Wozu eigentlich brauchen Männer Empathie?

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Der Blogger Gunnar Kunz fordert uns auf, den 11. Juli als Tag des Gender Empathy Gap zu begehen, der daran erinnert, dass Männer und Jungen in öffentlichen wie in privaten Bereichen deutlich weniger Empathie erwarten können als Frauen und Mädchen.

Brauchen auch Männer Empathie?

Call for Action!

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Wer einen Artikel zum Gender Empathy Gap Day veröffentlicht, kann dem Autor Gunnar Kunz einen Link schicken. Der Artikel wird dann am 11.Juli im „Alternativlos-Aquarium“ verlinkt.

Der 11. Juli als Tag des Gender Empathy Gap – der Blogger Gunnar Kunz schlägt vor, am Jahrestag des Massakers in Srebrenica darauf aufmerksam zu machen, dass Jungen und Männer in öffentlichen Debatten und in Institutionen wesentlich weniger Empathie erwarten können als Frauen und Mädchen.

1995 trennten serbische Soldaten in Srebrenica etwa achttausend bosnische Männer und Jungen von ihren Familien und ermordeten sie systematisch . Die UN-Sicherheitsszone, in die sich viele geflüchtet hatten, war von den UN-Beobachtern kampflos übergeben worden – womit die UN die Jungen und Männer offenen Auges ihren Schlächtern auslieferte.

Was für einen Sinn aber hat es, diese ungeheure Gewalt nun zum Anlass für einen Tag zu nehmen, an dem laut Kunz „das Recht von Männern auf körperliche und seelische Unversehrtheit“ im Mittelpunkt steht? Schließlich gibt es schon einen Internationalen Männertag, an dem der Männergesundheit gedacht wird. Jedes Jahr von Neuem ist dieser Tag gern genutzter Anlass für Witzeleien in Leitmedien und sozialen Medien – und rituell wird dann von irgendjemandem verkündet, dass doch eigentlich ohnehin jeder Tag des Jahres ein Männertag sei.

Hilft es also irgendjemandem, die Ermordeten des irrwitzigen Massakers von Srebrenica nun nachträglich auch noch dieser professionalisierten Häme zu überlassen? Ist es wirklich nötig, den gesammelten feministischen Gaps, dem Gender Pay Gap, dem Gender Spend Gap, dem Gender Care Gap undsoweiter nun zwischendurch und vorsichtig ein Gender Empathy Gap gegenüberzustellen – so als gäbe es einen Gender „Gender Gap“ Gap, gegen den nun von männlicher Seite aus unbedingt etwas getan werden müsse?

Zieht das nicht etwas sehr Ernstes in die Absurditäten öffentlicher Opfer-Olympiaden?

Schließlich würden sogar viele Männer damit gar nicht viel zu tun haben wollen. Bei anderen Menschen, gar bei Frauen, Empathie einzufordern, wirkt immer noch unmännlich , auf Männer wie auf Frauen. Feministinnen, die sich über Männertränen lustig machen und das als moderne Geschlechterpolitik verkaufen , sorgen dafür, dass solche Geschlechterbilder bewahrt bleiben.

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In Männertränen baden: Männer und Jungen würden auf hohem Niveau jammern und litten, wenn überhaupt, unter dem allmählichen Verlust ihrer unverdienten Privilegien. Wie im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ lenken auf diese Weise Rationalisierungen von einem einfachen, eigentlich offen sichtbaren Sachverhalt ab: nämlich von der genüsslich zelebrierten Freude am Leid anderer. Hier die Guardian-Kolumnistin Jessica Valenti, eine der wichtigsten Feministinnen weltweit, keck vor einem Ozean arrangiert.

Warum also einen Tag des Gender Empathy Gap, wenn Kunz doch damit rechnen kann, dass viele Männer ihn selbst überhaupt nicht wollen? Würde damit das Massaker von Srebrenica nicht zum Anlass für einen Internationalen Tag der Weicheier?

Geht es Männern vielleicht einfach viel zu gut?

Die Vorstellung, dass es männlich sei, seine eigenen Probleme selbst zu lösen, hat für Männer auch Vorteile. Sie profitieren aller Wahrscheinlichkeit nach davon, dass eine feministisch inspirierte Geschlechterpolitik die Vorstellung aufrecht erhält, wir würden in einem Patriarchat leben, das Frauen allüberall einer männlichen Übermacht ausliefert.

Denn auf der einen Seite wachsen damit junge Frauen auf, die darin professionalisiert sind, Widrigkeiten des Lebens als Wirken frauenfeindlicher Gewalt zu interpretieren und dann an andere zu appellieren, diese Zustände zu ändern. Auf der anderen Seite wachsen junge Männer heran, die gelernt haben, dass ihr Wohlbefinden niemanden nachdrücklich interessiert und dass sie für ihren Erfolg selbst zu sorgen haben.

Welche von beiden Gruppen wird wohl mehr Energie aufwenden, um im Konkurrenzkampf erfolgreich zu sein?

In einer modernen Massengesellschaft jedoch lässt sich das Bild des Mannes, der stark und eigenständig für sich selbst sorgen kann, immer nur mit Einschränkungen aufrecht erhalten. Gegenüber den modernen Institutionen, gegenüber den Strukturen der modernen industriellen Produktion und gegenüber der Logik eines internationalen Marktes ist jeder Mensch gleich klein. Ob ein einzelner Mann etwas stärker ist als eine einzelne Frau, ist hier völlig irrelevant.

Das heißt: So sehr es für das Selbstbewusstsein von Männern auch wichtig sein mag, sich als Subjekte ihres eigenen Lebens wahrzunehmen – und so sehr Männer auch lernen, dass sie ganz allgemein in eben dieser Funktion auch für Frauen interessant sind – sind Männer und Jungen doch tatsächlich ebenso Objekte abstrakter, weit übermächtiger Strukturen wie Frauen und Mädchen.

Wer überhaupt meint, dass Menschen Beistand verdienen, muss Menschen diesen Beistand also ganz unabhängig vom Geschlecht zugestehen.

Dabei geht es zugleich immer auch um uns selbst, die wir Empathie aufbringen, ganz gleich, ob wir nun Männer oder Frauen sind. Wir werden nur ein verzerrtes Bild einer modernen Massengesellschaft bekommen, wenn wir uns bei der Hälfte der Menschheit nicht dafür interessieren, welche Konsequenzen soziale Strukturen für sie haben. Uns fehlen wichtige Perspektiven auf diese Gesellschaft, wenn wir bei der Hälfte der Menschheit nicht auf die Idee kommen, die Welt auch einmal aus ihrer Sicht zu betrachten. Wir treten nur selektiv – und damit: gar nicht – für Menschenrechte ein, wenn uns diese Rechte bei einer Hälfte der Menschheit weitgehend irrelevant erscheinen.

Wo aber – so könnten Kritiker an Kunz‘ Vorschlag fragen – ist denn das Problem? Männliche Perspektiven wären doch ohnehin hoffnungslos überrepräsentiert, und es sei doch bekannt, dass die Erklärung der Menschenrechte sowieso eher an Männern als an Frauen orientiert gewesen wäre. „Alle Menschen werden Brüder“ – wer käme denn auf die Idee, dass in dieser Formel ausgerechnet die Männer zu kurz kämen?

Brauchen auch Jungen Empathie?

Wer so argumentiert, bleibt auf einer abstrakten Ebene und blendet viele Aspekte der sozialen Wirklichkeit aus – große und kleine. Für mich selbst ist das erschreckendste Beispiel einer fehlenden Empathie für Jungen und Männer eher klein, aber in seiner Symbolkraft gewaltig.

Die Hilfsorganisation PLAN International ist sehr erfolgreich damit, gezielt allein die Hilfe für Mädchen zu bewerben . Es gibt dafür keinen sachlichen Grund – Jungen leben weltweit in ebenso großer Not wie Mädchen und sind von manchen der schlimmsten Schrecknisse, etwa dem brutalen Missbrauch als Kindersoldaten, sogar deutlich schlimmer betroffen.

Aber PLAN kalkuliert offenbar erfolgreich damit, dass eine spezifische Hilfe für Mädchen mehr Menschen anspricht, als eine Hilfe für Kinder es tut. Wer das kritisiert, muss mit der Frage rechnen, was er denn dagegen habe, Mädchen zu helfen – das sei doch wohl immer noch besser, als wenn überhaupt niemandem geholfen würde.

Wie fadenscheinig dieses Argument ist, kann ein einfaches Beispiel zeigen. Würden wir bemerken, dass ein Weißer und ein Schwarzer zusammengeschlagen werden – und würde jemand rufen „Helft dem Weißen! Helft dem Weißen!“ – dann hätten wir keinen Zweifel daran, dass diese Rufe rassistisch sind. Wenn aber die ärmsten Kinder der Welt entlang ihrer Geschlechtszugehörigkeit selektiert werden in die, denen Hilfe zusteht, und die, die keinen Anspruch auf Hilfe haben – dann kann das seltsamerweise auch noch als humanitäres Engagement verkauft werden.

PLAN wird von vielen Prominenten unterstützt, von Ulrich Wickert beispielsweise, oder von Manuela Schwesig. Die heutige Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern war als Bundesministerin ausgerechnet für Familien und Jugend zuständig – was angesichts ihrer Einseitigkeit ebenso absurd war, wie wenn heute jemand Beatrix von Storch zur Integrationsbeauftragten machen wollte.

Ganz ähnlich wie Schwesig verhielten sich allerdings Prominente weltweit, als die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram276 Schulmädchen entführt hatte . Dass dieselbe Terrorgruppe zuvor gezielt Hunderte von Schuljungen bestialisch abgeschlachtet hatte, war der wohlmeinenden Weltöffentlichkeit kaum ein Schulterzucken wert gewesen – nur aber wurde der Appell „Bring back our girls“ zu einem weltweit erfolgreichen Slogan. Als wären die Jungen nicht auch irgendwie unsere Angelegenheit, und als wäre ihre Ermordung vergleichsweise akzeptabel gewesen.

Der schroffe allgemeine Abfall der Empathiebereitschaft, sobald es um männliche Menschen geht, betrifft also mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit auch Kinder. Dass in Deutschland Jungen an den Schulen schon seit Jahren in Not geraten, wird universitär als Problem dieser Jungen selbst abgetan. Marcel Helbig machte sich medial mit der These bekannt , dass Jungen aufgrund ihrer patriarchalen Privilegien nun einmal fauler wären als Mädchen, und wurde unter anderem dafür mit einer Professur für Schulpädagogik belohnt.

Verwertungslogiken von links

Natürlich lassen sich für diese Bereitschaft zur geschlechtsspezifischen Empathieverweigerung leicht Gründe formulieren. Die weitaus meiste Zeit unserer Gattungsgeschichte lebten Menschen nun einmal in kleinen Gruppen und unter Bedingungen eines erheblichen Mangels. Wer die Zukunft der Gruppe schützen wollte, musste die Frauen und damit die zukünftigen Kinder schützen. Männer hingegen waren eben gerade dann von Nutzen, wenn sie disponibel waren, also bereit, sich für die Gruppe zu opfern.

Nur leben wir heute eben nicht mehr unter solchen Bedingungen, und wir sind prinzipiell fähig, unsere Entscheidungen mit vernünftigen Gründen zu treffen und nicht nur auf der Basis gattungsgeschichtlicher Impulse. Wer eine längst überkommene, längst dysfunktional gewordene Geschlechterordnung in eine moderne Gesellschaft herüberretten möchte, braucht dafür ideologische Konstrukte.

Gerade in irgendwie linken Milieus ist die Vorstellung selbstverständlich, dass wir in einem „Patriarchat“ leben würden. Das erweckt erstens den Eindruck, dass Frauen und Mädchen beständig bedroht wären, unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung in besonderer Weise benötigten. Es spiegelt zweitens vor, dass Männer und Jungen, die hier und dort mal ein Problem hätten, leicht für sich selbst sorgen könnten, wenn sie denn nur wollten. Sie müssten eben gegebenenfalls ein paar ihrer Privilegien aufgeben.

Der amerikanische Autor Michael Kimmel hat in seinem Buch „Angry White Men“ die Idee populär gemacht, Männer würden nur deshalb auf spezifisch männliche Nachteile hinweisen, weil sie den allmählichen Verlust ihrer patriarchalen Privilegien nicht ertragen würden. Natürlich ist das absurd: Ein Vater beispielsweise, der gegen den willkürliche Trennung von seinen Kindern protestiert, ist dabei offensichtlich eben nicht privilegiert und hat offensichtlich auch ganz andere Sorgen als den Verlust einer Herrschaftsposition.

Hier wird also ein empathieloser Blick auf Männer genutzt, um Empathielosgkeit gegenüber Männern und Jungen auf behelfsmäßig-theoretischer Ebene zu legitimieren. Kimmels Text ist damit ein Beispiel dafür, wie diese Empathielosigkeit gegenüber Männern und Jungen auf einer Meta-Ebene wiederholt und damit abgedichtet wird. Dafür wird dieser Text auch von der Bundeszentrale für politische Bildung günstig aus Steuermitteln verlegt – anders als etwa das Plädoyer für eine linke Männerpolitik des deutschen Autors Arne Hoffmann, der geschlechtsunabhängige Empathie einfordert.

Dass Männer auf Empathieverweigerung mit Wut reagieren, ist eine durchaus angemessene Reaktion – wird aber von Kimmel genutzt, um das Klischee des gefährlichen und gewaltbereiten Mannes zu bedienen. Auf dasselbe Klischee setzte auch das Familienministerium, als es ein Hilfetelefon vorstellte, dass sich ausdrücklich an Frauen wandte. In der begleitenden Werbekampagne wurden Männer als anonyme, gewalttättige Macht dargestellt , Frauen als schutzbedürftige Opfer.

Die Organisation „Gleichmaß e.V.“ scheiterte bitter mit dem Versuch, öffentliche Mittel für Männer zu erhalten , die Opfer häuslicher Gewalt wurden. Es gibt mittlerweile gleich mehrere soziale Experimente, die zeigen, dass Frauen sofort Hilfe erhalten, wenn ein Mann im öffentlichen Bereich gegen sie gewalttätig wird – dass Gewalt von Frauen gegen Männer aber kaum jemanden interessiert.

Dass ein großer Teil der Obdachlosen männlich ist, wird auf politischer Ebene höchstens einmal zum Anlass für verachtungsvolle Sprüche . Dass Verachtung, sogar Hass auf Männer offen ausgestellt werden können, ist ein soziales Signal, das wirkungsvoller ist, je simpler und primitiver diese Aggressionen sind. Da solch eine Verhalten für die Akteure keine Konsequenzen hat, bliebt unweigerlich der Eindruck zurück, diese Verachtung sei sozial gebilligt.

Auch dass weiterhin die Toten und Schwerverwundeten militärischer Kampfeinsätze fast ausschließlich männlich sind, kratzt die Vorstellung nicht an, dass wir in einem „Patriarchat“ leben würden.

Diese Vorstellung dient offensichtlich nicht der seriösen Analyse sozialer Daten, sondern lenkt von ihnen ab. Christoph Kucklick hat eindrucksvoll gezeigt, dass „Männlichkeit“ schon seit Beginn der Moderne Projektionsfläche für Probleme moderner Gesellschaften ist. Heute schaffen feministisch inspirierte Vorstellungen von Männlichkeit den diskursiven Spielraum, den eine weitgehend entgrenzte Ökonomisierungslogik braucht.

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Denn der Zugriff auf menschliche Ressourcen zur ökonomischen Verwertung würde gehemmt, wenn er sich mit einer Logik der allgemeinen Empathie und der zivilen Perspektivübernahme arrangieren müsste. Da Männer weiterhin den Löwenanteil der Erwerbsarbeit leisten, braucht der ungehemmte Zugriff auf humane Ressourcen eine ideologische Orchestrierung, die es allgemein plausibel macht, warum spezifisch Männern zivile Empathie mit gutem Gewissen verweigert werden kann.

So verkauft sich die scheinbar linke Unterstützung für eine entgrenzte Logik der Ökonomisierung als Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit und immunisiert sich moralisierend gegen Kritik: Wer nicht mitmacht, ist ein Frauenfeind.

Ikonisch für diese Verwertungslogik könnte heute der Trennungsvater sein, der arbeiten muss, um seine Familie zu ernähren – der aber seine Kinder nicht mehr oder kaum noch sehen kann. Er ist radikal reduziert auf seine Funktion für andere, und er muss seine Arbeitskraft zur Verfügung stellen, um Zustände aufrecht zu erhalten, unter denen er und seine Kinder leiden.

Auch wenn das Akteure, die sich heute als „links“ verkaufen, sicher überrascht: Das ist exakt die Struktur, die Karl Marx einst als Entfremdung beschreiben hat.

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