Feminismus: Unmoralische Männer, friedfertige Frauen und große Erzählungen

feminismus selbstgestrickt

Zur Abwechslung keine Heldengeschichte: Der letzte Text auf meinem Blog endete mit der Frage, wie sich eine soziale Bewegung, die sich als Bewegung für Gleichberechtigung versteht, im Kampf gegen gleiche Rechte festsetzen kann. Dieser Rückblick auf die jüngere Geschichte des Feminismus lässt sicherlich einige Aspekte aus, die vielen am Feminismus wichtig und bedeutsam sind. Die Leitfrage soll aber etwas ermöglichen, was in den gängigen Erzählungen der feministischen Geschichte auffällig fehlt: die Frage danach, ob sich das Selbstbild dieser vielfältigen sozialen und längst institutionalisierten Bewegung an den Resultaten bestätigen lässt.

Da der Text für einen Blogtext relativ lang geworden ist, sogar im Vergleich zu anderen Texten hier, habe ich die Kapitel hier im Inhaltsverzeichnis verlinkt:

Einleitung: Die große Erzählung vom feministischen Kampf

Die Geschichtsschreibung des Feminismus ist regelmäßig zugleich eine feministische Geschichtsschreibung: die regelmäßige Herstellung von Autobiografien einer politischen Bewegung. Das ist nicht die Schuld von Feministinnen selbst – dass andere Darstellungen fehlen, belegt eher das uneingestandene Desinteresse von Menschen, die sich selbst nicht als feministisch betrachten.

Desinteresse an einer Auseinandersetzung mit einer langlebigen, einflussreichen, institutionell gut vernetzten und auch vielfältigen politischen Bewegung. Zumal unter linken Mönnern gehört es zum guten Ton, sich als feministisch oder pro-feministisch zu präsentieren, ohne sich jemals intensiv oder gar kritisch mit feministischen Positionen und Texten beschäftigt zu haben.

Damit aber wird die Geschichte des Feminismus wieder und wieder und ohne kritische Distanz als Heldinnengeschichte verfasst, als große Erzählung mutiger Frauen, die aus aussichtslos scheinender Position gegen stumpfe, machtgierige, rücksichtslose und kontrollsüchtige Männer aufgestanden sind und sich gegen diese Männer und gegen alle Wahrscheinlichkeit durchgesetzt haben.

So attraktiv sind solche Erzählungen, dass sie selbst durch abweichendes historisches Wissen nicht irritiert werden. Noch heute beispielsweise wird die Geschichte der Suffragetten als heldenhafte Durchsetzung des Frauenwahlrechts gegen männliche Allmachtsansprüche erzählt, obwohl es längst bekannt, dass in den meisten Ländern auch ein großer Teil der Männer nicht wählen durfte und dass deutsche und englische Suffragetten sich gegen das Wahlrecht des Pöbels (schon Clara Zetkin schrieb gegen die bürgerliche Frauenbewegung vom „Klassencharakter der Frauenrechtlerei“) einsetzten, so wie amerikanische Suffragetten gegen das Wahlrecht der Schwarzen.

Noch heute erinnern wir uns auch empört und ungläubig an vorsintflutliche gesetzliche Regelungen wie die, dass ein Mann in Deutschland seiner Ehefrau die Erwerbsarbeit verbieten konnte – auch wenn diese Regelung 1958 reformiert wurde und sich kein konkretes Beispiel dafür finden lässt, dass sie zuvor einmal angewandt worden war.

Seltsamer noch: Wer sich so empört, nimmt es meist als völlig normal hin, dass Frauen in Deutschland bis zum Einschreiten des Europäischen Gerichtshofes das Recht hatten, beliebig den Kontakt zwischen ihren Kindern und deren Vätern zu verhindern – gesetzlich garantiert, wenn sie nicht verheiratet waren, und durch erhebliche Unterstützung der beteiligten staatlichen Institutionen bei Verheirateten.

Immer noch haben Frauen diese Möglichkeit, wenn Kinder und Männer Pech haben und auf ungünstige Konstellationen bei Jugendamt und Gericht treffen. Aber obwohl diese Regelungen, anders als das männliche Recht zum Verbot der weiblichen Erwerbsarbeit, tatsächlich hunderttausendfach exekutiert wurden und es bis heute werden, stört sich kaum eine der empörten Vorkämpferinnen für Gleichberechtigung an ihnen.

Denn tatsächlich tragen Feministinnen – in den rot-grünen Parteien, in Medien und Wissenschaft – eine erhebliche Mitschuld daran, dass gleiche Rechte zwischen den Geschlechtern bei der Kindessorge bis heute blockiert werden – gegen jede Studie, die zeigt, wie sehr das Kindern schadet. Eben das aber kann eine Leitfrage sein, die eine etwas kritischere Skizze der Geschichte des Feminismus erlaubt und die sich aus dem vorangegangenen Artikel hier ergibt:

Wie war und ist es möglich, dass eine Bewegung, die nach ihrem eigenen Verständnis eine Bewegung für Gleichberechtigung und eine Verflüssigung tradierter Geschlechterrollen ist, tatsächlich als Bewegung gegen gleiche Rechte und für eine Betonierung längst überlebter Geschlechterklischees agiert?

Alice Schwarzer und die pervertierten Wracks

Pervertiert“ – „kaputt“ – „Wracks“: So beschreibt Alice Schwarzer Männer durchgehend  in ihrem Kultbuch aus dem Jahr 1975, Der kleine Unterschied (und seine großen Folgen). Sie schreibt dort von „unserer täglichen Vergewaltigung auf allen Ebenen und in den unterschiedlichsten Formen“, unterstellt Männern, dass für sie „Gewalt gleich Lust“ wäre, stellt Sex als „Terror“ und die Ehe, für Frauen, als „Hölle“ hin und beschreibt eine Möglichkeit erfüllter weiblicher Sexualität nur mit einem kindgleichen Mann – oder, vor allem, mit anderen Frauen.

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Sie stellt, vor allem, eine „Kluft zwischen Männern und Frauen“ fest: „Beide leben auf unterschiedlichen Sternen“. Schwarzer beschreibt damit ein Reich der Frauen als besetztes Land, in dem Frauen nur mit ihresgleichen glücklich werden können, während die fremden Besatzer sie versklaven, ausbeuten, quälen und vergewaltigen. Die Idee, dass es eine sinnvolle, gar beglückende Kooperation zwischen Frau und Mann geben könnte, steht hier als Propaganda der Besatzer da, die damit die Mitarbeit der Ausgebeuteten an ihrer eigenen Ausbeutung sichern.

Natürlich war (und ist) es möglich, dass Frauen das Leben in einer Ehe als Hölle empfanden – sei es, weil sie unerträgliche Partner hatten, sei es, weil ihnen ein Leben als Hausfrau nutzlos und isoliert erschien. An keiner Stelle aber bleibt in Schwarzers Kultbuch Raum für den Gedanken, dass Männer dies auf der anderen Seite vielleicht ganz ähnlich empfanden. Männer sind hier so selbstverständlich das Fremde, das ganz Andere, dass ihre Perspektiven wie selbstverständlich ausgeblendet bleiben. Sie würden in diesem Kontext ohnehin nur als Perspektive der Besatzer erscheinen – als Legitimation alltäglicher Gewalt.

Natürlich haben auch solch radikal einseitige Positionen ihr Recht im Diskurs, und normalerweise wird ihre Einseitigkeit eher früher als später durch die fehlenden Perspektiven ergänzt. In der Geschlechterpolitik aber war diese Einseitigkeit musterhaft und stilbildend. Wie war das möglich?

Das lässt sich nicht erklären ohne einen Seitenblick auf andere, gleichzeitige Entwicklungen. 1976 reformierte die sozialliberale Koalition das Scheidungsrecht: Nun wurde vor Gericht lediglich noch festgestellt, dass eine Ehe zerrüttet war, ohne dass die schuldige Partei festgestellt werden musste. Das war ein Segen für die Gerichte, und es hatte guten Willens das Ziel, den „Vorrang des Mannes“ (Gerhard Jahn, der bis 1974 Justizminister war) abzuschaffen,  hatte dann aber auf andere Art und Weise Folgen für die Balance der Geschlechter.

Denn da meist der Mann die Funktion des finanziellen Versorgers in der Ehe übernommen hatte, und da die finanzielle Versorgung auch nach der Ehe gewährleistet sein und zudem ein Versorgungsausgleich gezahlt werden sollte, bedeutete das neue Scheidungsrecht in aller Regel – dass der Mann seinen Teil der ehelichen Kooperation nach der Ehe fortsetzen musste, auch wenn die Frau ihre Seite der Kooperation aufgekündigt hatte.

Natürlich war das beeinflusst von der Vorstellung einer Ehehölle für Frauen: Die Frau sollte nicht durch finanzielle Zwänge in einer Ehe gehalten werden, in der sie und ihre Kinder litten. Das war von vielen wohl ehrlich und fürsorglich gemeint und doch zugleich Ausdruck eines Ressentiments, das nun die Logik der Kooperation prägte, denn ebenso konnte die Ehe natürlich auch für den Mann eine Hölle sein, und die Kinder konnten auch unter der Mutter leiden.

Wenn es in modernen Gesellschaften normal und alltäglich ist, dass wir die Perspektiven anderer übernehmen, dann liegt das nicht daran, dass wir allesamt gute, reinherzige Menschen wären – sondern daran, dass wir von diesen anderen Menschen etwas wollen, dass wir mit ihnen kooperieren müssen und dass wir diese Interessen sehr viel besser verfolgen können, wenn uns ihre Perspektiven präsent sind.

Hatte eine Frau aber lediglich an der finanziellen Versorgung durch den Mann ein Interesse, dann war diese Leistung nun garantiert: Schließlich schaltete sich der Staat mit seinem Gerichten und Vollzugsorganen ein und sorgte dafür, dass der Mann in jedem Fall seine Kooperationsleistung erbringen musste, auch wenn er kein Recht auf die Kooperation der Frau hatte.

Das Scheidungsrecht ist so ein besonderes Beispiel für ein staatliches Agieren, das später in der Gleichstellungspolitik unüberschaubar weitflächtig institutionalisiert wurde: für den Anspruch staatlicher Institutionen, in die Interaktion zwischen Männern und Frauen einzugreifen und dort tatsächliche oder vermeintliche Ungerechtigkeiten zu Lasten von Frauen zu beseitigen, nicht aber die zu lasten von Männern. Staatliche Institutionen agieren in der Geschlechterpolitik seitdem gleichsam mit dem Ethos eines viktorianischen Gentleman, der die Frau vor einem Wüstling und Ausbeuter schützen muss. Da das kaum in eine moderne Massengesellschaft passt, ist zur Legitimation eine überbrückende Ideologie nötig.

Der moderne Feminismus war also auch deshalb notwendig, weil sie diese realen Verhältnisse staatlicher Gewalt ideologisch orchestrierte. Von Frauen könne keine Kooperation erwartet werden, da diese Kooperation sie in Gewaltstrukturen festhalte. Die Perspektive der Männer müsse nicht übernommen werden, weil sich darin ohnehin bloß eine Lust an der Gewalt ausdrücke. Männer bräuchten kein Mitgefühl, weil sie ohnehin alle Macht besäßen.

Bis heute hält sich die Unterstellung, Männer würden auf hohem Niveau leiden, weil all ihre Probleme einer enttäuschten Anspruchshaltung entspringen würden. Das ist ebenso realitätsfern wie wirkmächtig: Als ob Männer, die aufgrund von Willkürentscheidungen ihre Kinder nicht mehr sehen können und die trotzdem weiter zur Finanzierung ihrer Ex-Frauen arbeiten müssen, lediglich am Verlust einer einstigen Machtposition leiden würden.

So wird denn auch erklärlich, wie die zweite Welle des Feminismus ausgerechnet in einer politischen Situation anhob, in der rechtliche Benachteiligungen von Frauen beseitigt worden waren, während rechtliche Benachteiligungen von Männern aufrechterhalten wurden. Feministische Positionen waren nicht auf eine Veränderung der Verhältnisse gerichtet, sondern orchestrierten eben die rechtliche Gemengelage, die sich bereits entwickelt hatte.

Vor allem: Die Veränderungen im Geschlechterverhältnis hatten sich, und nicht allein in Deutschland, durchweg in einer Kooperation von Frauen und Männern entwickelt – aber Schwarzer und andere interpretierten sie kurzerhand als Erfolge, die Frauen gegen eine männliche Übermacht errungen hatten. Das wurde ganz besonders bei ihrem Kernthema deutlich – bei der Abtreibung.

Abtreibung: Die Wächterin am Eingang des Lebens

Es hat einen einfachen, nachvollziehbaren Grund, dass bis heute Frauen in einer gewissen Frist die Möglichkeit einer Abtreibung haben, Männern aber keine äquivalente Möglichkeit zur Verfügung steht, also etwa ein Opt-Out, mit dem sie auf alle Pflichten und Rechte als Vater verzichten können. Männer haben ebenso wie Frauen ein Interesse an einer weiblichen Möglichkeit zur Abtreibung – aber nur Männer haben ein Interesse an einem Opt-Out, während Frauen ein starkes Interesse daran haben, dass Männern diese Möglichkeit nicht zur Verfügung steht.

Wenn Feministinnen die Liberalisierung der Abtreibung als Leistung mutiger Frauen verstehen, die sie gegen männliche Macht- und Kontrollbedürfnisse durchgesetzt haben, dann verzeichnet das nicht nur die reale Situation, in der sich eben auch Frauen gegen eine Liberalisierung aussprechen, bei Menschen über 50 sogar mehr Frauen als Männer. Es ist auch schlicht projektiv: Es sind umgekehrt eher Frauen und mit ihnen der Staat, die ein – nachvollziehbares – Interesse daran haben, eine Kontrolle über männliche Versorgungsleistungen zu behalten.

Die feministische Interpretation der Abtreibung (und tatsächlich: auch der Abtreibung selbst, nicht nur der Liberalisierung des Gesetzes) als Akt weiblicher Befreiung aus männlicher Knechtschaft prägte dann die Geschlechterpositionen auf eine Weise, die mit Ideen der Kooperation, Gleichberechtigung und einer Verflüssigung der Geschlechterrollen nicht vereinbar war. Die Frau war damit, ganz archaischen Mustern entsprechend, Wächterin am Eingang des Lebens, die Entscheidung über den Beginn des Lebens musste ganz allein ihre sein – während der Mann in der traditionellen Position des Versorgers verwendet wurde, der an der Entscheidung nicht beteiligt war und der, wenn er und seine Kinder Pech hatten, nicht einmal den Kontakt zu ihnen bewahren konnte.

Kurz: Der Feminismus der zweiten Welle brach nicht etwa alte Geschlechterrollen auf, sondern radikalisierte und verfestigte sie. Noch heute schreibt die englisch-österreichische Feministin in ihrem gerade erschienen Buch Feminismus Revisited, einer weiteren Heldengeschichte des Feminismus, gegen die Entwicklung einer Pille für den Mann: „Empfängnisverhütung ist das Letzte, was wir vorzeitig aus der Hand geben dürfen.“ (S. 309) Die Kontrolle über die Reproduktion muss weiblich bleiben, als wären Männer davon nicht betroffen.

Die nutzlosesten und nichtigsten Wesen: Von der Legitimation bestehender Ordnungen

Wichtig ist, dass diese Verfestigung bestehender Geschlechterrollen, die als Verflüssigung verkauft wurde, nicht allein eine Entwicklung der öffentlichen Diskurse war, sondern dass diese Entwicklung eine kaum verrückbare rechtliche und ökonomische Basis hatte: Die Ehescheidung wurde reformiert, das Abtreibungsrecht wurde liberalisiert, jeweils in der Kooperation von Männern und Frauen. Aber die Interpretation dieser Veränderungen in der Logik eines Geschlechterkampfes sorgte zugleich dafür, dass entstandene Schräglagen sogleich legitimiert und die Reformen nicht ernsthaft überprüft wurden: Kritik an ihnen wäre ja als Ausdruck männlicher Machtinteressen erschienen, die doch eigentlich zu überwinden waren.

Die radikal negativen Männlichkeitsbilder der zweiten feministischen Welle lassen sich so heute leicht als solche Orchestrierungen realer politischer Verhältnisse deuten. Die Vorstellung der männlichen Ausbeutung der Frau ließ es als legitim erscheinen, dass Männer nun etwas zurückzugeben hätten. Die Vorstellung der umfassenden männlichen Gewalt legitimierte es, Männer aus den Familien herauszudrängen. Die Vorstellung, dass Männer weithin ihre Kinder sexuelle missbrauchen würden, legitimierte es, Kinder ganz bei ihren Müttern zu belassen – was übrigens Susan Faludi schon 1991 kritisierte, aber einem männlich initiierten „Rückschlag“/„Backlash“ gegen den Feminismus zuschrieb, anstatt die Verantwortung von Feministinnen selbst zu untersuchen. Den Ausschluss des Vaters aus der Mutter-Kind-Diade sicherte auch die Vorstellung, dass liebesunfähige und -unwillige Männer ihre Kinder ohnehin nur benutzen würden, um ihre Kontrolle über die Mütter aufrechtzuerhalten.

Die Verweigerung basaler Empathie selbst für Männer, die offensichtlich erheblich litten, wurde in feministischen Bestsellern stillschweigend legitimiert: Robin Norwood in Wenn Frauen zu sehr lieben“ (1987) oder Cheryl Bernard und Edith Schlaffer (etwa in „Liebesgeschichten aus dem Patriarchat. Von der übermäßigen Bereitschaft der Frauen, sich mit dem Vorhandenen zu arrangieren“, 1984, oder „Laßt endlich die Männer in Ruhe oder: Wie man sie weniger und sich selbst mehr liebt“, 1990) sind nur wenige Beispiele für eine oft wiederholte Behauptung: Frauen hätten sich immer ganz auf Männer konzentriert und müssten es jetzt, endlich, lernen, die Belange von Männern zu ignorieren und sich auf ihre eigenen Belange zu konzentrieren.

So ressentimenthaft und einseitig solche Geschlechterbilder auch sein mögen: Wichtig ist, dass sie keineswegs in der Luft hingen, sondern auf realen politischen, rechtlichen und ökonomischen Strukturen staatlicher Gewalt aufbauten. Marxistisch formuliert: Sie waren der Überbau für eine sozio-ökonomische Basis.

Wichtig ist auch, dass dieser Feminismus für Frauen, die mit ihren Männern kooperieren wollen, keine erkennbare Funktion erfüllt – ebensowenig wie für Mütter, die ihre Kinder gemeinsam mit den Vätern aufziehen möchten. Funktional ist dieser Feminismus allein für Frauen, die bei einem Mann vorwiegend oder allein an der finanziellen Versorgungsleistung interessiert sind – und  deren (Ex-)Mann zudem solvent genug ist, diese Leistung auch erbringen zu können.

Das bedeutet: So sehr Feministinnen auch beanspruchten, für alle Frauen zu sprechen, so erfüllten sie doch lediglich nur für einen kleinen Teil der Frauen eine reale Funktion: für Frauen nämlich, die daran interessiert waren, traditionelle Geschlechterrollen eben nicht zu verändern und eine männliche Versorgungsleistung verfügbar zu halten – und zugleich für Frauen, die in vergleichsweise guten, privilegierten Verhältnissen lebten.

Dieser innere Widerspruch zwischen dem – für die politische Durchsetzung der eigenen Positionen wichtigen – Anspruch auf Vertretung aller Frauen und der faktisch sehr begrenzten Funktionalität für eine kleine privilegierte Gruppe von Frauen erklärt auch die überraschende, enorme frauenfeindliche Aggression Aggression feministischer Aktivistinnen und die massiven Reaktionen auf Kritik und Provokationen von Frauen, bis hin zu gefährlicher körperlicher Gewalt. Die eigenen Widersprüche werden damit wütend eben den Frauen angelastet, die sich – und oft eben mit gutem Grund – durch Feministinnen nicht vertreten sehen, die das auch noch öffentlich sagen und die damit feministische Widersprüche sichtbar machen.

Schon für die Tochter aus gutem Hause Simone de Beauvoir waren zum Beispiel Hausfrauen die „nutzlosesten, nichtigsten Wesen, die das Menschengeschlecht je hervorgebracht hat“ (S. 780) – verständlich, denn eine Hausfrau nimmt schließlich nicht allein eine finanzielle Versorgungsleistung durch den Mann entgegen, ohne dass sie staatlich-institutionell vermittelt wäre, sie fühlt sich auch verpflichtet, im Gegenzug eine eigene Versorgungsleistung zu erbringen.

Unmoralische Männer und friedfertige Frauen: Vom Überleben der Geschlechterklischees

Erstaunlich ist aber bis heute, warum niemals jemandem auffiel, wie sehr die rechtlich betriebene und ideologisch orchestrierte Entfernung von Männern aus Familien nicht nur dem Ziel einer Änderung von Geschlechterrollen direkt entgegenstand, sondern auch einen Vaterverlust reproduzierte, der traumatisierend das ganze 20. Jahrhundert prägte.

Im faschistischen Ideal der deutschen Mutter, die ihr Kind eigentlich dem Führer schenkte und deren Mann auf den Schlachtfeldern geopfert worden war, war millionenfach ausgerechnet eben das Geschlechter-Muster tief verwundend in die Leben der Menschen hineingequält worden, das nun plötzlich als befreiendes Ideal verkauft wurde. Für Psychologen hätte dieser Zusammenhang eigentlich eine dringende Einladung für Analysen sein müssen – stattdessen wurde er durch eine der wichtigsten popular-psychoanalytischen Schriften der Zeit verdeckt und kaschiert.

Margarete Mitscherlich erklärte 1985 die Frau zum friedfertigen Wesen und verschob die Verantwortung für Gewalt, für Machtgier und, insbesondere, für den Faschismus auf Männer. Frauen konnten so als Trägerinnen einer besseren Zukunft erscheinen – Die Zukunft ist weiblich. hieß Mitscherlichs folgendes Werk im Jahr 1987.

Tatsächlich wiederholte diese vorgeblich zukunftsweisende Vision alte, längst etablierte Muster, die Christoph Kucklick in seiner 2008 erschienenen Dissertation Das unmoralische Geschlecht analysiert hat. Es sei kennzeichnend für die Moderne und schon in den Texten der Aufklärungszeit nachzuweisen, dass die Überforderungen moderner Entwicklungen – die Anonymität, die Bindungslosigkeit, der Verlust bislang tragender Moralsysteme – als typisch männlich kodiert worden seien, während Weiblichkeit demgegenüber als eine Form der Menschlichkeit fantasiert worden wäre, die sich den Zumutungen der Modernisierungen entziehen konnte.

Natürlich hatte auch diese Fantasie eine reale ökonomische, institutionalisierte Basis – nämlich die bürgerliche Ehe, deren Formen Feministinnen am Ende des 20. Jahrhunderts zu überwinden vorgaben, aber tatsächlich lediglich radikalisierten.

Schlimmer noch: Mitscherlich knüpfte nicht nur an längst tradierte Geschlechterklischees an, sondern sie reproduzierte auch eben die Geschlechterstrukturen des Nationalsozialismus, die zu analysieren sie vorgab. In seiner furchtbaren Posener Rede hatte der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler die deutschen Massenmorde als Akte der moralischen Selbstüberwindung hingestellt: als ob die Männer, die diese Morde begingen, ihre moralische Integrität riskiert hätten, um es dem Kern des deutschen Volkes zu ermöglichen, moralisch intakt und frei zu bleiben. Dieser Kern aber war im nationalsozialistischen Denken die deutsche Mutter. Schuldige Männer – undschuldige Frauen im Kern des Volkes: dieses Bild wurde von Mitscherlich reproduziert, nicht destruiert.

Kritik erfuhren nicht einmal extreme Ausformungen dieser Mütter-Idealisierung. Die Feministin Andrea Dworkin entwarf, als ob daran nichts auszusetzen wäre, das Ideal eines Mutter-Sohn-Inzests, an dessen Ende der Sohn von der Mutter getötet wird: Die Fantasie einer Einverleibung des Männlichen in das unbedingt positive Weibliche. Da der millionenfache Tod von Söhnen und Männer auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs noch nah war, konnte eigentlich niemand diese Fantasie für eine bloße, zeitlose Metapher halten. Doch auch die Kritik der – ihrerseits feministischen – Autorin Barbara Vinken an Dworkin hallte nach: Vinken zeigte in ihrer Schrift „Die deutsche Mutter“, wie direkt Dworkin an Schriften des nationalsozialistischen Mutterkults anknüpfte.

Die im Krieg ins Extrem geführter männliche Disponibilität feierte das feministische Kultbuch SCUM von Valerie Solanas, das unverhohlen an den Massenmord an den europäischen Juden anknüpfte und ihn zum Männermord wendete. Nicht einmal diese Schrift, und nicht einmal Solanas‘ Versuch, sie durch die Ermordung Andi Warhols in die Tat umzusetzen, war jemals Anlass, am durchweg positiven feministischen Selbstbild zu zweifeln: Der Text wird bis heute in der feministischen Selbstgeschichtschreibung schlicht als „Satire“ rubriziert und kann daher dieses Bild nicht gefährden.

Zwischenbilanz: Geschlechterpolitik als abgebrochene Modernisierung

Als Zwischenbilanz lässt sich zunächst festhalten:

Feministinnen waren nicht deshalb erfolgreich, weil sie engagiert und unbeirrt ganz Neues, Zukunftsweisendes vertraten – sondern weil sie auf längst etablierten Mustern aufbauten, die sie reproduzierten und als Neuheiten ausgaben.

Sie konnten vor allem auf einer Kooperation von Männern und Frauen aufbauen, die sie zugleich in der Fantasie eines Geschlechterkrieges energisch dementierten. Das Gegenstück zur Idee einer Männerherrschaft, die komplexe Strukturen einer modernen Gesellschaft unheilbar versimpelt, ist nicht die ebenso simple Spiegelung einer „Frauenherrschaft“ – sondern die Einsicht, dass Entwicklungen in der Kooperation von Männern und Frauen möglich werden.

Feministische Positionen waren allerdings keineswegs abgehobene Ideen verrückter Emanzen, sondern sie waren ein – legitimierender – Überbau über eine politische, rechtliche und ökonomische Basis. Feminismus war Reflex und zugleich Orchestrierung einer Entwicklung, die zur Modernisierung gehört, die hier aber zugleich eine Ent-Liberalisierung sein konnte: nämlich des gesteigerten Anspruchs staatlicher Institutionen, in die persönliche Interaktion von Menschen einzugreifen und sie zu strukturieren. Von der feministisch inspirierten Neugestaltung der Mann-Frau-Beziehungen konnten allerdings gut situierte Frauen wesentlich deutlicher profitieren als andere.

Faktisch erfüllten feministische Positionsnahmen, ganz entgegen dem eigenen progressiven Selbstverständnis, vor allem die Funktion, weitere Veränderungen einmal etablierter Strukturen zu verhindern. Das gilt insbesondere für die Funktion von Männern als finanzielle Versorger, die – sei es direkt über den Unterhalt, sei es über öffentliche Gelder, die zum größten Teil von Männern erarbeitet werden – engagiert verteidigt wurde.

Es ist allerdings ganz normal, dass soziale Bewegungen sich über die Funktion, die sie erfüllen, nicht vollständig im Klaren sind und dass sie diese Funktion erst im Rückblick durchschauen. Eine öffnende Weiterentwicklung wäre leicht möglich gewesen – immerhin ist es ein Verdienst feministischer Positionen, die Bedeutung von Geschlechterkategorien für die Analyse sozialer Strukturen herausgestellt zu werden, und das hätte auch im Sinne von Männern genutzt werden können.

Wichtig wäre es nun gewesen zu akzeptieren, dass keine Geschlechterdebatte geführt werden kann, bei der die Perspektiven von Männer nicht ebenso im Spiel sind wie die von Frauen.

Insbesondere der Abschied vom uneingestandenen Mutterkult – einen Abschied, den etwa die französische liberale Feministin Elisabeth Badinter energisch forderte – und eine Stärkung von Vätern bei der Betreuung von Kindern haben eine Schlüsselfunktion für jede tatsächliche Änderung von Geschlechterrollen: Ohne das geht es nicht.

Leider entwickelten sich feministische Positionen in eine ganz andere Richtung.

Im nächsten Teil beschäftige ich mich dann mit der sogenannten dritten (genderpoltischen) und vierten (intersektionalen) Welle des heutigen Feminismus.

Literatur, soweit sie nicht verlinkt ist:

Élisabeth Badinter: Die Wiederentdeckung der Gleichheit. Schwache Frauen, gefährliche Männer und andere feministische Irrtümer, München 2004

Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau, Reinbek 2000

Cheryl Benard/Edit Schlaffer: Laßt endlich die Männer in Ruhe, oder: Wie man sie weniger und sich selbst mehr liebt, Reinbek 1992

Cheryl Benard/Edit Schlaffer: Liebesgeschichten aus dem Patriarchat. Von der übermäßigen Bereitschaft der Frauen, sich mit dem Vorhandenen zu arrangieren, Reinbek 1994

Andrea Dworkin: Woman Hating, New York 1974

Susan Faludi: Backlash – Die Männer schlagen zurück, Reinbek 1995

Christoph Kucklick: Das unmoralische Geschlecht: Zur Geburt der negativen Andrologie, Frankfurt am Main 2008

Margarete Mitscherlich: Die friedfertige Frau. Eine psychoanalytische Untersuchung zur Aggression der Geschlechter, Frankfurt am Main 1985

Robin Norwood: Wenn Frauen zu sehr lieben. Die heimliche Sucht, gebraucht zu werden, Reinbek 1990Alice Schwarzer: Der „kleine Unterschied“ und seine großen Folgen. Frauen über sich – Beginn einer Befreiung, Frankfurt am Main 1975

Valerie Solanas: SCUM Manifesto, als pdf hier erhältlich

Barbara Vinken: Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos, Frankfurt am Main 2007

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