Wer am Puls der Zeit sein will, kann ihr nicht entweichen: der Teamarbeit. Sie weckt das verlorene Paradies der Gemeinschaft und entfacht eine Arbeitswütigkeit unter immer prekärer werdenden Bedingungen.
Abgesehen davon, dass es sich um literarisch, philosophische Meisterwerke handelt. Was haben Hölderlins „Hyperion oder Der Emerit in Griechenland“, Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ und Thomas Mann „Der Zauberberg“ gemeinsam? Sie sind mitnichten im geselligen Gemeinschaftsfuror entstanden. Vielmehr demonstrieren sie die ungesellige Leistung einer einzelnen Person. Trotzdem wird der Teamfähigkeit heute wie nie gehuldigt. Aber warum eigentlich?
Zum einen weil es das menschliche Bedürfnis nach Geselligkeit gibt und ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Zum anderen weil es das menschliche Bedürfnis nach Unterhaltung gibt und sich aus leichter Muße und Geschwätz zusammensetzt. Weshalb also nicht das Leichte mit der Last der Arbeit in der Teamarbeit verschmelzen lassen? Denn Arbeit ist längst von der anstrengenden Maloche zur unterhaltsamen, die ganze Person vereinnahmenden Beschäftigungstherapie mutiert.
Da aber die Arbeitsbeschäftigung allzu oft als sinnlose Plackerei empfunden wird, die diametral zum menschlichen Wertinstinkt, wie es der Soziologe Thorstein Veblen nannte, steht, und der damit meinte, dass der Mensch das Werk seiner Arbeit sehen will, fungiert die Teamarbeit als Anker der guten Laune, als happy pill mit Selfout-Nebenwirkung sozusagen.
Der Club mediocrité hat das längst erkannt: Weil die Arbeit sinnlos ist, muss die Sinnhaftigkeit woanders hergeholt werden. Auftritt des Teams und seines Gemeinschaftsgefühls, das vollständige Hingabe bis hin zur Selbstaufgabe, das Selfout, verlangt. Im Gegenzug erhält das Teammitglied in der Wärme der Gruppe eine kollektive Absicherung gegen die Unsicherheiten des Lebens, es erhält die Möglichkeit das verlorene Paradies der Heimeligkeit auf der Arbeitsstätte wiederzufinden und seine lakaienhafte Brillanz sozial angemessen zu kaschieren.
Gemeinschaft, so meinen die Klubmitglieder, sei immer gut. Denn es transponiere ein Gefühl der Wärme und der Behaglichkeit, versetzte uns in eine schönere Welt, schenke uns Geborgenheit. Der Preis: Selbstaufgabe und Selbstaufopferung. Nicht wenige sind hierfür bereit individualistischen FKK zu betreiben und zu Jüngern Proudhons zu werden, der lakonisch formulierte: „Alle assoziiert und alle frei“ – wobei treffender wäre: „Alle assoziiert und alle sicher!“
Aber Sicherheit ohne Freiheit ist Sklaverei und Teamarbeit eine perfide Schlange der Durchschnittlichkeit. Sie lockt mit der wohligen Gemeinschaftswärme und verlangt hierfür hingebungsvolle Selbstaufopferung für die Arbeit, was die tüchtigen 08/15-Gestalten nur zu gern erfüllen. Es ist die Geburtsstunde der Durchschnittlichkeit, es ist die Geburtsstunde des selbstgewählten körperlichen und seelischen Raubbaus, es ist die Geburtsstunde des totalitären Arbeitsregimes.
Eine extreme Form des Selbstraubbaus, eine Überstundenkultur, ist mit ihren Konsequenzen wesentlich makabrer. Erinnert sei nur an den Fall des 21-jährigen Wirtschaftsstudenten aus der Nähe von Freiburg im Breisgau, der sich als Bank-Praktikant in London zu Tode arbeitete oder an einen jungen Banker aus den USA, der nach 100-Stunden-Wochen tödlich zusammenbrach.
Die Teamarbeit mit ihrer Überstundenkultur regiert das Zepter der Arbeit, das viele in seinen Bann des Selfout zieht. Umhüllt von diesem Schleier unterstützen sie immer prekärer werdende Arbeitsbedingungen; etwa durch ihre übereifrige 12-Stunden-Anwesenheit im Büro oder durch ihre kostenlose Arbeitsverfügung. Je mehr solcher sich selbstaussaugender Figuren am Arbeitsplatz sind, desto eher etabliert sich dieses Verhalten zur Gruppennorm. Shifting-baseline-Syndrom nennt man dieses Phänomen verzerrter und eingeschränkter Wahrnehmung von Wandel. Das Pathologische wird zur Normalität.
Selbstausbeutung und die vollste Hingabe für die Arbeit werden zur obersten Priorität und gebetsmühlenartig propagiert. Arbeit wird so zur heimeligen Wohlfühloase, zur wärmenden Familie – und Familie zum notwendigen Pflichtprogramm. Das stellt kein Problem für jene dar, die Familie als gesellschaftliches Pflichtanhängsel ohne jegliches Gemeinschaftsgefühl verstehen. Es stellt aber ein Problem für jene dar, die die Gefühle der Geborgenheit, der Zugehörigkeit in der Familie gefunden haben und hier ihre Prioritäten setzen.
Teamarbeit in seiner obsessiven Form wird zur Ersatzreligion mit ihrem Heilsversprechen der Gemeinschaft, die jedoch individuelle Unterwerfung zu Gunsten „der Sache“ verlangt. Für manch einen ist das die richtige Religion, für manch anderen eben nicht. Zwang war noch nie gut.
Nur: Unter solchen Umständen werden nie Werke ähnlich „Hyperion oder Der Emerit in Griechenland“, „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre“ oder „Der Zauberberg“ entstehen. Hierfür bedarf es eines individualitätsfördernden Raumes und keiner kuschelromantischer Gemeinschaftsanstalt inklusive Selbstraubbau.