Was denken die Anderen über mich?

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Soziale Phobie als das Grundproblem des Menschen

Die Angst vor (negativen) Meinungen der Anderen, auch soziale Phobie genannt, ist die Grundangst des Menschen. Sie liegt vielen anderen Ängsten zugrunde. Somit ist sie die Ursache vieler psychischer Krankheiten. Die Angst, Kontakt mit Menschen aufzunehmen, die Angst, vor vielen Menschen zu sprechen, oder generell die Angst vor Ablehnung sind Formen der sozialen Phobie. Soziale Ängste sind ein universelles Phänomen, d.h. alle Menschen haben sie mehr oder weniger. Doch nicht bei jedem werden sie pathologisch.

Geben wir dieser Angst nach, dann verlieren wir unser Selbst. Wir machen nicht das, was wir machen möchten, sondern das, was Andere von uns verlangen. Wir gehen nicht unseren Weg, sondern orientieren uns an den Meinungen der Anderen. Anders gewendet: Ohne die soziale Angst wären wir viel freier und könnten das machen, was wir machen möchten. 

Doch wie könnten wir mit dieser Angst, die uns so blockiert, fertig werden? Gibt es Hilfsmittel oder Methoden, die uns helfen könnten, diese Angst zu überwinden?

Zunächst muss zwischen konstruktiven und destruktiven Meinungen bzw. zwischen konstruktiver und destruktiver Kritik unterschieden werden. Konstruktive Kritik bringt uns weiter. Sie führt zur Verbesserung unserer Fähigkeiten und unseres Tuns. Sie ist sachlich und liefert meist konkrete Verbesserungsvorschläge.

Destruktive Kritik ist hingegen unsachlich, allgemein und pauschal. Sie führt nicht zur Verbesserung der Fähigkeiten und des Tuns des Kritisierten, sondern hat den Zweck, ihn herabzusetzen und zu verletzen. Sie kommt zum Ausdruck in Sätzen wie „Du bist dumm“, „Du kannst nichts“, „Du bist nichts wert“, „Du bist unfähig“ oder „Du bist naiv“. Auf solche Kritik brauchen wir keinen Wert zu legen. Die meisten Menschen können gar nicht beurteilen, wie wir sind und was sich hinter unserem Denken und Tun verbirgt. Äußern Menschen pauschale, destruktive Kritk, so ist es oft Ausdruck von Neid und somit von ihren eigenen Minderwertigkeitskomplexen. 

An dieser Stelle muss man anmerken, dass auch beim Lob Vorsicht geboten ist. Zwar ist Lob ganz wichtig, denn er trägt zur Stärkung des Selbstvertrauens bei. Jeder Mensch braucht Anerkennung. Manche loben uns jedoch, damit wir das machen, was sie sich von uns wünschen. Sie loben uns, um uns zu beeinflussen und zu manipulieren. 

Wir sollten daher sehr aufpassen und einen authentischen von einem trügerischen Lob unterscheiden. Doch ein starker, freier und selbständiger Mensch braucht letztlich keinen Lob. Er achtet weder auf negative noch auf positive Beurteilungen seiner Person, denn er weiß selbst am besten, was er wert ist. Er glaubt an die Richtigkeit seines Tuns, unabhängig von positiven und negativen Meinungen anderer Menschen. 

Generell gilt, dass Menschen zunächst und zumeist an sich selbst denken. Sie beschäftigen sich vor allem mit sich selbst. Ich habe von Untersuchungen gehört, die belegen, dass die meisten Menschen 95% ihrer Lebenszeit damit verbringen, direkt oder indirekt an sich selbst zu denken. Und das hat mit Egoismus nichts zu tun. Es ist das Ergebnis der Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Der einzelne Mensch war und ist bis heute in erster Linie daran interessiert zu überleben. Er ist quasi genetisch dazu gezwungen, hauptsächlich an sich selbst zu denken. 

Denken die Anderen an uns, dann sind es meist flüchtige Gedanken, Momente in ihrem Bewusstsein. Im nächsten Augenblick denken diese Menschen an etwas anderes. Sie behalten nicht lange die Erinnerung an uns. Das gilt vor allem für fremde Menschen, die uns begegnen und an unserem Aussehen oder Verhalten etwas auszusetzen haben. 

Wir sollten uns dann immer die Fragen stellen: Warum sollten wir auf diese flüchtigen Gedanken der Anderen achten? Warum sind sie für uns wichtig? Warum sollten sie unser Leben beeinflussen? Warum sollten wir uns von ihnen abhängig machen?

Gehen wir jedoch davon aus, dass einige Menschen längere Zeit an uns denken oder eine Erinnerung an uns über längere Zeit beibehalten. Diese Menschen werden – wie alle Menschen –  irgendwann sterben und ihre negativen (aber auch die positiven) Erinnerungen an uns mit ins Grab nehmen. Schaffen es einige Personen, berühmt zu werden, dann werden die Erinnerungen und Gedanken an sie vielleicht Jahrhunderte überdauern, doch irgendwann werden auch sie verschwinden. 

Für manche Menschen werden sogar Denkmäler erbaut. Aber diese Denkmäler werden nicht lange überdauern. Es werden andere Kulturen und Zivilisationen entstehen. Die alten Denkmäler werden dann zerstört und Denkmäler für neue Helden erbaut. Irgendwann wird man jeden gänzlich vergessen. 

Das klingt alles sehr negativ. Aber mir geht es nicht darum, eine pessimistische Weltsicht zu verbreiten, vielmehr geht es mir darum, dass wir frei werden. 

Kommen wir zurück zur weiteren Charakteristik der sozialen Phobie. Soziale Phobiker haben ein idealisiertes Bild von sich selbst. Sie möchten den Anderen als die Guten, die moralisch Überlegenen erscheinen. Sie möchten keine Fehler machen und perfekt sein. Sie möchten allen Menschen gefallen. Kritisiert man sie, so bricht ihr Selbstbild zusammen. Sie fühlen sich dann oft gekränkt. 

Soziale Phobiker müssen sich deshalb klar machen, dass es unmöglich ist, allen Menschen zu gefallen. Es wird immer Menschen geben, denen an anderen Menschen etwas nicht gefallen wird: Aussehen, Verhalten, Überzeugungen usw. Anstatt Anderen gefallen zu wollen, sollte man den eigenen Weg konsequent gehen. 

Man kann den oben beschriebenen Sachverhalt auch folgendermaßen sehen: Jeder Mensch hat Teile in sich, die er nicht akzeptiert, die er nicht mag oder gar hasst. Man kann hier auch von Komplexen sprechen, die uns anerzogen wurden. Wir haben Angst, dass andere Menschen diese Teile unserer Person sehen und uns dafür tadeln. Die einzige Lösung für dieses Problem besteht darin, diese Teile nicht zu verstecken, sondern zu akzeptieren. 

Doch wie kann man konkret gegen die soziale Angst vorgehen? Die Verhaltenstherapie bietet uns hierfür die Konfrontationsmethode an: Wir sollten das tun, wovor wir Angst haben. Wir sollten darüber hinaus bewusst Konventionen brechen, Andere auf uns aufmerksam machen und sogar negativ auffallen.

Macht sich jemand ständig Sorgen darüber, was andere über sein Aussehen denken, so sollte er sich besonders auffallend kleiden. Hat jemand Angst, vor vielen Menschen zu sprechen, so sollte er sich auf die Straße stellen und eine Rede halten. Hat jemand Angst vor Frauen, so sollte er möglichst viele Frauen ansprechen und ihnen etwas Anrüchiges sagen. Ob diese Methode besonders wirksam ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Auf jeden Fall sollte sie konsequent und über längere Zeit angewandt werden. 

Möchte man die soziale Angst bekämpfen, so ist es von entscheidender Bedeutung, dass man ein höheres, übergeordnetes Ziel verfolgt, dass man eine wichtige Aufgabe hat. Wenn jemand ein höheres Ziel verfolgt, dann macht er sich weniger Sorgen um die Meinungen der Anderen. Es gibt für ihn etwas, das wichtiger ist als alles andere. Auch Alltagsprobleme und -konflikte erscheinen angesichts der übergeordneten Aufgabe als unwichtig. 

Der Psychologe Viktor Frankl spricht von einer sinngebenden Aufgabe. Sie gibt dem Menschen Sinn, Erfüllung und tiefste Befriedigung. Sie kann darin liegen, sich dem Beruf hinzugeben, ein Werk zu erschaffen oder sich für andere Menschen zu engagieren. Jedem, der Angst vor Meinungen der Anderen hat, sei daher dringend geboten, eine solche Aufgabe zu finden.

Literatur: Alexander Ulfig, Mit der Welt verschmelzen: Glücklich werden durch Absehen von sich selbst, Kindle Edition 2016, Preis: 2, 99 Euro.

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Ich studierte Philosophie, Soziologie und Sprachwissenschaften.
Meine Doktorarbeit schrieb ich über den Begriff der Lebenswelt.

Ich stehe in der Tradition des Humanismus und der Philosophie der Aufklärung. Ich beschäftige mich vorwiegend mit den Themen "Menschenrechte", "Gerechtigkeit", "Gleichberechtigung" und "Demokratie".

In meinen Büchern lege ich besonderen Wert auf Klarheit und Verständlichkeit der Darstellung. Dabei folge ich dem folgenden Motto des Philosophen Karl Raimund Popper: „Wer’s nicht einfach und klar sagen kann, der soll schweigen und weiterarbeiten, bis er’s klar sagen kann“.