinweg in unserer Gesellschaft zugenommen. Jedoch findet zugleich neben einer gesellschaftlichen Globalisierung auch eine individuelle, narzisstische statt. Nämlich die des eigenen Ich. Diese drückt sich in einer kollektiv, organisierten Opfermentalität aus, wie es z.B. der Radikalfeminismus oder die politische Korrektheit tut.
Wir leben in einer Zeit des Schreckens. Überall lauert Gefahr. Von rechts, von links, von unten oder von oben (nicht im politischen, sondern im metaphorischen Sinne). Sie ist ständig da, kann unerwartet auftauchen und das Ich in Schrecken versetzen. Denn „Ich bin Ich, also bin Ich, und zwar Ich der Mittelpunkt der Welt“. So kann man das heutige Lebensmotto der meisten beschreiben. Das Ich als das Zentrum, das Absolute der Welt, um das sich alles dreht.
Das Ich steht im Extremfall sogar als Synonym für die Welt. Nicht Helikoptereltern, sondern Helikopter-Iche, die alle kleinsten Gegebenheiten abtasten und registrieren. Alles stellt eine Gefahr dar: physisch und psychisch, aber vor allem für die labile Psyche der Helikopter-Iche. In psychologischen Termini spricht man von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Und diese – also ein hoher Selbstfokus auf sich selbst gepaart mit einer niedrigen Empathiefähigkeit – hat seit Jahrzehnten in der Bevölkerung (zumindest in den westlichen Gesellschaften) kontinuierlich zugenommen (Twenge, Konrath, Foster, Campbell & Bushman, 2008).
„Die Globalisierung des Ich“
Es ist nicht überraschend, dass dieses Epizentrum des Selbst stets Erschütterungen oder kleinsten Eruptionen ausgesetzt ist. Und ebenso nicht überraschend, dass sich alle verletzt fühlen oder empört sind. Denn jede kleinste Veränderung richtet sich definitiv gegen das Helikopter-Ich. So sieht es zumindest dieses Ich. Und dieses Helikopter-Ich beinhaltet nicht nur das Ich im engeren, sondern auch im weiteren Sinne. Es hat seinen Abtastradius um Kilometer erweitert. Anfangs schlug sein Radar nur bei Aspekten an, die konkret das Ich betrafen. Wie z.B. eine andere Geschmackspräferenz oder eine konträre Meinung. Mittlerweile aber überschreitet das Ich seine eigenen einstigen Grenzen und läutet viel schneller Alarm. Denn alles ist mit dem Ich auf irgendeine Art und Weise verbunden. Alles und alle gehören ihm, alle haben die gleichen Bedürfnisse und alle müssen das großartige Ich bewundern. Der gesellschaftlichen Globalisierung folgt somit eine individuelle, narzisstische. Und diese versucht das Nicht-Ich im Ich zu vereinnahmen. Nichts soll dem Ich mehr entgegengesetzt werden. Keine anderen Iche und auch keine Nicht-Iche. Das Ich wird durch solch eine Expansion zum Einen, zum Absoluten. Nur das Ich und sonst das Ich. Es ist einfach überall. Es ist das einzige.
„offener vs. verdeckter Narzissmus“
Dieser Menschentypus mit Behandlung des Selbst im engeren Sinne wird aus psychologischer Perspektive offener Narzissmus (Grandiosität-Exhibitionismus) genannt (Wink, 1991). Denn hier scheut sich diejenige Person nicht ihre subjektive Grandiosität offenzulegen. Dementsprechend erscheint sie selbstbewusst, extravertiert und braucht nicht notwendigerweise Kollektive, wie Vereine oder Gruppierungen, aus denen sie ihre Selbstbestätigung zehren kann. Diese Kollektive sind jedoch essentiell für eine zweite Art des Narzissmus: nämlich für den verdeckten Narzissten (Vulnerabilität-Sensitivität) (Wink, 1991). Diese Personen erscheinen auf den ersten Blick schüchtern, bescheiden und sozial. Sie versuchen auf indirektem Wege die Anerkennung ihrer Großartigkeit einzuholen, wie z.B. durch hilfreiche, altruistische Verhaltensweisen (Spenden für wohltätige Zwecke, Besuche von unterschiedlichen Institutionen, Teilnahme am gesellschaftlichen Geschehen usw.) oder mittels einer ausgeprägten Opfermentalität. Es soll in erster Linie dem Ich dienen. Andere sollen es noch mehr bewundern und naiv an seine Gutmütigkeit glauben. Dies beinhaltet auch nicht selten Kinder oder andere Familienangehörige für die eigene Selbstinszenierung auszunutzen. Sie werden als essentieller Teil der Theaterinszenierung oder sogar als Besitztum des eigenen Ich betrachtet. Es geht dem Ich nur darum seine eigenen Interessen und Ziele zu errreichen.
„ Die Opfergemeinden des verdeckten und globalisierten Narzissten: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“
Dies reicht dem verdeckten und zugleich globalisierten Narzissten aber nicht mehr aus. Daher werden andere bereits relevant bestehende Kollektivgefüge in das Helikopter-Ich aufgenommen, wie z.B. das Heimatland oder die Religion. Was aber immer öfters der Fall zu sein scheint, ist die Gründung (passender helikopter-Iche) zugeschnittener Kollektiv- oder besser Opfergemeinden. Ein gutes Beispiel hierfür kann die Infiltrierung der Gleichstellungspolitik durch Radikalfeministinnen angesehen werden. Diese interpretieren, wie für Frauen nicht unüblich, je nach Lust und Laune oder je nach Menstruationszyklus diese eine Geste des „bösen“ Mannes als gegen sie gerichtet (mittlerweile übernehmen viele sogenannte emanzipierte Männer diese Weltinterpretation der Lust und Laune). Diese Interpretation einer bestimmten Mentalität, nämlich der Opfermentalität. Alle sind schuld, nur nicht das grandiose Ich. Und da diese Anschuldigungen keinem rationalem Muster folgen, sondern rein emotional- und stimmungsabhängig sind, kann jede Bewegung des Mannes DIE falsche sein. Aber nicht nur DIE des Mannes ist gefährdet, auch DIEJENIGE all derer, die nicht auf der Seite der Radikalfeministinnen sind. „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“. Keiner ist mehr sicher, jeder ist ein potentieller Täter. Überall lauert Gefahr. Von rechts, von links, von unten oder von oben. Bestes Beispiel sind, wie gesagt, die Radikalfeministinnen. Aber auch die politische Korrektheit.
Grundsätzlich gilt aber für das Helikopter-Ich: Die Welt gegen das Ich. Das ist der wahre Kampf der Narzissten. Die Welt gegen den Narzissten. Oder eher gesagt gegen das Kollektiv der vereinzelten, einsamen Narzissten. Und der Radikalfeminismus stellt nur einen Kampf von vielen dieser verdeckten und zugleich globalisierten Narzissten dar. Denn wie gesagt, alles stellt eine Gefahr dar. Früher war es der Kommunist, heute ist es der Mann. Und was morgen kommen wird, kann man ruhig den Launen und Stimmungen der globalisierten Narzissten überlassen. Eins steht aber jetzt schon fest: Obwohl die Rollenverteilung die gleiche bleibt, nämlich sie, die Unschuldigen, in der Opferrolle und alle anderen in der des Täters, wird es mit ihnen bestimmt nicht langweilig. Vielleicht finden sie die ersten Täter bereits in ihren eigenen Reihen? Denn die Welt ist ja gegen das narzisstische, globalisierte Ich. Und sie, sie sind ein Teil dieser Welt.
Literatur
Twenge, J., Konrath, S., Foster, J., Campbell, W. K. & Bushman, B. (2008). Egos inflating over time: a cross-temporal meta-analysis of the Narcisstic Personaliy Inventory. Journal of Personality, 76(4), 875-902.
Wink, P. (1991). Two faces of narcissism. Journal of Personality & Social Psychology, 61 (4), 590-597.