Ein Fall in Ferdinand von Schirachs Buch „Schuld“ handelt von einem jungen Ehepaar. Sie sind finanziell abgesichert und wünschen sich in naher Zukunft Kinder. Ein glückliches junges Paar. Bis der Mann der sexuellen Belästigung an einer Minderjährigen angeklagt und auch verurteilt wird. Er muss 2 Jahre ins Gefängnis, verliert seine Frau und all seine Perspektiven. Nachdem er wieder frei ist, rollt ein Anwalt seinen Fall erneut auf und es stellt sich heraus, dass das Mädchen und auch die Zeugin (ebenfalls ein junges Mädchen) eine Falschaussage gemacht hatten. Der Mann hatte ihnen nie etwas getan.
Dieser Fall zeigt eindrücklich, wie dramatisch es sein kann, wenn jemand zu Unrecht verurteilt wird. Gerade Sexualdelikte erregen immer wieder Aufsehen, da die Beweislage meist schlecht nachzuvollziehen ist.
Auch die #metoo Welle führt dazu, dass sich Gerichte vermehrt mit Strafverfahren wegen Verleumdung beschäftigen müssen, wie zum Beispiel im Fall der Frankfurterin Schwesta Ewa . Sie behauptet, während ihrer Zeit in U-Haft von mehreren Wärtern sexuell belästigt worden zu sein. Die Staatsanwaltschaft geht von Verleumdung der Wärter aus. Aber ist es nicht denkbar, dass diese Übergriffigkeiten wirklich stattgefunden haben? Im bestehenden System steht am Ende Aussage gegen Aussage und den Kürzeren zieht im Zweifel derjenige, dem der Richter schlicht nicht glaubt. Denn die Feststellung, ob eine Aussage wahr oder falsch ist, obliegt nach deutschem Recht allein dem Tatrichter.
Auch im Fall Dieter Wedel, der zu Beginn dieses Jahres mehrfach wegen sexuellem Missbrauch bezichtigt wurde und deswegen auch mit wirtschaftlichen Einbußen rechnen musste , sind Anzeigen wegen Verleumdung möglich. Denn Belege für die Übergriffigkeiten wurden nicht gefunden .
Aber was tun? Wie kann man dagegen vorgehen, wenn die Beweismittel fehlen?
Eine Möglichkeit, die nie ganz verschwindet aber in Deutschland bisher nicht vor Gericht zugelassen wurde, ist der Polygraph, auch Lügendetektor genannt.
In Deutschland hat der Apparat keinen guten Ruf. Zu groß sind die Bedenken, vor der Fehlhaftigkeit des Apparates und seiner Manipulierbarkeit. Denn wie kann der Polygraph bei einem Kriminellen funktionieren? Bei einem Menschen, der kein normales Verhältnis zu seinem Fehlverhalten hat und es ihm somit leicht fällt Straftaten zu begehen und keine Reue dafür zu empfinden?
Was ist mit den Fällen, in welchen kein klassischer Verbrecher auf der Anklagebank sitzt, sondern ein rechtschaffender Bürger, der zu Unrecht eines Verbrechens oder einer Straftat angeklagt wird, wie im Falle des Mannes von dem Schirach berichtete? Wenn es keine ausreichenden Beweise gibt, der Angeklagte aber dennoch unschuldig ist, wäre es in einem solchen Fall nicht gut, eine Möglichkeit zu haben ihn zu entlasten?
In anderen Ländern, wie z.B. Belgien oder Polen, ist es vor Gericht jedem Angeklagten erlaubt sich eines physiopsychologisches Tests mittels eines Polygraphen zu unterziehen. Das Resultat wird anschließend ebenso behandelt, wie jedes andere Beweismittel.
Hierzulande wird die Option des Lügendetektors seit 1954 vom BGH wiederholt nicht akzeptiert. Die Gründe dafür beziehen sich auf die Wahrung der Menschenwürde und auf die Falsifizierbarkeit des Gerätes. Der Nutzen eines Polygraphen verdient kaum Beachtung.
Bisher ist man in Strafverfahren ja auch ohne dieses weitere Beweismittel ausgekommen. Wieso an einem Stuhl rütteln, der sich so schön eingesessen hat und so bequem geworden ist? Aber darf man deshalb die unschuldig Verurteilten außer Acht lassen? Der BGH-Richter Ralf Eschelbach geht davon aus, dass jedes vierte Urteil ein Fehlurteil ist. Statistiken dazu gibt es keine. Das System hält zusammen und will sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen. Den Betroffenen aber hilft es nicht, wenn man, wie in jedem System mit X % Verlusten rechnet. Justizirrtümer zerstören Leben!
Aber es gibt auch Gerichte, die sich von diesem Urteil nicht beeindrucken ließen und den Polygraphen im Verfahren eingesetzt haben, sowie das OLG Dresden und das AG Bautzen . Beide setzten den Polygraphen zur Entlastung in Familienstreitigkeiten ein. Der erste Schritt für die Zulassung von Polygraphen ist also getan, aber es gilt die Sensibilität für dieses Thema zu schärfen.
Ich selbst war jahrelang der Ansicht, dass man Lügendetektoren nicht trauen kann, schon gar nicht vor Gericht. Sie sind fehleranfällig, manipulierbar und sicher nicht dafür geeignet Kriminelle zu überführen. Aber in welchen Fällen ein solcher Apparat durchaus sinnvoll sein kann, das wurde mir erst klar, als ich einen befreundeten Anwalt zu einem Streitgespräch in die Kanzlei „verte“ in Köln begleiten durfte. Hier fand am 25.05.2018 eine Diskussion zum Thema Polygraphen statt.
Teilnehmende waren die Dipl. Psychologin Dr. Gisela Klein, die führende Sachverständige für Polygraphen in Deutschland, Prof. Dr. Thomas Fischer, ehemaliger Vorsitzender des 2. Strafsenats des BGH und Prof. Dr. Holm Putzke, Rechtswissenschaftler mit einer Lehrprofessur für Strafrecht in Passau.
Das Gespräch wurde eröffnet von Dr. Gisela Klein, die eine Einführung in Entstehung und Verfahren des Polygraphen gab. Der Polygraph, der 1935 von C. G. Jung und M. Wertheimer erfunden und in diesem Jahr auch zum ersten Mal getestet wurde, findet auch heute noch Verwendung.
Das Prinzip beruht auf den Messungen physiologischer Reaktionen des Befragten, die Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Aussage haben sollen. Die Messungen des Polygraphen werten Atmung, Puls, Blutdruck und elektrische Leitfähigkeit der Haut aus und geben Aufschluss über die unwillentlichen körperlichen Aktivitäten des Probanden.
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Somit wird mittelbar auf den Wahrheitsgehalt der Aussage gefolgert. Die Annahme ist, dass Menschen in bestimmten Situationen bestimmbare physiologische Reaktionen zeigen, z.B. dass Menschen nervös werden, wenn sie lügen. Auch wenn diese Nervosität dem Gegenüber unbemerkt bleiben können, so reagiert das vegetative Nervensystem des menschlichen Körpers doch und wird somit messbar, so die Theorie. Reaktionen äußern sich in einer Veränderung der überprüften Areale. Der Puls steigt, die Atmung wird schneller, ebenso können Schwitzen und Zittern auftreten.
Gemessen werden mehrere Reaktionen gleichzeitig bei verschiedenen Fragestellungen. Diese Fragen erstrecken sich von normalen alltäglichen Fragen, bis hin zu den gezielten Fragen, deren Wahrheitsgehalt es zu überprüfen gilt.
Frau Dr. Klein berichtete auch von mehreren Studien, bei welchen der Polygraph mit sehr guten Ergebnissen abgeschnitten hatte. Diese kann ich leider nicht aufführen, da ich die Quellen dazu nicht finden konnte.
Nach der Einführung zum Polygraphen diskutierten Prof. Dr. Fischer auf der Contra Seite und Prof. Dr. Holm Putzke auf der Pro Seite über den Nutzen des Lügendetektors. Im Wesentlichen wurden alle Punkte aufgeführt, die ich zu Beginn dieses Artikels ausgeführt habe.
Was mir am Ende fehlte, war eine konkrete Aussicht auf dieses Thema. Wenn die Falsifizierbarkeit eines solchen Gerätes so maßgeblich ist, der Nutzen aber unumstritten, wieso scheint die Motivation ein geeigneteres Verfahren zu finden so schleppend? Der Contra-Sprecher, Prof. Dr. Fischer führte selbst an, dass die heutige Wissenschaft zuverlässigere Verfahren anbietet, wie die Messung von Hirnströmen (EEG) oder auch die Mimikforschung. Sucht man aber nach Forschungen zu diesem Bereichen, wird man hierzulande nicht fündig. Dazu muss man über den großen Teich schauen , wo bereits der Polygraph seit Jahrzehnten Verwendung findet. Sichtbar wird hier, dass Verfahren erst dann tiefer gehend erforscht werden, wenn sie Anwendung finden.
Dass die Polygraphen-Forschung in Deutschland so stiefmütterlich behandelt wird, verwundert nicht, wird der Polygraph doch in juristischen Fragen kaum angewendet. Damit ist aber nicht gesagt, dass der Polygraph ein schlechtes Gerät sein muss. Gibt es doch genügend andere Bereiche, in dem er Verwendung findet. Was dem Polygraphen fehlt ist eine gute Lobby und die wird er unter den herrschenden Bedingungen nicht finden.
Bleibt zu hoffen, dass sich in Zukunft mehr Gerichte ein Beispiel an dem OLG in Dresden und dem AG in Bautzen nehmen werden und es so irgendwann möglich wird, das BGH davon zu überzeugen, dass Lügendetektoren, ob in Form eines Polygraphen, eines EEGs oder eines sonstigen Apparates, sinnvoll für die Beweisentlastung sein können.