Wir sind gefangen in einer nie endenden Stimulations- und Erregungsspirale. Wir flackern genauso unruhig und erratisch wie Kerzenlichter und wollen nur eines: leisten, leisten, leisten, oder anders ausgedrückt flackern bis zum Ausbrennen. Aber vielleicht macht gerade das uns glücklich?
„Probier‘s mal mit Gemütlichkeit, mit Ruhe und Gemütlichkeit
jagst du den Alltag und die Sorgen weg.
Und wenn du stets gemütlich bist und etwas appetitlich ist,
dann nimm es dir egal von welchem Fleck.“
Dieses gesellschaftliche Imperativ der Ruhe und Gemütlichkeit gaben Balu und Mogli im „Dschungelbuch“ der damaligen Generation von Kindern mit auf dem Weg. Man solle möglichst die Sonnenstrahlen des Lebens genießen. Dunkle Schatten gibt es ja zu Genüge, wie letztens die grauen Oktobertage – die eher einem November ähneln – emphatisch unterstützen.
Mittlerweile fragt man sich aber, wo diese letzten Strahlen der Ruhe und Gemütlichkeit geblieben sind. Haben wir sie in die binäre Welt der Rechner und Smartphones verbannt? Oder haben sie sich vor unserer immer erratischer und hektischer werdenden Lebensweise versteckt? Ruhe und Gemütlichkeit im Sinne von wirklicher Ruhe und Gemütlichkeit zu finden, wird immer schwieriger. Es scheint, als ob sie verbannt wurden. Von uns, wegen uns, aus uns.
Gleichzeitig erscheinen wir im Bann einer Stimulations- und Erregungsspirale ad infinitum. Sie wirkt wie kleine – in einigen Minuten Abstand zugefügte – Elektroschocks, die uns nicht zur Ruhe lassen kommen und uns ständig auf exzitatorischem Trab halten. Hier die beruflich nie zu Ende kommende „To-Do-Liste“, dort das obligatorisch selbstauferlegte Fitnessprogramm in der freien Zeit. Wir werden – und unterstützen dieses noch aktiv! – auf einem bestimmten Erregungsniveau gehalten, um allseits bereit zu sein. Auch im vermeintlichen freizeitlichen Ruhezustand, oder eher dem ruhenden Erregungsmodus. Für alles, für jeden, für uns.
Architektonisch und gestalterisch spiegelt sich diese gesellschaftliche und individuell internalisierte Abscheu der Muße im Interieur von Cafés, Bars und Co. wider. Perfiderweise versteckt sie sich im Gewand ihres Hassobjekts, nämlich dem der Gemütlichkeit. So spendet das über den ganzen Raum flackernde Kerzenlicht wohlige Wärme, die nicht zu aufdringlich, aber auch nicht zu einlullend, mit den Raum füllender sanft erklingender Musik und den zahlreichen Wand- und Deckendekorationen das hyperelektrisierende Seelengefühl komplettiert. Genauso wie das Kerzenlicht flackert auch unsere Seele unruhig umher.
Diese pervertierte Pseudogemütlichkeit wird durch die richtige Auswahl der Sitzmöbel potenziert, die geradezu einen stetigen Kampf um die richtige Sitzposition darstellen. Egal, wie man sich positioniert, stets ringt man auf den harten Holzbänken um seinen wunden Hintern. Rechtes Bein überschlagen, nein, linkes Bein überschlagen, nein, beide Beine parallel zueinander. Und wieder von vorne. Statt warmer Gemütlichkeit, zählt kühles Design, statt verdientem Müßiggang, unmenschlich nie endend wollender Leistungsabruf.
Vielleicht werden wir hier mit dem paternalistischen Nudging konfrontiert? Womöglich handelt es sich bei den Inneneinrichtungen um ein neues, innovatives und multimodales Fitnesskonzept zum Trainieren von Gleichgewicht, Muskeln und Koordination. Praktischerweise wird somit auch dem Übergewicht vorgebeugt. Schon während des Essens baut man die ersten überschüssigen Kalorien ab. Es werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Das Leistende diffundiert hinterrücks in das Gemütliche (wann wird es dieses vollends okkupieren?) und wir merken nichts. Wir machen einfach mit.
Aber ehrlich, wer von uns möchte schon seine Freizeit besinnlich mit Muße und Rückzug begehen? Allein! Nur mit sich selbst! Das ist doch nur überflüssige, horrorszenarische Zeitverschwendung, diese intellektuelle Auseinandersetzung mit sich selbst, seinen eigenen Gedanken. Das will sich doch wirklich niemand antun! Dann doch lieber bis zum Ausbrennen weiter arbeiten, damit wir unsere Freizeit nicht müßig vergeuden, sondern gedankenlos Leistung erbringen.
Aber wenigstens müssen wir, wenn sich in Zukunft die „Künstliche Intelligenz“ etabliert, nicht unsere Rolle in dieser Mensch-Maschine-Beziehung finden. Denn langsam aber sicher machen wir uns mit unserer Position bekannt: der „Natürlichen Dummheit“.
Aber vielleicht macht gerade das uns glücklich? Diese betäubende, besserwisserische Schimäre! Und nicht wie Mogli und Balu besingen:
„Hast du das jetzt kapiert?
Denn mit Gemütlichkeit.Kommt auch das Glück zu dir!
Es kommt zu dir!“