Zum lehrreichen Hoax der „Academic Grievance Studies“: Wie Adolf Hitler einmal einen wichtigen Beitrag zur feministischen Forschung leistete
Der Text „Academic Grievance Studies and the Corruption of Scholarship“ von Helen Pluckrose, James A. Lindsay und Peter Boghassioan ist sicherlich einer der wichtigsten Texte über die Entwicklung der akademischen Universitäten, der in den letzten Jahren erscheinen ist. Entsprechend wird er auch von anderen Wissenschaftlern kommentiert, obwohl er gerade erst veröffentlicht wurde. Auch für deutsche Universitäten ist er relevant.
Was geschieht, wenn ein Kapitel aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“ angereichert wird mit Buzzwords aus heutigen politischen Debatten – wenn der Kampf gegen die liberale Gesellschaft und für das Kollektiv variiert wird als Kampf eines kollektivistischen, „solidarischen“ Feminismus gegen einen „neo-liberalen“, der die Autonomie der Einzelnen betont – wenn die Schrift Hitlers Fantasien von der gemeinschaftsstiftenden Funktion des Opfers einfach wieder aufgreift als Fantasie einer Solidarität aller Opfer sozialer Strukturen, der „Marginalisierten“ – und wenn dieser Text dann eingereicht wird bei einigen der wichtigsten wissenschaftlichen Zeitschriften ihres akademischen Feldes, bei „Affilia: Journal of Women and Social Work“ und bei „Feminist Theory“?
Natürlich ist zu erwarten, dass der feministische Hitler-Wiedergänger bei heutigen Akademiker*innen, die erprobt und geübt sind in emanzipatorischen Debatten, auf Widerstand trifft, sich lächerlich macht, scharf kritisiert oder heftig belacht und gewiss auch enttarnt wird. Oder?
Oder?
Tatsächlich wurde der Text bei Affilia zu Publikation angenommen, und auch die beiden Reviewer von Feminist Theory drücken – obwohl einer von ihnen in der jetzigen Form die Publikation nicht empfiehlt – ausdrücklich ihre große Sympathie für die Positionen des Textes aus.
Ob Hitler heute tatsächlich als feministischer Akademiker durchgehen würde, wenn er nur ein wenig an seiner Sprache feilte, ist damit allerdings noch nicht abschließend klar – dazu müsste der Text verfügbar sein, und wir müssten überprüfen können, wie viel denn tatsächlich aus dem 12. Kapitel von Hitlers Kampfschrift übernommen wurde. Irritierend ist es aber schon, dass offenbar keinem der Gutachter bei dem Titel „Our Struggle Is My Struggle“irgendetwas auffiel.
Wer hätte gedacht, dass das der Rahmen ist, in dem Hitler heute seine Lebenserinnerungen veröffentlichen könnte?
Dass aber etwas mit den wissenschaftlichen Standards in einem wichtigen Bereich der akademischen Universitäten nicht stimmt, ist offenkundig geworden. Peter Boghassian, Helen Pluckrose und James A. Lindsay, die selbst linke Akademiker sind, hatten nämlich nicht nur spaßeshalber diesen einen Text eingereicht. Sie hatten über Monate hinweg ein eigenes Forschungsprojekt gestartet, von dem „Our Struggle Is My Struggle“ nur ein kleiner Teil war.
Ihr Ziel war, den Eindruck zu überprüfen, dass sich ein Sektor der amerikanischen Universitäten uneingestanden von einem wissenschaftlichen Weltbild und wissenschaftlichen Ansprüchen entfernt hat, erprobte Qualitätsmaßstäbe durch politischen Opportunismus ersetzt und so faktisch korrupt geworden ist. Die Forscher bezeichnen ihn als „Grievance Studies“, was auf deutsch etwa „Klage-Studien“ heißen würde: akademische Felder wie die Gender Studies, Studien zur Sexualität, zum Verhältnis der Rassen, aber mittlerweile auch weite Bereiche der Soziologie insgesamt. Gemeinsam ist diesen Feldern der Anspruch, eine emanzipatorische Forschung im Interesse „marginalisierter“Gruppen zu betreiben
Die Forscher reichten daher 20 wissenschaftliche Arbeiten bei den wichtigsten Publikationsorganen des jeweiligen Feldes ein – Arbeiten, die nicht nur dann und wann Mängel besaßen, sondern die den etablierten Sprachgebrauch des akademischen Feldes benutzten, um gezielt absurde Behauptungen aufzustellen oder völlig unbegründete Thesen als Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung zu verkaufen.
Sie hatten also Arbeiten geschrieben, die in ihren eigenen Augen spätestens bei der Peer Review, den Gutachten durch akademische Kollegen, krachend hätten scheitern müssen. Zudem hatten sie, ganz nebenbei, außergewöhnlich viele Arbeiten in kurzer Zeit produziert – jeweils, ohne tatsächlich Experten des Faches zu sein.
Das Resultat: Sieben der Arbeiten wurden für die Veröffentlichung angenommen, sechs wurden abgelehnt, sieben wurden zur weiteren Überarbeitung zurückgegeben – was eine spätere Veröffentlichung in Aussicht stellt.
Vergewaltigende Hunde, Bodybuilding durch Fett und emanzipatorisches Masturbieren
Unter den akzeptierten Arbeiten war eine mit der Kernthese, dass auf Hundwiesen („dog parks“) fortlaufend Vergewaltigungen von Hunden durch Hunde zu beobachten seien und dass diese Vergewaltigungen die menschliche Rape Culture wiederspiegelten. Die Zeitschrift Gender, Place and Culture wählte diesen Text für eine Jubiläumsausgabe gar zu einem der wichtigsten Texte des Jahres. Mit ausdrücklichem Sonderlob.
Unter den akzeptierten Arbeiten war auch ein Text, der gesundheitsgefährdende Fettleibigkeit als eine Form des Bodybuilding, Fat Bodybuilding, verkauft und der es als Teil einer Unterdrückungskultur präsentiert, dass der Muskelaufbau, nicht aber der Fettaufbau bewundert werde. Als „important contribution“angenommen von der Zeitschrift Fat Studies.
Dabei war auch ein Text, der unterstellte, eine männliche Scheu vor der analen Nutzung von Dildos bei der Masturbation sei auf eine hysterische Angst vor der Homosexualität und auf Transsexuellenfeindlichkeit zurückzuführen. Diese Feindseligkeit könne gemildert, eine feministische Weltsicht könnte gefördert werden, wenn wir Männer zur analen Masturbation mit Dildos ermutigten. Als überwältigender („overwhelmed“) und bedeutender Beitrag akzepiert von Sexuality & Culture.
Dabei war ein Text mit der Kernthese, dass der Besuch eines „Breastaurants“ – eines Restaurants mit spärlich bekleideten weiblichen Bedienungen – Ausdruck eines nostalgischen Interesses an männlicher patriarchaler Dominanz wäre. Obwohl die These durch die Daten nicht begründet wurde, passte sie wohl so gut in politische Vorannahmen, dass Sex Roles den Text zur Veröffentlichung annahm.
Dabei war ein Text, der es in einem selbstironischen Spin ethisch verurteilte, dass emanzipatorische Studien durch bewusste Hoaxes– also Texte wie die eingereichten – oder durch satirische Darstellungen karikiert würden. Diese Abschottung gegen Kritik wurde von Hypatia, einem Flagschiff des akademischen Feminismus, als „exzellenter Beitrag“ angenommen, ohne dass irgendeiner der Gutachter auf die Idee kam, selbst einem Hoax aufzusitzen.
Dabei war auch ein Text, der grundsätzlich von einem Teenage Angst Poetry Generator maschinell hergestellt und dann innerhalb von sechs Stunden überarbeitet worden war. Akzeptiert vom Journal of Poetry Therapy.
Anstatt als Hochstapler aufzufliegen, bekamen die Forscher zudem gleich vier Mal das Angebot, selbst als Gutachter für andere Veröffentlichungen tätig zu werden. Sie hätten also, wenn sie tatsächlich Betrüger gewesen wären, über Jahre hinweg offenen Unsinn ins akademische Feld pflanzen können.
Ich weiß noch, wie viele Stunden Arbeit Freunde, Freundinnen und ich selbst in unseren Studium für einfache schriftliche Hausarbeiten verwendet haben, und wie groß die Besorgnis oft war, wissenschaftlichen Ansprüchen nicht zu genügen. Verglichen damit ist die Leichtfertigkeit tatsächlich korrupt, mit der hier offenkundig wertlose Beiträge als wissenschaftliche Forschung zur Veröffentlichung in führenden Zeitschriften akzeptiert wurden, solange ihre Ergebnisse und Positionen nur politisch opportun waren. Doch das ist nicht das einzige Problem.
Wieso gilt es eigentlich als unethisch, Studenten in Ketten zu legen?
Nicht nur der Hitler-Text, sondern auch ein anderer Beitrag hätte schon aus ethischen Gründen alarmierend sein müssen. In einem Text, ebenfalls bei Hypatia eingereicht, schlagen die Forscher vor, „privilegierte“ Studenten gezielt zu entmutigen – ihre Beiträge lächerlich zu machen, sie zu ignorieren, sie gar in Ketten auf dem Boden sitzen zu lassen, um ihnen experimentell deutlich zu machen, was es heißt, marginalisiert zu sein.
Kein Gutachter wandte sich gegen diese offen gewaltsame Neuauflage Schwarzer Pädagogik. Der Text wurde als „starker Beitrag“ zur akademischen Lehre begrüßt, der lediglich noch überarbeitet werden müssen, um angenommen zu werden.
Das Projekt wurde schließlich abgebrochen, weil es aufgeflogen war. Dies aber eben nicht, weil irgendeine*r der Gutachter*innen oder Herausgeber*innen misstrauisch geworden wäre oder klare Einwände erhoben hätte – sondern weil der Twitter-Accout „Real Peer Review“ die Absurdität des „Dog Park“-Textes herausgestellt hatte, was dann einige Zeitungen zur Untersuchung der Hintergründe inspirierte.
Schon das ist ein wichtiger Aspekt: Nicht die hochdotierte, mit Millionengeldern finanzierte akademische Forschung selbst, sondern ein privater, aber kritischer Twitter-Account erledigte hier die Arbeit, die vorher von den zuständigen Akademikern durchaus systematisch versäumt worden war.
Für diese Unfähigkeit zur Selbstkritik gibt es wohl mehrere Gründe. Ganz sicher gehören die intensive Beteiligung an akademischen Machtspielen, der mangelnde Weltbezug und die systematisierte Blindheit für die eigenen Privilegien dazu.
Akademische Machtspiele
Bedenklich ist auch ein Aspekt, der die beteiligten Zeitschriften auf den ersten Blick entlastet. Die Forscher waren in der ersten Runde beim Einreichen ihrer Texte erfolglos gewesen – ein Text wie der vom „konzeptionelle Penis“, der im vergangenen Jahr als Hoax bei einer eher drittklassigen Zeitschrift veröffentlicht wurde, wäre nicht angenommen worden. Nachdem sich die Forscher aber einige Monate in die verschiedenen Felder eingearbeitet hatten, waren sie deutlich erfolgreicher.
Allerdings produzierten sie damit ja immer noch Blödsinn oder gefährlichen Blödsinn – sie hatten sich nun allerdings in feldtypische Eigenheiten eingearbeitet. Das wiederum ist für akademische Machtspiele typisch, die sich weniger durch explizite Regeln und Vorgaben, sondern eher durch informelle feine Unterscheide organisieren: den typischen Sprachduktus eines Feldes – das Wissen darum, welche Akteure zitiert werden sollten und welche lieber nicht – das Wissen darum, welche Positionen satisfaktionsfähig sind und welche ungeprüft beiseitegelegt werden.
Ganz entgegen dem eigenen Selbstverständnis sind die Grievance Studies also offenbar keineswegs kritisch gegenüber den üblichen akademischen Machtspielen, sondern treiben sie eher noch auf die Spitze. Natürlich sind Universitäten immer auch Machtmaschinen – die Grievance Studies aber sind, so scheint es, kaum noch etwas anderes. Die starke Tendenz, das soziale Leben insgesamt als Ausdruck von Herrschaftsstrukturen zu interpretieren, ist vor diesem Hintergrund also möglicherweise eine Projektion der eigenen, aber uneingestandenen Verfasstheit auf die ganze soziale Wirklichkeit.
Verlust einer gemeinsamen Welt
Es fehlt nämlich etwas, das für andere Fächer und insbesondere für die Naturwissenschaften entscheidend ist: Der Bezug auf eine gemeinsame Welt. Die genannten Fächer reproduzieren in aller Regel eine Version postmoderner linker Politik, die sich die Welt sauber in Marginalisierte und Privilegierte, Beherrschte und Herrscher einteilt. Die wiederum würden faktisch in ganz unterschiedlichen Erfahrungswelten leben, und die Privilegierten hätten vor allem anderen ein Interesse an der Reproduktion ihrer Privilegien.
Damit geht es dann gar nicht mehr um die klassische zentrale Frage aller ernstzunehmenden Wissenschaft, wie denn gültige Aussagen über die allen gemeinsame Welt getroffen werden können. Es geht dann eher darum zuzuteilen, wer reden und wer schweigen sollte, welche Perspektiven „emanzipatorisch“ wären und welche „oppressiv“. Damit wird eben der offene Diskurs systematisch augebremst, ohne den es eben auch keine Selbstkontrolle der Wissenschaft gäbe.
Der Anspruch, Menschen in Not zu helfen, wird damit ebenfalls verfehlt. Allein die Nobelpreisträger Tasuko Honjo und James Allison helfen mit ihrem neuen Ansatz in der Krebstherapie möglicherweise mehr Menschen, als es alle akademischen Akteure der Grievance Studies zusammengenommen tun. Dass Allison ein alter weißer Mann ist, ist dabei völlig irrelevant – wichtig ist, dass die entwickelten Therapien in einer realen Welt realen Menschen helfen.
Blind für eigene Privilegien
Ohnehin ist es anmaßend, sich selbst für „emanzipatorisch“ zu erklären und anderen Wissenschaftler damit stillschweigend oder offen zu unterstellen, was sie als Forschung ausgeben, wäre lediglich eine Reproduktion von Herrschaftsstrukturen. Es gibt wohl kaum eine privilegiertere Arbeit als die auf einem Lehrstuhl an einer Universität – und wer diese Privilegien dadurch verdeckt, dass er sich als Sprachrohr oder Anwalt der „Marginalisierten“ verkauft, verhindert lediglich einen verantwortungsvollen Umgang mit diesen Privilegien.
Das gilt auch für Deutschland. Schon 2013 habe ich in meinem Blog in einer kleinen Artikelreihe über eine Schrift der grünen Heinrich-Böll-Stiftung geschrieben, die unter anderem betonte, dass „die Unterdrückten“ einen besseren Blick auf gesellschaftliche Machtverhältnisse hätten, weil es ihnen nicht um „Machterhalt“ginge: Der Blick von unten produziere bessere Wissenschaft als der herrschende Blick.
Da wird dann also eine Schrift vertrieben aus einer Stiftung, die allein im letzten Jahr mit 63,6 Millionen Euro aus Steuergeldern gefördert wurde (die Friedrich-Ebert-Stiftung der mittlerweile kleinen Partei SPD erhielt gar über 170 Millionen) – da wird eine universitäre Forschung präsentiert, deren Lehrstühle sich aufgrund erheblicher politischer Unterstützung in den vergangenen vervielfältigt haben und die in Massenmedien erheblich unterstützt wird: Aber ein paar Blogger, die in ihrer Freizeit oder nebenberuflich diese Art der Forschung in privaten Blogs kritisieren, werden als Vertreter einer hegemonialen Allmacht hingestellt, während die selbstbewussten Verbraucher von vielen Millionen Steuergeldern und Nutzer riesiger Infrastrukturen sich selbst als „Marginalisierte“ präsentieren.
Das ist unehrlich und anmaßend, und es ist lächerlich. Allerdings kippt auch hier das Lächerliche ins Gewalttätige, wenn offenbar nicht einmal offen faschistische Positionen abgelehnt werden, sobald sie im angemessenen Duktus verfasst sind und sich gegen die richtigen Feinde richten. Insbesondere die Sympathie gegenüber dem irren Vorschlag, privilegierte Studenten gezielt zu demütigen, zeigt, wie wenig reflektiert Akteure des Faches mit der ihnen anvertrauten Macht umgehen.
In dieser Selbstermächtigung zur Gewalt trifft der Unwille, sich aus der Perspektive anderer überprüfen zu lassen, auf den Unwillen, die eigene Macht und die eigenen Privilegien auch nur probeweise ehrlich wahrzunehmen.